Lager schließen, Lebensmittelpakete abschaffen

Positionspapier zum Flüchtlingslager Lebach/Saarland.

Gemeinsames Positionspapier des Saarländischen Flüchtlingsrates (SFR), der Aktion 3.Welt Saar (A3WS) und des Deutsch-Ausländischen Jugendclubs Saarbrücken (DAJC) zur Anhörung über die Situation im Lager Lebach am 27. Mai im Saarländischen Landtag.

Der Saarländische Flüchtlingsrat, die Aktion 3.Welt Saar und der Deutsch-Ausländische Jugendclub Saarbrücken begrüßen die nun stattfindende Anhörung im Saarländischen Landtag als eine große Möglichkeit, um zu einer qualitativen Verbesserung der Unterbringungs- und Versorgungssituation von Asylsuchenden und Flüchtlingen im Saarland zu kommen.  Gleichzeitig möchten wir an dieser Stelle noch einmal die Entscheidung des Innenausschusses kritisieren, zu dieser Anhörung keine betroffenen Flüchtlinge zu laden. Wie der Saarländische Flüchtlingsrat schon in seinem Offenen Brief (27.04.2010) an alle Mitglieder des Innenausschusses geschrieben hat, bedeutet der Ausschluss der Betroffenen, dass zwar über die Flüchtlinge und ihre Lebensbedingungen gesprochen wird, aber nicht mit ihnen. Für einen wirklichen Neuanfang in der saarländischen Flüchtlingspolitik wäre hier der Dialog mit den Flüchtlingen eine wichtige Voraussetzung gewesen. Politik lebt nun mal von der Teilhabe und der Beteiligung Betroffener und legitimiert sich dadurch. Um so bedauerlicher ist es, dass jetzt Flüchtlinge aus dem Lager Lebach von dieser Anhörung ausgegrenzt werden. Der Dialog mit Flüchtlingen, wie er in positiver Weise am 4. März 2010 von Mitgliedern des Innenausschusses beim Besuch des Lagers Lebach begonnen wurde, muss fortgesetzt werden.

1. Warum gibt es überhaupt Flüchtlingslager?

Damit wären wir auch schon beim ersten und alles entscheidenden Punkt. Denn für uns ist der gesellschaftliche und staatliche Umgang mit Flüchtlingen ein Gradmesser für die Einhaltung der Menschenrechte. Oder anders herum gesagt: Es geht um die Frage, ob Flüchtlinge willkommen sind, wenn sie in einem der reichsten Länder der Erde Schutz und Lebensperspektive suchen – oder werden sie als „lästiges Übel“, „potenzielle Kriminelle“ oder sogar als „Sicherheitsrisiko“ betrachtet. Je nach Sichtweise und Standpunkt wird dann auch der Aufenthalt gestaltet werden.

Erinnern Sie sich noch? Als 1993 das Asylbewerberleistungsgesetz eingeführt wurde, fand das vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Debatte statt, die stark ausländerfeindliche und rassistische Züge trug. An der Tagesordnung waren Parolen wie „das Boot ist voll“ und der „Missbrauch des Asylrechts“ müsse beendet werden. Parallel zu dieser Stimmungsmache setzte die Politik auf Abschreckung und beschloss die Unterbringung der Flüchtlinge in Lager. Bis heute geht es dabei im gesellschaftlichen Diskurs viel um „Kriminalität“ und „illegale Einwanderung“ und entsprechende Gegenmaßnahmen wie Abschottung und Abschreckung bis über die Grenzen der Europäischen Union hinaus, die im Innern dann durch Kasernierung in Lagern und Abschiebegefängnissen sowie Abschiebungen fortgesetzt wird.

Unser Anliegen ist es, daraufhin zu wirken, dass in allen Parteien, aber auch in der Bevölkerung mit diesem Denken und diesen Ressentiments endlich Schluss gemacht wird. Dass wir eine Flüchtlingspolitik bekommen, deren Grundlagen Selbstbestimmung und Menschenwürde sind. Flüchtlingspolitik darf keine Frage der Sicherheitspolitik sein. Flüchtlinge sollen im Saarland willkommen sein und dementsprechend soll auch ihre Aufnahme gestaltet werden. 

Wir hoffen, dass die Anhörung am 27. Mai darin über alle Parteigrenzen hinweg einen Neuanfang setzen kann. Die dauerhafte Unterbringung von Menschen in Lagern wird in Deutschland einmal genauso geschichtlich überholt sein, wie die Prügelstrafe an Schulen oder die strafrechtliche Verfolgung Homosexueller. Das Saarland sollte also an diesem Punkt mit gutem Beispiel vorangehen und durch die Abschaffung des Lagers Lebach und der Lebensmittelpakete ein deutliches Zeichen für eine humane Flüchtlingspolitik setzen.

2. Die Situation im Lager Lebach

Alle Gespräche mit Flüchtlingen vor Ort haben uns darin bestätigt: Die Situation im Lager Lebach ist nicht mehr länger hinnehmbar. Viele hat der teilweise sehr lange Aufenthalt chronisch krank gemacht. Für die meisten Bewohnerinnen und Bewohner ist das Schlimmste, dass ihr Leben keine wirkliche Perspektive hat. Dieser Zustand muss im Interesse der Menschen verändert werden. Es ist Zeit für einen deutlichen Einschnitt, der mehr sein muss, als die kosmetischen Verbesserungen der Vergangenheit, wie der Bau eines neuen Gemeinschaftsbades auf dem Gelände der Landesunterkunft.
Hier noch einmal unsere Kritikpunkte im Einzelnen:

2.1 Unterbringung

Das Leben im Lager Lebach vollzieht sich nach wie vor auf engstem Raum. Gekocht wird teilweise noch in Gemeinschaftsküchen, die für mehrere Personen  vorgesehen sind. Geduscht wird zu bestimmten Öffnungszeiten in einem zentralen Bad. Waschmaschinen gibt es in gesonderten Räumen. Wer sie nutzen will, braucht eine Terminkarte. Es sind keine längeren Waschgänge erlaubt und keine Vorwäsche, so dass Kinderkleidung oder auch Sportkleidung oft nicht sauber wird.   

Wo das Leben so organisiert ist, sind Konflikte vorprogrammiert. In Lebach gibt es keine Privatsphäre. Die Hausmeister können jederzeit tagsüber die Wohnungen ohne Ankündigung betreten. Es sind regelrechte Kontrollgänge: Wer hält sich unerlaubterweise in der Wohnung auf? Oder gibt es dort unerlaubte Gegenstände wie eine Friteuse oder ein Aquarium? Es gibt auch Kontrollen, wenn niemand in der Wohnung ist. Es wird sogar kontrolliert, wenn die Bewohner im Bett liegen. Verstöße gegen die Ordnung werden übrigens immer mit Sanktionen geahndet. Zum Beispiel: Einen Tag darf man keine Wäsche waschen. Häufig wird den Flüchtlingen das „Taschengeld“ gestrichen, d.h. sie erhalten keinen Cent.

2.2 Gegessen wird, was vom Amt kommt

Das 1993 eingeführte Asylbewerberleistungsgesetz ist ein Sondergesetz, das den Lebensunterhalt von Asylsuchenden und Flüchtlingen regelt. Eine Konsequenz dieses Gesetzes ist, dass in Lebach die Flüchtlinge zweimal die Woche für Lebensmittel- und Hygienepakete anstehen müssen. Dabei handelt es sich keineswegs um eine vorübergehende, sozusagen zeitlich befristete Maßnahme. Alle sind davon betroffen, neuankommende Asylsuchende genauso wie die große Zahl der Geduldeten, die seit Jahren nichts anderes kennen als die Versorgung aus Lebensmittelpaketen.
Die diskriminierende Sachleistungsversorgung ist ein Beispiel dafür, wie Asylpolitik hierzulande gegen die Bedürfnisse der Menschen vollstreckt wird. Sogar um den Preis, dass Verwaltungsaufwand und Transport der Lebensmittelpakete mit hohen Mehrkosten verbunden sind.

Nebenbei bemerkt: Allein schon wegen der hohen Kosten zahlen in Deutschland viele Kommunen die Leistungen in Bargeld aus. So werden in Hamburg, Bremen, Berlin, Hessen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern flächendeckend Geldleistungen gewährt.
Die Gängelung der Menschen in Lebach durch Sachleistungen muss endlich ein Ende haben. Stattdessen fordern wir die Umstellung auf Geldleistungen für alle Flüchtlinge.

2.3 Medizinische Situation – die beste Gesundheitsvorsorge wäre die Schließung des Lagers Lebach

Tatsache ist: Flüchtlinge kommen oft aus Ländern mit schlechter Gesundheitsversorgung. Manche von ihnen sind traumatisiert, sei es durch die Ursachen ihrer Flucht oder durch Umstände und Ereignisse während ihrer Flucht. Und dann kommen sie in ein deutsches Flüchtlingslager. Das Leben dort auf engstem Raum, der Ausschluss vom Arbeitsmarkt, die Versorgung durch Lebensmittelpakete, die Angst abgeschoben zu werden usw., das alles beeinträchtigt ganz erheblich ihre Gesundheit.

Gleichzeitig ist der Zugang zum Gesundheitswesen - auch das eine Konsequenz aus dem Asylbewerberleistungsgesetz – eingeschränkt und es kommt immer wieder zur Nichtbehandlung von Krankheiten. Denn die Flüchtlinge bekommen nur dann ärztliche Leistungen bezahlt, wenn dies der Linderung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände dient. Wer zum Beispiel unter einer chronischen Krankheit leidet, hat, so zynisch muss man es sagen, Pech gehabt. 

Darüber hinaus werden die von den Ärzten verordneten Maßnahmen durch die Leistungsabteilung der Lagerverwaltung auf ihre Notwendigkeit hin überprüft. Das kann so weit gehen, dass das Gesundheitsamt eingeschaltet wird und nach Aktenlage entscheidet, ob eine medizinische Maßnahme finanziert wird oder nicht.  
Saarländischer Flüchtlingsrat, Aktion 3.Welt Saar und Deutsch-Ausländischer Jugendclub orientieren sich an der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wonach Gesundheit  nicht nur die bloße Abwesenheit von Krankheiten, sondern ein Zustand körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens ist.  
Es ist uns bewusst, dass die prekäre gesundheitliche Situation unmittelbar eine Konsequenz aus dem Asylbewerberleistungsgesetz ist. Deswegen appellieren wir nachdrücklich an alle Parteien im Landtag, sich auf bundespolitischer Ebene für die Abschaffung dieses Gesetzes einzusetzen.

Bis dahin fordern wir für alle Flüchtlinge im Saarland einen uneingeschränkten Zugang zum Gesundheitswesen und freie Arztwahl. Und nicht vergessen: Die beste Gesundheitsvorsorge wäre die Schließung des Lagers Lebach.

2.4 Die soziale Situation geduldeter Flüchtlinge – ist das Lager Lebach ein verkapptes Ausreisezentrum?

Als Reaktion auf ein gemeinsames Pressegespräch des SFR mit den Grünen zum Tag der Menschenrechte 2008 erklärte der Chef der Verwaltung in Lebach, Horst Finé, dass viele, die im Flüchtlingslager Lebach untergebracht  wären, eigentlich gar nicht hier sein dürften. In das gleiche Horn blies der damalige Innenminister Meiser, als er in Reaktion auf ein gemeinsames Pressegespräch des SFR im März 2009 mit Heiko Maas (SPD, MdL) und Ulrich Commerçon (SPD, MdL), wo es u.a. um die Begrenzung der Aufenthaltsdauer in Lebach auf drei Monate ging, über die Saarbrücker Zeitung erklären lies, dass von 865 Flüchtlingen in Lebach 634 vollziehbar ausreisepflichtig seien.
Da fragen wir uns schon: Ist Lebach also eine Art Ausreisezentrum? Tatsächlich gibt es in Lebach ein paar hundert und bundesweit mehrere zehntausend geduldeter Flüchtlinge, die seit Jahren zwangsweise in Lagern untergebracht werden, ohne Perspektive und ohne Angebote zur gesellschaftlichen Integration.  
Aber das Problem ist nicht etwa ein Mangel an Integrationsangeboten. Das Problem ist, dass die Integration Geduldeter bis heute von den politisch Verantwortlichen bewusst verweigert wird. Denn, wenn von Integration die Rede ist, und davon ist in den letzten Jahren sehr viel die Rede, sind immer nur die Migrantinnen und Migranten gemeint, die nach Staatsauffassung „rechtmäßig und dauerhaft in Deutschland leben“.

Ein Mittel um Integration zu verhindern und damit geduldeten Flüchtlingen das Leben so unangenehm wie möglich zu gestalten, ist das faktische Arbeitsverbot. Während des ersten Jahres dürfen Flüchtlinge überhaupt nicht arbeiten und danach nur dann, wenn es für diese Stelle keine bevorrechtigten deutschen, europäischen oder sonstigen Arbeitnehmer/innen gibt. Hinzu kommt, dass für viele Geduldete das Leben im Lager Lebach über Jahre hinweg zu einer Dauereinrichtung geworden ist. Ihre Lage ist gezwungenermaßen sozial und ökonomisch aussichtslos. Sie sind dazu verurteilt im Freien oder auf ihren Zimmern die Zeit totzuschlagen.

Auf diese soziale Desintegration reagieren viele mit Depression und Krankheit. Die erzwungene Untätigkeit führt zu Motivationsverlust und einer Verkümmerung der Lernfähigkeit. Die Menschen werden zum Objekt staatlichen Handelns und des öffentlichen Versorgungssystems. Und am Ende beißt sich die Katze in den Schwanz: So haben wir bei der Bleiberechtsregelung bzw. der gesetzlichen Altfallregelung mittlerweile bundesweit das Problem, dass die gleichen Administrationen, die per Gesetz oder Verordnung Integration verhindern, gleichzeitig ein Bleiberecht wegen defizitärer Integrationsleistungen ablehnen können.

Wir fordern für alle Menschen, die hierher geflüchtet sind ein Bleiberecht: Wer hier ist, soll auch hier bleiben. Die geduldeten Menschen im Lager Lebach brauchen unsere Unterstützung und eine soziale Perspektive, die nicht Abschiebung heißen darf. 

3. Unser Fazit 

Fassen wir noch einmal zusammen: Leben im Lager Lebach bedeutet, dass sehr viele Menschen dort über Jahre zwangsweise untergebracht, von gesellschaftlicher Teilhabe faktisch ausgeschlossen und sich mehr oder weniger selbst überlassen werden. Es bedeutet schlechte Verpflegung aus Lebensmittelpaketen, einen stark eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsleistungen und ein faktisches Arbeitsverbot. Es bedeutet Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit und Degradierung zum Objekt staatlichen Handelns. Warum das alles? Weil die unausgesprochene Botschaft leider immer noch lautet: Du bist hier unerwünscht! So auch in Lebach.

Dagegen sind unsere Forderungen, wie wir sie im Rahmen des Saarländischen Flüchtlingsrates entwickelt haben, klar: Flüchtlinge sollen hier willkommen sein. Menschenlager und das diskriminierende Asylbewerberleistungsgesetz gehören abgeschafft.  
Wohnungen statt Flüchtlingslager!

Geld statt Sachleistungen!

Selbstbestimmung ist Menschenrecht!

Saarlouis, Losheim und Saarbrücken, 21.05.2010

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