„Europa braucht ein unterentwickeltes Afrika, um sich selbst als entwickelt zu sehen.“

„Afrika – im Blick der Fotografen“

Eine Fotoausstellung im Weltkulturerbe Völklinger Hütte (5.4.-1.11.2020) – kritisch betrachtet

 

 

© Foto: Weltkulturerbe Völklinger Hütte

 

Sie enthält viel Richtiges, die Fotos sind von afrikanischen Fotografen und sie reduziert Afrika nicht wie üblich auf Krieg und Terror. Aber sie geht auch an vielen Stellen nicht über den europäischen Blick auf Afrika und seine 55 Länder hinaus. War es früher die Entwicklungshilfe für die armen Schlucker „da unten“ so haben diese sich heute zu veritablen Kreativen entwickelt, die „uns“ bereichern können – so meint es jedenfalls Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Eine Kritik an dieser Wiederholung der Kosten-Nutzen Wahrnehmung des afrikanischen Kontinents fehlt in der Ausstellung. Es hätte nur eine ökonomische Kritik sein können, die sich jedoch mit dem kulturellen Umfeld beißt. So wirken Ausstellung und Grußwort wie ein Ausdruck der heutigen neoliberalen Form von Weltoffenheit, die gern Diskriminierung auf kultureller und diskursiver Ebene kritisiert, aber sozio-ökonomische Umstände und Verhältnisse, die ebenso oder noch wirkmächtiger sind, nicht benennt oder in den Blick nimmt, sondern als gegeben, normal und unproblematisch voraussetzt.

 

Trotzdem, wenn man sich nicht einlullen lässt, ist ein Besuch – analog wie digital – empfehlenswert.

 

Ein Interview mit Daniel Fleisch von der Aktion 3.Welt Saar e.V. der sich die Ausstellung digital angeschaut hat.

 

 

Worum geht es in der Ausstellung, welchen Anspruch hat sie?

Der Einleitungstext kritisiert eine „westlich geprägte Sichtweise, die den schwarzen Kontinent mit allerlei Klischees tag- und alptraumhaft beladen.“ (sic) Dem stellt die Ausstellung Bilder von neun afrikanischen Fotografen entgegen, die „das Selbstbewusstsein und Lebensgefühl der Menschen in ihrer Heimat“ präsentieren. Ziel ist es, „Afrika neu zu denken“ und einen „spannenden Dialog der Kulturen“ zu entwickeln. So weit so gut – von ein paar weniger spannenden Floskeln wie „schwarzer Kontinent“ oder „Dialog der Kulturen“ abgesehen, werben die Verantwortlichen also für einen differenzierten Blick.

 

 

 

Die Ausstellung wendet sich also gegen die klassischen Stereotype wie Kriege, Konflikte, Elend. Aber handelt es sich nur um schöne Worte oder erhebt sie Anspruch auf politische Veränderungen?

Dass das Ganze auch einen politischen Kontext hat, wird auf einer Unterseite zur „UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft“ thematisiert: Es geht darum, „die Anerkennung, Rechte und Entwicklung von Menschen afrikanischer Abstammung zu fördern und rassistische Diskriminierung und Rassismus zu bekämpfen. Dies beinhaltet nicht nur eine andere Sicht auf die Menschen des afrikanischen Kontinents. Sondern es gilt, […] Position zu beziehen gegen den Alltagsrassismus, mit dem sich Menschen afrikanischer Abstammung in den Industrienationen tagtäglich noch immer konfrontiert sehen.“

 

Insgesamt also eine löbliche Absicht, die bis dahin durchaus mit der Kritik in unserer Flugschrift „Afrika ist schwarz. Wirklich?“ übereinstimmt. Aber wie viel bewirkt das? Wenn diese Bemühungen erfolgreich sind, führen sie halt bloß dazu, dass Menschen diskriminierungsfrei und chancengleich am Wettbewerb um miese Jobs und überteuerte Wohnungen teilnehmen können.

 

Ist diese Integration in den marktwirtschaftlichen Alltag im Norden Absicht oder Zufall?

Für die Existenz dieser Zustände kann die Ausstellung natürlich nichts – das will ich den Verantwortlichen also nicht ankreiden. Sie thematisieren sie aber auch nicht. Und genau das passt halt zur heutigen neoliberalen Form von Weltoffenheit, die gern Diskriminierung auf kultureller und diskursiver Ebene kritisiert, aber sozio-ökonomische Umstände und Verhältnisse, die ebenso oder noch wirkmächtiger sind, nicht benennt oder in den Blick nimmt, sondern als gegeben, normal und unproblematisch voraussetzt.

 

 

 

© Foto: Weltkulturerbe Völklinger Hütte

 

 

Das klingt ja recht eigennützig. Diskriminierung von AfrikanerInnen wird bekämpft, damit der Rubel, besser gesagt der Euro und der Dollar, besser rollen?

Unter dem Einleitungstext der Ausstellung ist ein Grußwort des Schirmherren Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, verlinkt, der auf den politisch-ökonomischen Kontext etwas ausführlicher eingeht. Dieses „Statement“ zeigt die Kehrseite der Medaille, weil es einerseits ebenfalls das bisherige einseitige Afrikabild kritisiert, aber gleichzeitig sich rauskristallisiert, dass das ja letztlich auch „unseren“ Interessen entspricht.

 

Der erste Absatz bringt einen guten Vorgeschmack: „Afrika aus der Sicht afrikanischer Fotografen – das ist eine ebenso spannende wie notwendige Perspektive! Denn es gibt kaum einen Kontinent, dessen Wahrnehmung so stark von Stereotypen geprägt ist, wie Afrika. Krisen, Kriege und Konflikte – das ist das übliche Bild aus den Nachrichten. Dabei bietet der Kontinent sehr viel mehr: enormes kreatives Talent, großen Erfindungsreichtum und starken Unternehmergeist.“

 

Dagegen ist doch nichts einzuwenden?

Stimmt. Aber um die Worte des Ministers also vom Kopf auf die Füße zu stellen: Talent, Erfindungsreichtum, Unternehmergeist – ebenso spannend wie notwendig. Das ist jetzt natürlich ein wenig schelmisch zugespitzt von mir, aber im wesentlichen, das was er im weiteren Text selbst ausführt:

„Die Ausstellung "Afrika - Im Blick der Fotografen" spiegelt gesellschaftliche relevante Themen […] aus jeweils lokaler, individuell-künstlerischer Perspektive. Dabei ist der „Blick der Fotografen“ weit mehr als eine rein künstlerische Auseinandersetzung, denn er zeigt klar – und das ist auch meine Überzeugung: Afrika ist ein Chancenkontinent mit zahlreichen Erfolgsgeschichten, die erzählt werden wollen.“ Ein paar Beispiele werden aufgezählt, bevor der Minister noch deutlicher wird: „Immer wieder sind es gerade junge Kreative, die neue Lösungen für die Herausforderungen auf unserem Nachbarkontinent finden – und daraus erfolgreiche Geschäftsmodelle entwickeln. Kreativität ist ein Wirtschaftsfaktor, sie schafft Jobs und Einkommen! Deshalb fördert auch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit diesen Zukunftsmarkt.“

 

Eigentlich ist das doch eine ehrliche Aussage zu den Hintergründen der deutschen Entwicklungspolitik. Stört Dich etwas daran?

Es liegt natürlich auf der Hand, dass das zu den Aufgaben eines Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit gehört, das kann man ihm also nicht so richtig vorwerfen. Das Grußwort schließt dann u.a. mit dem Wunsch, „das Verständnis dieses Chancenkontinents zu stärken.“

Was der Minister aber nicht klar ausspricht, ist, ob diese Förderung auf Augenhöhe geschieht und ob die deutsche Wirtschaft letztlich mehr davon profitieren könnte als die „jungen Kreativen“ in Afrika. Die Förderung soll z.B. bei ihnen zu Hause stattfinden, das impliziert auch: man will die jungen Leute nicht hierher lassen, solange sie noch nicht kreativ, ausgebildet und vielversprechend sind. Denn dann würde man sie wohl eher als Wirtschaftsflüchtlinge und Störung empfinden, nicht als vielversprechende Talente. Aber sobald sie uns dann ‚nutzen und nicht ausnutzen…‘sind sie willkommen.

 

Das klingt stark nach der Greencard für indische IT-Experten, der Schröder/Fischer Regierung in den 2000er Jahren?

Es erinnert durchaus daran, auch wenn die SPD und die Grünen hier nicht auftauchen. Aber dieses Motiv gilt parteiübergreifend. AfrikanerInnen sind willkommen, wenn sie „uns“ nutzen. Böse Zungen könnten also sagen, das Afrikabild hat sich um 180° gedreht: Von den Unterentwickelten, denen wir helfen müssen, damit sie sauberes Wasser kriegen und lesen lernen, zu den vielversprechenden Talenten, denen wir helfen müssen, damit sie ihre Apps programmieren und Start-Ups gründen können.

 

Was war für Dich neu an der Ausstellung oder was hast Du nicht erwartet?

Neu und damit interessant war für mich besonders, dass sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung so für „junge Kreative – darunter auch Museumsexperten und Kulturmanager“ in Afrika engagiert. Sind das wirklich Berufsfelder in denen Nachwuchs- oder Fachkräftemangel herrscht? Sind die Arbeitsbedingungen in diesen Feldern in Afrika weniger prekär als in Europa? Das erinnert mich an eine Anekdote eines Kollegen, der eine Ausstellung über Piraterie betreute: Ein Besucher, Kapitän der Bundesmarine, beklagte sich ihm gegenüber, dass die somalischen Piraten bloß zu faul oder unfähig seien, um richtig zu arbeiten. Mein Bekannter fragte sich, welche Jobs sie denn stattdessen finden könnten – Programmierer, Yogalehrer, Start-Up-Gründer … ? Diese rhetorische Frage war also wohl gar nicht so weit hergeholt.

 

Wird der Mythos von „unseren“ Interessen in der Ausstellung offen angesprochen und aufzulösen versucht?

Nein.

 

Wird eigentlich in der Ausstellung darauf eingegangen, dass kein afrikanisches Land ein Ministerium zur Entwicklung von Europa hat, wie umgekehrt fast jedes Land der EU?

Nein, das ist mir nicht aufgefallen. So weit geht die Ausstellung nicht.

 

War der virtuelle Gang durch die Ausstellung anstrengend oder gut zu meistern?

Für mich war es vor allem eine willkommene Abwechslung von meiner aktuellen wissenschaftlichen Arbeit. Die Ausstellung an sich ist durchaus sehenswert, was vorläufig durch einen 3D-Rundgang ermöglicht wird. Das erlaubt, nicht nur die Fotos auf dem Bildschirm anzusehen, sondern auch einen Eindruck des Settings in der ehemaligen Fabrikhalle zu erlangen. Kein vollwertiger Ersatz für den Besuch vor Ort, aber technisch immerhin gut gelöst. Und eine wirklich "spannende" Ironie des Schicksals, dass Corona solche kreativen Notlösungen erfordert und fördert - weil der Entwicklungsminister nämlich ganz Explizit „junge Kreative – darunter auch Museumsexperten und Kulturmanager“ in Afrika fördern will. Dies muss also eine List des Hegelschen Weltgeistes sein.

 

Dann hat Dir Afrika also gutgetan und BMZ Minister Müller hat sich mit Hegel weitergebildet? Das wäre eine umgekehrte Entwicklungshilfe sowie eine win-win Situation für Dich und für Deutschland?

(Lacht).

 

 

 

Zum Autor:

Daniel Fleisch lebt in Frankfurt, ist Politikwissenschaftler und Historiker, promoviert zur Zeit zu frühneuzeitlichen Stadtchroniken und hat als Mitglied der Aktion 3.Welt Saar e.V. unter anderem in der Redaktion von deren vierseitiger Flugschrift „Afrika ist schwarz. Wirklich? AfrikaBilder in Kinderbüchern – eine kritische Reflexion“ mitgewirkt. Sie erschien 2014 im Zeitungsformat in einer Auflage von 110.000 Exemplaren und lag unter anderem der bundesweiten Ausgabe der taz.die tageszeitung, der Jungle World und verschiedenen Fachzeitschriften bei. Zum gleichen Thema bietet die Aktion 3.Welt Saar e.V. einen Vortrag an. Die Flugschrift kann auch zugesandt werden

 

 

Mehr Informationen und einen virtuellen Rundgang gibt es unter: https://www.voelklinger-huette-afrika.org/


Das könnte Sie ebenfalls interessieren

Vortrag in Oldenburg am 14.06,2023 mit Roland Röder (Aktion 3. Welt Saar e. V.)

Weiterlesen

am 15.06.2023 mit Getrud Selzer (Aktion 3. Welt Saar e. V.)

Weiterlesen

Es berichten die Zeitungen der GEW sowie der saarländischen Arbeitkammer

 

Weiterlesen