„Mit dieser Entscheidung des Senats ist das Urteil des Oberlandesgerichts rechtskräftig.“

Am 23. Januar 2025 wurde der erste Mordprozess im Fall Samuel Yeboah juristisch abgeschlossen. Das Urteil des Oberlandesgericht Koblenz vom 9.10.2023 gegen Peter S. wegen Mordes, 12fachen versuchten Mordes und 12facher versuchter besonders schwerer Brandstiftung zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten wurde bestätigt. Samuel Kofi Yeboah, ein Flüchtling aus Ghana, war bei einem rassistischen Brandanschlag auf eine Asylunterkunft in Saarlouis am 19. September 1991 ums Leben gekommen. Damals wurden die Ermittlungen nach kurzer Zeit eingestellt, in der rechten Szene wurde kaum ermittelt.

Jürgen Schäfer, Vorsitzender des 3. Strafsenat beim Bundesgerichtshof, betonte dabei: „Das geschilderte Geschehen stellt zweifellos eine besonders schwere, rassistische motivierte Straftat dar, aufgrund derer ein junger Mensch qualvoll zu Tode kam und alle übrigen Personen, die sich in dem Haus aufhielten, nachhaltig geschädigt wurden. Ich habe bewusst alle Personen gesagt, denn das gilt ausdrücklich auch für die hiesigen Nebenkläger.“   

Entscheidung des BGH vom 23.01.2025 gegen die Revisionen.

Nach über 33 Jahren Schweigen, Wegsehen und Verharmlosen ist damit ein Teil der juristischen Aufarbeitung abgeschlossen, eine Bewertung dieses Urteils haben wir hier vorgenommen.

Die Revision gegen den Freispruch des ehemaligen Anführers der Saarlouiser Nazi-Szene Peter St. im zweiten Mordprozess ist noch offen. Die Aktion 3.Welt Saar war bei allen Prozesstagen anwesend und hat ausführlich darüber berichtet (zum 1. Prozess hier und hier, zum 2. Prozess hier).

Die politische Auseinandersetzung, das jahrzehntelang Staatsversagen und die Weigerung, sich mit Nazistrukturen auseinanderzusetzen, ist damit aber noch nicht vorbei. Dazu ein Interview mit unserem Geschäftsführer Roland Röder.

 

Revisionsverhandlung erster Yeboah-Prozess

Erster Tag des Revisionsprozesses (9.1.25) – Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah

Zusammenfassung des Urteils durch Berichterstatter

Zunächst fasste der Berichterstatter des Gerichts, Dr. Stephan Anstötz, das Urteil und die Revisionsbegründungen zusammen. Der Angeklagte sei wegen Mordes, versuchten Mordes in 12 Fällen und schwerer Brandstiftung zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt worden. Die Generalbundesanwaltschaft beanstande in ihrer Revisionsbegründung das Strafmaß, denn im Falle von acht weiteren im Haus befindlichen Personen sei ebenfalls von versuchtem Mord auszugehen. Die Nebenklage argumentiere in ihrer Begründung ebenso, vertreten seien durch die Nebenklage vier dieser acht Betroffenen. Die Verteidigung des Angeklagten moniere in ihrer Revisionsbegründung die Verletzung materiellen Rechts.

Das OLG Koblenz habe festgestellt, der 1991 20jährige Angeklagte sei in die Saarlouiser NS-Szene integriert gewesen. Am 18.9.1991 habe er sich mit zwei anderen in der Gaststätte Bayrischer Hof getroffen. Dort sei die Rede davon gewesen, man müsse auch mal so was unternehmen wie im Osten. Beim Verlassen habe er den Entschluss zum Brandanschlag gefasst. Er habe die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft vertreiben wollen. Dabei sei es ihm egal gewesen, ob sie dabei getötet oder nur vertrieben würden. Er habe sich einen Kanister mit Benzin besorgt. Acht Menschen hätten im Erdgeschoss gefeiert, dreizehn weitere Personen seien im Haus gewesen. Im rückwärtigen Treppenhaus habe er das Benzin vergossen und angezündet. Er habe erkannt, dass die Bewohner getötet werden könnten mit Ausnahme der acht Feiernden. Denn er habe glauben können, dass diese sich rechtzeitig in Sicherheit bringen könnten, sobald sie das Feuer bemerkten. Die anderen dreizehn hätten nicht ahnen können, was passiert. Deren Tod habe er in Kauf genommen. Samuel Yeboah sei im Dachgeschoss von einer Flammenwand erfasst worden, als er sein Zimmer verließ. Er habe 10 – 15 Minuten um Hilfe geschrieben, sei geborgen worden und später im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen. Das OLG habe dies als Mord, zwölffachen versuchten Mord und schwere Brandstiftung gewertet, die acht Personen im Erdgeschoss aber nicht als Objekte versuchten Mordes angesehen.

Verteidigung beantragt Aufhebung des Urteils und neue Verhandlung

Danach nahm zunächst als Vertreter der Verteidigung, Dr. Weil, Stellung. Er beantragte, die Revision der Nebenklage zu verwerfen. Außerdem beantragte er, das Urteil aufzuheben und das Verfahren vor einem anderen Senat beim OLG Koblenz neu aufzurollen.

Das Urteil, so Weil, enthalte wenige Rechtsfehler, aber die Beweisführung sei lückenhaft. Zum Beispiel sei unklar, woher der Kanister und das Benzin im Kanister gekommen sei. Darüber gebe es nur Spekulationen. Als Beweismittel blieben die Inhalte der Unterhaltung der drei Personen in der Gaststätte. Der Grad der Alkoholisierung des Angeklagten und deren Auswirkung sei obendrein unklar. Es gebe Darlegungsdefizite. Die Verteidigung lehne die Einzeltäterthese ab, die GBA habe auch Verfahren gegen die anderen beiden eingeleitet. Der Angeklagte könne allenfalls Gehilfe gewesen sein. Im Urteil finde aber keine Abgrenzung zwischen Gehilfe und Täter statt.

- Anmerkung: Während einer der drei Genannten, Peter St., freigesprochen wurde, wogegen noch Revision läuft, wurde das Verfahren gegen einen anderen, Heiko S., inzwischen eingestellt. -

Bei der im Urteil verhängten Jugendstrafe habe der Senat zu Lasten des Angeklagten angenommen, dieser habe einen hohen Gebäudeschaden in Kauf genommen. Die lange Verfahrensdauer sei nicht berücksichtigt worden, ebensowenig, dass es bereits 1991 Ermittlungen gegeben habe. Die damals gemachten staatlichen Fehler seien nicht dem Angeklagten anzulasten.

Er wolle keine Relativierung der Tat, sondern nur ein gerechtes Urteil. Die Einlassung des Angeklagten sei von Bedauern geprägt gewesen und habe die Betroffenen berücksichtigt.

Der Vorsitzende Richter des BGH, Prof. Dr. Jürgen Schäfer, vermerkte, der Angeklagte sei heute 53 Jahre alt. Das Jugendstrafrecht sei vom Erziehungsgedanken durchdrungen. Ob der Staat aber das Recht habe, Erwachsene noch zu erziehen, sei fraglich. Der Erziehungsgedanke verliere im Erwachsenenalter an Bedeutung. Man werde diesen Gesichtspunkt nicht grundsätzlich neu bewerten.

Bundesanwalt beantragt, Revision der Generalbundesanwaltschaft zu verwerfen

Der Vertreter der GBA, Dr. Matthias Krauß, lehnte die Rüge der Verteidigung ab. Es sei festgestellt worden, dass das Haus mit Benzin angezündet worden sei. Dabei habe es keine Relevanz, woher das Benzin gekommen sei. Auch die Aussagen in der Kneipe seien hier irrelevant, denn es sei bewiesen, dass der Angeklagte das Haus in Brand gesteckt habe. Ein Gutachten habe die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten festgestellt, Alkohol habe diese nicht relevant vermindert. Lediglich die Steuerungsfähigkeit sei eingeschränkt gewesen. Die Abgrenzung zwischen Einzeltäter und Mittäter sei in diesem Fall egal, denn in dem Haus habe der Angeklagte als Einzeltäter gehandelt. Der Erziehungsgedanke sei berücksichtigt worden. Es spiele auch keine Rolle, ob das Haus 100 000 € oder 500 000 € wert gewesen sei. Zu den Ermittlungspannen könne er nichts sagen. Die lange Zeit seit 1991 habe das OLG berücksichtigt. Die Revision der Verteidigung weise er zurück.

Die Revision der GBA, also seines eigenen Hauses. wie auch die der Nebenklage beantragte er ebenfalls zu verwerfen. Ob bezüglich der acht im Erdgeschoss befindlichen Menschen ein bedingter Tötungsvorsatz vorhanden gewesen sei, darüber könne unterschiedlich geurteilt werden. Das Revisionsgericht könne aber nur auf Rechtsfehler prüfen. Die Beweisführung sei jedoch erschöpfend gewesen, Lücken seien nicht erkennbar.

Der Vorsitzende Richter betonte noch einmal, es gehe um den Freispruch bezüglich des versuchten Mordes an den acht im Erdgeschoss Anwesenden. Laut OLG-Urteil habe sich der Tötungsvorsatz nicht auf alle im Haus befindlichen Personen bezogen, denn acht von ihnen hätten sich demzufolge in Sicherheit bringen könnten, da sie noch wach gewesen seien. Die Tür zum Haupteingang sei auch nachts unverschlossen gewesen. Der Angeklagte habe vom Erdgeschoss her Musik vernommen. Im Kern der Revision gehe es darum, ob das OLG-Urteil rechtsfehlerfrei sei und nicht darum, ob der Senat auch hätte anders entscheiden können.

Nebenklagevertreter möchte Verurteilung wegen versuchten Mordes zu Lasten seiner Mandanten

Nebenklagevertreter Dr. Björn Elberling möchte erreichen, dass der Angeklagte in diesen Fällen auch wegen versuchten Mordes verurteilt wird. Das werde von den vier durch ihn vertretenen Nebenklägern so beantragt.

Zur Begründung führte er aus: Erstens habe der Angeklagte nicht vage auf einen nicht tödlichen Ausgang vertraut. Zweitens habe in ähnlichen Fällen der BGH drei frühere OLG-Urteile aufgehoben. Das OLG benenne in seinem Urteil den Maßstab richtig, aber wende ihn nicht an. Man dürfe dem Angeklagten nicht so leicht die Annahme unterstellen, die Leute könnten sich schon retten. Er habe heimtückisch gehandelt, sei davon ausgegangen, wenn er die Treppe anzünde, bekomme das erstmal niemand mit. Für die Menschen im Erdgeschoss habe auch die Gefahr bestanden, eine tödliche Menge an Kohlenmonoxid einzuatmen. So habe sein Mandant H. nach dem Brand wegen Kopfschmerzen behandelt werden müssen. Außerdem habe die Gefahr bestanden, dass ein Bewohner beim Versuch, andere zu retten, zu Tode komme. Einer der Bewohner habe versucht, einen anderen zu retten. Hier sei die Beweisführung des OLG lückenhaft. Der BGH habe dazu sehr konkrete Anforderungen gestellt. Das OLG berücksichtige nicht die Unvorhersehbarkeit des durch den Angeklagten in Gang gesetzten Geschehens.

Drittens habe der Angeklagte mindestens gleichgültig gehandelt, wenn nicht doch absichtlich. Das OLG habe dies verneint, aber keine Gesamtschau vorgenommen. Eigentlich müsse er den Antrag stellen, das Urteil aufzuheben, aber im Ergebnis sei dies nicht nötig. Auch wenn man die Tötungsabsicht verneine, so sei es dem Angeklagten mindestens egal gewesen, ob Menschen zu Tode kommen. Diese Gleichgültigkeit rechtfertige es, einen Tötungsvorsatz anzunehmen. Das Urteil sei zu korrigieren: Von einem auf die acht Personen bezogenen Tötungsvorsatz sei auszugehen. Es sei ein Rechtsfehler, dies nicht zu tun, was im Revisionsverfahren zu berücksichtigen sei. Dies habe keine Auswirkung auf den Schuldspruch, aber das Urteil sei in der Strafzumessung aufzuheben und nach Koblenz zurück zu verweisen. Für seine Mandanten sei entscheidend, ob sie als Geschädigte erwähnt und anerkannt werden.

Anschließend merkte der Vorsitzende Richter wegen der erwähnten aufgehobenen Urteile an, zwischen dem 3. und dem 4. Strafsenat des Hauses werde es keine Divergenzen geben, egal, wie die aktuelle Entscheidung ausfalle.

Anschließend nahm erneut Bundesanwalt Krauß Stellung. Das Gericht müsse dem Angeklagten in den Kopf schauen zum Zeitpunkt der Tatbegehung. Es sei nicht überzeugend, wenn das Revisionsgericht sich hinstelle und sage, es kenne den Angeklagten nicht.

Elberling entgegnete er, der Angeklagte sei wegen versuchten Mordes in 12 Fällen verurteilt worden. Dieser habe BGH-Urteile zitiert, aber bei dem Anschlag habe es eine Ausnahmesituation gegeben, die in den anderen Fällen nicht vorgelegen habe. Es handele sich um einen Einzelfall, er könne keine Rechtsfehler erkennen.

Der zweite Verteidiger, Prof. Dr. Guido Britz, erklärte, der Angeklagte habe ein Teilgeständnis abgelegt. Es habe sich um einen Akt der Gewalt von rechts gehandelt, weshalb der Fall auch heute von Bedeutung sei. Das OLG habe sich viel Arbeit gemacht und die Einzelheiten gewürdigt. Bezüglich der Personen im Erdgeschoss liege kein Rechtsfehler vor. Zielgruppe des Anschlags seien die Menschen oben gewesen. Dabei sei es teilweise um deren Hautfarbe gegangen.

- Anmerkung: Die oberen Stockwerke waren zum Teil von Schwarzen bewohnt, während die Erdgeschossbewohner größtenteils weiße Flüchtlinge aus dem Balkan waren. -

Verhandelt worden sei über jemand, der im April 1991 aus dem Gefängnis gekommen und dann über eine andere Person in die rechte Szene geraten sei. Der Angeklagte sei nicht gefestigt rechts gewesen. Mit seinem Teilgeständnis habe er das zerstört, was er für sich und seine Familie aufgebaut habe. Dieses Teilgeständnis sei wichtig gewesen, denn dadurch sei das Verfahren zu einem Ende gekommen. Alle drei Personen seien damals Mitglieder der Szene gewesen, auch Heiko S., und bei diesem sei mehr rechtes Material gefunden worden als bei dem Angeklagten. Britz schloss sich den Ausführungen des Bundesanwalts an.

Elberling widersprach: In dem Urteil stehe nicht, es sei dem Angeklagten nur um Farbige gegangen. Die habe er zwar besonders gehasst, aber dazu habe er sich nicht eingelassen.

Die Verkündung des Urteils legte der Vorsitzende Richter auf Donnerstag, 23. Januar, 14:30 Uhr fest.

Zum Schluss bedankte er sich bei den Verfahrensbeteiligten: Die Verhandlung sei trotz der gegnerischen Ansichten sehr sachlich gewesen.

Nach dem Prozess gaben einige der Anwälte den zahlreichen Medienvertretern noch Interviews.

Bundesanwalt Krauß betonte, die Aufhebung eines Urteils sei nur bei Rechtsfehlern möglich. Beschlüsse der Strafgerichte müssten nicht zwingend sein. Die Annahme des Tötungsvorsatzes bei dem Angeklagten sei gerechtfertigt, mit Ausnahme der acht im Erdgeschoss. Das OLG-Urteil sei aus seiner Sicht gerechtfertigt, aber die Entscheidung liege beim BGH-Senat.

Nebenklagevertreter Elberling hingegen erklärte im Interview, die Beweisführung sei lückenhaft. Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der einer potentiellen Lebensgefahr ausgesetzten Menschen im Erdgeschoss reiche aus, um von einem bedingten Tötungsvorsatz auszugehen.

Verteidiger Britz vermutete im Interview, das OLG-Urteil bleibe bestehen. Er bemängelte, das Urteil unterscheide nicht zwischen Täterschaft und Beihilfe. Die Einzeltäterthese stimme nicht. Es handele sich um ein historisches Verfahren mit aktueller Bedeutung, denn damals sei die Situation bezüglich rechter Gewalt so gewesen wie heute.

Siehe auch Saarländischer Rundfunk, Saarbrücker Zeitung und Stern.