Christian Sterzing, Edenkoben

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Lektüre Ihrer Flugschrift "Vorsicht, die Helfer kommen!" hat mich sehr erschreckt, da diese mit ihrem, von deutlich begrenzter Sachkenntnis geprägten Ton alle Regeln einer fairen und sachlichen Auseinandersetzung verletzt. Diese Flugschrift ist der Arbeit der a3wsaar unwürdig. Ich hoffe, dass auf Ihrer Seite die Bereitschaft besteht, diese Veröffentlichung und das Format der geplanten Veranstaltung mit dem Autor Feuerherdt kritisch zu überdenken.

Es gibt zweifellos viele gute Gründe, um Hintergründe und Folgen der "Entwicklungshilfe" zu diskutieren. Inzwischen füllen einschlägige Bücher ganze Bibliotheken. Viele Organisationen setzen sich seit Jahrenden - also lange vor Ihnen - intensiv mit diesen Fragen auseinander. Es gibt sicherlich noch mehr gute Gründe, Sinn und Unsinn der internationalen Hilfe für die Palästinenser in den besetzten autonomen Gebieten zu hinterfragen (Diese Debatte wird übrigens auch in den von Ihnen so kritisierten Organisationen geführt!). Doch auch zu dieser Debatte leisten Sie nicht etwa einen seriösen, weiterführenden Beitrag, sondern diffamieren relativ pauschal die in den palästinensischen Gebieten tätigen internationalen Organisationen und ihre MitarbeiterInnen und zielen damit im Grunde auf die Palästinenser. Man merkt die Absicht und ist verstimmt ...

Ich will stichwortartig nur wenige Anmerkungen machen:

1. Sie unterstellen fast ausnahmslos den internationalen HelferInnen Antisemitismus als wesentliches Motivationselement. Dieser unglaubliche Vorwurf ist in keiner Weise empirisch belegt, er dient nur der Verunglimpfung und vordergründigen politischen Absichten. (Kleine Frage am Rande: Was ist denn mit den vielen israelischen HelferInnen, die in den palästinensischen Gebieten die Bevölkerung auf vielfältige Weise unterstützen? In Ihrem Duktus wären die wohl alle als jüdische Selbsthasser zu bezeichnen.) Ich kann ja verstehen, dass man im Hinblick auf den Nahost-Konflikt unterschiedlicher Meinung ist, aber muss man Andersdenkenden in diesem Konflikt immer gleich mit der "Antisemitismuskeule" kommen? Geht's nicht auch 'ne Nummer kleiner - mit sachlich fundierter Kritik zum Beispiel?

2. Sie unterstellen fast ausnahmslos den internationalen HelferInnen und ihren Organisationen ein Interesse an der Fortsetzung des Konflikts, weil sie ja angeblich sonst ihre Arbeitsplätze verlieren würden. Die Maßlosigkeit, ja Dummheit dieses (empirisch natürlich auch nicht belegten) Vorwurfs ist offensichtlich: Mit dem Arbeitsplatzargument ist damit zum einen in der Konsequenz grundsätzlich allen Hilfeberufen der moralische Boden entzogen. Zum anderen leugnen Sie damit überhaupt eine Hilfsbedürftigkeit in den palästinensischen Gebieten. Und schließlich legen Sie unterschwellig den Schluss nahe, der Konflikt wäre längst gelöst, wenn es nicht die "Helfer" gäbe (Sie sprechen ja sogar vom "sogenannten Nahostkonflikt"): Die Helfer sind gemäß Ihrem Urteil also nicht nur egoistisch ("materielles Eigeninteresse") und überflüssig, sondern gezeichnet von weiteren charakterlichen Mängeln wie z.B. "Abenteurlust" und "Partyfeeling." Überdies schaden sie auch noch und verhindern eine friedliche Konfliktregelung.

3. Natürlich gibt es so etwas wie ein "Hilfebusiness", es gibt in der Region auch ein "Friedensbusiness", bei uns gibt es z.B. so etwas wie ein "Gesundheitsbusiness", ein "Psychobusiness", ein "Advokatenbusiness" etc.. Leute verdienen ihr Geld in einem sozialen Beruf in dem Bewusstsein, dass es eigentlich am Besten wäre, wenn sie überflüssig würden. Diese Art von "Business" ist aber doch auch ein Signal für ein bestehendes Problem, dessen Bewältigung - aus welchen Gründen auch immer - (noch?) nicht gelingt und bei dessen Bewältigung es zu Auswüchsen kommt. Ihre ach so mutige These vom "Hilfebusiness" ist eine Binsenwahrheit, die in der sozialwissenschaftlichen und entwicklungspolitischen Literatur seit Jahrzehnten - allerdings wesentlich ernsthafter und fundierter - diskutiert wird. Sich mit der Hilfe im Einzelnen, Projekten und Programmen einzelner NGOs auseinanderzusetzen, diese auf ihren Nutzen ("no harm") zu prüfen - das wäre der Mühe wert. Aber diese Mühen der Ebene werden von Ihnen nicht sehr geschätzt, statt dessen begeben Sie sich in die abgründigen Tiefen einer polemischen Kampagne weit unter der Gürtellinie.

4. Dass es in der Flugschrift nicht um Information oder Diskussion, sondern vor allem um Verunglimpfung geht und die Ausführungen nun wirklich äußerst karge Landes- und Sachkenntnis offenbaren, zeigt sehr deutlich der Umstand, dass Sie die Debatte über die internationale Hilfe in Palästina völlig ignorieren. Da geht es z.B. um die Folgen der internationalen Hilfe für die Zivilgesellschaft, Stichworte sind: Selbstständigkeit, Abhängigkeit, Entmündigung, Selbst- oder Fremdbestimmung, Identifikation der Bedürfnisse, Absorptionsfähigkeit, De-Entwicklung, Lohnniveau etc. etc. Diese Fragen werden von Ihnen bestenfalls gestreift. Aber in der internationalen Gemeinschaft entspringt diese Diskussion vor allem der Sorge um die politische und gesellschaftliche Entwicklung der palästinensischen Gesellschaft auch im Kontext einer angestrebten Friedensregelung. Dass sich die Autoren Ihrer Flugschrift Sorgen um die Menschenrechte, die Selbstbestimmung oder das Wohlergehen der Palästinenser Sorgen machen, wäre gewiss eine Unterstellung.

5. Das politische Umfeld, in dem diese Hilfe stattfindet, wird von Ihnen völlig ignoriert. Das Wort Besatzung taucht nicht auf (es sei denn als Denunziation der Terminologie der Kritiker). Es wird sogar geleugnet, dass der Gazastreifen nach dem Völkerrecht als weiterhin besetzt zu gelten hat (ungeachtet der Verlegung der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen). Die völkerrechtswidrig errichteten Siedlungen, die völkerrechtswidrig errichtete Mauer/Zaun/Sicherheitsbarriere (wie immer Sie das nennen wollen) und die täglichen Menschenrechtsverletzungen - das alles bleibt unerwähnt. Man wird den Verdacht nicht los, dass die Probleme der internationalen Hilfe in den palästinensischen Gebieten nur instrumentalisiert werden, um Palästinenser zu dämonisieren, den "Nahostkonflikt" zu leugnen und die völkerrechtswidrigen politischen Positionen einer rechts-nationalistischen, chauvinistischen Regierung ihn Tel Aviv propagandistisch zu untertützen.

6. In der Heranziehung der Free Gaza-Flottille als Kronzeuge für die antisemitische Ausrichtung der internationalen Hilfe manifestiert sich die völlig einseitige Ausrichtung. Die Autoren wiederholen unkritisch israelische Regierungsverlautbarungen und führen als "Beleg" auch ausschließlich israelische Regierungsquellen an. Die ganze /Mavi Marmara/-Affäre passt aber wohl zu gut in die Konstruktion einer riesigen Verschwörungstheorie gegen Israel. Als ob es nie eine internationale Diskussion und auch anderslautende Berichte über die Vorfälle gegeben habe. - Die unsachliche und fachlich nicht korrekte Auseinandersetzung mit dem Wasserbericht von Amnesty ist ein weiteres Beispiel für die unlauteren Intentionen Ihrer Flugschrift. Auch da gibt es nun wirklich Literatur /en masse /über die Wassersituation in der Region, da ist auch einiges strittig und wird diskutiert. Aber Sie ignorieren diese international geführte Debatte souverän.

7. Den politischen Kontext der internationalen Hilfe haben die Autoren gar nicht begriffen. Der enorme Anstieg der internationalen Hilfe beruht ja auch auf der Überlegung, damit den Friedensprozess und einen palästinensischen Staatsaufbau zu unterstützen. Ob das gelungen ist, kann man gewiss in Frage stellen, doch warum ist es nicht der Erwähnung wert? Ist Ihnen nicht bekannt, dass Kürzungen dieser Hilfe insbesondere auch die israelische Regierung immer vehement entgegen tritt? Vielleicht dient das ganze Geld ja auch der Ruhigstellung der palästinensischen Bevölkerung, damit keine dritte Intifada angezettelt wird? Das wäre doch in Israels Interesse. Vielleicht dienen diese internationalen Zuwendungen auch der finanziellen Entlastung der israelischen Besatzungsmacht, der es mit den Oslovereinbarungen gelungen ist, einen großen Teil der mit der Besatzung verbundenen Lasten auf die internationale Gemeinschaft abzuwälzen? Also wäre eine ungeschmälerte Fortsetzung der "Hilfe für die Palästinenser" im Grunde eine "Hilfe für Israel" ... Mit Ihrem impliziten Ruf nach Einstellung der Hilfe für die Palästinenser (außer Katastrophenhilfe) schaden Sie also möglicherweise vor allem Israel. Vielleicht ist also Ihre ganze Polemik politisch kontraproduktiv? Diese Feinheiten nahöstlicher Politik entgehen Ihnen natürlich, weil Sie weder die politische Komplexität noch die Realität bereit sind wahrzunehmen und nur die Reduktion der Komplexität es Ihnen erlaubt, so verunglimpfende "Thesen" im Hinblick auf die internationale Hilfe in Palästina und die Palästinenser zu verbreiten.

Es gäbe noch vieles mehr anzumerken und richtig zu stellen, aber dies würde hier zu weit führen. Ich würde mich freuen, wenn Sie die "Thesen" Ihrer Autoren noch einmal kritisch überdenken und im Hinblick auf die geplante Veranstaltung mit Herrn Feuerherdt im Interesse einer breiten und kontroversen Diskussion die Einbeziehung auch abweichender Standpunkte erwägen.

Mit freundlichen Grüßen,
Christian Sterzing

Per E-Mail am 19. Januar 2014