"Faire Milchpreise - Warum die nicht nur unsere Milchbauern betreffen"

Beitrag über ERNA goes fair in der Zeitung 'torfkurier', Mai 2013

 

Faire Milchpreise: Warum die nicht nur unsere Milchbauern betreffen.

von Nicolas Schulz

Brüssel: Wütende Bauern, die ihre Milch verschütten. Brennende Heuballen. Hupende Traktor-Kolonnen. Europas Milchbauern protestieren wieder einmal für höhere Milchpreise. Worum geht es den Bauern? Ist ihr Protest berechtigt? Warum ist der Milchpreis so niedrig? Was sind die sozialen, was die ökologischen Folgen?

Entwicklungsland Deutschland?

Roland Röder ist Geschäftsführer von Aktion 3. Welt Saar (A3WS), einer allgemeinpolitischen Organisation mit Sitz im Saarland und bundesweitem Anspruch. Allgemeinpolitisch heißt: Sie engagiert sich auf einem breiten Feld sozialer und ökologischer Fragestellungen für mehr Gerechtigkeit. Wobei sie bewusst auf eigene Projekte in der dritten Welt verzichtet: "Unser Entwicklungsland heißt Deutschland." Auch in ihrem agrarpolitischen Engagement findet sich dieser Ansatz wieder: Röder vergleicht die Lage der deutschen Milchbauern mit der der Rohstofflieferanten in den Entwicklungsländern. Hier wie dort profitiere nur die verarbeitende Industrie von immer niedrigeren Preisen. Europäische Milch soll als neuer Exportschlager auf den Weltmarkt gepresst werden. Die Großmolkereien betreiben Lobbypolitik in Brüssel, die Quoten für die Milchproduktion dafür immer weiter hochzufahren. Die Bauern haben nichts davon – im Gegenteil: sie bekommen immer weniger für ihre Milch. Und müssen immer mehr produzieren, um genug zum Leben zu verdienen, was den Preis noch weiter senkt. Wenn sie nicht gleich ganz aufgeben: "'Wachse oder weiche' ist Grundsatz der herrschenden Agrarpolitik", so Röder. Die Auswirkungen sind global: Als Kraftfutter für europäische Turbokühe wird in Südamerika Soja angebaut, für den große Flächen – unter anderem Regenwald – gerodet und Kleinbauern gewaltsam vertrieben werden. Die Billig-Milch aus Europa zwingt Bauern in Afrika zur Aufgabe. "Die deutschen Kühe weiden in Paraguay und scheißen auf die Bauern im Senegal", drückt Röder es drastisch aus.

Neue Bündnisse

Lange hatten die Milchbauern in Deutschland niemanden, der sich für ihre Interessen einsetzt. Doch dann spaltete sich der ‚Bundesverband Deutscher Milchviehhalter‘ (BDM) aus dem Deutschen Bauernverband ab und organisiert seitdem spektakuläre Aktionen. 43 Cent sollte für den Liter Milch an die Bauern gehen, fordert der BDM. Dafür geht er auch ganz neue Bündnisse ein: für die Aktion "ERNA goes fair" arbeiten die eher konservativen Bauern des BDM nicht nur mit der A3WS, sondern auch mit dem Naturschutzbund (NABU) und dem DGB zusammen. "Das ist schon für beide Seiten erst mal ein kultureller Schock", so Röder, "doch die ideologischen Mauern schmelzen allmählich."

Nur noch industrielle Landwirtschaft?

Gerhard Dehlwes kann im Milchpreisstreit beide Positionen verstehen: Der Biobauer aus Lilienthal hält selbst 200 Milchkühe. Zugleich betreibt er eine eigene Molkerei. "Bei den Molkereien sind auch die Kosten explodiert wegen der Energiepreise. Andererseits wird für die Bauern das Kraftfutter immer teurer, weil das jetzt auch die Chinesen kaufen." Aber starr den Milchpreis auf 40 Cent festzulegen, hält er für die falsche Lösung: "Das wäre Planwirtschaft. Dann haben wir bald wieder Milchseen und Butterberge." Allerdings will auch der BDM nicht zurück zum Subventionssystem früherer Jahre. Durch eine Reduktion der Milchmenge soll sich der Preis über den Markt stabilisieren. Dazu sollten sich die Bauern zu Milch-Erzeuger-Gemeinschaften zusammenschließen und gemeinsam mit den Molkereien verhandeln, ähnlich Gewerkschaften. Eine Option wäre auch eine 'flexible Mengensteuerung', wie sie in Kanada gut funktioniert: Bauern, Handel und Verbraucher entscheiden gemeinsam über eine Drosselung der Milchmenge. Wird die Entwicklung nicht gebremst, gibt es bald nur noch Agrarfabriken. Schlecht für Umwelt, Tierschutz und den Erhalt der Kulturlandschaft. "Wer regionale Bio-Milch kauft, investiert auch in Nachhaltigkeit und die eigene Region", sagt Dehlwes. Er unterstützt den neuen Umweltminister Niedersachsens darin, Subventionen umzusteuern für den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft. Röder: "Darum geht es: Welche Landwirtschaft wollen wir?"

Torftipp: Ruhig ein paar Cent mehr ausgeben für regionale Milch. Am besten Bio.

Aus: <link www.torfkurier.de _blank external-link-new-window>

Opens external link in new windowTorfkurier</link>, Mai 2013