Der Mordprozess „Samuel Yeboah“ - Eine Bewertung

Der Mordprozess „Samuel Yeboah“ ging am Montag, 9.10., dem 48. Prozesstag, mit der Urteilsverkündung durch das OLG Koblenz zu Ende. Vorerst. Der Angeklagte Peter S. wurde wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt.

 

Wir haben seit Prozessbeginn am 16.11.2022 an allen Prozessterminen mit mehreren Mitarbeiter:innen teilgenommen, regelmäßig Prozessberichte veröffentlicht und standen Journalist:innen, Parteipolitiker:innen und NGOs für Hintergrundgespräche zur Verfügung. Gemeinsam mit dem Saarländischen Flüchtlingsrat und der Antifa Saar haben wir 30 Jahre lang der offiziellen Version von Polizei, Justiz und Parteien widersprochen, wonach die Tat keinen rassistischen Hintergrund hat.

Letztlich hat unser gemeinsames politisches Engagement entscheidend dazu beigetragen, dass

  • die Ermittlungen durch Polizei und Bundesanwaltschaft 2019/2020 aufgenommen wurden,
  • der Prozess am 16.11.2022 vor dem OLG Koblenz begann,
  • ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss am 4.10.23 im saarländischen Landtag startete,
  • und ein Entschädigungsfonds für die Opfer eingerichtet wurde.

Bewertung der Aktion 3.Welt Saar zum Yeboah Prozess, Stand: 5.10.2023
(Das Urteil wird am 9.10.23 verkündet.)

Zum ersten Mal standen die Opfer des rassistischen Brandanschlags vom 19.9.1991 im Mittelpunkt. Neben dem ermordeten Samuel Kofi Yeboah waren dies die Bewohner:innen und Besucher:innen in der Brandnacht des Wohnhauses in Saarlouis-Fraulautern. Den Opfern, wovon mehrere als Zeug:innen aussagten und heute noch traumatisiert sind, wurde Respekt gezollt und Wertschätzung entgegengebracht: in den Beiträgen des Gerichts, der Bundesanwaltschaft und der vier Vertreter:innen der Nebenklage

• Der Prozess hat alles bestätigt, was antifaschistische und antirassistische Organisationen bereits „damals“ analysierten und äußerten
- es war ein rechter Anschlag mit nationalsozialistischem Hintergrund
- die Polizei im Saarland hat jahrelang weggeschaut, die Nazis in Saarlouis bagatellisiert und kleingeredet. Sofern sie überhaupt Nazis festgestellt hat. Ebenso haben sich Justiz und Parteipolitik verhalten. Die gleiche Polizei hat jedoch gegen links fleißig agiert und Verfahren angeregt. Ministerpräsident war 1991 Oskar Lafontaine (SPD), Innenminister war Friedel Läpple (SPD).
- die Ermittlungsarbeit der „heutigen Polizist:innen“ im Mordfall Yeboah steht im angenehmen Gegensatz zur Nichtarbeit ihrer damaligen „Kollegen“.
- Nichts von dem was im OLG Prozess in Koblenz zur Sprache kam, war (grundlegend) neu.
- Mit zur Aufklärung im Prozess hat ein Akteur beigetragen, der zu Beginn der 1990er als rechter Skinhead agierte, später ausstieg und umfangreich bei der Polizei, der Bundesanwaltschaft und vor Gericht aussagte.

• Der OLG Prozess, die Ermittlungen seit 2019/2020, die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses und die Einrichtung eines Opferfonds im saarländischen Landtag kamen zustande, weil drei Organisationen bzw. Milieus 30 Jahre lang keine Ruhe gaben: Aktion 3.Welt Saar, Saarländischer Flüchtlingsrat und Antifa Saar/Projekt AK. Alle drei sind dafür ein hohes Risiko eingegangen, wurden beschimpft, öffentlich attackiert, zum Teil polizeilich überwacht. Sie haben die Arbeit gemacht, zu der staatliche Stellen 30 Jahre nicht in der Lage waren. 

Dieses saarländische Staatsversagen war kein Versehen, sondern politisch genauso gewollt. Daran beteiligt waren in den verschiedenen Polizeiebenen inklusive Verfassungsschutz, der Justiz und den Parteien eine dreistellige Anzahl an Personen. Sie zeigten jahrelang eine „brand“gefährliche Mischung aus Wegschauen, Gleichgültigkeit, Bagatellisierung von Nazis und Entschuldigungen wegen jugendlichem Alter.

• Die Darstellung der Verteidigung des Angeklagten ist grotesk. Sie machte die schwierige Kindheit des Angeklagten entscheidend dafür verantwortlich, dass er anfällig wurde für die NS-Ideologie. Auch die psychologischen und pädagogischen Gutachten betonten dies. Wenn man diesen „Gedanken“ zu Ende denkt, müsste man den kompletten NS neu bewerten, da manche der Nazis eine schwere Kindheit hatten. Diese „pädagogische Bagatellisierung“ spielte bereits in den 1990er Jahren in Saarlouis eine stabilisierende Rolle in Form des Projekts „Akzeptierende Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen“. Die Skinheads waren klüger als es die Sozialarbeiter:innen annahmen, drehten den Spieß um und nutzten dieses Projekt, um im konkreten und übertragenen Sinne Räume in der Mitte der Gesellschaft zu bekommen. So wie in Saarlouis sind auch bundesweit all diese pädagogischen Projekte mit Skins & Co gescheitert. Hinweis: Wir befürworten das Recht eines jeden Angeklagten auf eine ordentliche juristische Verteidigung. Unsere Bewertung erfolgt aus politischer Sicht.

• Einer der Betroffenen aus der Brandnacht sagte am 42. Prozesstag aus und erwähnte als einziger im Prozess die Rolle von Oskar Lafontaine als saarländischer Ministerpräsident. Nach seinen Worten bat er nach der Saarlouiser Mordnacht diesen darum, ihnen (er meinte die Flüchtlinge, die vorher in dem Haus wohnten) Sprachkurse zu gewähren. Lafontaine lehnte dies mit dem Hinweis ab, dass dies nicht nötig sei, weil sie bald abgeschoben würden.

Hier gibt es mehr Infos zu dem rassistischen Brandanschlag und Mord an Samuel Yeboah.

Zum Schluss noch ein Auszug aus dem Plädoyer des Nebenklageanwalts Dr. Björn Elberling:

"An der Stelle ein kleiner Einschub, denn während der offizielle Politik in Stadt, Land und Bund reagierte wie gerade beschrieben, gab es auch Organisationen, die seit 1991 für ein angemessenes Gedenken und für eine Anerkennung des rassistischen Hintergrunds der Tat gestritten haben. Antifaschistische und antirassistische Organisationen haben das unermüdlich getan, seit jener Demonstration am Samstag nach der Tat in Saarlouis, von der wir hier nur aus den damaligen Beschuldigtenvernehmungen der Neonazis erfahren haben, die es sich nicht nehmen ließen, wenige Tage nach der Tat dort Präsenz zu zeigen. Vor allem drei Organisationen waren es, die die Erinnerung an die Tat und das Gedenken an Samuel Yeboah über mehr als 3 Jahrzehnte hochgehalten haben: die Antifa Saar, deren Broschüre „Kein schöner‘ Land“ über die Gruppe um Strumpler und Schlappal nicht umsonst eine erste Referenz für die Ermittlungen des LPP ab 2019 darstellte, die Aktion 3. Welt Saar und der Flüchtlingsrat Saar. Bei ihnen möchte ich mich an dieser Stelle, auch im Namen meiner Mandanten, ganz ausdrücklich bedanken."