Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah:

Die Berichte der Prozessbeobachter:innen der Aktion 3.Welt Saar e.V.

Zum Hintergrund:

Angeklagt ist der mutmaßlichen Mörder von Samuel Yeboah. Der Flüchtling aus Ghana war bei einem rassistischen Brandanschlag auf eine Asylunterkunft in Saarlouis am 19. September 1991 ums Leben gekommen. Damals wurden die Ermittlungen nach kurzer Zeit eingestellt, in der rechten Szene wurde kaum ermittelt.

Die Aktion 3.Welt Saar beteiligt sich an der unabhängigen Prozessbeobachtung.

Hier gibt es mehr Infos zu dem rassistischen Brandanschlag und Mord an Samuel Yeboah


Wegen Aussageverweigerung des Nazichefs wird die ihn vernehmende Ermittlungsrichterin befragt

Update 23.09.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 44. Prozesstag, Teil 2

Peter St. erinnert sich präzise an 30 Jahre zurückliegende Nebensächlichkeiten und hat sonst alles vergessen
Soll der Szene-Aussteiger zum Schuldigen aufgebaut werden?


Als zweite Zeugin war an diesem Prozesstag (18.9.23) die Ermittlungsrichterin am Bundesgerichtshof (BGH), Antje D., geladen. Thema war ihre mehrstündige Befragung des ehemaligen Anführers der Saarlouiser Neonaziszene, Peter St., im Rahmen einer Haftprüfung am 16.8.23. ab 13 Uhr. Dieser hatte vor Gericht von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht (siehe hier) und befindet sich seit 6.6.23 wegen mutmaßlicher Anstiftung zu dem Brandanschlag in Untersuchungshaft (siehe hier). Deshalb wurden jetzt seine Angaben beim Haftprüfungstermin in den Prozess eingeführt. Seine Entlassung war von der Ermittlungsrichterin abgelehnt worden.

Laut ihrer Zeuginnenaussage erklärte er, er sei im Mai 1991 aus der Haftanstalt Ottweiler entlassen worden. Dort habe er den Angeklagten, Peter S., kennen gelernt, der dort ebenfalls inhaftiert war. Zum späteren Szeneaussteiger Heiko S. habe er schon vorher Kontakt gehabt.

Nach seiner Entlassung habe er eine unorganisierte Skinheadszene vorgefunden, bei der es sich eher um eine Jugendsubkultur gehandelt habe. Es habe keine Kaderstruktur gegeben. Er sei zwar tonangebend gewesen, aber kein Chef. Erst nach 1991 habe sich das geändert, da habe es Parteieintritte und die Bildung von Kameradschaften gegeben. Da sei er dann aufgestiegen und habe eine Führungsrolle übernommen.

Befragt zu dem Treffen im Bayrischen Hof am 18.9.91 am Vorabend des Anschlags, offenbarte er zwei auffallend klare Erinnerungen, während er sich an viele andere Dinge unter Verweis auf 30 Jahre Abstand angeblich kaum noch erinnerte.

So gab er gegenüber der Untersuchungsrichterin an, sich sehr genau zu erinnern, dass er mit Peter S. und Heiko S. im Bayrischen Hof gewesen sei und nach Ende der Kneipenrunde Peter S. dann nach links, er und Heiko S. nach rechts abgebogen seien. Heiko S. habe ihn zuhause abgesetzt, denn sie hätten ein Stück weit denselben Heimweg gehabt.

Er könne auch ausschließen, dass der Satz gefallen sei "Hier müsste auch mal so etwas passieren" bzw. "Hier müsste auch mal was brennen." Er jedenfalls habe das nicht gesagt, Brandanschläge seien ihm wesensfremd gewesen. Er sei für Massenschlägereien, aber Anschläge halte er für feige. Nicht zuletzt wegen dieser ihm zugeschriebenen Aussage sitzt er aber in Haft.

Am Tag nach der Tat habe er sich mit Peter S. in Saarlouis getroffen. Da habe er erst von dem Brandanschlag und dem Toten erfahren. Ein Polizeiauto sei vorbeigefahren und ein Polizist habe gefragt, wann sie Zeit für eine Vernehmung hätten. Am Samstag habe es dann eine Demo der Antifa wegen des Anschlags gegeben. Weil sie sich nichts vorzuwerfen hatten, habe er sich mit Gleichgesinnten am Marktplatz getroffen, um die Antifademo zu beobachten. Dabei seien sie knapp einem Überfall entgangen und hätten gerade noch weglaufen können.

Zur zentralen Frage, ob die zeitgleich stattfindenden pogromartigen Ausschreitungen in Hoyerswerda ihnen bekannt und Gesprächsthema gewesen seien, äußerte er sich merkwürdigerweise nicht selbst, sondern überließ die Antwort seinem Anwalt Wolfgang Stahl, der auch NSU-Tschäpe verteidigt hatte. Dass in Hoyerswerda Brandsätze geworfen wurden, habe Peter St. nicht mitbekommen, eine entsprechende Monitorsendung habe er nicht gesehen, da er sich nicht für Politmagazine interessiert und nach seiner Erinnerung auch keinen Fernseher gehabt habe.

Er habe laut der BGH-Ermittlungsrichterin in der Vernehmung spekuliert, der Satz "Hier müsste auch mal was brennen" könne doch gefallen sein, aber wenn, dann sei die Aussage von Heiko S. gekommen. Das sei aber reine Spekulation, betonte er. Es fällt auf, dass er den Aussteiger Heiko S. trotzdem als möglichen Täter ins Gespräch bringt, also denjenigen, wegen dessen Aussagen er inhaftiert ist. Auch der Angeklagte hat Heiko S. als Täter bezeichnet, und in diese Richtung hat ebenfalls dessen Verteidiger Guido Britz im Gespräch mit dem Saarländischen Rundfunk argumentiert – ähnlich wie NSU-Anwalt Stahl bei der BGH-Richterin. Wollen hier zwei mutmaßliche Täter ihre Köpfe aus der Schlinge ziehen, indem sie einen anderen belasten und sich zugleich an diesem rächen?

Zur Entwicklung seines Verhältnisses zu Peter S. bemerkte er, diesen habe er nach seiner Haftentlassung zufällig getroffen, als er von Heiko S. am Bahnhof Saarlouis abgeholt worden sei. Peter S. sei auf dem Weg zum Elektromarkt gewesen. Dann hätten sie gemeinsam die Haftentlassung gefeiert, und ab diesem Zeitpunkt habe der Angeklagte zur Szene gehört. Die BGH-Richterin betonte, ihr sei aufgefallen, dass Peter St. das Detail vom Elektromarkt nach 30 Jahren noch wisse, im Gegensatz zu anderen Dingen.

Heiko S., so habe Peter St. am 16.8.23 ausgesagt, habe in der Szene eine viel größere Rolle gespielt als in der Akte dargestellt. Der sei kein Partygänger gewesen, sondern die Parties, die er besucht habe, seien rechtsradikale Konzerte mit politischen Inhalten gewesen. Heiko S. habe bereits 1988 dazugehört und sei überregional und international in der Naziszene vernetzt gewesen. Dies alles bestätigte die Zeugin auf Nachfrage des Verteidigers Britz, der aber offenbar seine Fragen rhetorisch meinte, um Heiko S. mal wieder als möglichen Täter ins Gespräch zu bringen. Ähnlich hatten dies bereits Peter St. und sein (NSU-) Anwalt bei der BGH-Vernehmung am 16.8. gemacht. Allerdings sind dies alles Sachverhalte, die schon vorher bekannt waren, vor allem aus den Aussagen von Heiko S. selber bei seinen beiden Vernehmungen vor dem OLG Koblenz.

Die Nebenklageanwält:innen hatten keine Fragen an die Ermittlungsrichterin.

Bezeichnend ist auch, dass Peter St. laut Aussage der Ermittlungsrichterin behauptete, er habe erst in neuester Vergangenheit erfahren, Peter S. solle der Täter sein. Dies trotz der engen Freundschaft zwischen beiden und obwohl es laut zahlreichen Zeugenaussagen in der Szene als offenes Geheimnis galt.

Siehe auch Tagesschau vom 18.09.2023
und Saarbrücker Zeitung vom 18.09.2023
sowie Aktueller Bericht des Saarländischen Rundfunks vom 18.9.23 (mit Interviews)


Räuberpistole oder neue Erkenntnisse:

Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 44. Prozesstag, Teil 1
Update 20.09.2023

Zeuge trifft sich konspirativ mit Polizei und beschuldigt "flüchtig Bekannten", ihm den Mord an Samuel Yeboah gestanden zu haben

An diesem Prozesstag (18.9.23) wurden der Zeuge Torsten W. vernommen, der schon zum vorangegangenen Termin geladen war, dem aber in der Nacht zuvor plötzlich schlecht geworden war. Der Zeuge hatte sich in den 1990er Jahren im Umfeld der Saarlouiser Naziskins bewegt, bestritt aber, wirklich dazugehört zu haben. Für ihn sei das eher eine Mode gewesen. Anlass seiner Vernehmung war, dass er bei der Polizei ausgesagt hatte, Holger K., der am 41. Prozesstag ausgesagt hatte, habe ihm gegenüber gestanden, den Brandanschlag verübt zu haben. Niemand außer Torsten W. hatte Holger K. je mit dem Anschlag in Verbindung gebracht, und die Befragung durch das Gericht gestaltete sich dann auch reichlich skurril.

Der Zeuge verhielt sich zunächst sehr schweigsam und brachte anfangs kaum mehr als ein Nicken auf Fragen des Gerichts zustande. Er fühlte sich offensichtlich in der Situation sehr unwohl, was er auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters auch bestätigte. Das Gericht machte ihm schließlich klar, dass er doch ein wenig mehr sagen müsse. Was er dann berichtete, klang sehr abenteuerlich. Holger K. habe er nur vom Sehen gekannt, der habe ihm aber an einem abgelegenen Ort die Tat gestanden. (Vor Gericht soll das eine Wiese, in der Aussage bei der Polizei eine Tankstelle gewesen sein.) Da seien noch zwei andere dabei gewesen, die er ebenfalls kaum gekannt habe. Er habe sich konspirativ mit zwei an der Wiederaufnahme der Ermittlungen beteiligten Polizisten auf einem Schulhof getroffen, um diese über das Geständnis des Holger K. zu informieren. Dabei habe er zur Sicherheit ein Kapuzen-T-Shirt angehabt. Laut Aussagen der Polizisten habe er von diesen an Ort und Stelle Geld als Belohnung erwartet, hielt ihm das Gericht vor. Das bestritt Torsten W.: Das Geld habe er keineswegs sofort haben wollen.

Der Vorsitzende Richter machte ihn angesichts der Unglaubwürdigkeit seiner Aussage über das Geständnis eines ihm kaum Bekannten auf seine Verpflichtung zu wahrheitsgemäßen Aussagen aufmerksam und stellte klar, dass schon gegen mehrere Zeugen dieses Verfahrens Ermittlungen wegen des Verdachts auf Falschaussage laufen. Torsten W. blieb aber bei seiner Anschuldigung und ergänzte, möglicherweise habe Holger K. ihm gegenüber ja aus Angeberei ein falsches Geständnis abgelegt.

Die Prozesstermine sind öffentlich und können besucht werden. Die Beweisaufnahme ist abgeschlossen, so dass jetzt noch die Plädoyers der Bundesanwaltschaft, der Verteidigung und der Nebenklagevertreter:innen gehört werden, bevor dann am 9.10.23 das Urteil verkündet wird.


Kurzer Prozess: Zeuge wird in der Nacht plötzlich krank

Update 13.09.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 43. Prozesstag:

Polizeiermittler findet in Wohnung des Angeklagten Fotos mit neonazistischem Inhalt

Dieser Prozesstag (12.9.23) gestaltete sich unerwartet kurz, denn einem der beiden geladenen Zeugen, einem Angehörigen der damaligen Saarlouiser Naziszene, war es in der vorangegangenen Nacht plötzlich schlecht geworden, so dass er nicht zur Vernehmung kam. Einziger Zeuge war dann Polizeiermittler Christian K., der im Rahmen der Wiederaufnahme der Ermittlungen mit der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten Peter S. beauftragt war. Bei der Durchsuchung seien der damals noch auf freiem Fuß befindliche Peter S., dessen Ehefrau und dessen Tochter anwesend gewesen. Die Frage des Vorsitzenden Richters Leitges, ob ihm dabei etwas besonders aufgefallen sei, bejahte er: In einer Kommode seien zuoberst Fotoalben gefunden worden mit Bildern aus "früheren Zeiten", mit einem "rechten Hintergrund", wobei auch Hakenkreuze zu sehen gewesen seien. Merkwürdig sei ihm das vorgekommen, weil üblicherweise bei Fotosammlungen Privatbilder zuoberst zu erwarten seien. In diesem Fall seien aber offensichtlich Fotos mit rechtem Inhalt so gelagert worden, dass sie jederzeit griffbereit waren.

Christian K. hatte das Wohnungsinnere durch Überblicksfotos dokumentiert, die er kommentierte, während sie auf Monitoren eingeblendet wurden. Dadurch sollten vor allem die Fundorte beweisrelevanter Gegenstände wie Handys und Speichermedien dokumentiert werden. Auf einem Foto war die Hand des Ermittlers zu sehen, die eines der Fotoalben hielt, in denen sich nach seiner Auskunft die genannten Bilder befanden. Verteidiger Britz hakte nach, wo denn die Fundstellen der Alben dokumentiert seien. Hierzu stellte der Vorsitzende Richter klar, die Alben würden in Form eines Sonderbandes vorliegen und könnten von den Prozessbeteiligten in der Geschäftsstelle eingesehen werden. Im Gerichtssaal könne man sie nicht zeigen, da sich darunter auch Fotos von sexuell intimen Situationen befänden.


Szene-Aussteiger bestätigt eliminatorischen Rassismus und Antisemitismus in der Saarlouiser Nazi-Skin-Szene

Update 05.09.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 42. Prozesstag, Teil 3:

Nach seinem Ausstieg wird er massiv bedroht, einschließlich Morddrohungen

Noch ein dritter Zeuge war an diesem Prozesstag (4.9.23) geladen, der Szeneaussteiger Heiko S., der am 26. Prozesstag, dem 15.5.23, schon einmal vernommen worden war. Siehe auch hier

Für das Gericht hatten sich weitere Fragen ergeben. „Wir lassen nicht locker, wir drehen jeden Stein rum, um zu gucken, ob wir da noch was finden“, so der Vorsitzende Richter Leitges.

Heiko S. berichtete noch einmal von dem Treffen am Vorabend des Anschlags im "Bayrischen Hof", der in der Nähe des Kinos war . "Hier müsste auch mal was passieren", habe der Anführer der Gruppe, Peter St., gesagt, bezogen auf den zeitgleichen Pogrom von Hoyerswerda. Da seien außer diesem nur er und der Angeklagte zugegen gewesen, und sie hätten zugestimmt. Für ihn sei klar gewesen, dass es dabei nur um die Flüchtlingsunterkunft in Saarlouis-Fraulautern gegangen sei, also die, auf die dann wenige Stunden später der Anschlag verübt wurde. Das andere Flüchtlingsheim in Saarlouis-Roden habe keine Rolle gespielt. Er selber sei davon ausgegangen, damit sei etwa gemeint, dass sie vor der Unterkunft mit der ganzen Gruppe aufmarschieren und Scheiben einwerfen.

Der Berichterstatter Keppel fragte ihn, wann sich die Skinheadszene radikalisiert habe. Das sei 1989 nach der "Wende" gewesen, so Heiko S., da sei es im Osten radikaler geworden, rechte Parteien hätten die Rattenfänger gespielt. Was sich hinter dem Begriff "Paki-Bashing" verberge, hakte der Berichterstatter nach. Damit sei "Pakistani bashen" gemeint gewesen, erklärte der Zeuge, er und sein Kamerad Ralf K. hätten gehört, das habe es damals in England gegeben. Sie hätten versucht, das nachzumachen und einen vermeintlichen Pakistani "vom Fahrrad geschubst". Dann hätten sie aber Gewissensbisse bekommen und ihn laufen lassen. Den anderen hätten sie erzählt, sie hätten ihn verprügelt.

Kontakte in den Osten habe er erst ab 1992 gehabt. Vorher habe er Ostdeutsche nur im St. Ingberter Nazitreff, der Gaststätte "Spinnrädchen", kennen gelernt. Die seien in den Westen gekommen und hätten in Schweich (bei Trier) gearbeitet.

Er selber habe sich am Hals "White Pride" tätowieren lassen. Nach seinem Ausstieg habe er das übertätowieren lassen. Ausgestiegen sei er 1993, 1994.

Als Peter St. von seinem Ausstieg erfahren habe, habe dieser zusammen mit Markus M. versucht, ihn auf einen Spielplatz zu locken. Er sei aber nicht darauf hereingefallen. Der NPDler Markus M. war am 37. Prozesstag (17.7.23, siehe hier ) geladen, hatte aber die Aussage verweigert. "Ich rotte dich und deine ganze Familie aus, du Verräter", habe Peter St. ihm gedroht. Er habe auch mal eine Arbeitsstelle bei der Stadt Saarlouis gehabt, da hätten seine Kollegen Bauschutt weggefahren und ihn alleine zurückgelassen. Da seien Skinheads gekommen und hätten ihn verprügeln wollen. Er habe sich ins Auto retten können, bis seine Arbeitskollegen wieder kamen. Auch in anderen Städten, wie Mannheim, Stuttgart und Frankfurt habe Gefahr für ihn seitens der dortigen Nazi-Skins bestanden, weil er als Verräter galt.

Auf die Frage des Berichterstatters, warum er ausgestiegen sei, erklärte er, die Nazi-Kameradschaft habe sich für ihn als absoluter Bullshit herausgestellt. Ein Kamerad habe ihm seine Freundin ausgespannt. Von einem anderen, Andreas W., habe er "aufs Maul gekriegt", was der mit der Lüge begründet habe, er habe Bilder seiner Freundin geklaut. Tatsächlich habe diese sie ihm geschenkt. Außerdem habe er die ewige Bevormundung durch Peter St. satt gehabt. Zu diesem hatte er mal ein gutes Verhältnis. Als ihm die Aussage von Peter St. bei der Generalbundesanwaltschaft vorgehalten wurde, Heiko S. habe ihn nach seiner Haftentlassung am Bahnhof Saarlouis abgeholt, konnte er sich zwar nicht mehr erinnern, meinte aber: "Das wird dann wohl so gewesen sein."

Eine wesentliche Rolle bei seinem Ausstieg habe die Neuentdeckung von aus seiner Sicht unpolitischer Skinhead-Musik gespielt, Musik der Oi-Skins, denen er sich mehr und mehr zugehörig fühlte. Die Oi-Skin-Bewegung sei in England entstanden, sie sei unpolitisch, aber nicht links. Er habe mal Oi-Skin-Musik auf eine Kassette überspielt und im JUZ (Jugendzentrum) Saarlouis laufen lassen, aber die anderen hätten die Musik abgestellt und stattdessen Musik der Naziband Landser abgespielt.

Hitler habe man in der Szene gut, Juden schlecht und Ausländer und Menschen schwarzer Hautfarbe blöd gefunden, bestätigte er, als der Berichterstatter ihm seine entsprechenden Aussagen aus der polizeilichen Vernehmung vorhielt. Die Frage von Nebenklageanwältin Pietrzyk, ob man Menschen, die nicht weiß oder die jüdischen Glaubens gewesen seien, das Lebensrecht abgesprochen habe, bejahte er: Die seien weniger wert gewesen.

Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 4.9.2023

www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/prozesse-gericht/urteil-im-yeboah-prozess-voraussichtlich-im-september-2023_aid-97006131


Überlebender des Brandanschlags schildert traumatisierenden Ablauf der Brandnacht

Update 05.09.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 42. Prozesstag, Teil 2:

Rassistische Skinhead-Angriffe in Saarlouis an der Tagesordnung
Ministerpräsident Lafontaine war gegen Sprachkurs und kündigte seine Abschiebung an

Der zweite Zeuge an diesem Prozesstag (4.9.23) war ein Überlebender des Brandanschlags, der aus Nigeria stammende Julius E. – er floh vor der Militärjunta in Nigeria - , der inzwischen deutscher Staatsbürger ist. Er sei traumatisiert, erklärte er, depressiv und werde behandelt. Er könne kein Feuer sehen, nicht einmal im Fernsehen. "Es war die Hölle auf Erden." Als er die Vorladung bekommen habe, habe er Angst gehabt, alles komme noch einmal hoch.

Eindringlich schilderte er, wie er die Brandnacht erlebt hatte. Er sei zwischen 3 und 4 Uhr von drei heftigen Explosionen geweckt worden. Als er die Tür seines im ersten Obergeschoss liegenden Zimmers geöffnet habe, habe eine ganze Wand in Flammen gestanden, die sei mit Brandbeschleuniger bespritzt gewesen. Er sei ins Zimmer und dann zum Fenster rausgesprungen, in einen Müllcontainer. Er sei dann wieder ein Stück die Feuerleiter hochgeklettert, um einem anderen Bewohner, Samuel A., behilflich zu sein bzw. diesem zu sagen, dass das Treppenhaus nicht mehr passierbar sei und er über die Feuerleiter das Haus verlassen solle. Den konnte er dadurch retten – auch wenn der dann beim Rausklettern und Springen Brandverletzungen an den Füßen davongetragen und am Arm geblutet habe.

Samuel Yeboah habe man oben im Dachgeschss zuerst laut schreien gehört, dann plötzlich nicht mehr. Er sei wohl bewusstlos gewesen. Als die Feuerwehr ihn schließlich rausgetragen habe, sei sein Körper implodiert. Dann sei er ruhig gewesen. Als er zuvor selber ins Haus gewollt habe zu dem schreienden Samuel Yeboah, um ihn zu retten, habe die Feuerwehr ihn zurückgehalten, weil die Treppe nach oben lichterloh brannte.

Die Feuerwehr sei nicht schnell gekommen, sagte er, abweichend von den Aussagen anderer Zeugen. Die seien erst nicht ins Haus rein und hätten erstmal nach Wasseranschlüssen gesucht. Von den Menschen draußen hätten einige die Feuerwehr gerufen und seien traurig gewesen, andere hätten sich über den Brandanschlag gefreut. Darunter seien aber nach seiner Einschätzung keine Skinheads gewesen.

Die Bewohner der Unterkunft seien zunächst in das Theater am Ring gebracht worden und später dann in das noch nicht ganz fertige Wohnheim in der Gutenbergstraße. Später sei er aus Deutschland rausgeworfen, abgeschoben worden. Er und einige andere seien in der Brandnacht aber erstmal aus Sorge ins Krankenhaus, wohin der verletzte Samuel A. gebracht worden sei. Der habe mit blutigem Arm dort auf der Diele gelegen und sei nicht behandelt worden. Man habe ihnen Lappen gegeben, damit sie das Blut vom Boden aufwischen. Dann sei die Polizei gekommen, mit der es Streit gegeben habe. Samuel A. sei mit einer deutschen Frau verheiratet gewesen und hätte in der Unterkunft bleiben dürfen, bis er eine eigene Wohnung gefunden hätte.

Samuel Yeboah sei meistens unterwegs gewesen, mit Deutschen, habe Fußball gespielt und geboxt. Er sei klein gewesen, aber ein richtiger Sportler, sehr freundlich. Wie man auf Deutsch sage: "Ein Freigeist."

Der Onkel des Zeugen sei Botschafter gewesen und habe ihn davor gewarnt, nach Deutschland zu gehen, sagte er. Aber er habe schon in Afrika Weltgeschichte studiert und Deutschland sei für ihn eines der besten Länder der Erde gewesen. Pöbeleien, Beschimpfungen und Angriffe durch Nazi-Skins seien aber dann eine fast alltägliche Sache gewesen. "Wir haben gelernt, damit zu leben", konstatierte er. Er selber habe keine Angst gehabt, habe den Schwarzen Gürtel in Kung Fu und den Beinamen "Big Joe".

Er schilderte im Laufe seiner Aussage eine Reihe von rassistischen Vorfällen. So hätten sie sich einmal für den Besuch einer Messe in der Kirche fertig gemacht. Da seien dann Nazis vorbeigefahren, hätten "Heil Hitler" gerufen und mit Joghurt geworfen. Er sei beschmiert gewesen. Sie hätten als Flüchtlinge nicht ohne Risiko einzeln einkaufen gehen können. Deshalb seien sie immer zu fünft oder zu sechst gegangen. Einzelne Nazis hätten sich nicht getraut, anzugreifen, das hätten diese nur als Gruppe getan.

Vor dem Wohnheim seien immer wieder Skins aufmarschiert und hätten den Hitlergruß gezeigt. In der Stadt seien Beleidigungen wie "Nigger", "Fick dich" und "Affe" gerufen worden. Am Bahnhof in Saarlouis habe er mitgekommen, wie Skinheads gesagt hätten, man solle alle Ausländer verbrennen. Auch Drohschreiben hätten sie bekommen. Sie sollten zurück nach Afrika gehen, sonst werde man das Haus anzünden, habe zum Beispiel in den Briefen gestanden.

Als Repräsentant für Ausländer habe er auch mit dem damaligen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine (SPD) gesprochen. Der habe aber alles unter den Teppich gekehrt. Er habe die deutsche Sprache lernen wollen, aber Lafontaine habe gemeint, das sei nicht sinnvoll, denn sie seien hier in Deutschland, um sich zu verstecken und nicht zu bleiben. Später würden sie dann abgeschoben. Er sei dann schließlich auch „aus Deutschland rausgeworfen, abgeschoben" worden.

Während der Befragung durch das Gericht gab er diesem und dem Publikum noch eine kleine Einführung in deutschen Alltagsrassismus. Ihm widerstrebe es, als dunkelhäutiger Mensch pauschal mit anderen mit gleicher oder ähnlicher Hautfarbe als gleich angesehen zu werden: „Wir waren viele Schwarze, aber wir sind nicht alle gleich. Das ist wie bei Deutschen und Holländern. Wir kamen nicht gut miteinander klar.“

Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 4.9.2023

und Tagesschau vom 4.9.2023


Anonymes Schreiben ans Gericht: Weiß Zeugin mehr, als sie zugibt?

Update 05.09.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 42. Prozesstag, Teil 1:

Zeugin bestätigt rassistische Pogromstimmung in der Saarlouiser Skinhead-Szene

Als erste Zeugin wurde an diesem Prozesstag (4.9.23) Nicole S. vernommen, die in den 90ern zur Saarlouiser Naziszene gehörte. Sie erklärte, 1991, zum Zeitpunkt des Anschlags, habe sie die Leute aus der Szene nicht gekannt. Von dem Brandanschlag habe sie aus der Zeitung erfahren. Sie habe die Saarlouiser Skins 1992 eigentlich nur "zufällig" kennen gelernt. Damals sei sie 19 gewesen. Das seien insbesondere Peter S., Peter St., Holger K., Ronny K. und Mark. M. gewesen. Mit Holger K. habe sie ein Kind. Sie sei aus dem saarländischen Dillingen und in Saarlouis zur Schule gegangen.

Sie habe nicht gedacht, jemand von diesen Leuten habe etwas mit dem Anschlag zu tun. Darüber sei auch in der Szene nicht gesprochen worden. Der Vorsitzende Richter, Leitges, hielt ihr vor, in der polizeilichen Vernehmung habe sie das genaue Gegenteil gesagt und es sei sehr wohl darüber gesprochen worden. Bei der Polizei habe sie, so der weitere richterliche Vorhalt, berichtet, es habe in der Szene immer geheißen, Peter S. und Peter St. seien die Täter gewesen. Die hätten dann immer abgewunken: "Ach, Quatsch!" Und kennen gelernt habe sie die Saarlouiser Skinheads, weil ein Freund von ihr, Thomas B., sie mitgenommen habe. So "zufällig" konnte sie demnach nicht in die Szene geraten sein. Dies alles räumte sie dann schließlich auf mehrmaliges Nachfragen zweier Richter auch vor Gericht ein. Aber von Heiko S. habe sie bezüglich einer Tatbeteiligung nichts gehört. Der habe eine ganz schwache Rolle in der Szene gespielt, sei selten dabei gewesen.

Über Peter S. sagte sie, der habe gerne gefeiert, aber sei nicht aggressiv geworden, wenn er getrunken habe. Er sei Peter St. nachgelaufen, dieser sei der Stärkere gewesen. Peter St. sei das Alphatier der Gruppe gewesen, der habe immer gesagt, was gemacht werden solle. "Die" - gemeint die Szeneangehörigen - seien gegen Ausländer gewesen. Der Brandanschlag sei von den Saarlouiser Nazis begrüßt worden, Peter St. und Peter S. hätten ihn "eher gut" gefunden. Es habe geheißen: "Gut, dass das passiert ist." Anschläge wie in Solingen, Mölln, Hoyerswerda und Rostock seien in der Saarlouiser Szene grundsätzlich begrüßt worden, auch dann, wenn Kinder gestorben seien. Man sei auf Rechtsrock-Konzerte in der näheren Umgebung gefahren, u.a. nach St. Ingebert, habe CDs von Störkraft und Böhse Onkelz gehabt und habe die ausländerfeindlichen Texte mitgesungen. Allerdings waren, so Nebenklageanwältin Pietrzyk, diese Texte nicht nur ausländerfeindlich, sondern es wurde auch tödliche Gewalt propagiert.

Der Vorsitzende las dann aus einem anonymen Schreiben vor, das am 15.8.23 beim Gericht einging: „Sehr geehrte Damen und Herren, vernehmen Sie doch mal wiederholt die Person Nicole S……Sie weiß mehr", hieß es in dem Brief, der unterzeichnet war mit "Im Sinne der Gerechtigkeit". Sie bestritt darauf hin, mehr zu wissen, als sie ausgesagt hatte, worauf ihr der Berichterstatter, Keppel, deutlich machte, es könne für sie ein Problem werden, wenn sie doch mehr wisse, als sie behaupte.

1993 habe sie sich von der Szene entfernt, erzählte sie, denn da sei sie nach Beckingen gezogen. Das sei zu weit weg gewesen, da habe sie andere Freundeskreise gehabt. Mit Holger K. sei sie weiterhin liiert gewesen, deshalb habe es noch Kontakte gegeben, aber nicht mehr so intensiv, und die seien dann langsam eingeschlafen.

2007 hatten bei ihr zwei Hausdurchsuchungen stattgefunden, auf die das Gericht sie ansprach. Aufgrund eines Missverständnisses nahm sie zunächst an, damit sei eine Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit dem Verbot der neonazistischen FAP (Freiheitliche Arbeiter Partei) gemeint gewesen, der ihr Lebensgefährte angehört habe. Mit der habe sie aber nichts am Hut gehabt, die sei frauenfeindlich gewesen, gegen das Frauenwahlrecht. Es ging aber bei der Frage um Durchsuchungen im Zusammenhang mit BTM (Betäubungsmitteln), stellte das Gericht klar. Ja, da habe Holger K. ihre Adresse für eine Lieferung angegeben, wovon sie nichts gewusst habe und die allerdings auch nicht angekommen sei. Um zwei Kanister mit einer Lösung zur Herstellung von Drogen sei es gegangen. Wegen dieser Sache und weil Holger K. zu einer Haftstrafe deswegen verurteilt worden sei, habe sie nach seiner Verurteilung jeden Kontakt mit ihm abgebrochen, schließlich habe sie ein zweijähriges Kind gehabt. Von der Verurteilung habe sie über Dritte erfahren, das habe in der Zeitung gestanden. Er habe ohnehin nie Unterhalt für das Kind gezahlt. Über den Brandanschlag habe sie nie mit ihm gesprochen, behauptete sie.

Holger K. selber hatte bei seiner Aussage am vorangegangenen 41. Prozesstag allerdings behauptet, er sei damals freigesprochen worden, wie im vorherigen Prozessbericht nachzulesen ist.

Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 4.9.2023


Parisreisender wird von Polizei vorgeführt

Update 31.08.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 41. Prozesstag, Teil 3:

Zeuge hat nichts gegen Ausländer, fühlt sich aber von diesen wegen seiner weißen Hautfarbe diskriminiert

Als vierter und letzter Zeuge erschien an diesem Prozesstag (29.8.23) Holger K., ein Angehöriger der damaligen Saarlouiser Naziskin-Szene, vor Gericht. Allerdings nicht freiwillig. Da er bereits zweimal Vorladungen nicht nachgekommen war, wurde er diesmal von der Polizei vorgeführt. Am 38. Prozesstag, dem 18.7.23, hatte sein Nichterscheinen für Heiterkeit im Gerichtssaal gesorgt: Statt nach Koblenz zu kommen, war er in den falschen Zug eingestiegen und in Paris gestrandet. Siehe auch hier. Diesmal wurde er ohne Vorankündigung von der Polizei abgeholt, und zwar direkt aus dem Krankenhaus. Dort hatte er sich zwei Tage befunden, nachdem er Sonntagnacht von drei Personen zusammengeschlagen worden war. Dies habe aber nichts mit dem Verfahren wegen des Brandanschlags zu tun gehabt, erklärte er auf diesbezügliche Nachfrage des Gerichts. Er habe ein Schädel-Hirn-Trauma infolge eines Schlages mit einem Teleskopschlagstock bei dem nächtlichen Angriff davongetragen und sei von einem "inkompetenten Arzt" als vernehmungsfähig entlassen worden, sagte er in einem trotzigen Tonfall, den er während der gesamten Vernehmung beibehielt.

Den Angeklagten kenne er von früher, erzählte er, habe ihn mit 14,15 kennen gelernt, durch eine Party bei den Brüdern André und Christian B. Er habe damals auch Heiko S. und Markus B. kennen gelernt. Er sei Skinhead gewesen, man habe Skinheadmusik gehört, sich im "Bayrischen Hof" getroffen, Bier und Schnaps getrunken. Auch im JUZ, dem Jugendzentrum, habe man sich getroffen. Heute trinke er keinen Alkohol mehr.

Auf die Frage des Gerichts nach Ausländerfeindlichkeit in der Szene fragte er zurück: "Warum soll man ausländerfeindlich sein?" Er sei demokratisch eingestellt gewesen, könne sich an Pöbeleien gegen Ausländer nicht erinnern. Er sei aber von einem "ausländischen Mitbürger" angepöbelt worden wegen seiner Hautfarbe. Jedoch sei er stolz, Deutscher zu sein. Er sei Nationaldemokrat gewesen. Die FAP (die neonazistische Freiheitliche Arbeiter Partei) sei verboten "in unserem demokratischen Land", empörte er sich.

Er habe keine Erinnerungen an Erzählungen über den Brand. Auf den richterlichen Vorhalt, die Spatzen hätten doch von den Dächern gepfiffen, wer den Brand gelegt habe, entgegnete er, er verstehe keine Spatzen. Er sei ja ebenfalls beschuldigt worden, den Anschlag verübt zu haben, aber er sei zum Tatzeitpunkt zuhause gewesen, denn er habe eine Ausbildung zum Maurer gemacht und um 5, 6 Uhr raus gemusst. Ohnehin habe er nie gewusst, wo sich das Asylantenheim befinde.

Er selber habe mal in einem Asylantenheim gewohnt, das sei alles "nett und cool" gewesen. Zu seiner Cousine, Diana K., der Hauptbelastungszeugin, habe er ein gutes Verhältnis. Diese Behauptung steht in deutlichem Widerspruch zu deren Aussage, sie habe den Kontakt zu ihm abgebrochen, da er sie sexuell belästigt habe.

Den Angeklagten bezeichnete er als "hinterfotzig." Denn er, Holger K., habe zwei Jahre in Untersuchungshaft gesessen, ihm sei Handel mit Betäubungsmitteln vorgeworfen worden, womit er nichts zu tun gehabt habe, aber Peter S. habe gegen ihn ausgesagt. Er sei dann freigesprochen worden.

Die Szeneangehörige Tamara B. die bis heute in der rechten Szene aktiv ist, bezeichnete er wegen ihres punkerartigen Aussehens als "Zecke".

Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 29.8.2023


Polizeiermittler: Kollegen haben in Vernehmungen 1991 nicht ernsthaft nachgehakt

Update 31.08.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 41. Prozesstag, Teil 2:

Phonetische Sachverständige: Aufzeichnung Innenraumüberwachung nur begrenzt technisch aufbereitbar

Noch ein weiterer Ermittler sagte an diesem Prozesstag (29.8.23) als Zeuge aus. Martin S. übt eine leitende Tätigkeit bei der Abteilung "Auswertung und Analyse" des Staatsschutzes aus und wurde 2020 für dreieinhalb Monate in die nach rund 30 Jahren (!) wieder aufgenommenen Ermittlungen zum Saarlouiser Anschlag eingebunden. Seine Aufgabe war es, auf der Basis der 1991 von Saarlouiser Skinheads gemachten Aussagen die Plausibilität von Weg- und Zeitangaben zu überprüfen. Diese Aussagen habe er sich intensiv angeschaut, erklärte er. Dies betraf vor allem die mutmaßlichen Nachhausewege der Nazis, die sich in der Tatnacht in der Gaststätte "Bayrischer Hof" getroffen hatten, aber auch am selben Abend zuvor zurückgelegte Wege. Dabei ging es insbesondere um Peter St., Peter S. und Heiko S., die zuletzt das Lokal verlassen hatten. Leider hätten seine damals die Vernehmungen führenden Kollegen bei Diskrepanzen nicht genau nachgehakt.

Martin S. nutzte für seine Berechnungen die Fußgängerversion von Google Maps. Dabei sei zu berücksichtigen gewesen, so der Zeuge, dass seither Straßen umbenannt worden seien, andere sogar überhaupt nicht mehr existierten. Er präsentierte eine Übersichtsskizze der Wohnorte, des Tatobjekts sowie der möglichen Wegstrecken aufgrund der damaligen Vernehmungen. Peter St. sei den Nachhauseweg gegangen, der am Anschlagsort vorbeiführte, obwohl zwei Wege kürzer gewesen seien.

Der Verteidiger Britz frage den Zeugen, ob er denn die Wege auch selbst abgegangen sei, was dieser verneinte. Er wisse auch nicht, ob Kollegen von ihm die Wege abgegangen seien. Diese Nachlässigkeit bemängelte Britz und kritisierte weiterhin, bei der Berechnung sei auch die Alkoholisierung der Skins nicht berücksichtigt worden.

Der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft, Merz, beantragte, die Kenntnisse des Zeugen über die von ihm studierten Vernehmungsprotokolle in den Prozess einzuführen, damit man sich ein eigenes Bild machen könne. Dies wurde nach längerer Beratung per Gerichtsbeschluss abgelehnt, mit der Begründung, es sei nicht Gegenstand der Vernehmung dieses Zeugen, und dadurch würden durch die Hintertür Inhalte in den Prozess eingeführt aus Aussagen von Zeugen, die im Prozess selber die Aussage verweigert hätten. Dies betraf die Zeugen Peter St. und Markus M.

Als dritte Zeugin an diesem Prozesstag war als Sachverständige die Phonetikerin Prof. Dr. Angelika Braun von der Universität Trier geladen. Ihr Auftrag bestand darin, Aufzeichnungen der Innenraumüberwachung von Autos Saarlouiser Nazis technisch möglichst verständlich aufzubereiten und zu transkribieren - angesichts einer Reihe von Störfaktoren eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Sie erläuterte zunächst ihre Methode des Herausfilterns von Störsignalen, wozu auch die menschliche Stimme gehöre, etwa, wenn während eines Gesprächs Stimmen im Autoradio zu hören seien. Erschwerend komme in diesem Fall noch die Dialektsprache der Abgehörten hinzu. So gebe es zwei saarländische Großdialekte. Wesentliche technische Verbesserungen seien bei der Bearbeitung nicht möglich gewesen.

Drei aufgezeichnete Gespräche wurden dann eingespielt, von denen allerdings im Zuhörerraum so gut wie nichts zu verstehen war. Die Prozessbeteiligten hatten Transkripte erhalten, die dem Publikum und den Medien nicht zugänglich waren. Die Polizeiarbeit sei gut gewesen, betonte sie lobend, da sei das technisch Machbare optimal durchgeführt worden.


Polizeizeuge: Absprachen zwischen Skins in der Autowaschstraße

Update 31.08.2023

Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 41. Prozesstag, Teil 1:

Als erster Zeuge (29.8.23) sagte an diesem Prozesstag Jochen B. aus, der als Ermittler der "SoKo Welle", die mit der Wiederaufnahme der Ermittlungen betraut war, Videomaterial aus der Globus-Waschstraße in Saarlouis gesichtet und ausgewertet hatte, in der der Angeklagte, Peter S., arbeitete. Das Video war ein Ausschnitt aus dem Überwachungsvideo der Anlage vom 17.8.20 und wurde relevant, weil die TKÜ (Tele-Kommunikations-Überwachung), so Jochen B., ergeben hatte, dass der Saarlouiser Nazichef Peter St. sich mit Peter S. für dort verabredet hatte, um unbelauscht Absprachen bezüglich der neuen Ermittlungen treffen zu können.

Der Zeuge erläuterte den Ablauf anhand von Bildausschnitten des Videos: Die Waschstraße öffnete um 8 Uhr morgens, aber bereits um 7:22 Uhr fuhr ein schwarzer Focus mit Saarlouiser Kennzeichen über eine seitliche Straße auf das Betriebsgelände. Ein solcher war auf den Vater von Peter St. zugelassen, wurde aber in der Regel von Peter St. gefahren. Es kam dann zu einem Gespräch zwischen Peter S. und Peter St., worauf Peter S. auf der Beifahrerseite einstieg und sie zusammen durch die Waschstraße fuhren. Wenige Minuten später, noch vor der offiziellen Öffnung, verließ das Auto wieder das Betriebsgelände.


Wer ist die blonde Frau, die niemand kennen will?

Update 30.08.2023

Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 40. Prozesstag, Teil 2:

An diesem Prozesstag (28.8.23) wurde noch ein dritter Zeuge vernommen, Detlef W., bis heute ein führender Kopf der Zweibrücker Neonaziszene. Die gerichtliche Vernehmung wurde, so der Vorsitzende Richter, notwendig, weil der Zeuge einer polizeilichen Vorladung nicht gefolgt war. Sie gestaltete sich kurz, da das Gericht nur eine Frage an ihn hatte.

Der Zeuge, der Kontakte zur Saarlouiser Szene in den 1990ern bestritt, erklärte, er kenne den Angeklagten nur flüchtig von Demos. Den einzigen Kontakt zu ihm habe er beim Rudolf-Hess-Gedenkmarsch 1996 in Worms gehabt. Auf diese Demo bezog sich auch die Frage, denn auf Bildern des Marsches ist eine blonde Frau zusammen mit Peter S. zu sehen, die bis heute nicht identifiziert werden konnte. Alle bisher aus dem Spektrum der damaligen Szeneangehörigen dazu befragten Zeug:innen behaupteten auffallend gleichlautend, sie nicht zu kennen. Detlef W., dem die Bilder ebenfalls gezeigt wurden, stimmte in diesen Chor ein, räumte aber ein, die Blonde könne eine Bekannte seiner Frau gewesen sein. Seine Frau sei 1997 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Er habe dann mit drei kleinen Kindern alleine da gestanden, und alles andere habe keine Rolle mehr gespielt, weswegen er sich an nichts erinnern könne.

 


Gericht: Gegen mehrere bisherige Zeugen Verfahren wegen Falschaussage eingeleitet

Update 30.08.2023

Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 40. Prozesstag, Teil 2:

Ex-Lebensgefährtin des Angeklagten hält Informationen zurück und könnte die Nächste sein
Zeugin hatte Angst, von Peter S. mit Pralinen vergiftet zu werden

Die zweite Zeugin dieses Prozesstages (28.8.23) war Sabrina A., Ex-Lebensgefährtin des Angeklagten. Vorausahnend, was kommen würde, stellte der Vorsitzende Richter zu Beginn der Vernehmung klar, man habe bei einigen Zeugen schon den Eindruck gewonnen, dass sie mehr wüssten, als sie sagten, dass sie "sich winden wie ein Aal".

Die Zeugin, die 1991, zum Tatzeitpunkt, 11 Jahre alt war, berichtete, sie habe Peter S. 1996 kennen gelernt und sei seit Februar 1997 dreieinhalb Jahre mit ihm zusammen gewesen. Sie habe heute keinen Kontakt mehr mit ihm, den letzten Kontakt habe es gegeben, kurz bevor er verhaftet worden sei. Sie zählte maßgebliche Mitglieder der Szene auf, die sie gekannt habe, Peter St., Heiko S., Markus M., Heiko T., Markus S. und andere. Sie selber sei nicht rechts gewesen, sondern "neutral", habe auch keine szenetypische Frisur gehabt. Wie denn das dazu passe, dass sie beispielsweise noch in jüngster Zeit in der "Hate Bar" verkehrte, einem Treffpunkt der neonazistischen Hammerskins im saarländischen Dillingen, hielt ihr das Gericht vor.

Über den Brand sei in der Szene nicht groß geredet worden, behauptete sie, in deutlichem Widerspruch zu zahlreichen Aussagen anderer Zeug:innen. Der Angeklagte habe ihr gegenüber erklärt, er habe nichts mit dem Brand zu tun und hoffe, dass die Tat aufgeklärt werde.

Man habe den Eindruck, sie halte mit der Wahrheit hinter dem Berg und wisse mehr, als sie sage, hielt ihr der Vorsitzende Richter Leitges vor. Es seien schon gegen einige Zeugen dieses Prozesses Verfahren wegen Falschaussagen eingeleitet worden, und er hoffe, sie sei nicht die Nächste, versuchte er ihr eindringlich klarzumachen.

Das Gericht konfrontierte die angeblich so Ahnungslose dann mit Mitschnitten aus der TKÜ (Tele-Kommunikations-Überwachung). So hat sie, als sie nach Wiederaufnahme der Ermittlungen von der Polizei verhört wurde, verschiedene Szeneangehörige gewarnt. Einem "Steve" teilte sie mit: "Ich habe niemand verraten." "Erzähl irgendeine Scheiße", riet sie ihm für den Fall einer Vorladung. Eine "Bianca" warnte sie: "Du weißt von nichts, kennst keine Leute!" Als ihr dies vom Gericht vorgehalten wurde, gab sie die betreffenden Anrufe notgedrungen zu, wand sich aber, indem sie behauptete, da sei es nicht um den Brandanschlag, sondern einfach nur um die Zugehörigkeit zur rechten Szene gegangen. Andere habe sie aber nicht angerufen. Auch dies wurde dann mittels TKÜ widerlegt. So hatte sie unter anderem mit einer "Karina" telefoniert. Süffisant meinte der Berichterstatter des Senats, Keppel, in der Tat habe manchmal nicht sie angerufen, sondern sei angerufen worden.

Da sie als zum Tatzeitpunkt 11jähriges Kind selber nicht in Gefahr war, in Verdacht zu geraten und trotzdem offenbar nicht mit dem herausrückte, was sie wusste, fragte der Beisitzer sie: "Welchen Krieg wollen Sie hier gewinnen?" Und der Vorsitzende Richter stellte die naheliegende Frage: "Werden Sie von irgendjemand unter Druck gesetzt?" Ob sie sich vor dem Gerichtstermin mit jemand getroffen habe, der sie instruiert habe, nicht mehr zu sagen, als ohnehin schon von ihr ausgesagt worden sei. Das verneinte sie.

Daran anknüpfend wollte der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft, Merz, wissen, ob sie mit dem Angeklagten ein Zeichen verabredet habe. Der spielte nämlich während der Vernehmung der Zeugin auffallend mit einem Armband, das er in ihre Richtung hielt - und das genauso aussah, wie das Armband, das auch sie trug. Dies verneinte sie ebenfalls. Nebenklageanwältin Pietrzyk fragte die Zeugin, die einen Antrag gestellt hatte, die Überwachung ihres Telefons für rechtswidrig zu erklären, ob sie dafür Hilfe in Anspruch genommen oder eine Vorlage verwendet habe. Dies sei nicht der Fall gewesen, behauptete sie. Ob sie mit dem Angeklagten amouröse Nachrichten ausgetauscht habe. "Jein", antwortete sie. Sie gab zu, sie habe sich mit Peter S. darüber ausgetauscht, dass sie keine Aussage machen müsste, wenn sie seine Frau wäre, wenn er sich also von seiner jetzigen Frau scheiden lassen und sie heiraten würde. Das sei aber dummes Geschwätz und nicht ernst gemeint gewesen.

Nebenklageanwalt Hoffmann verzichtete auf Fragen an Sabrina A. und begründete dies damit, dass er von ihr ohnehin keine wahrheitsgemäßen Antworten erhalten würde.

Getrennt habe sie sich damals von dem Angeklagten, weil der zuhause eine Party mit Kollegen gefeiert und sie sich darüber geärgert habe, behauptete sie. Er habe sie aber zurück gewollt und ihr Avancen gemacht. In der polizeilichen Vernehmung hatte sie ausgesagt, sie habe von ihm dann auch eine Schachtel Lindt-Pralinen geschickt bekommen, die habe sie aber nicht gegessen, vielmehr habe ihre Mutter diese gegessen. Vor Gericht erklärte sie, sie habe die Pralinen weggeworfen, denn sie möge zwar Schokolade, aber keine der Marke Lindt. Nach dem wirklichen Grund gefragt, geriet sie ins Schwimmen. "Sie glauben mir ja eh nicht", wich sie wiederholten Nachfragen des Gerichts aus und meinte "Ich weiß, worauf Sie hinaus wollen" Schließlich ordnete das Gericht eine mehrminütige Pause an, um ihr Gelegenheit zu geben, diese Antwort zu überdenken. Nach der Pause rückte sie dann mit dem Grund heraus, den das Gericht aus der TKÜ schon kannte: Sie habe Angst gehabt, von Peter S. vergiftet zu werden, um dann hinzuzufügen, das sei aber ein Witz gewesen, sie habe das nicht ernsthaft geglaubt. Solche Witze mache sie auch öfter, wenn der Vater ihrer Kinder, von dem sie getrennt lebe, etwas zu essen schicke. Allerdings stellt sich dann die Frage, ob sie denn dieses Essen ebenfalls wegwirft.

Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 28.8.2023

 


Zeuge gibt Einblick in die Strukturen der Saarlouiser Skinszene und bestätigt Darstellungen früherer Zeug:innen

Update 30.08.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 40. Prozesstag, Teil 1:

Manche Fragen wurden nicht gestellt

Als erster Zeuge an diesem Prozesstag (28.8.23) sagte Ex-Szenemitglied Dirk L. aus. Er berichtete von seiner schweren Kindheit als Scheidungskind und seiner Suche nach Vaterersatz. Er sei zunächst in der Heavy Metall Szene gewesen und dann mal in der Wohnung des Saarlouiser Naziskin-Anführers Peter St. "gelandet". Danach seien dann "die Haare ab" gewesen. Die Jahreszahl wisse er nicht mehr, aber er - der 1972 Geborene - sei mit 15-16 Jahren in die Szene gekommen und dort 1-2 Jahre geblieben. Er sei kein Rassist gewesen, sondern für ihn hätten Prügeleien mit Punks im Mittelpunkt gestanden.

Mit André B. und anderen Gruppenmitgliedern sei er schon vor Einstieg in die Szene befreundet gewesen und habe dort dann unter anderem auch Peter S., den Angeklagten und Heiko S. kennen gelernt. Sein Glück sei es gewesen, dass er zur Bundeswehr gegangen und sich dort dann auch verpflichtet habe. Dadurch sei er aus der Szene raus gekommen und habe in der Kaserne sofort einen neuen, guten Freundeskreis gefunden. Von der Saarlouiser Gruppe habe er ab dann nur noch zu André B. Kontakt gehabt. Der sei auch aus der Szene ausgestiegen und habe dann Techno gehört.

Rassistische Sprüche habe es gegeben, "Ausländer raus!" zum Beispiel. Heiko S., den er schon vom Schulhof her gekannt habe, habe Ausländer auch als "Pack" bezeichnet. Peter St. habe nicht so krasse Parolen benutzt. Aber auch "Sieg Heil!" und dergleichen sei gerufen worden.

Im Zug nach Völklingen habe es mal (im Juni 1991) einen Vorfall gegeben. Da sei er mit Peter St. und Peter S. unterwegs gewesen und ein "Dunkelfarbiger", der angeblich Peter St. mit einem Faustschlag verletzt habe, habe verängstigt im Abteil gesessen. An der Aktion gegen diesen sei er aber nicht beteiligt gewesen, und sie seien dann alle drei von der Polizei des Zuges verwiesen worden. Wenige Tage später sei er dann zur Bundeswehr eingezogen worden. Der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft zitierte aus dem Vernehmungsprotokoll bei der Völklinger Polizei: Dort ist mit Verweis auf Aussagen der drei von einem „N....“ die Rede.

Peter St. sei das "Leitbild" der Gruppe gewesen zur Orientierung junger Leute, der "Häuptling". Peter S. sei ebenso wie er ein Mitläufer gewesen, der Peter St. aus dem Gefängnis gekannt habe. Peter S. hätte für Peter St. alles getan, wozu der ihn aufgefordert hätte. Petra M. und Heiko S. hingegen seien keine diesem hörige Mitläufer gewesen, sondern "eigenständige Rechtsradikale". Petra M. sei nach seiner Erinnerung die Einzige gewesen, die ein Fahrzeug besessen habe.

Der Zeuge berichtete ebenfalls von überregionalen Vernetzungen, nach St. Ingbert, Saarbrücken, in den Osten oder, vermittelt über Heiko S., auch in die USA. Dieser habe sich dort mal aufgehalten und Kontakte zu Skinheads gehabt. Man habe solche Leute auch eingeladen. Und man sei zu Konzerten gefahren, nach Darmstadt oder zu einem Konzert der Band „Störkraft“ im Osten, wahrscheinlich Weimar.

Getrunken hätten sie alle viel. Zu dem Brandanschlag könne er nichts sagen, davon habe er in den Medien gelesen, als er von einer Bundeswehrübung zurückgekommen sei und sei deshalb erschrocken. Man habe aber nicht darüber gesprochen.

Bemerkenswert: Weder Richter, Berichterstatter, noch GBA oder Nebenklage fragten nach, warum der Angeklagte – damals ein nach eigenen Angaben straight auftretender Skinhead - sich in der Bundeswehr wohl gefühlt hat.

Hintergrund: Die Bundeswehreinheit (Fallschirmjäger), in die er damals ging, gehörte zur sogenannten „Saarlandbrigade“. Das offizielle Lied war „Rot scheint die Sonne“, das als nationalsozialistische Auftragsarbeit Anfang der 1940er entstand und die NS-Eroberungsfeldzüge hochleben lässt. Dieses Lied wurde auch bei öffentlichen Vereidigungen gesungen.

Die Prozesstermine sind öffentlich und können besucht werden.


Prozess-Reader veröffentlicht

Wir haben alle bisherigen Prozessberichte der besseren Lesbarkeit halber in einem Reader zusammgengefasst, den man sich hier als PDF herunterladen kann.


Bericht des Saarländischen Rundfunks vom 11.08.2023

Erst Alkohol, dann Mord? Im Prozess zum Mordfall Samuel Yeboah versucht die Verteidigung des mutmaßlichen Mörders Peter S. den Brandanschlag als Ergebnis einer durchzechten Nacht darzustellen. Eine rassistische Gesinnung habe damit nichts zu tun. Dieser Einschätzung widerspricht Roland Röder, Geschäftsführer der Aktion 3. Welt Saar in dem Beitrag des Saarländischen Rundfunks. Auch der bisherige Prozessverlauf, der die damalige rechtsterroristische Szene in Saarlouis in all seinen Facetten zum Vorschein gebracht hat, lässt einen derartigen Schluss in weite Ferne rücken.

Hier geht es zum Aktuellen Bericht, 11.08.2023

 


Ein „unterhaltsamer“ Prozesstag mit einer „frisierten“ Zeugenaussage:

Update 14.08.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 39. Prozesstag, Teil 2:

Zeuge erscheint mit toupetartiger Frisur

Richter ist genervt über Nebenklage

Zeuge kann sich nicht erinnern und musste "recherchieren" - Ex-Bundesinnenminister wird als Spion tituliert

Als zweiter Zeuge dieses Prozesstages (11.8.23) wurde Uli D., einer der führenden Köpfe der saarländischen Neonaziszene seit den 1990ern, vernommen. Er trug eine toupetartige Frisur und war mit dem Koblenzer Rechtsanwalt Dr. Gerhard Prengel als Zeugenbeistand erschienen, der am Ende noch seinen Auftritt haben sollte. Uli D. spielte seine nach Aussage mehrerer Zeug:innen zentrale Rolle in der Szene systematisch herunter und präsentierte sich als unbedeutenden Mitläufer, der sich an kaum noch etwas erinnern konnte. Immer wieder erklärte er, er habe zur Vorbereitung auf den Prozess Sachverhalte erst "recherchieren müssen". "Auch das habe ich recherchiert" oder „Daran kann ich mich nicht erinnern“ waren seine Standardaussagen.

Zur Saarlouiser Szene habe er erst so 1994/95 Kontakt bekommen. Zum Anschlag habe man ihm gesagt: "Das war keiner von uns." Damit sei für ihn die Sache abgehakt gewesen. Zum Zeitpunkt des Anschlags, 1991 und 1992, sei er krank gewesen, denn er sei von Jugendlichen zusammengeschlagen worden und ins Krankenhaus gekommen. Dort hätten sich Leute aus der Skinheadszene um ihn gekümmert.

Den Angeklagten habe er etwa 1993 kennengelernt, aber nicht näher. Nie habe er witzige Bemerkungen über den Ermordeten mitbekommen. Auch "Heil Hitler!" habe nie jemand gerufen. Das sei bei ihnen nicht erwünscht gewesen. Außerdem sei das verboten, meinte Uli D. Seine politische Einstellung sei sehr national gewesen, er habe befürchtet, dass die Deutschen irgendwann in Reservaten leben müssten. Eine Änderung habe man lediglich auf legalem Weg, zum Beispiel durch Demonstrationen, angestrebt. Die Szene sei von viel Alkohol und Parties geprägt gewesen, man habe keine politische Strategie verfolgt, sondern Handlungen seien spontan und unüberlegt erfolgt.

Als Ende 1992 auf den Saarwiesen in Saarbrücken Neonazis einen Studenten zusammenschlugen, war er als einer der Beteiligten verurteilt worden. Er stellte dies als Fehlurteil dar, denn er sei gar nicht dabei gewesen. Außerdem habe er nur eine kleine Geldstrafe von 2000 DM bekommen. Das Gericht stellte allerdings richtig, Uli D. sei damals zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt worden.

Und es gab noch mehr "alternative Fakten", die der Zeuge präsentierte. So hatte eine Sozialarbeiterin ausgesagt, Uli D. habe im Jugendzentrum Saarlouis versucht, Jugendliche zu ködern. Da sei er aber kaum gewesen, wollte der Zeuge weismachen, an so etwas könne er sich nicht erinnern und das habe er nie gemacht.

Laut Zeugenaussagen war Uli D. auch saarländischer Landesvorsitzender der FAP (Freiheitliche Arbeiterpartei), einer mittlerweile verbotenen Neonazipartei. Dies bestritt er vor Gericht, er sei nur mal Sympathisant der Partei gewesen. Als diese 1995 verboten wurde, fand bei ihm allerdings eine Hausdurchsuchung statt, und ihm wurde die Verbotsverfügung vom Bundesinnenministerium zugestellt. Dies sei, hielt ihm Nebenklageanwältin Pietrzyk vor, laut damaliger Pressemitteilung von Bundesinnenminister Manfred Kanther nur bei Funktionären der Partei der Fall gewesen. Darauf konterte der Anwalt des Zeugen, Prengel, mit der absurden Behauptung, Kanther sei ein verurteilter Spion und kein glaubwürdiger Gewährsmann. An dieser Stelle befand es das Gericht nicht für nötig, zu intervenieren, obwohl es sich nachweislich um eine Falschbehauptung handelte; denn Kanther war zwar im Rahmen der CDU-Schwarzgeldaffäre wegen Veruntreuung zu einer Geldstrafe verurteilt worden, aber nie wegen Spionage angeklagt. Zudem hatte er das CDU-Schwarzgeld mehrfach als "jüdisches Vermächtnis" bezeichnet.

Interveniert hatte der vorsitzende Richter hingegen gegen die Zeugenbefragung durch Nebenklageanwalt Hoffmann. Als dieser von Uli D. wissen wollte, ob er Mitglied der "Nationalistischen Front" gewesen sei, verneinte dieser. Als Hoffmann ihn dann auf die Wahrheitspflicht vor Gericht hinwies, unterband der Richter weiteres Nachfragen und schnauzte Hoffmann an: "Wir richten nicht über die politische Einstellung des Zeugen! Sie können ihn stundenlang fragen, ob er in der CDU oder FAP war, das führt nicht weiter." So wurde der Nebenklage die Möglichkeit genommen, die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu hinterfragen, das politische Umfeld zu beleuchten, in dem der Anschlag geschah und die Legende zu erschüttern, das Verbrechen sei spontan, aus einer Alkohollaune heraus, begangen worden. Hoffmann stellte denn auch fest, der Zeuge habe erkennbar gelogen. Sollte das Gericht sich auf dessen Aussage stützen, werde er entsprechende Beweisanträge einbringen.

Eine Skurrilität begleitete auch diese Zeugenaussage: Nebenklageanwältin Pietrzyk fragte den Zeugen, ob er für den Prozess sein Äußeres verfremdet habe, was dieser verneinte. Der Grund war dessen Frisur, die doch sehr nach einer Perücke aussah.

Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 11.008.2023 und ebenfalls Saarbrücker Zeitung vom 11.008.2023

sowie Saarländischer Rundfunk vom 11.08.2023


Zeugin der Saarlouiser Brandnacht: Die Schreie der Bewohner und der Brand nehmen sie bis heute mit

Update 12.08.2023

Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 39. Prozesstag, Teil 1:

An diesem Prozesstag (11.8.23) sagte zunächst eine Überlebende des Anschlags aus, die Französin Dorine P., die als Freundin eines der Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in der Brandnacht bei diesem zu Besuch war. Sie hatte mit ihm, seinen Cousins und weiteren Bewohnern in seiner Wohnung im Erdgeschoss seinen Geburtstag gefeiert.

Sie berichtete, sie hätten in der Nacht Schreie aus der oberen Etage gehört, "Feuer!" Sie seien alle wach gewesen, hätten Angst bekommen und seien raus auf die Straße gelaufen, um sich in Sicherheit zu bringen. Sie habe Flammen gesehen, aus dem Fenster oben hätten Leute geschrien, und dann seien auch Bewohner aus dem Fenster gesprungen. Sie seien schockiert gewesen, das Erlebte nehme sie bis heute mit, erzählte sie unter Tränen. Sie spreche auch mit ihren Kindern darüber.

Sie sei dann nach Hause gefahren und habe am nächsten Tag aus der Zeitung erfahren, was genau passiert sei. Dort sei die Rede davon gewesen, es sei höchstwahrscheinlich eine kriminelle Tat gewesen, begangen von Hooligans.

Die Nachfrage der Nebenklageanwältin Kristin Pietrzyk, ob sie danach mit ihrem damaligen Freund noch Kontakt gehabt habe, bejahte sie. Er und seine Cousins seien durch das Erlebte schockiert gewesen.

An ihre polizeiliche Vernehmung am 20.9.91, also am Tag nach dem Verbrechen, erinnerte sie sich nach so langer Zeit nicht mehr. Dort hatte sie laut vorsitzendem Richter, der aus dem Vernehmungsprotokoll zitierte, ausgesagt, sie habe 5 bis 10 Minuten vor Feststellung des Brandes draußen eine Person gesehen; wahrscheinlich habe es sich um einen Mann gehandelt. Auch an diese Beobachtung erinnerte sie sich nicht mehr.

Eine unerwartet komische Szene hatte sich zu Beginn ihrer Vernehmung ereignet. Als der vorsitzende Richter sie fragte, ob sie mit dem Angeklagten verwandt oder verschwägert sei, blickte sie in Richtung des angeklagten Peter S. und seines Verteidigers und meinte: „Äh, wer ist denn der Angeklagte?“

Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 11.008.2023 und ebenfalls Saarbrücker Zeitung vom 11.008.2023

sowie Saarländischer Rundfunk vom 11.08.2023


Zeuge berichtet von brutalen Gewalttaten der Naziskins

Update 18.07.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 38. Prozesstag, Teil 3:

Noch ein weiterer Zeuge sagte an diesem Prozesstag aus, Hermann-Günther K., der berichtete, er sei 1988/89 in die Saarlouiser Skinheadszene gekommen. Er habe bevorzugt an Wochenenden an den Treffen teilgenommen und da die Gruppe vor allem als "Saufverein" wahrgenommen. Man habe "bis zum Verlust der Muttersprache" getrunken. Den Angeklagten Peter S. kenne er von früher. Peter St. sei dagegen der Kopf der Gruppe gewesen. Der habe nicht gearbeitet, habe sich wie ein König aufgeführt und von den Jüngeren mit Bier und Essen versorgen lassen. Peter St. und Heiko S. seien unzertrennbar gewesen, „wie im Kindergarten“. Aber sie hätten sich auch öfter gekabbelt, dann habe es Backpfeifen durch Peter St. gegeben. Die beiden und Peter S. hätten ein Dreigestirn gebildet, aber das Verhältnis zwischen Peter St. und Peter S. sei nicht so eng wie das zwischen Peter St. und Heiko S. gewesen. Heiko S. sei nicht der Hellste gewesen, er sei öfter reingelegt worden und ihm habe man nach seinem Ausstieg übel mitgespielt.

Über den Anschlag sei in seiner, Hermann-Günther K.s, Gegenwart nie gesprochen worden. 1991, noch vor dem Anschlag, habe er am Bahnhof von Naziskins eins "auf die Mütze" bekommen, habe auf der Intensivstation gelegen und Narben am Kopf davongetragen. Er sei dann Ende 1991, Anfang 1992 ausgestiegen, habe mit seiner Szenevergangenheit total abgeschlossen und sich „für die Arbeit“ entschieden. Es habe eine Intervention seines damaligen Chefs – er arbeitete zwischenzeitlich als Fliesenleger – gegeben, der habe ihn mit seinen Narben nicht zu Privatkunden schicken wollen.

Der Angeklagte, Peter S., sei ein Mitläufer gewesen wie er. Er könne sich nicht vorstellen, dass dieser den Anschlag verübt habe. Peter S. sei der Einzige aus der Gruppe, den er ans Herz geschlossen habe. Wenn er mit ihm zusammen gewesen sei, sei nichts Politisches gesprochen worden.

Hermann-Günther K. berichtete über mehrere brutale Gewaltakte von Szeneangehörigen. So habe Christian B. einen Polizisten mit einem Baseballschläger verprügelt. Das sei eine "große Nummer" gewesen. Peter St. habe der Führungsfigur der Völklinger Neonazis, Andreas W., den Kiefer gebrochen, obwohl dieser gegenüber dem damals dünnen Peter St. körperlich klar überlegen schien und nicht ohne Grund den Spitznamen "Panzer" gehabt habe. Der sei dann mit einem Drahtgestell um den Kopf herumgelaufen. Später habe er Suizid begangen, indem er sich eine Nylontüte über den Kopf gestülpt habe.

Der Zeuge, der gelernter Bäcker ist, in der Zeit seines Ausstiegs als Fliesenleger arbeitete, aber heute als Schulassistent Inklusionsarbeit mit Kindern mit Handicap macht, unterstrich noch einmal seine Distanz zur Szene: Er arbeite mit ausländischen Kindern, und für ihn sei der Anschlag Mord gewesen.

Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 18.07.2023


Zweiter Zeuge bricht das Skinhead-Schweigegebot

Update 18.07.2023

Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 38. Prozesstag, Teil 2:

Nach der Slapstick-Einlage des ersten Zeugen, Ex Naziskin Holger K., der mit dem Zug statt nach Koblenz nach Paris fuhr, erschien der nächste Zeuge aus der ehemaligen Skinheadszene vor Gericht: Marko S., Spitzname "Kiki".

Er habe, berichtete er, den Angeklagten 1995/96 im Jugendzentrum Saarlouis kennengelernt. Zum Zeitpunkt des Anschlages 1991 sei er 11 Jahre alt gewesen und habe damals in einem Zeitungsartikel davon gelesen. In der Hauptschule hätten sie darüber geredet. In die Szene sei er 1995 über Mark M. gekommen, der sei sein Schulkamerad gewesen. Zwei, drei Jahre später sei die Kameradschaft Saarlautern gegründet worden, in der er, Marko S. Mitglied gewesen sei. Szenekontakte habe er bis 2004/05 gehabt.

Konkretes habe er über den Anschlag nicht mitbekommen. Es habe nur Gerüchte gegeben, der Angeklagte sei beteiligt gewesen. Nur dieser sei als Beteiligter genannt worden. Wenn er auf seine mutmaßliche Täterschaft angesprochen worden sei, habe er diese abgestritten, aber dabei gegrinst. Viel ausgemacht habe es Peter S. nicht, was geschehen sei. Jeder habe Brandanschläge gut gefunden, JEDER, wie Marko S. betonte. Auch die Jüngeren im "unüberlegten Alter". Heute finde er das Scheiße.

Den von Peter S. als Haupttäter beschuldigten Heiko S. habe er nicht gekannt, der sei vor seiner Zeit in der Szene gewesen. Er habe nur mal von Leuten aus der Gruppe gehört, der sei ein Vollidiot.

Peter S. sei eine Respektsperson gewesen, weil er einer der Älteren war, aber das Sagen habe Peter St. gehabt. Mindestens widersprüchlich war seine Aussage zu Peter S.: Einerseits habe er keinen engen Kontakt zu ihm gehabt, andererseits habe er aber mit ihm getrunken, man sei gemeinsam zu Konzerten gefahren, und er sei auch mal bei ihm zu Hause gewesen.

Vor seiner Vernehmung im Prozess habe er mit Mark M. und Markus M. über den Fall gesprochen. Mark. M. sei ein Arbeitskollege von ihm bei der Müllabfuhr. Markus M. (der am vorangeganenen 37. Prozesstag die Aussage verweigerte) habe ihn zuhaue aufgesucht und ihn ausgefragt, was er bei seiner Vernehmung bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gesagt habe. Er habe auch gefragt, warum er überhaupt eine Aussage gemacht habe, so etwas mache man nicht. Markus M. habe erklärt: "Die wollen uns was anhängen, aber das stimmt alles nicht." Dabei habe er "komisch geguckt". Unklar blieb, ob Markus M. auf eigene Faust oder aber in Absprache mit jemand den Zeugen zu Hause aufsuchte und auf das (Aussage-)Verhalten bei der Polizei und in Karlsruhe ansprach.

Außerdem habe er, Marko S., mit Mark U. gesprochen, einem Aussteiger der Szene. Der habe ihn beim Automatenspiel in einer Kneipe angesprochen. Auf den Vorhalt des Gerichts, laut Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) habe Markus M. behauptet, er, Marko S., habe sich bei der Szeneangehörigen Tamara B. gemeldet, bestritt er dies entschieden: "Mit der habe ich nichts zu tun, mit der will ich auch nichts zu tun haben." Laut TKÜ habe, so das Gericht, Tamara B. zu Markus M. gesagt, "Kiki" wolle der Polizei weiterhelfen, im Gegensatz zu anderen.

Die Polizei sei kontrollieren gekommen, wenn die Gruppe sich im Saarlouiser Löwenpark aufgehalten habe. Zu dieser habe man kein so gutes Verhältnis gehabt.

Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 18.07.2023

 


Erster Zeuge fährt mit Bahn nach Paris statt nach Koblenz

Update 18.07.2023

Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 38. Prozesstag, Teil 1:

Der Prozess begann an diesem Tag (18.7.23) mit anderthalb Stunden Verspätung. Holger K. aus der damaligen Naziskinszene, der als erster Zeuge geladen war, hatte sich nämlich verfahren. Mit dem Zug war er statt nach Koblenz nach - kein Witz - Paris gefahren. Nachdem ihm das Gericht die Fahrkarte nach Koblenz gebucht hatte, hatte er zunächst den Zug verpasst und war dann in den falschen gestiegen. Wie er der saarländischen Polizei mitteilte, erwarte er, dass diese ihre französischen Kollegen veranlasse, ihn umsonst zurückfahren zu lassen, denn er habe kein Geld. Damit fiel seine Aussage an diesem Tag flach.

Da Holger K. damit schon zum dritten Mal einer Ladung als Zeuge zu diesem Prozess nicht nachgekommen war, beantragte der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Merz, diesem die Kosten für sein Nichterscheinen bzw. am falschen Ort Erscheinen in Rechnung zu stellen sowie ein Ordnungsgeld von 150 €, ersatzweise drei Tage Ordnungshaft, zu verhängen. Bei der nächsten Vorladung soll er von der Polizei vorgeführt werden.

Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 18.07.2023,


Neues Beweisstück unterstreicht Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin

Update 17.07.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 37. Prozesstag, Teil 2:

Als Zeuge geladener NPDler Markus M. verweigert die Aussage

Als weiterer Zeuge sagte an diesem Tag ein Staatsschutzbeamter der mit der Wiederaufnahme der Ermittlungen betrauten "SoKo (Sonderkommission) Welle" aus. Der schon mehrfach in diesem Prozess vernommene Ermittler Michael S. brachte eine brisante Neuigkeit ein. Die Hauptbelastungszeugin, Diana K. hatte sich in ihrer Aussage am 1. Februar 2023 auf einen Online-Artikel vom 11. Oktober 2019 bezogen, durch den sie sich erst der Tragweite des Geständnisses bewusst geworden sei, das der Angeklagte ihr auf einer Grillparty 2006 oder 2007 gemacht habe. Siehe hier Nur war dieser Artikel damals, im Februar, trotz umfangreicher Recherche nicht auffindbar, weshalb der Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Prof. Dr. Britz, die Glaubwürdigkeit der Zeugin angezweifelt hatte. Diesen Artikel habe die Zeugin, so erklärte der Ermittler vor Gericht, dann doch noch gefunden und ihn daraufhin am 18.3.23 angerufen. Der Artikel sei tatsächlich am 11.10.19 auf der Seite "Breaking News" erschienen und inzwischen von den Ermittlern gespeichert worden. Der Beitrag mit dem Titel "So viel rechte Gewalt wie nie. Neonazis töten im Saarland zwei Menschen" habe Bezug genommen auf den antisemitischen und fremdenfeindlichen Anschlag von Halle und sei dann auf den Mord an Samuel Yeboah und einen weiteren Neonazimord im Saarland eingegangen.

Diana K. sei nach ihrer Aussage vor Gericht sehr verärgert darüber gewesen, dass der Verteidiger sie quasi als Lügnerin dargestellt habe und habe dann mit Wut im Bauch noch einmal intensiv in ihrem eigenen Facebookprofil recherchiert, bis sie am Ende doch noch fündig geworden sei.

Schließlich stand für den Nachmittag auch noch die Zeugenaussage von Markus M. auf dem Plan, dem Neonazi und NPD-Aktivisten. den zuvor der Tätowierer Jörg R. schwer belastetet hatte. Der NPDler machte aber von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Dies stand ihm, so sein ihn begleitender Rechtsanwalt, Clemens S. aus Völklingen, zu, da wahrheitsgemäße Antworten auf Fragen zu seiner Rolle in der rechten Szene Rückschlüsse zulassen würden, die Markus M. belasten könnten, vor allem im Hinblick auf die Aussage von Jörg R. vom Vormittag. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft schloss sich dieser Auffassung an, die anderen Prozessbeteiligten widersprachen nicht, so dass dem stattgegeben wurde.

Siehe auch Tagesschau vom 17.07.2024
und Saarbrücker Zeitung vom 17.07.2024


"NPD-Fritze" Markus M. von Tätowierer schwer belastet

Update 17.07.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 37. Prozesstag, Teil 1:

An diesem Prozesstag (17.7.23) war zunächst Jörg R. geladen, der berichtete, er kenne Mitglieder der Saarlouiser Skinheadszene aus seiner Tätigkeit als Tätowierer seit 1991. Von dem Anschlag habe er erstmals 2002 erfahren. Damals sei der Skinhead Mark M. bei ihm im Tattoo-Laden gewesen und habe erzählt, dass gegen sie, das heißt, verschiedene Szenemitglieder, wegen Mordes ermittelt werde. Er habe damals aber nicht gewusst, worum es konkret ging. Ab 2004 habe er dann Internet gehabt und sei dort vor vier bis fünf Jahren auf den Saarlouiser Anschlag gestoßen. Er habe dies aber damals nicht auf die erwähnte Mordermittlung bezogen, sondern habe die Vorstellung gehabt, da habe jemand lediglich einen Molotowcocktail geworfen.

Am 19.6.23 sei dann der Neonazi Markus M. bei ihm gewesen (nicht zu verwechseln mit Mark M.) und habe ihm erzählt, am Vorabend des Saarlouiser Brandanschlags hätten Peter St., Peter S. und Heiko S. im Bayrischen Hof zusammengesessen und gesagt, in Saarlouis müsse auch sowas passieren wie in Hoyerswerda. Die drei hätten laut ihren Aussagen sogar den Brandbeschleuniger schon besorgt gehabt und geäußert, den müssten sie nur über den Vorhang in der Flüchtlingsunterkunft kippen und anzünden. Er selber, Markus M., habe damit nichts zu tun gehabt. Aber er habe Angst gehabt, als der das erzählte, man habe gesehen, dass er sich schwerste Sorgen gemacht habe. Da Jörg R. Mitglied in einem Motorradclub gewesen sei, habe Markus M. hinzugefügt: "Bei uns ist das wie bei den Rockern: Wir reden nicht mit der Polizei." Er, Jörg R., habe aber dann noch am selben Abend die Kriminalpolizei angerufen, um über das Gespräch auszusagen.

Der heute 54jährige Jörg R. skizzierte auch die Strukturen in der Szene. Er sei selber kurze Zeit Skin gewesen, von etwa 1985 bis 1987, mit Freunden, die er seit seiner Kindheit kannte, bevor er dann ausgestiegen und Mitglied in einem Motorradclub geworden sei. Seine beiden alten Freunde seien ebenfalls ausgestiegen, die seien unpolitisch gewesen und hätten mit Rechtsradikalismus absolut nichts am Hut gehabt. Die hätten sich dann die Haare bis über die Schultern wachsen lassen. Beide seien später tödlich verunglückt, also keines natürlichen Todes gestorben. Nach der Anfangsphase seien dann politische, rechtsradikale Skins dazugekommen. Dazu habe Markus M. gehört. Der sei NPD-Mitglied und ein Einzelgänger gewesen, habe aber "auf Häuptling gemacht". Dazu gekommen sei auch Peter St., der andere Skins gekannt habe und sich von Markus M. die Rolle als Anführer nicht habe nehmen lassen. Peter St. habe nicht gewollt, dass eine "normale" (also unpolitische) Skinheadszene entstehe. Den Angeklagten, Peter S. habe er erst kennengelernt, als er selber kein Skinhead mehr gewesen sei. Dessen Mutter habe er jedoch schon lange gekannt, die sei Haushälterin bei seiner Mutter gewesen, und er habe auch seine Schwester gekannt und tätowiert. Aber Peter S. habe er erstmals gesehen, als dieser einige Tage nach dem Gespräch mit Mark M. bei ihm gewesen sei, um sich ein Tattoo stechen zu lassen. Das sei kein rechtsradikales Tattoo gewesen, sondern das Wort "Saarland", aber Peter S. sei bei ihm im Studio aufgetreten wie "Prinz Charles".

Der "Stern" habe über einige der Saarlouiser Neonazis einen Bericht gebracht, in dem diese unter Pseudonymen porträtiert worden seien. Markus M. habe sich da den Namen "Mengele" zugelegt, den Namen des für seine Menschenversuche in Auschwitz berüchtigten SS-Arztes, was im Laufe des Prozesses auch schon in anderen Zeugenaussagen berichtet worden war. Die Porträtierten seien stolz gewesen und hätten sich als Superstars gefühlt. Das habe sich aber schnell gelegt, als sie infolge der "Stern"-Artikels aus ihren Lehrstellen geflogen seien.

Heiko S. habe er nur bei zwei Gelegenheiten kennengelernt. Über den habe man sich in der Szene lustig gemacht.

Der Zeuge bestätigte die Gewaltbereitschaft der Szene. Markus M., den er auch als "NPD-Fritze" etikettierte, habe Gewalt propagiert, aber nach seiner Kenntnis nie selber zugeschlagen. Er sei durch großmäuliges Verhalten in Erscheinung getreten. Peter St. hingegen habe beispielsweise auch eigenhändig anderen den Kiefer gebrochen.

Siehe auch Tagesschau vom 17.07.2024
und Saarbrücker Zeitung vom 17.07.2024,


Hier geht es zu Teil 1 der Prozessbeobachtung

1. Prozesstag bis 36. Prozesstag

 

 


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