Debatte über das Kölner Beschneidungsurteil

Das Landgericht Köln hat in einem am 25. Juni 2012 veröffentlichten Urteil festgestellt, dass die Beschneidung von Jungen aus religiösen, nicht auf medizinischer Notwendigkeit beruhenden Gründen, als Körperverletzung strafbar ist.  Es ging um den konkreten Fall eines vierjährigen muslimischen Jungen. Das Urteil hat heftige Kontroversen ausgelöst.  Bei Debatten der aktiven Mitglieder haben wir eigene Unsicherheiten festgestellt und das Fehlen einer klaren Position unsererseits.

Wir veröffentlichen hier Stellungnahmen von Mitgliedern der Aktion 3.Welt Saar. Damit möchten wir eine offene Diskussion anstoßen, ohne Tiefschläge und Unterstellungen. Beschneidungsgegner per se in die Nähe von Nazis oder gar der NS-Vernichtungspolitik zu rücken, hat in der Debatte ebenso wenig zu suchen wie die Gleichsetzung von Jungenbeschneidung mit der genitalen Verstümmelung von Mädchen.

Für den Vorstand der Aktion 3.Welt Saar
Hans Wolf, Gertrud Selzer

Andreas Wimmer (Trier), 22. August 2012

Das Kölner Landgericht hat nach meiner Auffassung eine richtige Entscheidung getroffen, Beschneidungen von Jungen im Kindesalter als Körperverletzung zu beurteilen. Wie man in der Presse nachlesen konnte, kam es in dem vorliegenden Fall zu schweren medizinischen Komplikationen wie Nachblutungen, so daß der betreffende Junge in eine Notaufnahme gebracht werden mußte. Ein längerer Krankenhausaufenthalt war weiterhin notwendig geworden. Im Krankenhaus mußte unter Vollnarkose ein chirurgischer Eingriff vorgenommen werden, bzw. drei weitere Verbandswechsel mußten unter Narkose erfolgen. Der Gutachter, den das Kölner Landgericht beauftragt hatte, bescheinigte unter anderem, daß Nachblutungen mögliche Folgeerscheinungen von solchen Beschneidungen seien.

Solch ein körperlicher Eingriff ist auf keinen Fall mit anderen religiösen Ritualen wie Taufe, Firmung, Bar Mitzwa oder Bat Mitzwa etc., in die Kinder involviert sind, gleichzustellen. Denn es handelt sich ganz offenbar um die schmerzhafte Manipulation eines empfindlichen Körperteils unter Abtrennung von Hautsegmenten. Es gibt Fälle, in denen eine Beschneidung aufgrund eines medizinischen Befundes sinnvoll ist, wenn zum Beispiel die Gefahr bestehen sollte, daß die Vorhaut mit der Zeit über die Eichel wächst und somit das urinieren erschwert werden könnte. Solche Eingriffe erfolgen dann normalerweise unter Narkose. Die betreffenden religiös motivierten Beschneidungen haben nur die Tradition als Begründung und können somit nicht als aufgeklärte Erscheinungsweisen von Ritualen gelten. Selbst nach der Bar Mitzwa, die mit 13 Jahren stattfindet, wäre es unzumutbar, einen solchen Eingriff vorzunehmen. Denn auch in diesem Alter kann von Orientierungsmündigkeit des Kindes keine Rede sein.

Es besteht allderings auch in allgemeiner Hinsicht kein vernünftiger Grund, Beschneidungen von Jungen als religiöses Ritual zu erlauben, um damit einer körperlichen und psychischen Schädigung eines Kindes im jungen Alter Vorschub zu leisten. Ebenso wäre es nicht zu verantworten, wenn eine Religion, bestimmte Tätowierungen, Narbenerzeugungen, übermäßigen Alkoholkonsum oder einfach das Beobachten von Grausamkeiten im Kindesalter als Ritual vorsehen würde. Der Kinderschutz und die Jugendschutzgesetzgebung muß sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse über negative Folgen von Einflüssen im Kindesalter stützen und Religionen müssen sich angesichts ihrer archaischen Traditionen der Aufklärung in kultureller Hinsicht und der Gesetzgebung in gesellschaftlicher Hinsicht unterstellen.

Bei anderen problematischen religiösen Ritualen wie das Schlachten von Tieren muß auch das Gleiche  gelten, daß die Religionen sich in ihren Ritualen den Tierschutzbestimmungen unterordnen oder ganz darauf verzichten.

Jens Bockmühl-Schmiedel, 24. Juli 2012

Die Beschneidung von Jungen zu verbieten halte ich für falsch. Das ist ein religiöses Ritual und kein Gewaltakt. Der Staat hat sich grundsätzlich bei reliösen Traditionen zurückzuhalten, wenn sie nicht diskriminierendernMotiven entspringen.

Dr. Klaus Beckmann, Koblenz, 23. Juli 2012

Dr. theol. Klaus Beckmann, evangelischer Theologe und Judaist, langjähriges Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Lehrbeauftragter für Kirchengeschichte an der Uni Saarbrücken, seit 2011 Militärseelsorger, Beiratsmitglied Aktion 3. Welt Saar

Welche historische Dimension das Kölner Urteil besitzt, beschrieb kürzlich der Israeli Gil Yaron – und ich kann in seinen Worten keine Übertreibung erkennen: „Das Urteil der Kölner Richter […] erinnert an die Beschneidungsverbote des Seleukidenkönigs Antiochos Epiphanes oder des römischen Kaisers Hadrian. Die waren Inkarnationen des Bösen. Sie wollten nicht die Rechte jüdischer Kinder bewahren, sondern das Judentum auslöschen. Hunderttausende Märtyrer ließen damals für die Aufrechterhaltung unseres Brauchs das Leben.“ (vgl. Gil Yaron, Unsere seltsame Tradition, in: FAS, 22. 7. 2012.)

Mir als jahrelangem Teilnehmer am jüdisch-christlichen Gespräch und entschiedenem Befürworter der modernen Demokratie wohnen in der durch das Urteil von Köln aufgeworfenen Frage zwei Seelen in der Brust, selten war ich so hin- und hergerissen. Das liegt in erster Linie daran, dass mit den von Gil Yaron genannten Tatsachen die historische Betrachtung nicht ausgeschöpft ist. Denn welch hohes Gut die moderne säkulare Grundordnung ist, verdeutlicht gerade die Geschichte der Juden in Europa. Ich frage mich, ob, mit historischer „Tiefenschärfe“ betrachtet, eine andere Gruppe ein vergleichbar vitales Interesse an staatlicher „Aufgeklärtheit“ haben könnte wie die Juden. Erst durch die Französische Revolution und ihre strikte Trennung von Recht, Politik und Religion wurde die Gleichberechtigung der Juden in Europa auf den Weg gebracht. Im 19. Jahrhundert kämpften nicht wenige Juden für den religionsneutralen, die individuellen Rechte egalitär schützenden Staat. Dieser garantiert heute nicht zuletzt die Freiheit der jüdischen Gemeinden – im Unterschied zu den „Gottesstaaten“ im islamischen Kulturkreis, wo die Beschneidung zwar unangefochten ist, Juden wie Christen aber bestenfalls als Menschen zweiter Klasse geduldet werden.

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Thomas Hoffmann, Perl, am 23. Juli 2012

Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass ein nicht entscheidungsfähiges Kleinkind weder beschnitten noch getauft werden dürfte. Dies wiederspricht dem Recht auf religiöse Selbstbestimmung. Dem Aspekt des körperlichen Eingriffs messe ich dabei keine so grosse Relevanz zu, daher ist der Vergleich Taufe und Beschneidung für mich durchaus legitim.

Andererseits bin ich der Meinung, dass gesetzliche Regelungen hier wenig hilfreich sind. Wollten wir alles gesetzlich regeln, führte dies letztlich zu nicht viel Anderem wie einer Diktatur auf Basis einer Mehrheitsmeinung. Ich wäre beispielsweise versucht, viele Dinge zu verbieten, wenn ich Ökodiktator wäre, angefangen von sogenanntem Motorsport über Jagd etc. Nein, es muss zu einem gesellschaftlichen Konsens kommen. Im Dingen wie Beschneidung oder Taufe ist das sicher ein sehr langer Weg, der über Generationen gehen wird. Auch weil viele Eltern ihrerseits einem hohen Druck seitens ihrer Eltern und ihrer Familie/Gruppe ausgesetzt sind.

Die gesellschaftliche Debatte kann daher nicht darüber gehen, ob eine gesetzliche Regelung oder das Urteil des Landgerichtes richtig oder falsch ist, sondern wie man eine Entwicklung begleiten und beschleunigen kann, die dazu führt, dass Eltern irgendwann in Zukunft nicht über die Religion ihres Kindes bestimmen, sondern es in Liebe begleiten und warten, bis es selbst eine Entscheidung treffen wird, wenn es dazu in der Lage ist.

Dass traditionelle oder kulturelle Handlungen nicht per se schützenswerte Güter sind, sollte - denke ich - heute bei aufgeklärten Menschen Konsens sein.

Thomas Hoffmann, Perl

Marianne Casper-Dubro, 23. Juli 2012

Mitarbeiterin im Eine-Welt-Laden-Homburg

Ihr wollt eine persönliche Meinung hören oder lesen:

Ganz wichtig ist mir, dass man diskutiert und die Argumente pro und contra sammelt -

ich bin gegen diese automatische, rituelle, religiös begründete Beschneidung an unmündigen Kindern, die man nicht fragen kann, ob sie mit diesem "verstümmelten" Glied leben möchten......

ich habe meine Kinder auch erst mit 14 entscheiden lassen, ob sie ev. getauft werden möchten....

so stelle ich mir das auch für moslemische oder jüdische Jungen vor wenn, wie das Parlament nun voreilig verkündet, sollte auf jeden Fall Schmerzfreiheit  und OP durch einen Arzt verlangt und garantiert werden.
gerne würde ich öffentlich die Herkunft dieses Rituals hinterfragen: was steht in den Schriften auf die man sich beruft und aus welcher Tradition entstanden sie? Menschenopfer, Blutopfer an die Götter fanden vor der Aufklärung statt... auch die angebliche Hygiene sollte hinterfragt werden...

Wenn unser Grundgesetz Menschenwürde, Selbstbestimmung, Freiheit und Unversehrtheit an Leib und Leben für alle in unserem Land lebende Menschen garantiert, darf bei diesen religiös begründeten Praktiken keine Ausnahme gemacht werden.....und mit Religionsfreiheit zu argumentieren ist Irreführung und eine Falle in die Viele reinfallen. Ich bin stolz darauf, dass die auch bei uns religiös motiviert und
begründeten Praktiken wie Teufelsaustreibung, Hexenverbrennung ,Gottesurteil-Autodafe und so weiter verboten sind, per Gesetz abgeschafft...Ist unser Staat laizistisch oder soll er zum Gottesstaat
werden - klar nein!