Hauptsache vertraglich geregelt

In Rheinland-Pfalz soll noch vor dem Jahresende 2024 ein Staatsvertrag mit vier Islamverbänden, darunter die Ditib, unterzeichnet werden. Ultrakonservative bis islamistische Zusammenschlüsse werden damit vom Staat aufgewertet und zu Vertretern der Muslime erklärt.

Artikel von Klaus Blees vom Kompetenzzentrum Islamismus, erschienen am 19.12.24 in der Jungle World.

Die Verhandlungen mit den Islamverbänden dauern in Rheinland-Pfalz nun schon über zehn Jahre. 2013 ging es los, fünf Jahre später unterzeichnete die Landesregierung, damals noch unter der Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), Zielvereinbarungen mit vier Verbänden.

Darin festgehalten wurden die »gemeinsamen Wertegrundlagen« – unter anderem die sogenannte freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland –, aber auch konkrete Vorgaben: Der Ditib-Landesverband zum Beispiel sollte seine Unabhängigkeit von der türkischen Religionsbehörde Diyanet sicherstellen. Innerhalb von 18 Monaten sollten dadurch die Voraussetzungen geschaffen werden, um die Verbände als Religionsgemeinschaft anzuerkennen, und dann Staatsverträge mit ihnen abzuschließen.

Ziel dieser Verträge ist vor allem die flächendeckende Einführung des islamischen Religionsunterrichts, auch soll die Ausbildung von Imamen an deutschen Hochschulen gefördert werden. Ähnliche Staatsverträge gibt es bereits mit den großen christlichen Kirchen und dem Landesverband der jüdischen Gemeinden.

Ziel der Staatsverträge ist vor allem die flächendeckende Einführung des islamischen Religionsunterrichts.

Inzwischen sind die Verhandlungen mit den Islamverbänden weit fortgeschritten. Die Landesregierung aus SPD, Grünen und FDP unter Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) hat angekündigt, sie bis Jahresende zum Abschluss zu bringen. Sie stehen beispielhaft für ähnliche Entwicklungen in anderen Bundesländern. Ziel ist die Gleichstellung der Islamverbände mit den christlichen Großkirchen und vorgeblich die Etablierung eines liberalen, grundgesetzkonformen Islam.

Dazu sucht man sich allerdings ausgerechnet ultrakonservative und – zumindest in Teilen – islamistische Verbände als Partner aus. Zu den Verbänden, mit denen Zielvereinbarungen getroffen wurden, gehört zuvörderst die Ditib, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, welche der türkischen Religionsbehörde Diyanet untersteht und somit als verlängerter Arm des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Deutschland anzusehen ist.

Nach außen sehr freundlich, nach innen ultrakonservativ

Dazu kommen die Schura Rheinland-Pfalz – Landesverband der Muslime e. V., zu der Moscheegemeinden der islamistischen IGMG (Islamische Gemeinschaft Millî Görüş) ge­hören, und die Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland. Sie tritt nach außen sehr freundlich auf und propagiert die Integration in die deutsche Gesellschaft; aber gleichzeitig vertritt sie ein ultrakonservatives, auf strikter Geschlechtertrennung und Unterordnung von Frauen basierendes Islamverständnis, das zum Beispiel Frauen in der Regel verbietet, außerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft zu heiraten.

Davon zeugen auch sogenannte Ehrenmorde in diesem Milieu, auch wenn diese von den Gemeinden abgelehnt werden – zum Beispiel der Fall einer 19jährigen Frau in Darmstadt, die 2015 von ihren Eltern gemeinsam planvoll ermordet wurde, weil sie eine Beziehung hatte, ohne verheiratet zu sein.

Der vierte Verband ist der Landesverband Islamischer Kulturzentren Rheinland-Pfalz. Er ist der ultrakonservativen Süley­mancılar-Strömung zuzuordnen.

Erwartet wird von diesen Verbänden, dass sie, wie durch Zauber, ihre bisherigen fragwürdigen Positionen – etwa zur Stellung der Frau – ablegen, indem sie sich proklamatorisch zu den Werten des Grundgesetzes bekennen, dem Antisemitismus und dem »religiösen Extremismus« eine Absage erteilen und sich von ausländischen Einflüssen lossagen.

Recht auf freie private Religionsausübung

Die ganze Konzeption ist nicht nur wegen der politisch-ideologischen Prägung der vier Verbände fragwürdig. Die Landesregierung will nach eigenen Angaben durch die Verträge ihre »Zusammenarbeit mit Musliminnen und Muslimen« regeln, von denen es in Rheinland-Pfalz »circa 200.000« gebe. Die Regierung erklärt die Verbände dadurch ungefragt zur Vertretung dieser 200.000 Menschen.

Die Mehrheit dieser Menschen dürfte allerdings weder die religiösen noch die politischen Positionen dieser vier Verbände teilen. Viele verstehen sich vielleicht als Muslime, sehen aber fast nie eine Moschee von innen oder können mit den konservativen Ansichten der Verbände nichts anfangen. Trotzdem sollen zukünftig Ditib und Co. für sie sprechen können.

Würde man diese Menschen als gleich­berechtigte Staatsbürger:innen behandeln, müssten man sie als Indi­viduen anerkennen. Ihnen ist das Recht auf freie private Religionsausübung zu garantieren, nicht mehr und nicht weniger. Aber die Landesregierung verfolgt ein weit darüber hinausgehendes Ziel: nämlich »das muslimische Leben in Rheinland-Pfalz zu stärken«. Sie strebt an, zum Islam ein ähnliches Verhältnis wie zu den christlichen Kirchen aufzubauen. Und das bedeutet, die staatliche Neutralität und die Trennung von Religion und Staat aufzugeben.

Religiöse Autonomie der Muslime

Diese Politik untergräbt gerade auch die religiöse Autonomie der Muslime. Denn wer eine bestimmte Ausübung des Islam auf diese Weise fördert, statt sie einfach, wie es die Religionsfreiheit gebietet, zu ermöglichen, mischt sich in die Angelegenheiten der Gläubigen ein.

Zu den Zielen der Landesregierung gehört denn auch der Kampf gegen »Islamfeindlichkeit«. Dieser schwammige Begriff dient meist der Denunziation von Kritiker:innen des Islamismus und des Konservatismus muslimischer Glaubensgemeinschaften und ist zu unterscheiden vom Begriff der Moslemfeindlichkeit, der die Feindseligkeit gegen konkrete Menschen benennt. Auf diese Weise wird Kritik an islamisch begründeten Menschenrechtsverletzungen diskreditiert. Dass derlei in die Zielvereinbarungen aufgenommen wird, gibt der Kritikabwehr behördliche Weihen.

Heruntergespielt wird so auch der islamistische Kampf für die Zerstörung Israels. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sympathisiert offen mit der Hamas und verordnete zum Beispiel einen nationalen Trauertag für den Hamas-Vorsitzenden Ismail Haniya, nachdem dieser im Juli in Teheran durch einen israelischen Angriff getötet worden war. Ali Erbaş, der als Präsident der türkischen Religionsbehörde Diyanet auch der Ditib vorsteht, bezeichnete Israel kurz nach dem Hamas-Angriff am 7. Oktober in seiner Freitagspredigt als »rostigen Dolch, der im Herzen der islamischen Geographie steckt«.

Politik, die der AfD in die Hände spielt

Die Ditib hat sich von solchen Aussagen nie distanziert. Am 7. Oktober, dem Jahrestag der Hamas-Massaker, verbreitete sie stattdessen eine Pressemitteilung des von ihr mitgetragenen Koordinationsrats der Muslime (KRM). Diese sprach den israelischen Opfern der »grausamen Angriffe der Hamas« an jenem Tag »unser tiefes Mitgefühl« aus, ansonsten aber unterstellte sie, dies konterkarierend, Israel »Kriegsverbrechen an Palästinensern« sowie »Vertreibung, Kollektivbestrafung und Völkermord«.

Es blieb schließlich der CDU und der AfD vorbehalten, die Verhandlungen in einer von ihnen beantragten Landtagsdebatte Mitte November zu kritisieren und eine Aussetzung zu fordern. Die Politik der seit 1991 von der SPD geführten Landesregierung spielt also auch noch der AfD in die Hände, der man es ermöglicht, sich als Kraft zu inszenieren, die die Dinge vermeintlich beim Namen nennt. Der AfD-Abgeordnete Joachim Paul kritisierte im Landtag, keiner der Verbände erkenne das Existenzrecht Israels so weit an, dass er bereit sei, dies in den Staatsvertrag aufzunehmen. Auch verträten die vier Verbände nur einen Bruchteil der rund 200.000 Muslime in Rheinland-Pfalz. Und umstrittene Verbände wie Ditib würden mit den Verhandlungen aufgewertet.

Alles nicht falsch – doch die AfD instrumentalisiert das Thema für ihre rassistischen Zwecke. Ihr geht es darum, religiöse Minderheiten und Einwanderer als Gefahr darzustellen. So wird auch das Richtige Teil einer Lüge. ­Diese manifestiert sich darin, dass sich eine rechtsextreme deutsche Partei als Kämpferin gegen Antisemitismus inszeniert. So gibt es der Taz zufolge »deutliche Hinweise darauf«, dass der AfD-Debattenredner Joachim Paul »einst für ein NPD-nahes Magazin schrieb«.

Entwicklung in NRW und Baden-Württemberg ähnlich

In anderen Bundesländern findet eine ähnliche Entwicklung wie in Rheinland-Pfalz statt. In einigen gibt es bereits Staatsverträge, so wie im von CDU und Grünen regierten Nordrhein-Westfalen, wo islamischer Religionsunterricht in Kooperation mit Verbänden wie Ditib ausgerichtet wird. Dort musste die Landesregierung nach dem 7. Oktober Ditib dazu drängen, eine schriftlichen Erklärung abzugeben, in welcher diese sich zum Existenzrecht Israels bekennt.

Im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg besteht ein Vertrag mit der »Stiftung sunnitischer Schulrat«. Sie ist für den islamischen Schulunterricht zuständig, inklusive Zulassung der Bildungspläne und Schulbücher und der Entscheidung über die Lehrbefugnis für Lehrer und Hochschullehrer. 2021 verweigerte sie dem an der Pädagogischen Hochschule Freiburg lehrenden liberalen islamischen Religionspädagogen Abdel-Hakim Ourghi die Erlaubnis, islamische Religionslehrer:innen auszubilden.

Bundes­innenministerin Nancy Faeser (SPD) verhandelte mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet über die Imamausbildung in Deutschland, um die Zahl aus der ­Türkei entsandter Imame in den Ditib-Gemeinden zu senken.

Unterdessen verhandelte Bundes­innenministerin Nancy Faeser (SPD) mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet über die Imamausbildung in Deutschland, um die Zahl aus der ­Türkei entsandter Imame in den Ditib-Gemeinden zu senken. Die hierzulande tätigen Imame sind bisher türkische Staatsbeamte der Diyanet. »Wir brauchen Prediger, die unsere Sprache sprechen, unser Land kennen und für unsere Werte eintreten«, beschrieb ­Faeser das Vorhaben.

Ende 2023 einigte man sich: Die Bundesregierung be­zuschusst die Ausbildung von Imamen für Ditib-Gemeinden in Deutschland mit 500.000 Euro jährlich. Mindestens 75 der jährlich ausgebildeten Imame sollen aber weiterhin Studenten aus der Türkei sein, berichtete die Welt. Sowieso stellt sich die Frage, warum dafür mit einer türkischen Behörde verhandelt werden musste, wenn doch Ditib angeblich unabhängig von der türkischen Regierung ist, wie sie es selbst immer beteuert.