Angeklagt ist der mutmaßlichen Mörder von Samuel Yeboah. Der Flüchtling aus Ghana war bei einem rassistischen Brandanschlag auf eine Asylunterkunft in Saarlouis am 19. September 1991 ums Leben gekommen. Damals wurden die Ermittlungen nach kurzer Zeit eingestellt, in der rechten Szene wurde kaum ermittelt.
Die Aktion 3.Welt Saar beteiligt sich an der unabhängigen Prozessbeobachtung.
Hier gibt es mehr Infos zu dem rassistischen Brandanschlag und Mord an Samuel Yeboah
Update 14.07.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 36. Prozesstag , Teil 2:
Ex-Freundin eines Szenemitglieds attestiert Angeklagtem eine sadistische Ader und berichtet vom tiefgehenden Rassismus der Saarlouiser Skins
Als zweite Zeugin an diesem Prozesstag (11.7.23) war Anita S. geladen. Die Luxemburgerin war mit dem Szenemitglied André B. zusammen. Den habe sie, wie sie berichtete, im Februar / März 1991 auf einem Festival in Mettlach kennen gelernt. Sie sei von zuhause weggelaufen, damals 17 gewesen, und zwei Jahre, bis sie 19 war, mit ihm liiert gewesen. Dann sei sie wieder nach Hause, nach Perl, zurückgekehrt.
Sie selber sei, betonte sie, nie rechtsradikal gewesen. An den Tag des Anschlags habe sie keine Erinnerung, habe durch die Medien davon erfahren. Sie habe nicht gedacht, dass die Saarlouiser Skinheads etwas damit zu tun haben. Vielmehr sei sie davon ausgegangen, dass es Skinheads von außerhalb waren. Direkt habe sie von Gesprächen in der Szene darüber, wer die Täter seien, nichts mitbekommen. Sie habe versucht, etwas rauszuhören, habe nur vage Erinnerungen, aber es sei viel darüber geredet worden. Sie könne sich vorstellen, dass einige sich nicht wenig über den Anschlag gefreut haben. Die Szenemitglieder Peter St., Peter S. und Heiko S. hätten darüber gejubelt. Die hätten über "Neger, Nigger und Kanaken" geredet und allgemein etwas gegen Farbige gehabt.
Peter St. habe gesagt, dass man nicht mit der Polizei darüber reden dürfe, dieser gegenüber solle man "die Klappe halten".
Peter St. sei das "Alpha-Tier" der Gruppe gewesen. Peter S., den Angeklagten, beschrieb sie als "aufgedreht". Der habe eine sadistische Ader gehabt. So sei erzählt worden, er habe mal eine Katze "gegen die Wand geklatscht". Ein Kennzeichen sei sein gehässiges Lachen gewesen. Peter St. und Peter S. seien "ein Kopf und ein Arsch" gewesen.
Sie habe sich in der Szene nicht wohl gefühlt und sei froh gewesen, als sie da weg war. Mit der Gruppe unterwegs gewesen sei sie nur, wenn man sie "mitgenommen" habe. Auf Demonstrationen sei sie nie gewesen. Einmal sei sie im Zug mit in die "Alt-DDR" gefahren, zu einem Konzert. Unterwegs seien in den Zug überall Skinheads eingestiegen. In der Nähe des Konzertgeländes habe eine "Türkenhochzeit" mit 400 Leuten stattgefunden. Dort seien Leute aus der Szene hingegangen, um zu provozieren. Es sei dann zu einer großen Straßenschlägerei gekommen. Sie habe am Rand gestanden, aber sie gehe davon aus, dass die Saarlouiser sich beteiligt haben. Beim Konzert habe es nur Naziparolen gegeben. In der Wohnung ihres Freundes André B. sei Nazimusik gelaufen, da hätten Fahnen mit Hakenkreuzen und Keltenkreuzen gehangen, viele hätten sich das auch tätowieren lassen.
Auf die Frage des Verteidigers, ob sie heute noch Kontakte zu Leuten der Szene habe, kam, wie aus der Pistole geschossen, ein entrüstetes "Nä!"
Im Anschluss an ihre Vernehmung wurde ein vom Fernsehmagazin "Monitor" im September 1991 ausgestrahlter Bericht der Journalistin Esther Schapira über Nazikrawalle in Leipzig gezeigt. Der Titel: "Brennt sie nieder! Ausländer in Ostdeutschland". Dieser machte auf drastische Weise die damalige Atmosphäre in großen Teilen Deutschlands deutlich. Die Polizei kam erst eine halbe Stunde nach Beginn der Ausschreitungen, obwohl sie bereits anderthalb Stunden vor diesen über die beabsichtigten Krawalle Bescheid wusste. Esther Schapira führte dann Interviews mit Passant:innen, von denen viele Sympathien für die Täter zeigten. Mehrere Jugendliche bekannten offen, mit Gesicht, vor der Kamera, sie fänden es in Ordnung, wenn dabei auch Menschen ermordet würden.
Als letzter Zeuge des Tages wurde dann ein Ermittler der "SoKo Welle" befragt, der Sonderkommission, die mit den neuen Ermittlungen beauftragt wurde. Er hatte den Auftrag, verschiedene Varianten der Wege und Zeiten zu berechnen, die die Täter in der Nacht des Anschlags zurückzulegen hatten und stellte seine Erkenntnisse grafisch dar. Es ging dabei um die möglichen Wegstrecken von den Wohnungen mutmaßlicher Täter zu den für die Besorgung von Benzin infrage kommenden Saarlouiser Tankstellen und von dort zur Flüchtlingsunterkunft. Dabei berechnete er auch die Zeiten, die jeweils zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Auto zum Zurücklegen der Wege nötig waren.
Siehe auch Rhein-Zeitung vom 11.7.2023.
Esther Schapira, die Autorin des erwähnten Monitorberichts, war auch schon Vortragsgast der Aktion 3.Welt Saar. Im März 2020 lasen sie und Georg M. Hafner in Saarbrücken aus ihrem gemeinsamen Buch „Israel ist an allem Schuld. Warum der Judenstaat so gehasst wird“. Einen Audiomitschnitt und eine Bilderserie der Veranstaltung gibt es hier:
Update 14.07.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 36. Prozesstag, Teil 1:
Mit den Nazis auf "Du" und N-Wort im Vernehmungsprotokoll
Der erste Zeuge an diesem Prozesstag (11.7.23) war mit Erwin K. ein seit acht Jahren im Ruhestand befindlicher Polizist, der in die damaligen Ermittlungen bzw. Nichtermittlungen eingebunden war.
Der am 19. Dezember 2022 schon einmal vom Gericht befragte Ex-Staatsschutzbeamte verlas vor Beginn seiner Zeugenaussage eine Erklärung, mit der er einen am 20.12.22 erschienenen, für ihn nicht schmeichelhaften Bericht des SR-Journalisten Thomas Gerber richtigzustellen versuchte. Gerber damals: "Angesichts der vielen Erinnerungs- und Wissenslücken über die Struktur der Neonazis drängte sich bei Vielen im Gerichtssaal der Eindruck auf, dass nicht gerade mit allergrößtem Nachdruck in diese Richtung ermittelt worden war." Siehe SR vom 20.12.2022. Selbstverständlich, so Erwin K.s Fazit, sei er ebenfalls für eine angemessene Strafe.
Er hatte damals, über zwei Tage verteilt, gemeinsam mit einem Kollegen den Chef der Saarlouiser Naziskins, Peter St., vernommen, am 25. und am 26.9. 1991. Diese Vernehmung war Gegenstand seiner jetzigen Zeugenaussage. Beauftragt worden sei er von der Mordkommission in Saarbrücken. Auf die Frage, warum diese Vernehmung erst eine Woche nach der Tat erfolgte, antwortete Erwin K., sie hätten insgesamt 70 Spuren zu verfolgen gehabt und hätten zuerst die Anwohner befragt. Das sei dringender gewesen.
Er habe sich, erklärte Erwin K., alte Unterlagen angeschaut, da er von dem Inhalt der Vernehmung fast nichts mehr im Gedächtnis gehabt habe. Peter St. habe umfangreiche, konkrete Angaben gemacht, davon erzählt, wie sie gesoffen hätten und eine sehr konkrete Beschreibung des Tagesablaufs vor der Nacht des Anschlags gegeben. Als er sich am nächsten Tag mit Peter S., dem heute Angeklagten, traf, habe dieser gefragt: "Was habt ihr gestern gemacht?" Sie hätten Angst gehabt, "die ganze Scheiße" könne an ihnen hängenbleiben. Ihre Einstellung zu Asylbewerbern sei, so Peter St., nicht freundlich gewesen.
Peter St. habe bei der Vernehmung keine Nervosität gezeigt und sei relativ locker gewesen. Das Protokoll habe er gelesen und unterschrieben. Auf die Frage, warum der Befragte laut Protokoll von den vernehmenden Beamten geduzt worden sei, denn er sei immerhin 22 Jahre alt gewesen, antwortete der Polizist, das sei bei "dieser Klientel" damals so üblich gewesen. Gefragt, warum dort wiederholt das N-Wort auftauche, erwiderte er, das sei zu dieser Zeit "normaler Sprachgebrauch" gewesen.
Update 12.07.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 35. Prozesstag, Teil 2:
Rassistische Einstellung auch bei "normalen" Kneipengästen
Als dritter Zeuge sagte an diesem Prozesstag (10.7.23) einer der heutigen Ermittler des Staatsschutzes aus, der stellvertretenden Leiter der "SoKo Welle" (SoKo = Sonderkommission), Stefan H.. Er hatte unter anderem Heiko S. befragt, den der Angeklagte während des Prozesses der Haupttäterschaft beim Anschlag beschuldigt hat. Heiko S. habe damals (18.5.21) ungefragt gesagt, Peter S. habe ihn schon einmal in einem Verfahren zu Unrecht belastet. Dies lasse, so die Einschätzung des Ermittlers, zwei alternative Schlussfolgerungen zu: Heiko S. habe gegen eine Beschuldigung im Mordfall Yeboah vorbauen wollen, oder er habe einer Ungerechtigkeit, einer falschen Beschuldigung, vorbeugen wollen. Die dritte Möglichkeit, dass er etwas real Erlebtes ohne strategischen Hintergedanken berichten wollte, ließ der Ermittler unerwähnt.
Vor allem ging es in der Aussage des Staatsschützers allerdings um Peter St., den er viermal vernommen hatte. Da der inzwischen festgenommene ehemalige Szenechef vor Gericht die Aussage verweigert hatte, sind die Ergebnisse seiner polizeilichen Vernehmungen um so wichtiger.
Peter St., so der Ermittler, habe in den sehr umfangreichen Verhören gezielt taktiert. Er habe sich als jemand präsentiert, der an der Aufklärung des Falles interessiert sei und der heute ein normales Leben lebe. Seine eigene Rolle in der Szene habe er heruntergespielt. Heiko S. etwa, so habe er erklärt, sei bundesweit vernetzt gewesen, habe also eine bedeutendere Rolle gespielt als er. Peter St. habe bereitwillig ausgesagt, aber oberflächlich. Auf diese Weise habe er versucht, herauszufinden, was die Polizei schon weiß und dann genau das ausgesagt und nicht mehr. Wo es darüber hinausging, habe er auf einmal "keine Erinnerung" mehr gehabt. Peter St. habe geäußert: "Wir wussten, dass wir es nicht waren." Sie hätten mit Sicherheit nicht gesagt, "Hurra, hier brennt was", weil sie das feige gefunden hätten. Er habe stattdessen auf den Kampf "Mann gegen Mann" gesetzt. Das nicht zu Szene gehörende Publikum der Gaststätte "Bayrischer Hof", in der sich die Neonazis regelmäßig und auch am Vorabend des Anschlages trafen, sei ebenfalls der Auffassung gewesen, dass Flüchtlinge hier nicht hergehören.
Hätte Peter S. den Anschlag verübt, hätte der sich ihm und seinem Umfeld anvertraut. Hätte er von dessen Täterschaft erfahren, wäre er nicht zur Polizei gegangen, sondern hätte Peter S. überredet, sich zu stellen. Sofern dieser an anderer Stelle sich als Täter bezeichnet haben sollte, dann, um bei Frauen zu prahlen.
Die Neonazis hätten, betonte der Ermittler, mit Sicherheit gewusst, dass sie abgehört wurden, und entsprechend hätten sie bei der Telefon- und Innenraumüberwachung Gespräche inszeniert.
Update 11.07.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 35. Prozesstag, Teil 1:
Zwei Ex-Mitglieder als Zeugen
Am Montag, 10.7.23, sagten zunächst zwei ehemalige Mitglieder der Saarlouiser Neonaziszene aus.
Thomas L. erschien mit Rechtsbeistand und gab aus Angst vor seinen ehemaligen Kameraden seine Anschrift nicht preis. Er sei, so berichtete er, 1992, also nach dem Brandanschlag, mit 15 über einen Freund in die Szene gekommen und mit 19 schrittweise ausgestiegen. Über den Anschlag sei allgemein mal gesprochen worden, aber an konkrete Inhalte könne er sich nicht erinnern, ebenso wie an viele andere Vorfälle nicht. Auch er beschrieb Peter St. als Anführer der Gruppe, während der Angeklagte keine Führungspersönlichkeit gewesen sei, sondern vielmehr ein zahnloser, häufig betrunkener Verlierer.
Die Szene sei ausländerfeindlich und rassistisch gewesen. Er selber habe mal an einem Rudolf Hess Gedenkmarsch in Saarlouis teilgenommen. Als er ausgestiegen sei, sei er von Peter St. bedroht worden, der ihn dann auch mal über einen Zaun geworfen und getreten habe. Sein Ausstieg aus der Szene habe erst funktioniert, als er umgezogen sei, nach Wadern-Nunkirchen.
Der zweite Zeuge des Tages, Ronny K., sagte aus, er sei von 1994 bis 1998 in der Szene gewesen. Dem damals schon ausgestiegenen Heiko S., den der Angeklagte in seinem "Geständnis" als Haupttäter bezeichnet hatte, sei nachgesagt worden, er habe den Anschlag verübt, was er aber nicht geglaubt habe. Heiko S. sei auch entsetzt gewesen, als er ihn im Jahre 2015 darauf angesprochen habe.
Dem Angeklagten, Peter S., bescheinigte er asoziales Verhalten und beschrieb ihn als Mensch ohne moralische Prinzipien und starken Trinker. Wenn er betrunken gewesen sei, sei er "unternehmungslustig" geworden und habe Jüngere zu Straftaten angestachelt. Politisch sei Peter S. nicht gewesen. Zeitweilig sei dieser bei der Gruppe bzw. deren Anführer Peter St. in Ungnade gefallen, weil er der Polizei die Namen der Organisatoren eines Rudolf Hess Marsches genannt habe. Peter St. habe dies erfahren, weil er im Besitz des Aussageprotokolls gewesen sei. Gerüchte über eine Täterschaft des Angeklagten bei dem Anschlag habe er nicht gehört.
Auch dieser Zeuge beschrieb die Szene als ausländerfeindlich und eindeutig rassistisch. Wenn über Anschläge gesprochen worden sei, dann positiv, nicht bedauernd. Er habe den Eindruck gehabt, die Saarlouiser Bevölkerung habe ihre Aktionen gut geheißen.
Einige mit Peter St. etwa gleichaltrige Mitglieder hätten sich diesem nicht unterwerfen wollen, dies seien speziell Uli D., Peter M. und Heiko S. gewesen. Uli D. sei Landesvorsitzender der FAP (Freiheitliche Arbeiterpartei) gewesen und nach dem Verbot dieser Neonazipartei Landesvorsitzender der Jungen Nationaldemokraten. Später habe er gehört, Uli D. sei Spitzel des Verfassungsschutzes gewesen. Er selber habe am Bundesparteitag der FAP teilgenommen und dabei mit Peter St. und Markus M. zusammen am Tisch gesessen.
Ronny K. berichtete auch von Gewaltaktionen gegen ihn. Einmal sei er von Peter St. so sehr verprügelt worden, dass er Knochenbrüche davontrug. Der Angeklagte habe ihm im Keller mal auf die Hose gepinkelt.
Ronny K. machte vor Gericht aber auch keinen Hehl daraus, dass er seiner Nazigesinnung nicht abgeschworen hat.
Siehe auch Tagesschau vom 10.07.2023
Update 27.06.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 34. Prozesstag, Teil 2:
Der zweite Zeuge, der an diesem Prozesstag (27.6.23) aussagte, Kai S., ist ebenfalls ein Aussteiger aus der Saarlouiser Neonaziszene. Er sei, berichtete er, 1994 in die Szene gekommen, wo er auch den Angeklagten, Peter S., kennen gelernt habe. Ende 1996 habe er die Gruppe verlassen. Auch er bestätigte, Peter St. habe das Sagen gehabt. Ein anderes Mitglied der Gruppe, Uli D., sei politisch versiert gewesen und ihm wie ein Bauernfänger vorgekommen. In der Wohnung von Peter S. habe dieser über den durch den Brandanschlag ermordeten Samuel Yeboah zynisch geäußert: "Der Idiot ist in die falsche Richtung gelaufen." Das hatten auch schon andere Zeugen ausgesagt. Auf Nachfrage, ob er der Täter sei, habe er verneint, dabei aber das "Nein" auffallend langgezogen und mit dem Kopf gestikuliert.
Bei der Vergeltungsaktion Ende 1996 gegen den Aussteiger Christian B., der am selben Tag vor Gericht ausgesagt hatte, sei er dabei gewesen. Es habe geheißen, Christian B. solle "eine Packung bekommen". Er bestätigte den schon von diesem geschilderten Ablauf der Ereignisse. Peter S. der mit dem Kind gespielt habe, habe um 18:30 Uhr gesagt: "Jetzt musst du ins Bett" und dann "Jetzt geht's los." Als Peter S. versucht habe, Christian B. vom Balkon zu werfen, habe dieser herzzerreißend geschrien. Er selber sei geschockt gewesen. Für ihn war es offenbar das entscheidende Erlebnis, das ihn dazu bewog, ebenfalls aus der Szene auszusteigen. Auch dieser Zeuge machte seine Aussage teilweise weinend.
In der Vergangenheit stand er selber wegen Gewalttaten vor Gericht, war zweimal wegen Körperverletzungen verurteilt worden, die er als Szeneangehöriger begangen hatte. Er habe auch Angst gehabt, auszusagen, wollte mit alledem nichts mehr zu tun haben.
Update 27.06.23
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah. 34. Prozesstag, Teil 1
An diesem Prozesstag (27.6.23) wurde als erster Zeuge Christian B. befragt, ein Szene-Aussteiger. Eine Rechtsanwältin begleitete ihn aufgrund seiner labilen psychischen Verfassung - siehe unten - als Beistand. Zum Teil sagte er unter Tränen aus. Er sei, so formulierte er es, ca. 1992 in die Gruppe "hineingeschlittert", als er mit einem Kumpel mitgefahren sei. Peter St. sei der Führer gewesen, Peter S. dessen "Hund".
Er sei Zeuge gewesen, wie in der Wohnung der Gruppenmitglieds Mark M. der Angeklagte einen Zeitungsschipsel aus dem Geldbeutel genommen habe, mit einem Foto des ausgebrannten Zimmers des ermordeten Samuel Yeboah. Über diesen Ausschnitt habe sich Peter S. mit Peter St. und Mark M. unterhalten und dabei ständig gegrinst. Es sei aber darauf geachtet worden, dass er, der Neuling, von dem Gesprochenen nichts mitbekomme, und Peter S. habe den Schnipsel wiederholt schnell zurückgesteckt, damit der Zeuge keinen Blick darauf werfen konnte.
Er berichtete von zahlreichen Gewalttaten der Saarlouiser Naziskins, die er mitbekommen habe. So seien diese mal aus der Kneipe gestürmt, als draußen Italiener vorbeigegangen seien, um diese zu verprügeln. Er selber sei gerne chinesisch essen gegangen, und einmal habe ihm Mark M. das Essen aus der Hand geschlagen und ihm ins Gesicht gehauen mit der Begründung, so einen Dreck dürfe man nicht essen. Wegen solcher Gewalttaten habe er schließlich die Szene Mitte der 1990er verlassen.
Während der Zeit, als er sich distanzierte, kam es nach seinen Angaben zu einer brutalen Vergeltungsaktion. Nach einem anonymen Drohanruf sei er in die Wohnung seiner Freundin in Dillingen geflüchtet. Dort seien aber dann mehrere Mitglieder der Saarlouiser Naziszene aufgetaucht, darunter Peter S.. Dieser habe zunächst noch mit dem 1-2jährigen Kind seiner Freundin gespielt. Dann habe er das Kind ins Bett geschickt und die Parole ausgegeben: "Jetzt geht's los!" Die Neonazis hätten daraufhin angefangen, die Wohnungseinrichtung zu demolieren, hätten Möbel umgeworfen und das Telefon aus der Wand gerissen. Der Angeklagte, Peter S., habe versucht, ihn über die Balkonbrüstung im dritten Stock zu stoßen. Dies habe er verhindern können, indem er sich mit äußerster Körperkraft dagegenstemmte. Er sei aber dann misshandelt worden, Peter S. habe ihn mit Springerstiefeln getreten. Größere Verletzungen habe er nur vermeiden können, indem er seine Arme schützend vor sich gehalten habe.
Italienische Nachbarn hätten die Polizei gerufen, darauf seien die Angreifer geflohen. Aus Angst habe er keine Anzeige erstattet. Die Polizei habe sich nie mehr gemeldet. Ermittlungen wegen des mutmaßlichen Mordversuchs gab es keine, obwohl die Polizei bei einer solchen Tat auch ohne Anzeige von Rechts wegen ermitteln muss. Sein Geldbeutel sei verschwunden gewesen, jemand habe daraufhin in der Videothek über sein Konto Filme ausgeliehen. Auch hier sei nicht ermittelt worden.
Einmal sei am 20. April auf der Teufelsburg bei Saarlouis Hitlers Geburtstag gefeiert worden. Diese Veranstaltung habe die Polizei nicht unterbunden.
Als er nach Wiederaufnahme der Ermittlungen eine Vorladung zur Polizei bekommen habe, habe er im Internet recherchiert, worum es gehe und sei dabei auf genau das Bild gestoßen, dass der Angeklagte damals verstohlen gezeigt habe.
Die damaligen Erlebnisse haben ihn offenbar erheblich traumatisiert. Wie er berichtete, leide er unter Schlafstörungen, wache nachts schreiend auf, habe Schwierigkeiten beim Einkaufen. Auf der Straße achte er immer darauf, dass niemand mit Glatze in der Nähe sei, denn das löse Panik bei ihm aus. Er nehme Medikamente und sei auch drei Monate in einer psychosomatischen Klinik gewesen.
Seine Aussagen lassen mindestens zwei Schlussfolgerungen zu: Neben dem Vorwurf des Mords an Samuel Yeboah und des Mordversuchs an 20 Bewohnern der Saarlouiser Flüchtlingsunterkunft steht noch der Vorwurf eines weiteren Mordversuchs gegen den Angeklagten im Raum. Und die saarländische Polizei nahm es bei Gewalttaten aus der Neonazi-Szene nicht nur hinsichtlich des Brandanschlags mit den Ermittlungen nicht so genau.
Siehe auch Neues Deutschland vom 27.06.2023
sowie Saarbrücker Zeitung vom 28.06.2023
Update 26.06.23
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah 33. Prozesstag, Teil 2
Als zweite Zeugin wurde an diesem Prozesstag die aus Saarlouis stammende ehemalige Punkerin Tamara B. vernommen. Obwohl als solche aus einer anderen, mit den Skinheads eher verfeindeten Szene stammend, war sie als 14jähriges "Punkermädchen", wie sie sich selber nannte, 1989/90 in die Gruppe gekommen. Sie habe sich in beiden Millieus bewegt. Die Nazi-Protagonisten habe sie schließlich als Saarlouiserin alle gekannt. Beide Szenen gemeinsam hätten auch vom Bürgermeister das JUZ (Jugendzentrum) bekommen. 1992 habe sie die Gruppe verlassen, weil sie nach Berlin gegangen sei. 1993 sei sie zurückgekehrt. Später sei sie auch mal auf einer PEGIDA-Demo gewesen.
Wenn der Angeklagte den Anschlag begangen habe, dann wüssten es mehrere aus der Szene, und dann sei auch der Anführer der Gruppe, Peter St., als Mitwisser beteiligt gewesen, denn der Angeklagte sei dessen "Schatten" gewesen. Aus ihrer tiefen Abneigung gegen den Angeklagten machte sie keinen Hehl. Der hätte dem Peter St., den sie als "Rattenfänger von Hameln" charakterisierte, auch die "Klabusterbeeren" (Slangausdruck für vertrocknete Sch.) aus dem Hintern geleckt, wenn der es verlangt hätte. Nachdem sie als Zeugin entlassen worden war, hatte sie noch ihren Auftritt: Sie wandte sich dem Angeklagten zu mit den Worten "Haben sie dir ins Gehirn geschissen, S.?"
Sie selbst habe nach Wiederaufnahme der Ermittlungen zweimal versucht, ihre Befragungen bei der Polizei mitzuschneiden, um die Aufnahmen dann Szeneangehörigen zur Verfügung zu stellen. Einmal sei sie dabei auf der Wache erwischt worden, ein andermal habe sie eine Befragung über Handy mitgeschnitten. Der Mitschnitt sei dann bei Markus M., einem Mitglied der damaligen Skinheadszene, während einer Hausdurchsuchung gefunden worden. Markus M. habe auch beklagt, der "Nationale Widerstand" belaste sich gegenseitig.
Siehe auch Tagesschau: https://t1p.de/wynhm
Update 26.06.23
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah. 33. Prozesstag, Teil 1
Die erste an diesem Prozesstag (Montag, 26.6.23) befragte Zeugin, Petra M., wollte sich an zahlreiche Vorfälle in der saarländischen Skinheadszene vor Gericht nicht mehr erinnern können, obwohl sie dazu in mehreren Vernehmungen bei Polizei und Generalbundesanwaltschaft sehr konkrete Aussagen gemacht hatte. Zweimal hatte sie sich seit 2020 selbst bei der Polizei gemeldet, weil sie etwas mitteilen wollte. Der Szene hatte sie sich 1988/89 angeschlossen. Die "Erinnerungslücken" betrafen vor allem die Reaktionen der Szene auf den Saarlouiser Brandanschlag 1991 und überhaupt auf rassistische Anschläge bundesweit.
So hatte sie wiederholt ausgesagt, man habe den Anschlag "cool" und "geil" gefunden, habe gejubelt und geklatscht, und es sei der Spruch gefallen "Da han se einen abgefackelt". Auch die Brandanschläge in Hoyerswerda habe man gefeiert. In der St. Ingberter Neonazikneipe "Spinnrädchen" sei mal gesagt worden, Peter S. habe den Anschlag in Saarlouis verübt.
Vor Gericht bestritt sie weitgehend, derartige Aussagen gemacht zu haben, jeder zweite Satz war, das sei so lange her, sie erinnere sich nicht mehr. Immer wieder verwickelte sie sich in offensichtliche Widersprüche und machte sehr unglaubwürdige Angaben. Die Nachricht vom Anschlag habe sie geschockt, und wenn sie diesen Anschlag mit gefeiert habe, dann, weil sie von der Masse mitgerissen worden sei. An Gewalttätigkeiten der Saarlouiser Skinheadszene wollte sie sich nicht erinnern und behauptete, diese sei unpolitisch gewesen. Sie bestritt nicht, Mitglied des internationalen Neonazinetzwerk "Blood and Honour" gewesen zu sein, erklärte aber, sie könne zu dessen politischen Zielen nichts sagen. Dies angesichts der Tatsache, dass, als "Blood and Honour im Jahre 2000 verboten wurde, ihr persönlich die Verbotsverfügung zugestellt und bei ihr eine Hausdurchsuchung durchgeführt wurde. Das vom Chef der Saarlouiser Neonaziskins, Peter St., herausgegebene Fanzine "Der gestiefelte Kater" will sie nicht gekannt haben, obwohl sie in der 1997 erschienenen Erstausgabe namentlich gegrüßt wurde.
Der vorsitzende Richter fragte sie angesichts der zahlreichen Dementis früherer Aussagen schließlich, ob sie "umgedreht" worden sei, diesen Eindruck mache sie auf ihn; sowohl er als auch der Staatsanwalt machten deutlich, dass sie ihr nicht glaubten und wiesen sie eindringlich auf die strafrechtlichen Folgen einer Falschaussage hin. Eine Vertreterin der Nebenklage wollte von ihr wissen, ob das Motiv für ihre "Rückzieher" sei, dass sie um ihren Job als Kinderpflegerin im öffentlichen Dienst fürchte, wenn ihre Einbindung in die Neonaziszene ruchbar werde. Sie räumte ein, dass sie durchaus Angst habe, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.
In die Enge getrieben relativierte sie ihre Dementis: Sie habe bei der Polizei bestimmte Dinge gesagt, aber sie wolle ja nichts Falsches sagen und habe sich gefragt, ob es sich wirklich so verhalten habe, wie sie ausgesagt habe. Sie bestätige letztlich vor dem OLG ihre bei der Polizei bereits gemachten Aussagen.
Siehe auch Tagesschau: https://t1p.de/wynhm
Upate 22.06.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 32. Prozesstag, Teil 2
Als zweiter Zeuge wurde an diesem Prozesstag Torsten T. vernommen, der 1993/94 im Alter von 14-15 Jahren sich den Saarloiuser Neonaziskins anschloss - und heute noch diesem Denken anhängt. Auch er bestätigte, was inzwischen schon zahlreiche andere Zeug:innen ausgesagt hatten: Es galt in der Szene als offenes Geheimnis, dass der Angeklagte Peter S. den Anschlag verübt hatte. Wenn der auf die Täterschaft angesprochen wurde, habe er diese weder bejaht noch verneint, aber immer höhnisch gelacht oder gegrinst. Gewalttaten seien in der Szene gut geheißen worden, man habe diese gefeiert, und über den ermordeten Samuel Yeboah habe man immer Witze gemacht. Auf jeden Fall hätte man es gut gefunden, wenn es einer aus ihren Reihen gewesen wäre. Der Zeuge wörtlich: "Wenn S. das gewesen wäre, wäre er ein Held gewesen."
Sowohl er als auch der Angeklagte seien Mitglieder der Kameradschaft Saarlautern gewesen, deren Logo in Anlehnung an die SS ein Totenkopf mit Knochen war. „Saarlautern“ war in der NS-Zeit der „deutsche“ Name für Saarlouis. Er selber sei nach Demos öfter von der Polizei in Gewahrsam genommen worden, das sei früher normal gewesen. Auf die Frage des Gerichts, ob es ihm leid tue, was damals geschehen sei, antwortete er mit "Jein". Man habe niemand umbringen dürfen, räumte er ein, aber zu seiner rechtsextremen Gesinnung steht er offenbar nach wie vor.
Der Anführer der Gruppe, Peter St. habe das alleinige Sagen gehabt, bestätigte auch er. Damit widersprach er der diesbezüglichen Aussage des zuvor an diesem Tag vernommenen Christian L., der das Szenemitglied Uli D. als auf derselben Hierarchiestufe wie Peter St. stehend charakterisiert hatte.
Siehe auch Tagesschau vom 20.06.2023
Upate 21.06.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 32. Prozesstag, Teil 1
Zeuge: Angeklagter galt in der Szene als "dumm wie Brot" und "Weichbirne"
Auch am 32. Prozesstag (20.6.23) wurden wieder Angehörige der damaligen Naziskinszene vernommen, zuerst Christian L., der damals ein Jugendlicher war. Er sei, so formulierte er es, über einen Klassenkameraden in die Szene "reingerutscht", habe aber schnell gemerkt, dass das nicht das Wahre sei. Den Angeklagten Peter S. habe er 1990/91 kennen gelernt. Mit dessen Schwester habe er eine kurze Beziehung gehabt. Sein eigener ehemaliger Ex-Schwager sei mit Samuel Yeboah befreundet gewesen.
Auch er betonte, wie schon zahlreiche Zeug:innen zuvor, Peter St. habe in der Gruppe das Sagen gehabt. (Der Skinheadchef selber hatte am 28. Prozesstag die Aussage verweigert und dies durch den Ex-NSU-Anwalt Wolfgang Stahl verkünden lassen.)
Ein weiteres Mitglied, Uli D. habe aber auf einer Stufe mit Peter St. gestanden, sei theoretisch geschult gewesen. Er habe wie Röhm eine SA aufbauen wollen und habe dann auch eine Wehrsportgruppe gegründet. Eine weitere Führungsperson sei Markus M. gewesen, ein Schläger. Uli D. sei der Theoretiker, Markus M. der Praktiker gewesen.
Der Angeklagte sei nur ein Mitläufer gewesen, dumm wie ein Stück Brot. Sie hätten ihn denn auch als "Weichbirne" bezeichnet. Er wäre zu so einer Tat zu überreden gewesen.
Überhaupt achtete nach Aussage des Zeugen Peter St. darauf, dass Angehörige der Gruppe sich nicht selbst ein Bein stellten. So habe er Peter S. vor sich selbst zu schützen versucht, denn wenn dieser alkoholisiert gewesen sei, habe die Gefahr bestanden, dass er früher oder später hinausposaune, wer den Anschlag begangen habe. St. habe die Gruppenmitglieder zurückgehalten, nach außen zu offensiv aufzutreten, zum Beispiel sollten sie den Hitlergruß nicht öffentlich zeigen. O-Ton Peter St. laut Zeuge: "Wer im Gefängnis sitzt, kann draußen nichts machen." Gegenüber den Jüngeren, zu denen der Zeuge gehörte, habe man sich nicht dazu geäußert, wer den Anschlag begangen haben könne. Offenbar auch eine Vorsichtsmaßnahme.
Der Zeuge bestätigte anhand mehrerer besonders menschenverachtender Beispiele das, was auch andere Zeug:innen schon ausgesagt hatten: Man habe sich immer wieder über den Tod von Samuel Yeboah lustig gemacht und amüsiert. Beim Grillen angesichts eines verbrannten Würstchens sei beispielsweise der Spruch gefallen, so müsse "der Bimbo wohl ausgesehen haben, als sie ihn rausgeschleppt haben".
Rassistische Anschläge in Deutschland seien von den Saarlouiser Skins regelmäßig bejubelt und die Täter wie Nationalhelden gefeiert worden. Distanziert habe sich davon nie jemand.
Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 20.06.2023
Update 15.06.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 31. Prozesstag, Teil 2
Weiterer Zeuge beschreibt verdächtiges Verhalten des Angeklagten und des Skinhead-Anführers nach dem Anschlag.
Neonazi-Chef hatte freundliches Verhältnis zur Polizei
Als zweiter Zeuge wurde an diesem Prozesstag André B. vernommen, ebenfalls ein ehemaliger Angehöriger der Saarlouiser Nazi-Skinszene. Er erzählte, er habe zuerst Peter St., den Anführer, kennen gelernt und über diesen dann den angeklagten Peter S.. Von dem Anschlag habe er direkt nichts mitbekommen. Einerseits betonte er, von den Saarlouiser Skins sei das sicher keiner gewesen, widersprach dem aber wiederum mit anderen Aussagen: So hätten sich Peter St., Peter S., aber auch Petra M. und Dirk L. - ein weiteres Szenemitglied - nach dem Brand "komisch" verhalten und sich darüber "kaputt gelacht". Peter St. und Peter S. hätten damals gesagt, sie hätten nichts mit dem Brand zu tun, aber er glaube ihnen nicht. Sie hätten sich nämlich "eindeutig verdächtig" verhalten. Peter St. habe auch öfter gesagt, es sei okay, wenn ein "Kanake brennt". Wenn Peter S. der Täter sei, dann jedenfalls nicht alleine; dann müsse er von Peter St. aufgehetzt worden sein.
Zur Polizei habe Peter St. ein freundliches Verhältnis gehabt.
Er selber sei zur Szene dann auf Distanz gegangen. Als er von der Polizei erfuhr, Peter S. sei verhaftet worden, habe er den Beamten gegenüber geäußert: "Hammerhart. Ich habe es immer gewusst."
Siehe auch Neues Deutschland vom 13.06.2023.
Update 14.06.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 31. Prozesstag, Teil 1
Am Dienstag (13.6.23) wurde zunächst Oliver N. aus der damaligen Skinheadszene vernommen, der berichtete, er habe den Angeklagten 1988/89 kennen gelernt. Die Neonaziszene hat er nach eigenem Bekunden später in einem schleichenden Prozess verlassen. Er sei, zusammen mit anderen aus der Saarlouiser Szene, Mitglied des inzwischen in Deutschland verbotenen internationalen Neonazinetzwerks "Blood and Honour" gewesen. Dieses vernetzt unter anderem rechtsextreme Bands. Der Zeuge berichtete, er habe selber Konzerte mit solchen Bands organisiert, darunter "Tonstörung" und "Skrewdriver".
Den Anführer der Saarlouiser Skinheadszene, Peter St., bezeichnete er als "Psychopathen" und als empathielos. Falls Peter St. an dem Brandanschlag beteiligt gewesen sei, dann nicht unmittelbar, sondern als jemand, der die Jüngeren zu der Tat angestiftet habe. Der Zeuge erklärte auch, er sei sich sicher, dass Petra M., die zum Kern der Gruppe gehörte, wisse, wer die Tat begangen habe. Petra M. wird zu einem späteren Zeitpunkt vor Gericht aussagen.
Die Saarlouiser Szene bezeichnete er als "Mordbrenner". Niemand habe sich von dem Anschlag distanziert, das heißt, diesen verurteilt.
Siehe auch Neues Deutschland: https://t1p.de/xusvj
Update 13.06.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 30. Prozesstag
Weiterer Zeuge sieht im Verhalten des Angeklagten indirektes Eingeständnis der Tat
Am Montag (12.6.23) sagte Mark M., ein 1995 als 16jähriger in die Saarlouiser Neonaziszene eingestiegener Zeuge vor Gericht aus. Er war damals fünf Jahre mit der Schwester des Angeklagten, Peter S., liiert.
Er beschrieb vor allem, wie in der Szene über die Tat kommuniziert wurde. Wenn Peter S. gefragt wurde, ob er die Tat verübt habe, habe er dies zwar nie direkt gestanden, aber regelmäßig auffällig reagiert, mit den Schultern gezuckt und blöde gegrinst. Peter S. habe sich darüber amüsiert, dass ein "Nigger", so der szeneübliche Sprachgebrauch, ums Leben gekommen sei. Immer habe er so getan, als wisse er etwas. Zum Beispiel habe er beschrieben, wie der Brand gelegt worden sein "könnte": Man habe einfach den Vorhang im Treppenhaus anzünden müssen. Er habe geäußert, wenn nur ein, zwei oder drei Leute an dem Anschlag beteiligt gewesen seien, komme das sowieso nicht raus. Stolz habe er erklärt, das sei der einzige Brandanschlag in Deutschland, der nie aufgeklärt worden sei.
Mark M. schätzte Peter S. als Täter ein und bestätigte, was schon mehrere andere vor ihm ausgesagt hatten: Diese Annahme wurde von den anderen Szeneangehörigen geteilt und galt als ein offenes Geheimnis.
Der kürzlich wegen mutmaßlicher Anstiftung zur Tat ebenfalls verhaftete damalige Anführer der Saarlouiser Naziskins, Peter St., sei, so der Zeuge, ein cleverer, "schlauer Fuchs", der sich bei der Polizei immer wieder "herausgelogen" habe, wenn ihm Straftaten vorgeworfen wurden.
Am selben Prozesstag wurde auch die ebenfalls zur Saarlouiser Neonazi-Szene gehörende Ehefrau dieses Zeugen kurz vernommen. Sie bestätigte, ihr Mann sei von der Täterschaft des Peter S. ausgegangen und machte aus ihrer eigenen Antipathie gegen den Angeklagten keinen Hehl. Der habe sie bedroht und beleidigt. O-Ton dieser Zeugin in einer ihr vorgehaltenen polizeilichen Vernehmung: "Es ist kein Geheimnis, dass Peter S. ein Verbrecher ist, dem ist alles zuzutrauen." Dieser Einschätzung widersprach sie vor Gericht nicht.
Siehe auch Tagesschau vom 12.06.2023.
Sehr gut: Die saarländische Ministerpräsidentin, Anke Rehlinger, bezeichnet den Mord an Samuel Yeboah als das, was er ist, einen rassistischen Mord. Gut auch ihre Ankündigung eines Entschädigingsfonds für Opfer rassistischer und antisemitischer Gewalttaten. Die Aufarbeitung, vor allem auch darüber, warum die Polizei nicht ermittelte und die Naziumtriebe in Saarlouis immer bagatellisierte, wird den angekündigten Untersuchungsausschuss sehr spannend machen.
- Untersuchungsausschuss
- Entschädigung der Opfer
- und das Aufstellen einer Gedenktafel an zentraler Stelle in Saarlouis
sind Forderungen der Aktion 3. Welt Saar, der Antifa Saar und des Saarländischen Flüchtlingsrates.
SR vom 13.06.2023
Update 27.05.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 29. Prozesstag, Teil 2
Als zweiter Zeuge wurde an diesem Prozesstag der bereits zuvor schon mehrfach vom Gericht vernommene leitende Ermittlungsbeamte zum Abschlussbericht der Sonderkommission befragt. Diesmal sollte er Fragen des Verteidigers Britz beantworten. Der konzentrierte sich auf den Szeneaussteiger Heiko S.. Nach Aussage des Ermittlers wurde dieser zu keinem Zeitpunkt von irgendjemand der Befragten der Tat bezichtigt, auch wenn einige meinten, unter Alkoholeinfluss sei ihm diese zuzutrauen gewesen. Vor seinem Ausstieg sei er "dicke dabei" und genauso schlimm wie die anderen gewesen und habe sich auch an Schlägereien beteiligt. Er sei ein Lakai des Anführers Peter St. gewesen, in der Hierarchie unter diesem stehend.
Der Prozess wird nach einer dreiwöchigen Pause des Gerichts am 12. Juni in Koblenz fortgesetzt. Die Prozesstermine sind öffentlich und können besucht werden.
Update 26.05.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 29. Prozesstag, Teil 1
Am Dienstag (23.5.23) wurde eine ehemalige Lebensgefährtin des Angeklagten als Zeugin vernommen. Zum Tatzeitpunkt war sie zwar noch ein Kind und lernte Peter S. dann als 19-20jährige kennen. Sie berichtete aber über Gespräche mit dem Angeklagten und anderen Angehörigen der Neonaziszene, aus denen deutlich wurde, dass über den Anschlag dort auch Anfang der 2000er Jahre noch öfter geredet wurde. So sei er von seinen rechten Kumpels als "kleiner Feuerteufel" aufgezogen worden, worauf er gegrinst habe. Ihr gegenüber habe er auch mal geäußert, er habe den Brand gelegt, wobei sie sich aber nicht mehr sicher sei, bei welcher Gelegenheit er das gesagt habe. Genau konnte sie sich offenbar nicht mehr erinnern, denn laut anderen Aussagen von ihr lautete seine Formulierung, er sei der Tat verdächtigt worden. In der Szene jedenfalls sei er als der Täter angesehen worden.
Zusammen mit dem Anführer der Saarlouiser Skins, Peter St., habe Peter S. zum Urgestein der Szene gehört. Er habe "keine positive Einstellung" zu Schwarzen gehabt. Als sie ihn kennen lernte, sei er ihr zunächst unsympathisch gewesen. Sie beschrieb ihn als verlogen, falsch, heimtückisch und hinterhältig. Peter St., den Anführer, habe sie "nur schreiend" erlebt.
Um welchen Anschlag es sich konkret handelte, habe sie damals nicht gewusst. Sie habe das dann gegoogelt, als sie von der Polizei vorgeladen worden sei.
Einmal habe der Angeklagte gesagt, er wolle ihr eine Beate vorstellen. Damals habe sie geglaubt, es handele sich um eine alte Frau. Dass er damit die NSU-Terroristin Beate Zschäpe meinte, habe sie zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst.
Siehe auch Saarländischer Rundfunk:
Der Prozess wird nach einer dreiwöchigen Pause des Gerichts am 12. Juni in Koblenz fortgesetzt.
Update 24.05.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 28. Prozesstag, Teil 2
Aufgrund der Aussageverweigerung des als Zeuge geladenen früheren Anführers der Saarlouiser Naziskins, Peter St., stellte das Gericht seine Planung um und spielte weitere Aufnahmen der TKÜ (Tele-Kommunikations-Überwachung) ab. Darunter befanden sich Mitschnitte von Telefongesprächen eben dieses Peter St.. Bemerkenswert war ein 18minütiges Telefonat, das er formal mit einem Bekannten führte, der aber nie zu Wort kam. Der eigentliche Adressat des Telefonats waren wohl die Ermittlungsbehörden und die Justiz, weil er davon ausging, dass er abgehört wurde.
In diesem und anderen vorgespielten Telefonat verwies er immer wieder auf Aussagen von Zeug:innen, laut deren er den Angeklagten zur Tat angestiftet haben soll. Er sei Nationalsozialist gewesen, aber heute sei er kein Nazi mehr. Er habe mit dem Staat nichts am Hut, außer dass er Steuern zahle. Ihm seien seine Ex-Kumpels, die bei der Polizei aussagen, genauso egal wie die Antifa. Hätte er etwas mit der Tat zu tun gehabt, wäre er viel entspannter gewesen, denn dann hätte er damit gerechnet, dass die Ermittler eines Tages an seine Tür klopfen.
Er habe sich aufgrund des gegen ihn gerichteten Verdachts ausgegrenzt gefühlt, aber sein afrikanischer und sein arabischer Arbeitskollege hätten zu ihm gehalten, die hätten Respekt vor ihm. Das Besondere daran: Mit solchen Äußerungen versuchte er sich vom Vorwurf reinzuwaschen, er sei heute immer noch Rassist.
Telefonate des Angeklagten, Peter S., mit seiner Mutter und seiner Schwester, wurden ebenfalls vorgespielt. Seiner Schwester gab er zu verstehen: "Geh mal davon aus, dass das Telefon abgehört wird." Die Ermittler gingen davon aus, dass sie irgendwas wisse, erklärte er ihr und fügte hinzu: "Sie verhören alle." Das "alle" bezog sich dabei auf alle, die in irgendeiner Weise mit der Saarlouiser Skinheadszene verbunden waren.
Update 23.05.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 28. Prozesstag, Teil 1
Am gestrigen Prozesstag gab es wieder zwei faustdicke Überraschungen: Der frühere Anführer der Saarlouiser Naziskins, Peter St., der den ganzen Tag als Zeuge vernommen werden sollte, machte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Und er erschien vor Gericht mit dem Koblenzer Rechtsanwalt Wolfgang Stahl als Zeugenbeistand, auch bekannt als Verteidiger der NSU-Terroristin Beate Zschäpe.
Einerseits war mit dieser Entwicklung – der Aussageverweigerung – zu rechnen, andererseits kam sie überraschend, weil er im Zuge der seit 2020 laufenden Ermittlungen mehrfach als Zeuge bei der Polizei aussagte.
Ex NSU Anwalt Stahl verlas zur Begründung eine Erklärung, in der er auf die Rechtslage und unter anderem einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes verwies. Peter St. stehe das Recht zu, alle potentiell sich selbst belastenden Aussagen zu verweigern. Er sei mehrfach beschuldigt worden, den Angeklagten Peter S. zum Anschlag auf die Saarlouiser Flüchtlingsunterkunft angestiftet zu haben. Sowohl durch einen Durchsuchungsbeschluss für seine Wohnung als auch durch Presseberichte sei er unter Verdacht geraten, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Ein Grund, der einer Strafverfolgung entgegenstehe, bestehe nicht. Dieser sei nur gegeben, wenn eine eventuelle Tatbeteiligung verjährt wäre, aber Mord und Beihilfe zum Mord verjähre nicht.
Sowohl die Vertreter:innen der Bundesanwaltschaft als auch die Nebenkläger:innen und der Verteidiger des Angeklagten schlossen sich der Auffassung an, dass Peter St. ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht zustehe, was dann auch vom Gericht bestätigt wurde.
Siehe auch Saarländischer Rundfunk: https://t1p.de/2lod9
Update 17.05.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 27. Prozesstag, Teil 2
Am Nachmittag dieses Prozesstages wurden Mitschnitte der nach Wiederaufnahme der Ermittlungen durchgeführten TKÜ (Tele-Kommunikations-Überwachung) abgespielt. In mehreren dieser Telefonate machte Peter St., der damalige Anführer der Saalouiser Nazi-Skins, aus seinem Rassismus und seinen Gewaltfantasien keinen Hehl. St. wörtlich im Kontext eines Autodeals mit Händlern nichtdeutscher Herkunft: "Ich verkaufe Kanaken weder meine Frau noch meinen Esel". Er sprach von "Drecks-Türkenkanaken", die ihre Kinder verkaufen würden. Er, Peter St., sei "der beste Freund von Charles Darwin". Die Natur kenne gegenüber den Mindewertigen "nur eine Reaktion: Vernichten".
Aus der TKÜ wurde deutlich, dass die neuerlichen Ermittlungen die Angehörigen der damaligen Szene nervös machten. Sie riefen sich reihum an und warnten einander vor, dass sie alle mit Polizeiverhören zu rechnen hätten. Dabei war offensichtlich, dass sie selber davon ausgingen, abgehört zu werden, und diese Vermutung wurde auch in einem Telefonat explizit geäußert. Wiederholt versicherten sie sich gegenseitig, dass sie ja nichts zu verbergen hätten. Es lag auf der Hand, dass diese Versicherungen nicht zuletzt an die Ermittler:innen gerichtet waren, die mutmaßlich die Gespräche abhörten. Dabei wurde auch spekuliert, die Polizei setze darauf, dass sich jemand verplappere.
Der Anführer, Peter St., soll am nächsten Prozesstag, Montag 22. 5., ganztägig vernommen werden.
Update 16.05.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 27. Prozesstag, Teil 1
Am Vormittag dieses Prozesstages wurden zwei Ermittler zur Glaubwürdigkeit des am Vortag vernommenen Szene-Aussteigers Heiko S. befragt.
Dieser sei am Tag der Festnahme des Angeklagten zu Hause aufgesucht und dann in den Diensträumen der Saarlouiser Polizei befragt worden, so der zuerst vernommene leitende Ermittlungsbeamte. Er habe von der Festnahme erst durch die Ermittler erfahren und sich erleichtert gezeigt, dass es "endlich vorbei", die Ermittlung wegen des Brandanschlags also an ihr Ende gekommen sei. Der Zeuge betonte, er habe keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Heiko S.. Dieser habe Angst vor seinen ehemaligen Kameraden. Eine konkrete Gefährdungslage besteht nach Einschätzung des Ermittlers zwar nicht, aber die Angst sei nachvollziehbar, Heiko S. wirke auch in dieser Hinsicht authentisch.
Sein anschließend befragter Kollege berichtete, Heiko S. habe sich in der Vernehmung verwundert gezeigt, dass Peter S., der Angeklagte, schon so früh von dem Brand gewusst habe. Dieser habe sich am Tag nach dem Brand sichtbar anders verhalten als von ihm gewohnt.
Bestrafungsaktionen habe es laut Heiko S. nicht nur gegenüber Aussteigern gegeben, sondern ebenso gegenüber Szeneangehörigen, die sich nicht regelkonform verhielten. Dieser habe auch berichtet, das Saarländische Landesamt für Verfassungsschutz habe versucht, ihn anzuwerben. Ein anderer Aussteiger habe Heiko S. dann beim Verlassen der Szene unterstützt.
Update 15.05.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 26. Prozesstag
Am Montag, den 15.5.2023, sagte Heiko S. aus, der 1991 zum Kern der rechten Saarlouiser Skin-Szene gehört hatte und Mitte der 1990er Jahre dort ausstieg. Er war jüngst von dem Angeklagten, Peter S., in dessen "geständiger Einlassung" als Haupttäter des Brand- und Mordanschlags beschuldigt worden. Diese Anschuldigung sei "gelogen", betonte er. Der Angeklagte habe ihn, so Heiko S., bereits in der Vergangenheit in einem Prozess falsch beschuldigt, dort einen bei einer Gewalttat Geschädigten mit einer scharfen Waffe bedroht zu haben. Das Gericht habe damals dem keinen Glauben geschenkt. Da dies kurz nach seinem Ausstieg gewesen sei, sah er darin einen Racheakt des Peter S. und in der aktuellen Beschuldigung eine dazu passende Neuauflage derartigen rachsüchtigen Verhaltens.
Wegen seines Ausstiegs sei er Morddrohungen seitens seiner ehemaligen Kumpels ausgesetzt und auch verprügelt worden. Peter St., der Kopf der Saalouiser Nazi-Skin-Gruppe, habe ihm angekündigt: "Ich rotte dich und deine ganze Familie aus." Bei einem Konzert unpolitischer "Oi-Skins" in Belgien habe ihm ein rechter Skin aus Bayern, der wegen der Musik auf dem Konzert war, das Nasenbein gebrochen. Den "Oi-Skins" habe er sich nach seinem Ausstieg aus der rechten Szene zugewandt. Die "Oi"-Szene sei zwar nicht links, aber antirassistisch. Man habe dort auch „schwarze Musik“ (O-Ton, Zeuge) gehört.
In der Nacht des Anschlags habe der Anführer, Peter St., ihm und Peter S. anlässlich der gerade stattfindenden rassistischen Angriffe in Hoyerswerda, bei denen auch Moloto?cocktails geworfen wurden, geäußert: "So etwas sollte bei uns auch passieren." Dem hätten er und Peter S. zugestimmt. Bei einem Treffen mit den beiden am Tag nach der Tat habe Peter S. ein auffallendes Grinsen gezeigt. Zugetraut habe er diesem die Tat 29 Jahre lang allerdings nicht, aber als infolge der Wiederaufnahme der Ermittlungen dessen Name fiel, habe sich das geändert.
Die Polizei habe ihnen damals bei den Ermittlungen nach der Tat signalisiert, dass die Saalouiser Naziszene nicht zum Kreis der Verdächtigen gehöre. Bei einer Vernehmung habe ihm ein Polizist sogar kumpelhaft ein Bier angeboten.
Folgt man den Ausführungen des Aussteigers, hat es 2020 nach Wiederaufnahme der Ermittlungen einen weiteren "Vorfall" bei der saarländischen Polizei gegeben: Ein ebenfalls vernommener Bekannter habe ihm berichtet, eine Polizistin habe zu ihm gesagt, Samuel Yeboah sei ja nur ein "Scheiß Ni..." gewesen. Dazu gab es in der Verhandlung keine weiteren Fragen.
Die Unkenntnis staatlicher Stellen zu den 1990er offenbarte eine der beiden Bundesanwält:innen bei der Befragung des Zeugen: Sie wollte wissen, ob er bei seinem Ausstieg 1994 die Hilfe eines Aussteiger-Programms in Anspruch nahm. Nur - diese gab es damals noch nicht.
Siehe auch Saarländischer Rundfunk und Saarbrücker Zeitung.
Unser Geschäftsführer Roland Röder berichtet am 10.05.23 im Radio (SR2) über die Aussage des Angeklagten im Mordfall Samuel Yeboah. Warum das wenig glaubwürdig ist und was noch getan werden muss könnt ihr hier nachhören.
Update 09.05.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 25. Prozesstag - Teil 2:
Im Anschluss an das halbe Geständnis wurden, wie geplant, noch zwei Ermittler des Staatsschutzes in den Zeugenstand gerufen. Anders, als geplant, war aber angesichts der neuen Lage das Thema der Vernehmung eines der Polizeizeugen, eines leitenden Ermittlungsbeamten. Er sollte die Frage beantworten, ob das Geständnis glaubhaft ist und im Einklang mit den bisherigen Ermittlungsergebnissen steht. Ein Ablauf wie vom Angeklagten geschildert sei zwar grundsätzlich möglich, aber stehe im Widerspruch zum konkreten Ermittlungsstand, betonte der Zeuge. So sei der vom Angeklagten beschuldigte Szene-Aussteiger als möglicher Täter nie in Vernehmungen genannt worden und es habe keine Indizien für seine Täterschaft gegeben. Der Ermittler geht allerdings davon aus, dass der Anschlag nicht die Tat eines einzelnen war.
Er verwies auch auf eine Spur, die von seinen damaligen Kollegen nicht verfolgt wurde. So habe damals ein Zeuge einen "Lucky" des Brandanschlags beschuldigt. Die phonetische Ähnlichkeit von "Lucky" mit dem Spitznamen "Schlappi" des Angeklagten sei damals nicht gesehen worden. Das Vorgehen oder Nichtvorgehen seiner damit befassten Kollegen sieht er offenbar sehr kritisch.
Die weitere diesbezügliche Vernehmung des Ermittlers wurde auf den übernächsten Prozesstag vertagt, da die Verteidigung Zeit zur Vorbereitung verlangte.
Update 09.05.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 25. Prozesstag - Teil 1
Das für heute angekündigte Geständnis des Angeklagten Peter S. fand nur zur Hälfte statt. Er sei nur passiv dabei gewesen. Stattdessen beschuldigt er einen der beiden Aussteiger aus der Nazi-Szene, den Brand mit Benzin gelegt zu haben. Gleichzeitig sprach er den damaligen „Chef“ der Saarlouiser Skinheads, Peter S., von aller Schuld frei. Der sei bei der Tat nicht dabei gewesen und sei gegen solche Aktionen gewesen. Sowohl der Aussteiger wie auch die Führungsperson der damaligen Skinheads sollen noch vor dem OLG aussagen.
Siehe dazu auch Kommentar von Thomas Gerber im Saarländischen Rundfunk, 4:54 min
Update 08.05.2023
24. Prozesstag - Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, Teil 2:
Ein von 1995 bis 2000 in der Saarlouiser Skinheadszene als Sozialarbeiter tätiger Zeuge attestierte deren Angehörigen ein klar rechtsextremes Weltbild und beschrieb sie als extrem gewaltbereit und gewalttätig. Damit zeichnete er ein anderes Bild als an früheren Prozesstagen vernommene und damals mit den Ereignissen befasste Polizisten, die diese als eher unpolitische, etwas über die Stränge schlagende Jugendliche verharmlosten. Sie hätten sich in Jugendeinrichtungen als die Hausherren aufgespielt, so der Zeuge. Bestärkt worden seien sie dabei vom damaligen Saarlouiser Oberbürgermeister (bis 1997 SPD, bis 2005 CDU) und anderen Kommunalpolitikern.
- Die Betreuer seien angewiesen worden, die rechten Jugendlichen nicht zu verprellen, zum Teil habe man ihm sogar mit Maßregelung gedroht.
- Die Szene sei bundes- und europaweit vernetzt gewesen, was sich auch in von ihr organsierten Events gezeigt habe.
- Den Angeklagten charakterisierte er als Prototyp des Befehle Ausführenden, der zu allem bereit gewesen sei.
- Den damaligen Ansatz der akzeptierenden Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen bezeichnete er im selbstkritischen Rückblick als naiv.
Eine als zweite Zeugin des Tages vernommene Kollegin, die von 1993 bis 1995 mit den Skins arbeitete, bestätigte seine Charakterisierung der Szene.
Die Verteidigung von Peter S., der des Mordes Samuel Yeboah beschuldigt wird, hat für Dienstag eine „geständige Einlassung“ angekündigt. Ein Geständnis also. Ob das Geständnis allerdings „umfassend“ sein wird, so wie es das Gericht am 21. Prozesstag bereits gegen Strafmilderung angeboten hat – also die Preisgabe von Täterwissen, inklusive weiterer Tatbeteiligter – ist unklar. Nur dann könnte es zu einem „Deal“ kommen und der Angeklagte eine geringere Strafe von mindestens fünfeinhalb Jahren (OLG Vorschlag) oder sechseinhalb Jahren (BAW Vorschlag) erhalten. Zu dem angekündigten Geständnis werden erstmal keine Fragen der Anwält:innen der Nebenklage und des Gerichts möglich sein.
Nebenklage hält Verurteilung für wahrscheinlich
Wie der Saarländische Rundfunk berichtet, hält die Nebenklage den Angeklagten für weitgehend überführt und geht von einer Verurteilung aus. Allerdings dürfte der Prozess nach dem geplatzten Deal - Geständnis gegen Reduzierung der Strafe - noch längere Zeit andauern. Das wäre aber ein Beitrag zur Aufklärung, und es wäre auch sehr unangenehm für die (Ex-)Polizisten und die Personen aus den rechten Kreisen, die noch als Zeugen aussagen müssen.
Fortgesetzt wird er erst am 8. Mai wieder, mit dem 24. Prozesstag.
Siehe Thomas Gerber im Saarländischen Rundfunk
Update 18.04.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 23. Prozesstag
Es gibt vorerst keinen Deal im Mordprozess "Samuel Yeboah" vor dem OLG Koblenz. Der Prozess, in dem noch viele Zeugen - u.a. aus der rechten Szene - vernommen werden, geht weiter. Die Staatsanwaltschaft sei zwar weiter bereit für einen Deal, wenn der Angeklagte ein "qualifiziertes Geständnis" ablegt, aber nur zu einem höheren Strafmaß. Der Vorsitzende Richter verlas die Begründung der Bundesanwaltschaft Karlsruhe. Demnach müsse ob der Schwere der Tat ein höheres Straßmaß verhängt werden. Das Gericht hatte vor zwei Wochen eine Mindeststrafe von fünfeinhalb Jahren vorgeschlagen - wenn er gesteht. Die Verteidigung des Angeklagten lehnte jetzt den Deal ab.
Danach wurde ein Aussteiger aus der rechten Szene vernommen. Er sei nur kurz dabei gewesen und Mitte der 1990er Jahre ausgestiegen. Bei Rechtsrockkonzerten hätte ein hoher Konformitätsdruck geherrscht. Wenn die Haare nur leicht den Kurzhaarschnitt (oder die Glatze) überragten, hätte es Druck gegeben. Außer ihm wird noch ein weiterer Aussteiger demnächst aussagen.
Als letzter Zeuge wurde an diesem Prozesstag ein Überlebender des Anschlags befragt, der am Tag der Tat bei seinem in der Flüchtlingsunterkunft wohnenden Neffen zu Besuch war. Es wurde deutlich, dass auch er traumatisiert ist und ihm das damals Erlebte nicht aus dem Kopf geht.
Siehe auch Saarländischer Rundfunk
und Tagesspiegel
sowie taz
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 22. Prozesstag am 28.03.2023:
Für den 22. Prozesstag war geplant, Aufnahmen der Telefonüberwachung von Personen abzuspielen, die der Angeklagte nach der Wiederaufnahme der Ermittlungen kontaktiert hatte. Es wurden dann aber lediglich zwei kurze Telefonate des Freundes des Angeklagten und früheren Anführers der Saarlouiser Neonaziszene, Peter S., aus dem Jahre 2020 angehört, da technische Probleme auftraten. Nichtsdestoweniger ging aus den Mitschnitten hervor, dass Peter S. seiner rassistischen Gesinnung treu geblieben ist. So bezeichnete er jemanden als "Kanaken" und hatte auch kein Problem damit, als ein unbekannter Gesprächspartner ihm erzählte, wie er einem schwarzen Securitymitarbeiter beim Wohngeldamt, über den er sich geärgert hatte, am liebsten das Genick gebrochen hätte.
Zuvor wurde ein längeres Video von einem rechten Skinheadkonzert in der St. Ingberter Kneipe "Spinnrädchen" gezeigt. Das Konzert fand 1991 statt, also im Jahr des Brandanschlags. Obwohl der Angeklagte selbst nicht teilgenommen hatte, sah das Gericht darin ein Beweismittel, da das Video einen Eindruck der damaligen Atmosphäre in der saarländischen Naziszene vermittelte. Bei dem Konzert, war auch der erwähnte Anführer der Saarlouiser Szene anwesend. Zum Hitlergruß erhobene Arme, "Sieg heil!"-Rufe und andere Äußerungen der Teilnehmer:innen machten deutlich, dass es sich um ein Milieu mit gefestigtem nationalsozialistischem Weltbild handelte und nicht um eher unpolitische Jugendliche, als die sie der damalige Saarlouiser Polizeichef am 14. Verhandlungstag darzustellen versucht hatte.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 21. Prozesstag, 27.03.2023:
Während bundesweit Bahn und Busse wegen Streik nicht fuhren, war vor dem OLG Koblenz business as usual geplant. Es sollte ein ganz normaler Prozesstag werden. Stattdessen wurde ein Zeuge wieder ausgeladen. Dafür hatte der Senat des OLG Koblenz der Verteidigung des Angeklagten Peter S. ein so genanntes Verständigungs- bzw. Erörterungsgespräch angeboten, was diese annahm. 90 Minuten wurde zu Beginn nicht öffentlich verhandelt. Daran beteiligt waren neben dem Senat und der Verteidigung auch die Generalbundesanwaltschaft. Das OLG Angebot: Wenn der Angeklagte die Tat gesteht, gibt es den „handelsüblichen“ Strafnachlass. Bei einer Verurteilung nach Jugendstrafrecht könnte er im günstigsten Fall mit fünfeinhalb Jahre Haft davonkommen.
Das „qualifizierte Geständnis“ müsste jedoch vollumfänglich sein und dazu dienen, den „Rechtsfrieden“ unter Einbeziehung der Nebenkläger:innen herzustellen. Das heißt, dass sowohl der Tathergang plausibel geschildert werden muss als auch eventuelle Mittäter genannt werden sollen. Daraus könnten weitere Strafverfahren resultieren. Nach Angaben des Richters ginge es dann nicht mehr bei allen Bewohnern um Mordversuch, weil der Täter davon ausgehen konnte, dass die im Erdgeschoss Party Feiernden die anderen Bewohner warnen würden.
Siehe auch SR, Saarbrücker Zeitung und FAZ.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 20. Prozesstag:
Auch der frühere Bewährungshelfer des mehrfach straffällig gewordenen Angeklagten Peter S. sagte am 20. Prozesstag aus und erklärte, dass er diesem den Anschlag von 1991 zutraue. Von Politik habe dieser keine Ahnung gehabt, sondern Floskeln nachgesprochen. Als Bewährungshelfer betreute er in seinem Bezirk mehrere Personen der Nazi-Skinhead-Szene, kannte also nicht nur den Angeklagten. Der Anführer der Gruppe sei im Gegensatz zu diesem hellwach und überzeugt gewesen, ein Theoretiker, der sich selber die Hände nicht schmutzig gemacht, sondern dies anderen überlassen habe. Und da sei der Angeklagte jemand gewesen, der durchaus auch in die Ausführung eines Brandanschlags hätte hineingezogen werden können.
Bei den Schlägereien, an denen die Saarlouiser Naziszene beteiligt gewesen sei, habe es sich nicht um Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gruppen auf Augenhöhe gehandelt, sondern um Übergriffe gegen Flüchtlinge, Punks und Linke.
Der Meinung, dass es zu viele Flüchtlinge in Deutschland gebe, seien, so der Eindruck des Zeugen, auch nach der Tat 1991 ermittelnde Polizisten gewesen. Hier stellt sich dann die Frage, ob für die Verschleppung der damaligen Ermittlungen außer Schlamperei noch andere Gründe eine Rolle spielten.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 20. Prozesstag:
Am 20. Prozesstag sagte zunächst eine ehemalige Lebensgefährtin des Angeklagten aus. Sie hatte den sieben Jahre Älteren 1992/93 kennen gelernt, als 14-15jährige und war etwa zwei Jahre mit ihm zusammen. Im nüchternen Zustand sei er ein lustiger Typ gewesen, aber wenn er getrunken hatte, habe er sich als bösartig und hinterhältig entpuppt. Einmal habe sie erlebt, wie er am Tisch saß, vor sich eine verkohlte und mit Stecknadeln gespickte Eidechse. Aus Angst habe sie lange gezögert, die Beziehung zu beenden, denn er sei sehr besitzergreifend gewesen und habe gedroht, ihr und ihrer Familie etwas anzutun, wenn sie Schluss mache. Dann ergehe es ihr wie der Eidechse. Angst hätte ihr auch gemacht, als er sagte: "Wenn ich herausbekomme, dass jemand nicht reinrassig ist, haue ich den um." Denn ihr Großvater stamme aus dem ehemaligen Jugoslawien. Als sie dann wirklich die Beziehung beendete, habe er ihr eine Pistole an den Kopf gehalten.
Einmal habe er im Eingangsbereich des Jugendzentrums, auf ein Flüchtlingsheim bezogen, gesagt: "Das ist das Nächste, das brennt." Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte seien in der Saarlouiser Neonaziszene gerechtfertigt worden, es seien ausländerfeindliche Sprüche gefallen und davon die Rede gewesen, man gehe "Kanaken klatschen" oder "Zecken klatschen". (Mit "Zecken" sind Linke und insbesondere Punks gemeint.) An Kneipenabenden sei die Gruppe immer wieder mal ausgerückt, um Schlägereien anzuzetteln. Sie wisse das so genau, weil nach der Rückkehr darüber gesprochen wurde und einige auch entsprechende Blessuren davontrugen.
Ihr Lebensgefährte sei mit dem Anführer der Saarlouiser Neonaziszene, Peter S., befreundet gewesen und habe dessen Anordnungen befolgt. Er selber habe keine Führungsrolle gehabt, allerdings habe er bei den Jüngeren etwas zu sagen gehabt.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 19. Prozesstag:
Nachdem vergangene Woche bereits die Schwester und der Vater der Hauptbelastungszeugin deren Glaubwürdigkeit durch ihre Aussagen untermauert hatten, wurden Anfang der Woche am mittlerweile 19. Prozesstag mehrere Ermittler befragt. Diese hatten die Zeugin mehrfach vernommen. An diesem Prozesstag ging es vor allem um die Aussagen, die die Zeugin den Kriminalbeamten gegenüber zum Ablauf des Grillfestes gemacht hatte, auf dem der Angeklagte laut ihrer Auskunft den Brandanschlag gestanden hatte mit den Worten "Das war ich und sie haben mich nie erwischt."
Ausnahmslos alle Ermittler schätzten die Zeugin als sehr glaubwürdig ein und betonten übereinstimmend, sie hätten nicht die geringsten Zweifel an der Richtigkeit ihrer Aussage. Rechtsanwalt Alexander Hoffmann als Nebenklagevertreter lobte in einer Erklärung die hohe Professionalität, mit der die jetzigen Ermittler vorgegangen seien. In der Tat zeigte sich hier ein starker Kontrast zu den schlampigen Ermittlungen nach der Tat 1991, die auffallend schnell ohne Ergebnis eingestellt worden waren.
Zu Beginn des Verhandlungstages hatte der vorsitzende Richter darüber informiert, dass die Ehefrau und die Mutter des Angeklagten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machten.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah:
Nachdem Anfang der Woche die Hauptbelastungszeugin befragt wurde, sagten am Folgetag deren Schwester und Vater als Zeugen aus. Dabei ging es darum, wie sie sich ihren Angehörigen offenbart und ihnen gegenüber ihre Absicht, Anzeige zu erstatten, bekundet hatte. Beide bestätigten, dass es ihr nicht um die Belohnung gegangen sei. Beide beschrieben, wie sie versucht hatten, ihr das Vorhaben auszureden, aufgrund befürchteter Racheakte von Neonazis. Doch sie blieb unbeirrt. Dass sie davon nicht abzubringen sein würde, formulierte ihr Vater so: "Ich kenne meine Tochter." Wörtlich bescheinigte er ihr einen "Gerechtigkeitsfimmel".
Zuvor war der Gastgeber der Grillparty befragt worden, der mit einer Rechtsanwältin als Beistand erschien. Er habe von einem Geständnis des Angeklagten nichts mitbekommen. Selber sei er in der rechten Szene so etwas wie ein Außenseiter gewesen. Er habe mit deren alten Germanengöttern und dem Odinkult nichts anfangen können, sondern habe sich als "weißer Christ" verstanden und in der Szene auch diesen Spitznamen gehabt. Freimütig gestand er, dass er auch mal gerne zugeschlagen und sich dadurch in der Szene Respekt verschafft habe. Man sei füreinander eingestanden. Bei gewaltsamen Auseinandersetzungen sei es ein No Go gewesen, wegzulaufen. Dass man schweigt und nicht gegeneinander aussagt, sei ein ungeschriebenes Gesetz gewesen. Heute ist er als Kickboxtrainer in Saarlouis tätig.
Siehe auch Laura Weidig in der Saarbrücker Zeitung:
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah:
Im Kreuzverhör mit den beiden Verteidigern des Angeklagten Peter S. blieb die Hauptbelastungszeugin bei ihrer Aussage. Demnach habe dieser bei einem Grillfest im Jahr 2007(oder 2006, das ist nicht ganz klar) ihr gegenüber die Tat gestanden:
„Das war ich und sie haben mich nie erwischt“.
Nach mehrwöchiger Unterbrechung aufgrund der Erkrankung zweier Richter wurde der Prozess Ende Februar fortgesetzt. Den Ablauf der Party hatte die Zeugin am vorangegangenen Prozesstag geschildert.
Die Verteidiger versuchten, die Zeugin in Widersprüche zu verwickeln, doch diese ließ sich nicht verunsichern, trat sehr bestimmt und selbstbewusst auf und machte auch glaubhaft, dass es ihr nicht etwa um die ausgesetzte Belohnung gehe. Diese sollten, wenn es nach ihr ginge, die Hinterbliebenen des Anschlags bekommen.
Aufgrund der Bedeutung ihrer Aussage wurde sie nach ihrer Vernehmung vereidigt.
Anschließend wurde ihr ehemaliger Lebensgefährte vernommen, mit dem zusammen sie das Grillfest besucht hatte. Dieser bestritt, trotz einschlägiger Tattoos und anderer Belege, jemals Neonazi gewesen zu sein. Seine Aussage lieferte weitere den Angeklagten belastende Indizien. Angehörige der Saarlouiser Neonaziszene seien davon ausgegangen, dieser sei der Täter und hätten deshalb gegen ihn gestichelt. Er habe das für "Dummgespräch" gehalten, aber dass Peter S. als Täter angesehen wurde, sei in der Szene ein offenes Geheimnis gewesen. Die Szene habe es begrüßt, dass „das Ding abgefackelt ist und ein Neger verbrannt“ sei, wie er es mehrfach formulierte.
Siehe auch
Laura Weidig in der Saarbrücker Zeitung
Thomas Gerber u.a. im Saarländischen Rundfunk
sowie Bericht in Süddeutsche Zeitung
und bei ENDSTATION RECHTS
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah:
Diesen Satz soll der Angeklagte Peter S. im Jahr 2006 bei einer Grillparty zu der Hauptbelastungszeugin gesagt haben. Gemeint damit war der Brandanschlag 1991 auf das Asylbewerberheim Saarlouis Fraulautern. Erst 2019 wandte sich die Zeugin damit an die Polizei, was letztendlich zum Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder von Samuel Yeboah führte. Am Verhandlungstag äußerte sich zunächst der Angeklagte zu der Grillparty und bestritt diese Aussage vehement; die Zeugin hätte damit sein Leben zerstört.
Den restlichen Tag gab die Zeugin den Ablauf der Grillparty wieder, soweit sie sich erinnern konnte. Sie habe den Angeklagten vorher nicht gekannt und danach auch nur kurz einmal getroffen. Sie hielt die Aussage erst für Angeberei, weil sie ihm das offensichtlich nicht zugetraut habe, und wusste damals nicht, dass bei dem Brandanschlag jemand umgekommen sei. Erst als sie 2019 davon erfahren hat, hat sie sich an die Polizei gewandt. Die Vernehmung durch das Gericht nahm den ganzen Prozesstag in Anspruch, die Befragung durch die Anwälte wurde auf kommenden Montag verschoben. Die Verteidigung versuchte schon während Vernehmung, die Zeugin mehrfach zu verunsichern und ihr zu widersprechen, hängt der Ausgang des Prozesses doch wesentlich von der Glaubwürdigkeit dieser Zeugin ab.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah:
Dienten die unmittelbar vor dem mörderischen Brandanschlag in Saarlouis beginnenden rassistischen Ausschreitungen im sächsischen Hoyerswerda den saarländischen Tätern als Vorbild? Dort waren ein Vertragsarbeiterwohnheim und eine Flüchtlingsunterkunft von Neonazis angegriffen worden.
Um diese Möglichkeit abzuklären, wurde ein Fotograf befragt, der damals für die Sächsische Zeitung arbeitete und die Vorgänge beobachtet und dokumentiert hatte. In Hoyerswerda flogen die ersten Brandsätze nach seiner Auskunft am Mittwochabend des 18.9.91, während der Anschlag in Saarlouis in den frühen Morgenstunden des 19.9.91 verübt wurde. Trotz der knappen Zeitspanne ist nicht auszuschließen, dass die saarländischen Skins Kenntnis von den Angriffen in Hoyerswerda hatten, über telefonische Vernetzung oder möglicherweise auch schon durch Radio und Fernsehen. Der Angeklagte jedenfalls soll mit anderen Neonazis am betreffenden Abend schon über Hoyerswerda gesprochen haben. Dafür, dass die dortigen Angriffe bereits bekannt waren, spricht auch eine Aussage des besten Freundes von Samuel Yeboah, der am selben Prozesstag vernommen wurde: Er habe mit Samuel gemeinsam an diesem Abend durch die Nachrichten von Hoyerswerda erfahren.
Siehe dazu auch Thomas Gerber im Saarländischen Rundfunk
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah:
Da macht jemand sich die Realität, wie sie ihm gefällt: Am 14. Prozesstag sagte ein inzwischen im Ruhestand befindlicher Polizeihauptkommissar aus, der damals Leiter der Polizeidienststelle Saarlouis war. Er schilderte die damalige Skinheadszene als weitgehend unpolitisch. Es habe Gewalt gegeben gegen andere Jugendliche, aber keine rassistischen Übergriffe. Asylsuchende hätten sich gar nicht in der Innenstadt aufgehalten. Er habe die Lage im Griff gehabt, die Skins hätten Respekt vor ihm gehabt und öfter Platzverweise bekommen und seien immer mal wieder in der Zelle gelandet. Die Bürger hätten sich sicher fühlen können. Er erweckte den Eindruck, sich immer noch in seiner Rolle wohl zu fühlen und sich auch im Rückblick gerne als Sheriff zu sehen, der Marlboro rauchend durch Saarlouis ritt und väterlich die irregeleiteten Jugendlichen zur Ordnung rief.
Erst später hätten sich die Saarlouiser Skinheads zu einer rechtsextremen Szene entwickelt, hätten Adolf Hitler und Rudolf Hess verehrt. Es habe dann auch Skinheadkonzerte gegeben. Später sei er Dozent an der Fachhochschule geworden, wo er mit dem saarländischen Verfassungsschutzpräsidenten Helmut Albert (SPD) gemeinsam Polizisten im Umgang mit Rechtsextremismus ausgebildet habe. Informiert habe er sich unter anderem aus der Antifabroschüre "Kein schöner Land" über die saarländische Neonaziszene. Was er dort gelesen habe, sei zwar überzeichnet, aber sachlich richtig.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah:
Nachdem die Ermittlungen 30 Jahre lang verschleppt wurden, steht die wieder aufgenommene Verfolgung alter Spuren vor großen Schwierigkeiten. Dies wurde bei der Vernehmung von drei Sonderermittlern und einer Sonderermittlerin am 13. Prozesstag deutlich.
Vieles ist nach so langer Zeit kaum noch zu recherchieren. Beispiel Tankstellenspur:
Ein Großteil der Tankstellen, in denen möglicherweise das als Brandbeschleuniger verwendete Benzin gekauft wurde, existiert nicht mehr. Eine konkretere Spur betrifft eine Tankstelle in Saarlouis Fraulautern, in der zwei Jugendliche vor dem Brand Benzin für ein angeblich liegengebliebenes Mofa abgefüllt haben. Zwar existiert ein Quittungsbeleg, der aber keine Identifizierung der Betreffenden erlaubt. Überwachungsvideos, die Aufschluss hätten geben können, sind längst gelöscht.
Samuel Yeboah, Flüchtling aus Ghana war bei einem rassistischen Brandanschlag auf eine Asylunterkunft in Saarlouis am 19. September 1991 ums Leben gekommen. Damals wurden die Ermittlungen nach kurzer Zeit eingestellt, in der rechten Szene wurde kaum ermittelt.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah:
Vier Mitglieder der Sonderkommission, die die Ermittlungen im Auftrag der Bundesanwaltschaft nach 30 Jahren wieder aufgenommen hat, sagten am 13. Prozesstag aus. Einer der jetzt aussagenden Ermittler war offensichtlich sehr verärgert über die Schlampereien seiner damaligen Kollegen. Auf seine Fragen, warum damals so nachlässig ermittelt wurde, habe er keine zufriedenstellenden Antworten bekommen. Bei den Kollegen stieß er immer wieder auf "Erinnerungslücken".
Die Befragung von traumatisierten Überlebenden habe ihn nicht kalt gelassen. Auch im Gerichtssaal war ihm anzumerken, dass deren Aussagen ihm unter die Haut gingen.
Für weitere Informationen siehe auch Thomas Gerber im Saarländischen Rundfunk.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah:
Aus unserer Prozessbeobachtung noch einige ergänzende Informationen zum 12. Prozesstag am 17. Januar:
Die Diskrepanzen zwischen den Zeugenaussagen vor Gericht und den angeblich laut polizeilichen Vernehmungsprotokollen gemachten Aussagen wurden bereits angesprochen, auch im Hinblick auf eine zum Tatzeitpunkt fünfzehnjährige Zeugin, die der Flüchtlingsunterkunft gegenüber wohnte. Bei ihrer Aussage wurde offensichtlich, dass sie durch das damals Erlebte traumatisiert ist und damit nicht fertig wird. So leidet sie bis heute unter schweren Schuldgefühlen, weil sie nicht helfen konnte. 1991 war sie im Schnelldurchgang, innerhalb von 15 Minuten, vernommen worden, alleine, rechtswidrig ohne ihre Mutter oder eine sonstige Begleitperson. Wie sie vor Gericht sagte, hat sie zwei vermummte hellhäutige Personen in ein Auto springen und mit quietschenden Reifen den Tatort verlassen sehen. Dies taucht in den Vernehmungsprotokollen nicht auf, ist aber ein Indiz dafür, dass der Brandanschlag nicht von einem Einzeltäter verübt wurde. Ihr wurde in den Protokollen auch der Gebrauch des sogenannten "N-Worts" in den Mund gelegt. Als ihr dies vor Gericht vorgehalten wurde, erschrak sie sichtlich und betonte, der Gebrauch dieses Begriffes sei ihr fremd. Zum wiederholten Male rügte der vorsitzende Richter die Ermittler und betonte, dass man den polizeilichen Vernehmungsprotokollen nicht trauen könne.
Eine weitere als Zeugin befragte Anwohnerin bestätigte, was bereits ihr verstorbener Vater bei der Polizei ausgesagt hatte: Zwei Männer in der sich während des Rettungseinsatzes bildenden Menschenansammlung freuten sich sichtlich über den Brand. Einer sagte: "Die haben es nicht besser verdient." Das sagte einiges aus über das Klima damals in Teilen der Bevölkerung.
An diesem Tag wurde auch noch ein Brandexperte der Kripo als Gutachter vernommen, der anhand der Aktenlage die technischen Aspekte des Brandanschlages und die wahrscheinliche Brandentwicklung skizzierte.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah:
Der Richter im Prozess zum Mord (19.9.1991) an Samuel Yeboah vor dem OLG Koblenz ist zunehmend genervter über Schlampereien der saarländischen Polizei. Wenn man denkt, es geht nicht mehr schlimmer, kommt ein Ex Polizist in den Zeugenstand und behauptet allen Ernstes, die rechten Skinheads in Saarlouis seien nicht rassistisch gewesen. Und eine damals 15jährige Augenzeugin des Brandes wurde vorschriftswidrig ohne Anwesenheit ihrer Mutter verhört: Aus zwei schwarz gekleideten Personen, die sie als Zeugin (47 J.) vor Gericht beschrieb, machte die Polizei damals im Protokoll "einen Farbigen". Das nährte die Legende vom Streit unter den Bewohnern des Flüchtlingsheims - zwei von vielen Beispielen, die das Jahre lange währende saarländische Staatsversagen illustrieren.
Die Aktion 3.Welt Saar beteiligt sich an der unabhängigen Prozessbeobachtung.
Siehe auch den sehr präzisen Beitrag von Thomas Gerber im Saarländischen Rundfunk
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah:
Am 9. Prozesstag am 9. Januar wurden die vier Schwestern des Angeklagten befragt. In ihren auffallend gleichlautenden Aussagen zeichneten sie das Bild eines zum Tatzeitpunkt kindlichen, friedvollen jungen Mannes, der diese Tat unmöglich begangen haben könne. Eine der Schwestern war zeitweise in der Skinheadszene vor Ort dabei, war mit einem Skinhead liiert, lief bei rechten Aufmärschen mit und besuchte rechte Konzerte.
Siehe Saarländischer Rundfunk:
Am 10. Prozesstag am 10. Januar wurde ein an der Brandermittlung damals beteiligter Kriminalbeamter befragt. Danach sagte einer der Überlebenden, ein mit dem Ermordeten befreundeter Kosovo-Albaner, aus. Es wurde deutlich, dass er traumatisiert ist und das Erlebte immer wieder hoch kommt. Während seiner Aussage wurde der Angeklagte mit Verdacht auf Kreislaufkollaps in eine Klinik eingeliefert, so dass die Verhandlung abgebrochen werden musste. Wie es heißt, ist er aber inzwischen so stabil, dass der Prozess nächste Woche wie geplant fortgesetzt wird.
Siehe Saarländischer Rundfunk:
Dazu auch Saarbrücker Zeitung:
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah:
5. Prozesstag im Yeboah-Prozess am 12. Dezember
Zunächst wurde erneut der Angeklagte vernommen und bestätigte seine Einbindung in die Saarlouiser Neonaziszene. Er sei allerdings nur ein Mitläufer gewesen, dem es weniger um politische Inhalte als um Kameradschaft ging. Seiner damaligen neonazistischen Einstellung habe er schon lange abgeschworen. Dem widersprechen noch 2021 bei ihm gefundene neonazistische Chatnachrichten und Filme. Dazu meinte er, er sei ja nur deren Empfänger und nicht der Urheber gewesen. Zu Nazi-Inhalten auf seinem Laptop meinte er, dieser werde auch von anderen benutzt und sei eine Art Familien-Laptop.
Nachmittags wurde drei Überlebende befragt. Dabei wurden polizeiliche Ermittlungsfehler deutlich. Die Verhöre mit damals des Deutschen nicht oder kaum mächtigen Opfern erfolgten ohne angemessene Übersetzung. Es gab erhebliche Differenzen zwischen dem, was sie jetzt im Gerichtssaal sagten und dem, was sie laut Polizeiprotokollen damals angeblich gesagt hatten.
Der Saarländische Rundfunk dazu:
Ausführlich zu den Aussagen der Überlebenden und dem Umgang mit ihnen der Trierische Volksfreund:
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah:
4. Prozesstag im Yeboah-Prozess am 5. Dezember
In seinen Aussagen über die Tatnacht gibt sich der Angeklagte als Unschuldsengel. An Vieles will er sich nicht erinnern können. Als ihn der Staatsanwalt schließlich auf Widersprüche in seinen Einlassungen anspricht, verweigert er jede weitere Aussage.
Im Verfahren wurden seitens des Gerichts Fotos gezeigt, in denen er unter anderem in SS-Uniform oder gemeinsam mit den NSU-Terroristen Tschäpe und Mundlos zu sehen ist.
Ausführlich über den Prozesstag berichtet der Saarländische Rundfunk:
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah:
3. Prozesstag im Yeboah-Prozess
Hier der Bericht aus der Saarbrücker Zeitung
Auch der Saarländischer Rundfunk und weitere Hörfunk- und Printmedien berichten über den Prozess.
Weitere regelmäßige Berichte bei NSU Watch auf Twitter:
Ebenfalls die Saarbrücker Hefte
Der Saarländischer Rundfunk in einem Podcast: https://www.sr.de/.../podcast_der_fall_yeboah_100.html
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah:
Heute war der zweite Prozesstag im Mordfall Samuel Yeboah. Zum Anschlag und zum jahrelangen Verschweigen, Vertuschen und Wegschauen haben Lisa Krauser, Jochen Marmit und Thomas Gerber vom SR.de einen dreiteiligen Podcast veröffentlicht. Hier wird ausführlich über die Hintergründe berichtet, Interviews geführt und Zusammenhänge erklärt. Weitere Folgen sollen im Laufe des Prozesses erscheinen. Von uns eine ausführliche Hörempfehlung.
Zum Prozessbeginn werden wir - der Saarländische Flüchtlingsrat, die Aktion 3. Welt Saar und die Antifa Saar / Projekt AK ab 8.30 Uhr gemeinsam vor dem Oberlandesgericht mit unseren Forderungen Präsenz zeigen.
Kein Schlussstrich!
Entschädigung der Überlebenden des Brandanschlags
Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses
Offenlegung aller Akten des Verfassungsschutzes und der Polizei
Am 19. September 1991 wurde Samuel Yeboah bei einem rassistischen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Saarlouis-Fraulautern ermordet. 20 Menschen überlebten den Anschlag. Rund 31 Jahre später beginnt am 16. November 2022 vor dem 4. Strafsenat (Staatsschutzsenat) des Oberlandesgerichts Koblenz die Hauptverhandlung gegen den Saarlouiser Neonazi Peter S. wegen Mordes, versuchten Mordes in 20 Fällen und Brandstiftung mit Todesfolge. Eine ganze Generation lang haben Initiativen und Organisationen aus der antifaschistischen und antirassistischen Bewegung wie Saarländischer Flüchtlingsrat, Aktion 3.Welt Saar und Antifa Saar / Projekt AK die Erinnerung an Samuel Yeboah wachgehalten und das rassistische Motiv der Tat benannt. Ohne dieses Engagement hätte es weder eine Neuauflage der Ermittlungen noch den kommenden Strafprozess vor dem OLG Koblenz gegeben.
„Dieser Prozess kommt 30 Jahre zu spät. Trotzdem eröffnet er die Möglichkeit, die lange Zeit der Straflosigkeit und damit die Gleichgültigkeit gegenüber den Angehörigen von Samuel Yeboah und den Überlebenden des rassistischen Verbrechens zu beenden“, erklärte Ursula Quack im Namen des Saarländischen Flüchtlingsrates e.V.. „Für die Überlebenden, die bis heute durch die Ereignisse traumatisiert sind, hat der Prozess eine enorme Bedeutung. Es geht um ihre Anerkennung als Opfer und dessen, was sie erlitten haben. Und selbstverständlich heißt Anerkennung auch finanzielle Entschädigung.“
„Es ist fatal. 30 Jahre lang haben Polizei und Staatsanwaltschaft aber auch die Stadt Saarlouis und die jeweilige Landesregierung die rassistische Motivation der Tat in Abrede gestellt“, so Roland Röder, Geschäftsführer der Aktion 3.Welt Saar e.V.. „Neben der juristischen Aufarbeitung muss jetzt auch das saarländische Staatsversagen in dieser Sache beleuchtet werden. Nach Jahren des Schweigens und Leugnens erwarten wir von der aktuellen saarländischen Landesregierung, dass sie dafür Verantwortung übernimmt und einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einsetzt.“
Tatsache ist: Der gesamte politisch-organisatorische Hintergrund des Mordes an Samuel Yeboah wurde bis heute nicht aufgeklärt. Der Angeklagte Peter S. war in jener Zeit aktives Mitglied der organisierten Neonazi-Szene in Saarlouis, die sich seit Mitte der 1990er Jahre zur „Kameradschaft Saarlautern“ formierte. Wieso sollte er also als Täter alleine gewesen sein?
„Es darf keinen Schlussstrich geben. Allein in den Jahren 1991 und 1992 gab es rund 15 rassistische Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im Saarland, die meisten davon in der Region Saarlouis. Täter wurden allerdings nie ermittelt“, erklärte Alexander Breser von der Antifa Saar / Projekt AK. „Das gleiche gilt für weitere neonazistische Taten wie den versuchten Bombenanschlag auf das Saarbrücker PDS-Büro 1990 oder den Anschlag auf die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht 1999 ebenfalls in Saarbrücken. Um hier überhaupt noch eine ernsthafte Aufklärung und Aufarbeitung zu erreichen, ist die Offenlegung aller Akten des Verfassungsschutzes und der Polizei zwingend notwendig.“
Zum Prozessbeginn werden wir - der Saarländische Flüchtlingsrat, die Aktion 3. Welt Saar und die Antifa Saar / Projekt AK ab 8.30 Uhr gemeinsam vor dem Oberlandesgericht mit unseren Forderungen Präsenz zeigen.
Zum Hintergrund:
Eine Chronologie der Ereignisse auf der Seite der Aktion 3.Welt Saar e.V.
Veröffentlichungen der Antifa Saar / Projekt AK über neonazistische Aktivitäten im Saarland:
https://antifa-saar.org/nazis/
https://t1p.de/qzd47
Pressmitteilung als PDF.