"Ein Ehrbegriff, der Mörder schafft"

Artikel aus der Saarbrücker Zeitung vom 19. November 2010 zum Vortrag "Zwangsheirat & Ehrenmorde - Abschied von der falschen Toleranz"

Zwei Kurdinnen berichten von Zwangsheiraten, Steinigungen und Ehrenmorden

Grausame Taten geschehen in Deutschland täglich im Namen einer so genannten Familienehre: Zwei kurdische Frauen berichteten jetzt bei einer Veranstaltung der "Aktion 3. Welt Saar" und der Kurdischen Gemeinde Saar.

Von SZ-Redakteur Dietmar Klostermann

Saarbrücken. Es ist still im voll besetzten Saal des Saarbrücker Filmhauses, als die 45-jährige Kurdin Fatma Bläser ihr Schicksal erzählt. "Als Achtjährige musste ich in meinem Dorf in Ost-Anatolien mit ansehen, wie eine schwangere unverheiratete Frau zu Tode gesteinigt wurde", sagt Bläser, die in Nordrhein-Westfalen jedes Jahr hunderte Menschen berät, die von den Auswüchsen eines altertümlichen Begriffs von Familienehre betroffen sind. Mit Morden im Namen der Familienehre an eigenen Kindern und Geschwistern oder Zwangsehen beschäftigt sich Buchautorin Bläser ("Hennamond") täglich und versucht den Betroffenen zu helfen. "Meine Eltern sind zum Arbeiten nach Deutschland, mein Onkel hat mich und meinen Bruder wie Vieh gepeitscht, bis die Haut in Fetzen hing", sagt Bläser mit fester Stimme. Ein 20-jähriger Cousin will die achtjährige Fatma vergewaltigen, ihr zwölfjähriger Bruder kann es verhindern. Schuld daran wäre nach vorherrschender Meinung das kleine Mädchen gewesen. "Es geht um Ehre, Ehre, Ehre", betont Bläser. Als sie von den Eltern nach Deutschland geholt wird, ist der Vater zum Tyrannen mutiert. Wenn sie ohne Kopftuch auf die Straße geht, wird sie von jungen Türken, die der Islam-Vereinigung Milli Görüs angehören, schwer misshandelt, der Vater prügelt Fatma zu Hause, so dass sie öfters in Krankenhäusern landet, auch mit Nierenblutungen. Mit 17 Jahren wird sie nach Istanbul gelockt, dort in einem Hotelzimmer einem fremden Mann vorgestellt, der ihr auf die Stirn küsst und zehn Minuten lang ihre ehelichen Pflichten aufzählt.

Und droht, dass er sie umbringt, wenn sie diesen Pflichten nicht nachkommt. Dann erscheint ein Imam und verheiratet die beiden. "Der feuchte Kuss war so ekelerregend, ich habe mir immer wieder die Stirn gewaschen, die danach blutete", sagt Bläser. In Deutschland gibt ihr Vater ein Hochzeitsfest mit 1000 Gästen - "nur um der türkischen Gemeinschaft zu zeigen, wie toll er ist". Sie verzweifelt, will sich das Leben mit Tabletten nehmen, wacht auf einer Intensivstation auf. Vater und Onkel stehen am Bett und spucken auf sie. "Seitdem hat sich nichts geändert, die Gewalt ist allgegenwärtig", so Bläser.

Auch die Saarbrücker Erzieherin Rüken Tosun-Käfer setzt sich für Betroffene ein. Es gehe nicht darum, ein schlechtes Bild von Ausländern zu zeichnen. "Wir müssen anprangern, wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht", so die junge Frau. Immerhin glimmt Hoffnung, dass ein Dialog Veränderungen bewirkt. Roland Röder (Aktion 3. Welt) lobt den Mut Yusuf Gectans von der Kurdischen Gemeinde Saar, den Abend mit zu tragen. Gectan sagt, es gelte, die Frauen aus archaischen Strukturen zu befreien. "Wir bieten den Frauen unseren Schutz an", verspricht er. 

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