Vortrag am 17.10. in Saarbrücken: „Irgendwas mit Hilfsbusiness - Warum Hilfe von NGOs schaden kann“
Audiomitschnitt der Veranstaltung
Grußwort vom Geschäftsführer der Aktion 3.Welt Saar, Roland Röder
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde und Freundinnen,
herzlich willkommen zur heutigen Veranstaltung
„Irgendwas mit Hilfsbusiness - Warum Hilfe von NGOs schaden kann“
Die Veranstaltung findet zum 40jährigen Jubiläum der Aktion 3.Welt Saar statt.
Eine Konstante in unserer Arbeit – und das seit 40 Jahren: Wir haben kein Projekt im globalen Süden. Ganz bewusst kein Projekt. Wir maßen uns nicht an, andere über 1000de Kilometer hinweg zu entwickeln. Wir bringen uns entwicklungspolitisch in diese Gesellschaft ein. Dazu haben wir ein – wenn man so will – Programmpotpurri aus 14 verschiedenen Themen entwickelt
Wir sind
- für Nachhaltigkeit - ohne diesen Begriff in einer Endlosschleife zu wiederholen
- fürr Land und Saatgut in Bauernhand – ohne einer Bauernhofidylle das Wort zu reden
- für Asyl und gegen Rassismus – ohne in Geflüchteten Heilige zu sehen
- egen Antisemitismus – ohne dabei den linken wie muslimischen auszuklammern
- gegen Islamismus – ohne ein Ja zur Multikulti-Toleranz oder zu rechtem Rassismus
- für Feminismus – ohne das Schweigen mancher Feministinnen zum Kopftuchzwang gut zu finden. Die Frauen im Iran geben aktuell eine deutliche Antwort.
- gegen die Datei Gewalttäter Sport – ohne alles von Fußballfans gut zu finden
Das mag sich so LaLa anhören und irgendwie normal oder gar selbstverständlich. Ist es aber nicht. Wir bezahlen dafür einen hohen Preis:
Es gibt Zuschüsse, die deswegen nicht fließen.
Es gibt Programme, aus denen wir deswegen rausfliegen.
Es gibt Menschen, die deswegen nicht Fördermitglied werden.
Thema des heutigen Abends ist „Hilfsbusiness“:
Anderen Menschen zu helfen ist nicht die schlechteste Eigenschaft. Es drückt zunächst einmal Empathie und Mitleid aus. Das sollte normal sein. NGOs helfen weltweit, bauen Straßen, Häuser und verteilen Lebensmittel. So haben sich in den letzten Jahrzehnten zahlreiche NGOs entwickelt, die Hilfe zu ihrer Kernkompetenz erklären – genauer gesagt zu ihrem Geschäft machen und noch genauer zu ihrem Geschäftsmodell erklären.
Das ist nicht weiter verwunderlich – in einer Marktwirtschaft bzw im Kapitalismus wird schlichtweg alles zur Ware. Da können auch Begriffe voller emotionaler Bilder nicht darüber hinwegtäuschen.
Die weltweite Hilfe ist längst zu einem Milliarden-Business geworden. Hilfsorganisationen, die im globalen Süden unterwegs sind, konkurrieren im globalen Norden um den gleichen Spendenkuchen. Schon allein aus Gründen des Selbsterhalts. Bekommt die eine Organisation mehr, bekommt die andere notgedrungen weniger. Die „Unterlegene“ wird im nächsten Schritt ordentlich investieren und kommunikativ und beim Story-Telling aufrüsten: mehr Kommunikationsexpert:innen einstellen, aufwendigere Videos produzieren, etc. Die Spirale ist endlos. Es geht immer noch schräger und noch emotionaler.
Bei dieser Kritik gehen sicherlich viele noch mit. Entscheidend ist aber die Struktur von Hilfe.
- Auch die Empfänger:innen von Hilfe haben persönliche wie politische Interessen.
- Und ein Aufenthalt im globalen Süden macht sich gut im eigenen Lebenslauf.
- Aber auch ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘-Projekte sind in das Korsett der Top-Down-Entwicklung eingebunden. ‚Wir‘ entwickeln ‚die anderen‘ und transportieren die eigene, unreflektierte Überlegenheit. Die ‚weißen‘ Männer und Frauen, die im Süden Projekte durchführen, verteilen das Geld. Gleichberechtigt ist dies nicht. Solange Menschen aus dem globalen Süden keine Hilfsprojekte „bei uns“ durchführen, degradieren wir andere zum Empfänger und Objekt unserer Entwicklungsphantasien.
- Letztlich geht es auch um die Frage, ob Elend nur verwaltet oder abgeschafft werden soll.
Ganz schön schwierig, den Überblick zu behalten zwischen gut gemeint und gut.
Sowohl der Referent des heutigen Abends, wie auch die Aktion 3.Welt Saar bewegen sich in diesem Spannungsfeld, ohne ‚die Wahrheit‘ zu wissen. Herzlich willkommen Thomas von der Osten-Sacken. Er ist aus Berlin angereist und arbeitet als Geschäftsführer bei der Hilfsorganisation Wadi e.V.. Die führen Projekte im Irak und mit Flüchtlingen in Griechenland und der Türkei durch. Beide Organisationen – Wadi und A3WS – arbeiten anders und haben doch ganz viel gemeinsam. Zum Beispiel meinen beide: Manchmal ist weniger „Hilfe“ mehr Entwicklung.
Gemeinsam ist beiden auch, dass sie sich die Hände schmutzig machen und sich dem alltäglichen Handgemenge mit seinen Fallstricken nicht verweigern.
Thomas von der Osten-Sacken hat uns zu unserem 40jährigen Jubiläum ein Grußwort geschrieben und darin dieses formuliert:
„Wer mag da schon gerne „heiße Eisen“ anfassen und das Kind beim Namen nennen in Zeiten, in denen sich längst auch eine Sprache entwickelt hat, dieser NGO-Jargon, die immer mehr verschleiert als benennt? Da macht es sich bemerkbar, wenn Organisationen wie Ihr, Themen ansprecht, die alles andere als leicht bekömmlich sind, und mit viel Information aufbereitet. Das waren in den letzten Jahren vor allem Auseinandersetzungen mit Islamismus und Antisemitismus, die anderswo so gerne entweder ausgeblendet oder weich gewaschen werden.
Und so kreuzten sich ja auch immer wieder unsere Wege, denn auch wir haben einen ähnlichen Anspruch.
Zum Geburtstag sende ich Euch deshalb einen Aphorismus aus der Minima Moralia von Theodor W. Adorno, der uns immer als ein Leitsatz gedient hat:
„Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“
Das Grußwort gereicht uns zur Ehre. Danke dafür.
Soweit die Beschreibung des heutigen Abends und was Sie erwartet.
Es gibt noch ein paar technische Hinweise, die aber auch nicht so ganz technisch sind:
- TN Liste, Newsletter
- Infostand: Kostenlos, gerne mehr mitnehmen zur Auslage
- für Ihr Ausharren bei diesem komplizierten Thema, werden Sie belohnt: Wir laden zu einem Umtrunk ein. Herzlich willkommen.
- die Veranstaltung wird unterstützt durch einen kleinen Sachkostenzuschuss des Kultusministeriums. Danke dafür.
Ein Hinweis in eigener Sache:
Wir sind leider aus dem bundesweiten Promotor:innen Programm rausgeworfen worden. Dadurch fehlen uns 35.000 € pro Jahr. Dieses Programm gibt es in jedem Bundesland und wird im Saarland im Auftrag des Kultusministeriums vom Netzwerk Entwicklungspolitik durchgeführt. Leider vergibt dieses Netzwerk die damit verbundenen 7 Stellen – wir hatten ½ - nach Gutsherrenart: Alle Stellen nach Saarbrücken, totale Ausgrenzung des ländlichen Raums. Wer aufmuckt, fliegt raus. Wir sind zu politisch, zu unbequem, zu unberechenbar. Den Konflikt haben wir auf unserer Webseite dokumentiert.
In Zahlen ausgedrückt: Das Saarl. Kultusministerium bezahlt 140.000 € Personalkosten, 40% das BMZ rund 200.000€, rund 60%. Der Konflikt ging auch nicht vom Kultusministerium aus. Aber das Ministerium lässt das Netzwerk Entwicklungspolitik machen, ohne weitere Einflussnahme. Hilfsbusiness auf saarländisch. Da wir ebenfalls ein (Landes-)Netzwerk sind, fordern wir Equal Pay.
Das bekommen wir aber nicht alleine hin – wir brauchen deine/ihre Unterstützung, um zumindest einen Teil der Ausfälle von 35.000€ zu kompensieren. Ich bitte Sie / Ich bitte dich Fördermitglied zu werden,
Dies aber verbunden mit einer „Warnung“:
Wer Heimat und Wahrheit sucht, sollte nicht Fördermitglied der A3WS werden. Wir sind nicht in einer Bubble unterwegs, sondern in hunderten. Wer es aushält, dass wir keine Wahrheit – außer unserer Liebe zum Leben – im Angebot haben, ist herzlich willkommen. Den Beitrag bestimmst du selbst.
Herzlich willkommen - Thomas von der Osten-Sacken.
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Es gilt das gesprochene Wort
„Irgendwas mit Hilfsbusiness - Warum Hilfe von NGOs schaden kann“
Vortrag mit: Thomas von der Osten-Sacken, Geschäftsführer Wadi e.V., Frankfurt
Einführung: Roland Röder, Aktion 3.Welt Saar e.V.
Montag, 17.Oktober 2022, 19.30 Uhr
Saarbrücken, Filmhaus, Mainzer Str. 8
Anschließend Umtrunk, Eintritt frei
Es ist normal zu helfen, Empathie und Mitleid zu zeigen. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) helfen weltweit, bauen Straßen, Häuser und verteilen Lebensmittel. Aber ist die Hilfe immer neutral, uneigennützig und nachhaltig? NGOs konkurrieren untereinander aus Gründen des Selbsterhalts um den gleichen Spendenkuchen. Hilfe ist ein Milliardenbusiness. Auch die Empfänger:innen von Hilfe haben persönliche wie politische Interessen. Und ein Aufenthalt im globalen Süden macht sich gut im eigenen Lebenslauf. Ganz schön schwierig, den Überblick zu behalten zwischen gut gemeint und gut.
Auch ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘-Projekte sind in das Korsett der Top-Down-Entwicklung eingebunden. ‚Wir‘ entwickeln ‚die anderen‘ und transportieren die eigene, unreflektierte Überlegenheit. Die ‚weißen‘ Männer und Frauen, die im Süden Projekte durchführen, verteilen das Geld. Gleichberechtigt ist dies nicht. Letztlich geht es um die Frage, ob Elend nur verwaltet oder abgeschafft werden soll. Solange Menschen aus dem globalen Süden keine Hilfsprojekte „bei uns“ durchführen, degradieren wir andere zum Empfänger und Objekt unserer Entwicklungsphantasien.
Sowohl der Referent wie auch die Aktion 3.Welt Saar bewegen sich in diesem Spannungsfeld, ohne ‚die Wahrheit‘ zu kennen. Während der Referent bei der Hilfsorganisation Wadi e.V. arbeitet, die Projekte im Irak und mit Flüchtlingen in Griechenland und der Türkei durchführt, betreibt die Aktion 3.Welt Saar seit 40 Jahren bewusst kein Projekt im Süden und versucht stattdessen, diese Gesellschaft zu entwickeln. Beide meinen: Manchmal ist weniger „Hilfe“ mehr Entwicklung.
Hier gibts den Flyer und das Plakat zum Download (PDF).
Lesetipp: Flugschrift der Aktion 3. Welt Saar "Vorsicht, die Helfer kommen - NGOs zwischen Hilfe und Hilfsbusiness - in Palästina und anderswo". Die Vierseitige Flugschrift gibt es kostenlos, auch in größerer Menge zur Auslage.
Veranstalterin
Gefördert von:
Es ist die 26. Veranstaltung im Rahmen der „Irgendwas mit…“ Reihe der Aktion 3.Welt Saar e.V..
Warum überhaupt die Reihe „Irgendwas mit ……“?
Wer Veranstaltungen organisiert, kennt das Problem: Man möchte einen Vortrag, Workshop, Event ... machen zu einem Thema X. Auf die klugscheißerische Frage “Und wie sollen wir das Teil denn nun nennen?” fällt einem nur ein: “Na ja, “Irgendwas mit XY” halt.” Genau so ging es uns. Und jetzt haben wir aus der Not eine Tugend gemacht und die “Irgendwas mit ....” Reihe aus der Taufe gehoben. Wir erlauben uns den Luxus, uns mit diesem leicht ironisierenden Unterton selbst etwas auf die Schippe zu nehmen. Das Publikum ist eingeladen, zu prüfen ob es gelingt, die goldene Mitte zwischen ernst & völlig abgedreht zu finden.
26. April 2015, “Irgendwas mit Politik – Warum Runde Tische nix taugen und online-Petitionen für die Katz sind”, mit Elke Wittich
5. Oktober 2015 „Irgendwas mit Afrika – Afrikanische Visionäre im Portrait“ mit Dr. Moustapha Diallo
3.Juni 2016: Irgendwas mit Entwicklungshilfe - Film "Süßes Gift" Diskussion mit Regisseur Peter Heller
19. September 2016: Irgendwas mit Frauen & Autos -Film "Ayanda" Diskussion mit Regisseurin Sara Blecher, Südafrika
15. März 2017: Irgendwas mit Fairem Handel-Ist eine bessere Welt käuflich?