Blutroter Teppich für den Terror - Jungle world

Den Sieg der Taliban in Afghanistan haben die USA und ihre Verbündeten, darunter Deutschland, billigend in Kauf genommen. Ein Kommentar von Klaus Blees, Aktion 3.Welt Saar e.V. in der Jungle World

Bild: wiki commons(CC-BY-SA-2.0 fr)

Jungle World, 19.08.21

Afghanistan ist wieder in den Händen der Taliban. Das ist eine Katastrophe für weite Teile der afghanischen Bevölkerung, besonders aber für Frauen. Obwohl sie unter der zwar prowestlichen, aber dennoch ultrakonservativen islamischen Regierung weit von Gleichberechtigung entfernt waren, hatten sie in den 20 Jahren seit Entmachtung der Taliban 2001 wieder eine Reihe von Rechten errungen. Frauen konnten Schulen und Universitäten besuchen, Berufe ergreifen, Unternehmen gründen, künstlerisch und journalistisch tätig sein. Sie organisierten sich, es entstand eine Frauenbewegung, die den islamisch-patriarchalen Verhältnissen den Kampf ansagte.

Künftig sind Frauen wieder Nichtmenschen, ihnen wird Bildung verboten sein und sie dürfen nur noch vollverschleiert und in Begleitung ihres Ehemanns oder eines männlichen Blutsverwandten das Haus verlassen. In von den Taliban jüngst eroberten Gebieten haben diese bereits Zwangsverheiratungen junger Frauen angeordnet.

Die Katastrophe haben die USA und ihre Verbündeten, nicht zuletzt Deutschland, billigend in Kauf genommen. Der Rückzug ihrer Truppen, der die Menschen in Afghanistan in vollem Bewusstsein dessen, was kommt, wieder der Taliban-Herrschaft ausliefert, straft die westlichen Versprechen von Freiheit und Demokratie Lügen. Vom »Verrat« des Westens zu sprechen, ist nur die halbe Wahrheit, denn es setzt voraus, der Westen habe es mit seinen Wertepostulaten ernst gemeint, wo es doch in Wirklichkeit um Macht- und Wirtschaftsinteressen ging und geht. Wenn es keinen weiteren Nutzen mehr bringt, werden diejenigen, für deren Rechte man zu kämpfen beansprucht, fallengelassen. Sie werden Verfolgung, Entrechtung, Folter und Mord durch diejenigen überlassen, denen die Menschenrechte nicht als universell gültige Postulate, sondern als Teufelswerk gelten.

Die in den vergangenen 20 Jahren errungenen Rechte könnte man als Kollateralnutzen bezeichnen: Sie waren nicht das Ziel der Intervention, aber aus einer linken, universalistischen Perspektive begrüßens- und verteidigenswert. Für die westlichen Mächte wurde der Einsatz aber zu teuer. Donald Trump, auf dessen Initiative als US-Präsident das Rückzugsabkommen mit den Taliban im Februar 2020 zurückgeht, hat die Katastrophe politisch eingeleitet. Der praktische Vollzug erfolgte dann durch die jetzige US-Regierung von Präsident Joe Biden.

Damit verhilft der Westen zum zweiten Mal in der Geschichte der Terrorherrschaft der Taliban zum Sieg, dieses Mal durch Rückzug und Appeasement. Das erste Mal war es die aktiven Förderung durch die USA, Pakistan und andere Staaten, die den Taliban von 1996 bis Oktober 2001 die Macht verschaffte. Afghanistan hatte von 1978 bis 1992 eine säkulare Regierung, die mit der Sowjetunion verbündet war. Diese war autokratisch und hatte Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen zu verantworten, aber auch sie hatte einen Kollateralnutzen: Sie drängte den religiös-patriarchalen Einfluss zurück und führte mit ihrer verordneten Aufklärung zu einer Verbesserung der rechtlichen Lage von Frauen.

Dagegen formierten sich gewalttätige islamistische Gruppen, die von islamischen Staaten, vom Westen und insbesondere von der CIA aus antikommunistischen Motiven unterstützt wurden. Der bedrohten Regierung kam schließlich die Sowjetunion 1979 mit einem militärischen Einmarsch zu Hilfe. Es war eine der Hochphasen des Kalten Kriegs. Die von den USA und ihren Verbündeten im Rahmen dieses Stellvertreterkriegs verstärkt geförderten Jihadisten erzwangen schließlich den Rückzug der sowjetischen Streitkräfte, deren Einsatz 1989 beendet wurde.

Mohammad Najibullah, der kompromissbereite letzte säkulare Präsident Afghanistans, wurde 1992 zum Rücktritt gezwungen, die Macht übernahmen die Islamisten. Die Taliban, die sich gegen rivalisierende Islamisten gewaltsam durchsetzten, errichteten 1996 ihr brutales Regime. Die vormalige Unterstützung und Stärkung der Jihadisten rächte sich vor allem mit den verheerenden Anschlägen vom 11. September 2001 unter anderem in New York City.

Eine realistische Möglichkeit, die Katastrophe abzuwenden, gibt es kaum noch. Man wird jetzt wohl in Fortführung Trump’scher Politik mit den Islamisten verhandeln und ihnen so zusätzliche Legitimation verschaffen. Nichts gegen Verhandlungen, an denen Taliban teilnehmen – aber die müssten dann mit ihnen als Angeklagten vor einem Kriegsverbrechertribunal stattfinden.

Als einzuforderndes humanitäres Minimum bleibt die bedingungslose, unbegrenzte und unbefristete Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan. Denn dass jetzt Menschen in großer Zahl das Land verlassen werden, um dem Allerschlimmsten zu entgehen, ist sicher. Deutschland liebäugelt mit Abschottung und Abschiebungen. Doch der Westen hat neue Fluchtgründe geschaffen und möchte sich den Konsequenzen entziehen. Auch das Appeasement von Politikern und NGOs gegenüber Islamisten hierzulande ist zu beenden. »Schande über die ganze Welt für das, was ihr Afghanistan angetan habt«, bringt es die afghanische Frauenrechtlerin Mahbouba Seraj auf den Punkt.