Das Burkaverbot in Frankreich sollte auch anderswo gelten.

Das meinen Klaus Blees und Roland Röder. Auf Initiative des kommunistischen Abgeordneten André Gerin beschloss die französischen Nationalversammlung ein Verbot des Ganzköperschleiers, der Burka. Eine gute Idee finden Klaus Blees und Roland Röder.

undefinedIn der Jungle World vom 22.7.2010 ist dieser Artikel in Auszügen nachgedruckt worden.

Verfasser: Klaus Blees und Roland Röder.

Am 13. Juli 2010 beschloss die französische Nationalversammlung bei nur einer Gegenstimme, das Tragen der unter der Bezeichnung Burka bekannten Ganzkörperverhüllung muslimischer Frauen im gesamten öffentlichen Raum zu verbieten. Das Verbot schließt den Niqab, den Gesichtsschleier, ein. Enthalten hatten sich die meisten Abgeordneten der linken Parteien - Sozialisten, Kommunisten und Grüne, von denen allerdings 20 für das Verbot stimmten. Das Gesetz muss noch den Senat passieren und könnte im Frühjahr 2011 in Kraft treten.

Für Frauen, die dennoch die Burka tragen, sind Geldstrafen von 150 Euro und Kurse in Staatsbürgerkunde vorgesehen. Männer, die Frauen zur Verhüllung zwingen, sollen bis 30 000 Euro zahlen und müssen damit rechnen, bis zu einem Jahr in den Knast zu wandern. Ende April hatte bereits das belgische Abgeordnetenhaus als erstes europäisches Parlament für ein Burkaverbot gestimmt, das allerdings wegen der Neuwahlen erstmal hinfällig wurde. Spaniens konservative oppositionelle Volkspartei hat ebenfalls die Initiative für ein Verbot ergriffen. In mehreren anderen europäischen Ländern wird es diskutiert, auch in Deutschland, wo unter anderem der integrationspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Serkan Tören, dafür plädiert. "Die Burka ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde und ein Symbol der Abschottung gegen unsere Werte", sagte der in der Türkei geborene Tören, selber Moslem, laut B.Z. vom 15.7.10.

Ganz anders Amnesty International. Das französische Verbot verletze das Recht der Meinungs- und Religionsfreiheit der Frauen, die diese Kleidungsstücke als Ausdruck ihrer Identität und ihres Glaubens tragen, erklärte John Dalhuisen, internationaler Experte für Diskriminierung bei Amnesty. Wörtlich dasselbe hatte Dalhuisen schon nach dem belgischen Parlamentsbeschluss geäußert. Allerdings hat die Menschenrechtsorganisation einen eher unkonventionellen Begriff von Meinungsfreiheit. Als Gita Saghal, Mitarbeiterin im Londoner Internationalen Sekretariat von Amnesty International, den eigenen Verein wegen dessen Zusammenarbeit mit Islamisten kritisierte, wurde sie Anfang des Jahres gefeuert.

Die französische Amnesty-Sektion schrieb in der Woche vor dem Beschluss alle Abgeordneten an und drängte sie, gegen das Gesetz zu stimmen. Ebenso macht die französische „Bewegung gegen Rassismus und für Völkerfreundschaft“ (MRAP) Front dagegen.

In Deutschland sehen Politiker in multikultureller Eintracht über Parteigrenzen hinweg ein Burka-Verbot als Gefahr. Die SPD-Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz meint, so die B.Z., dadurch würden „islamfeindliche Emotionen geschürt“, für ihren Grünen-Kollegen Memet Kilic ist ein Verbot „mit den Menschenrechten“ nicht vereinbar und Stefan Müller von der CSU möchte den Moslems stattdessen „Anreize“ zur Integration geben.

In dieser Auseinandersetzung verschärft sich eine Frage, die schon der Streit um das Kopftuch im öffentlichen Dienst gestellt hat und die in Debatten über Moschee- und Minarettbau, Zwangsehen oder islamischen Religionsunterricht ebenso ihren Niederschlag findet: Stellt die Einschränkung und Behinderung religiös begründeter Praktiken in jedem Fall einen Angriff auf Bürgerrechte dar oder ist sie nicht in bestimmten Fällen zu deren Schutz, nicht zuletzt zum Schutz von Frauenrechten, gar geboten?

Wer unabhängig vom Kontext der jeweiligen Situation abstrakt Religions-, Meinungs- und Entscheidungsfreiheit einfordert, ignoriert, dass es Communities gibt, die ihren Mitgliedern von vorneherein diese Freiheiten nicht gewähren. In den vorherrschenden Strömungen des Islam ist ein Verlassen der Religion nicht erlaubt, es gilt das Prinzip der Zwangsmitgliedschaft. Selbstbestimmung ist für die Mitglieder streng gläubiger muslimischer Milieus überhaupt nicht vorgesehen, in diesen extrem patriarchalen Strukturen schon gar nicht für Frauen. Gesichtsschleier und Burka sind direkter Ausdruck dieses Dementis jeglicher Selbstbestimmung, das Frauen jede Teilhabe am öffentlichen Leben untersagt und sie nur vor die Tür lässt, wenn sie ein Gefängnis aus Stoff mit sich herumschleppen. Ausgerechnet dann von einem Angriff auf Menschenrechte zu sprechen, wenn die Freiheit der Patriarchen beschnitten werden soll, anderen Menschen die Freiheit vorzuenthalten, ist zynisch. Eine Bürgerrechtsbewegung, die diesen Namen verdient, hätte von staatlichen Institutionen vielmehr zu fordern, Frauen vor derartigen familiären Misshandlungen zu bewahren, was neben einem Verbot von Zwangsehen auch das der Burka einschließt.

Von dieser Notwendigkeit entbindet auch nicht die Gefahr fremdenfeindlicher Instrumentalisierung, die es im Blick zu behalten gilt, wie etwa die Forderung nach Einreiseverboten oder Verweigerung der Staatsbürgerschaft für Burka-Trägerinnen. Problematisch am französischen Gesetz ist sowieso, dass Sanktionen ebenfalls gegen die Burka-Trägerinnen selbst, also die Opfer, vorgesehen sind. Außerdem enthält das Gesetz ein Zugeständnis an die Kulturrelativisten: Nach Protesten von Amnesty International und Abgeordneten der Sozialistischen Partei ist nicht mehr ausdrücklich von Burka und Niqab die Rede, sondern allgemein von einem  "Verbot der Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit", was den skurrilen Zusatz erforderlich machte, Schutzmasken und Karnevalskleidung seien von dem Verbot ausgenommen.

Im wesentlichen, auch wenn es von der konservativen Regierungspartei UMP formuliert wurde, steht das Gesetz aber in der Tradition des französischen Laizismus und damit einer seit 1905 gesetzlich fixierten konsequenten Trennung von Staat und Religion, wie sie in Deutschland unbekannt ist. Diese Tradition kommt auch im 2005 erlassenen Verbot des Tragens deutlich sichtbarer religiöser Symbole an staatlichen Schulen zum Ausdruck. Ihren Ursprung hatte diese emanzipatorische Errungenschaft in der so genannten Dreyfus-Affäre am Ende des 19. Jahrhunderts, der antisemitisch motivierten Gefangenschaft des jüdischen französischen Hauptmanns Dreyfus wegen angeblicher Spionage für Deutschland. Nach dessen Rehabilitierung war die katholische Kirche aufgrund ihres den Boden dieser Vorfälle mit bereitenden Antijudaismus so sehr kompromittiert, dass das Klima reif war, ihren Einfluss einzudämmen.

Die ursprüngliche Initiative für das Burkaverbot ging ohnehin nicht von den Konservativen aus, sondern von André Gerin, einem Abgeordneten der kommunistischen Partei, der als ehemaliger Bürgermeister des Lyoner Vororts Vénissieux massiv mit dem Problem der Vollverschleierung konfrontiert war.

Zwar stellt die Burka weder in Frankreich noch in Deutschland oder den meisten anderen europäischen Ländern eine zahlenmäßig bedeutsame Erscheinung dar. Den betroffenen Frauen die Solidarität zu verweigern, weil sie nur wenige sind, wäre jedoch zutiefst menschenverachtend. Darüber hinaus kommt einer Ächtung der Burka eine grundlegende Bedeutung als Signal gegen falsche Toleranz zu. Denn in weniger einschneidenden Formen, vor allem als Kopftuchzwang, sind Frauen unterdrückende Kleiderordnungen sehr viel weiter verbreitet. Hier ein generelles Verbot zu fordern, wäre aber aus einer Reihe von Gründen fehl am Platz. Abgesehen davon, dass ein Kopftuch keinen so massiven Eingriff darstellt wie die Burka, ist es im Gegensatz zu dieser ein echtes Kleidungsstück, das nicht per se repressiven Charakter hat, sondern diesen erst in einem spezifischen Kontext bekommt. Ein Kopftuch kann dem Schutz vor Wind und Wetter dienen und es kann einen ästhetischen Modeartikel darstellen. Problematisch wird es, wenn es im islamischen Kontext zur angeblichen Pflicht für jede „gute Muslimin“ wird und dazu dient, Frauen zu Sexualobjekten zu stempeln, die nur durch Verbergen ihrer Haare vor den triebhaften Begierden der Männer geschützt werden können, worin sich ein extrem patriarchales Frauen- wie Männerbild offenbart.

Hinweise, viele Musliminnen würden das Kopftuch doch freiwillig tragen, reduzieren das Problem auf eine formale Ebene und vernachlässigen die indirekten, subtilen sozialen und verinnerlichten Zwänge, die dieser „Freiwilligkeit“ vorausgehen. Zwar wird das Kopftuch vom Koran nicht vorgeschrieben und sehr viele, auch strenggläubige, Musliminnen kommen ohne aus, von den für die 2009 veröffentlichte Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ befragten sogar die Mehrheit. Laut dieser im Auftrag der Deutschen Islam-Konferenz erstellten Studie gaben allerdings 92,3 % der befragten Kopftuchträgerinnen religiöse Pflicht als Grund an. Nur 7,3 % nannten überhaupt modische Gründe als zusätzlichen Faktor.

Auf Frauen wird zum Teil massiver Druck ausgeübt, „freiwillig“ ein Kopftuch anzuziehen, wie am 25. April dieses Jahres in der Stadthalle des CDU-geführten saarländischen Dillingen zu beobachten war. Dort predigten der zum Islam übergetretene deutsche Ex-Boxer Pierre Vogel und zwei weitere Konvertiten und redeten anwesenden Frauen muslimischer Herkunft, die kein Kopftuch trugen, immer wieder ins Gewissen, das zu ändern, wenn sie dazugehören wollten. „Das Kopftuch ist ein Gebot des Gottes im Islam“ ließ auch DITIB, der Ableger des türkischen Staatsislam in Deutschland, im Internet verlauten.

Um dem Kopftuch als Zwang und als religiösem Symbol zu begegnen, wäre sein Tragen in staatlich-öffentlichen Einrichtungen, insbesondere Schulen und Kindergärten, zu unterbinden. Die Schulgesetze von acht Bundesländern untersagen es Lehrerinnen inzwischen. Ein Verbot für Kinder steht allerdings noch aus. Der Druck etwa auf muslimische Mädchen, ein Kopftuch anzuziehen, könnte unterlaufen werden, wenn dem elterlichen Gebot ein institutionelles Verbot entgegenstünde und auch keine Kopftuch tragende Lehrerin oder Erzieherin als Vorbild hingestellt werden könnte. Der Wegfall dieser Zwänge würde es dem Mädchen erleichtern, frei und selbstbestimmt seinen Weg als Frau zu finden, statt dem religiös begründeten Diktat von Patriarchen zu folgen. 

Die Verfasser sind Mitarbeiter der „Aktion 3.Welt Saar“.  Der Artikel entstand im Rahmen des Projektes “Islamismus zurückdrängen – Menschenrechte wahren.” Dieses Projekt wurde aus Mitteln des Europäischen Flüchtlingsfonds kofinanziert. Der Artikel gibt die Meinung der Verfasser wieder. Die Kommission der EU zeichnet für die Verwendung der Information nicht verantwortlich.


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