„Man wird doch wohl noch Israel kritisieren dürfen“

Oft wird behauptet, Kritik an Israel wäre in Deutschland ein Tabu. Diese Behauptung ist nicht nur faktischer Unsinn, sie hat einen antisemitischen Beigeschmack: suggeriert sie doch, dass es eine allmächtige proisraelische Lobby gäbe, die über die Einhaltung dieses Tabus wacht. Womit man wieder bei der jüdischen Weltverschwörung wäre…

Kritik an Israel ist Mainstream

Die Fakten: Kein Staat und keine Bevölkerung eines Staates wird in den Massenmedien aller westlichen Länder (v.a. der Europas) so heftig kritisiert wie die israelische. Jedes Ereignis findet Eingang in die deutschen Schlagzeilen, solange es sich in Israel ereignet, und nicht zum Beispiel im benachbarten Libanon oder in Syrien. Stimmt, die israelische ist eine liberal-demokratische Gesellschaft und legt andere Maßstäbe an sich selbst an als das alle sie umgebenden arabischen Gesellschaften tun. Bei der Fülle der kritischen Artikel zu Israel in deutschen Medien von einem Tabu zu reden, ist absurd.

Warum immer Israel?

Die interessanten Fragen sind vielmehr: Weshalb fühlen so viele Deutsche (aber auch andere Europäer) überhaupt dieses starke Bedürfnis, Kritik an Israel äußern zu müssen? Und um welche Art Kritik handelt es sich hier? Und kann es wirklich Zufall sein, dass sich diese so stark auf Israel, den einzigen jüdischen Staat der Welt, fixiert? Die Antworten sind so einfach wie schmerzhaft: bei dieser „Kritik“ handelt es sich in den meisten Fällen nicht um wirkliche Kritik (im Sinne einer Analyse der jeweiligen Situation), sondern um antisemitische Äußerungen, die sich nur oberflächlich mit der Sorge um Menschenrechte oder Ähnlichem bemänteln. Entlarvend ist dabei die oft benutzte Einleitung, man sei „ja ein Freund Israels, aber man müsse unter Freunden ja noch sagen dürfen, dass…“, woraufhin eine scharfe Verurteilung Israels folgt. Dies meist, ohne eigene Lösungen für die vielen und komplizierten Probleme zu präsentieren, denen die israelische Gesellschaft gegenübersteht. Zum Beispiel dem Dilemma, gleichzeitig ein Maximum an Sicherheit und an demokratischen Rechten für alle seine Bürger und auch denen der palästinensischen Gebieten zu gewährleisten: besetzt das israelische Militär palästinensische Gebiete, leidet die dortige Bevölkerung unter Militärkontrollen und der eingeschränkten Bewegungsfreiheit. Gibt Israel aber besetzte Gebiete zurück (wie den Gazastreifen 2005 oder den Südlibanon 2000), übernehmen dort oft islamistische Kräfte (wie Hamas und Hisbollah) die Macht und greifen Israel an, was wiederum Kriege mit hohen Opferzahlen vor allem auf arabischer Seite nach sich zieht. Die Situation in und um Israel ist sehr kompliziert, aber viele Menschen machen es sich leicht und schieben Israel für alles die Schuld in die Schuhe, was in der Region falsch läuft. Nach dem alten Motto: „Der Jude ist schuld!“.

Moderner Antisemitismus- Israel als „kollektiver Jude“

Wir sind der Meinung, dass diese „Israelkritik“ nicht nur eine moderne Erscheinungsform des Antisemitismus ist, sondern vielleicht sogar die dominierende. Wie schon unter Punkt 1. ausgeführt, ist der Antisemitismus ein gesellschaftlicher Wahn, der sich als sehr wandlungsfähig erwiesen hat. Nach dem Holocaust und der fast vollständigen Ermordung der europäischen Juden ist der klassische Antisemitismus nicht mehr salonfähig. Gleichzeitig lebt der Antisemitismus in vielen Menschen weiter. Dies ist das psychologische Motiv, warum Israel als dem „kollektiven Juden“ sämtliche Fehlentwicklungen in der Welt in die Schuhe geschoben und seine Existenz in Frage gestellt wird. In Deutschland ist diese Verteufelung Israels besonders beliebt, weil damit die Schuld der Deutschen im Holocaust relativiert werden kann (dazu mehr in Punkt 7.). Der israelische Psycho-Analytiker Zvi Rex brachte es mit seinem berühmten Satz “Die Deutschen werden den Juden Ausschwitz nie verzeihen” auf den Punkt.

Wann ist Kritik an Israel antisemitisch? Der „3D-Test“

Nach dem Opens external link in new window„3D-Test für Antisemitismus“ ist eine Kritik an Israel antisemitisch, wenn sie auf die DÄMONISIERUNG, das Anlegen von DOPPELSTANDARDS oder auf die DELEGITIMIERUNG Israels abzielt (daher „3D-Test“). Ein paar Beispiele: Wird Israel vorgeworfen, es betreibe einen Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung oder es töte absichtlich Palästinenser, um ihre Organe zu verkaufen, ist dies ein Fall von Dämonisierung und damit antisemitisch. Wird immer nur der Rassismus der jüdischen Israelis gegenüber der arabischen Minderheit in Israel, jedoch nie der Judenhass dieser Araber oder der in den Israel umgebenden arabischen Staaten kritisiert, bedeutet dies das Anlegen von doppelten Standards und ist antisemitisch. Häufig zu hörende Aussagen wie „… spätestens damit hat Israel sein Existenzrecht verwirkt!“, die auf die Existenz des jüdischen Staates abzielen und damit den Juden das Recht absprechen, sich selbst beschützen und selbstbestimmt leben zu können, bedeutet die Delegitimierung Israels und ist antisemitisch.

Weitere Informationen

Links

3D-Test: wann ist Kritik an Israel Judenhass?
Kurzvideo bis Min 1.46, “BrainFed”, Youtube

Begriffserklärung Antisemitismus und Erläuterungen zum „3D-Test“
German Media Watch

Der gebildete Antisemit
Interview mit Monika Schwarz-Friesel zu modernem Antisemitismus und die Bedeutung der „Israelkritik“, Frankfurter Rundschau, Juni 2015

Aktueller Antisemitismus
Monika Schwarz-Friesel für die Bundeszentrale für politische Bildung, September 2015

The Elders of Zion- Apartheid in Israel?
Gegenbeispiele für Apartheidsvorwürfe gegen Israel, Blog Elders of Zion, englisch

Buchtipp

Esther Schapira, Georg M. Hafner: Israel ist an allem schuld (2015)

Tuvia Tenenbom: Allein unter Deutschen (2012)