Angeklagt ist der mutmaßlichen Mörder von Samuel Yeboah. Der Flüchtling aus Ghana war bei einem rassistischen Brandanschlag auf eine Asylunterkunft in Saarlouis am 19. September 1991 ums Leben gekommen. Damals wurden die Ermittlungen nach kurzer Zeit eingestellt, in der rechten Szene wurde kaum ermittelt.
Die Aktion 3.Welt Saar beteiligt sich an der unabhängigen Prozessbeobachtung.
Hier gibt es mehr Infos zu dem rassistischen Brandanschlag und Mord an Samuel Yeboah
Hier geht es zu Teil 1 der Prozessbeobachtung des 1. Prozesses (1. bis 36. Prozesstag)
Der Mordprozess „Samuel Yeboah“ ging am Montag, 9.10., dem 48. Prozesstag, mit der Urteilsverkündung durch das OLG Koblenz zu Ende. Vorerst. Der Angeklagte Peter S. wurde wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Hier geht es zu einer Bewertung der Aktion 3.Welt Saar e.V., die an allen Prozesstagen als Prozessbeobachterin teilnahm.
Wir haben alle bisherigen Prozessberichte der besseren Lesbarkeit halber in einem Reader zusammgengefasst, den man sich hier als PDF herunterladen kann.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 48. Prozesstag, Teil 2
Update 14.10.2023
Rechtliche Würdigung
In der Urteilsbegründung an diesem letzten Prozesstag (9.10.23) folgte dann die rechtliche Einordnung der Tat: Es habe sich um Mord, plus Mordversuch in 12 Fällen, besonders schwere Brandstiftung und besonders schwere versuchte Brandstiftung in 12 Fällen gehandelt.
Peter S. habe den Tod von Samuel Yeboah vorsätzlich herbeigeführt.
Die Einlassung via Verteidiger, der Angeklagte habe nicht daran gedacht, dass Bewohner umkommen könnten und habe nur Randale machen wollen wie im Osten, nehme ihm der Senat nicht ab. Hier sei ein Brand zu nachtschlafender Zeit gelegt worden, die Randale in Hoyerswerda habe im Gegensatz dazu tagsüber stattgefunden. Hier sei das Treppenhaus in Brand gesetzt worden, der einzige Zugang nach oben. Wer derart exponiert einen Brand lege, könne nicht darauf vertrauen, dass niemand zu Schaden komme.
Es sei ein bedingter Tötungsvorsatz gegeben gewesen, da sich dieser nicht auf alle in der Unterkunft Anwesenden erstreckt habe. Laut Bundesgerichtshof seien für den Tötungsvorsatz relevant: Die Beschaffenheit des Objekts, die Brennbarkeit der Materialien, die Nachtzeit, die Belegungsart der Unterkunft und die Angriffsweise.
Der Senat könne nicht ausschließen, dass Peter S. die Bewohner im Erdgeschoss, die Musik hörten, nicht treffen wollte. Denn sie seien wach gewesen und hätten die Brandgeräusche hören müssen. In diesen Fällen sei dem Angeklagten kein Mordvorsatz nachzuweisen.
Nach Paragraf 211 StGB seien drei Mordmerkmale erfüllt.
1. Niedere Beweggründe: Das Töten aus Ausländerhass. Der Täter habe ein Zeichen setzen wollen, dass Ausländer in diesem Land nichts zu suchen hätten. Außerdem sei es ein Versuch gewesen, sich bei seinen neuen Freunden Achtung zu verschaffen, was aber gegenüber dem erstgenannten Grund zu vernachlässigen sei.
2. Heimtücke: Das Ausnutzen der Wehr- und Ahnungslosigkeit der Opfer. Auch Schlafende seien wehrlos. Sie hätten keine Möglichkeit der Verteidigung. Lediglich die Personen im Erdgeschoss hätten sich dem Anschlag durch Flucht entziehen können, die Bewohner der oberen Stockwerke hingegen seien wehrlos und arglos gewesen. Das habe der Angeklagte gezielt ausgenutzt.
3. Gemeingefährliche Mittel: Peter S. habe durch die Brandlegung in der konkreten Tatsituation mehrere Menschen an Leib und Leben gefährdet. Wie die Büchse der Pandora nicht mehr geschlossen werden könne, so sei der Brand nicht zu kontrollieren gewesen. Der Angeklagte habe keinerlei Vorkehrungen getroffen, das Risiko zu minimieren. Der durch den Brand gefährdete Umkreis sei unbestimmbar gewesen. Auch ein Übergreifen auf ein Nachbargebäude sei möglich gewesen.
Peter S. habe sich schuldig gemacht des Mordes an Samuel Yeboah, der Brandstiftung mit Todesfolge. Besonders schwere Brandstiftung sei in diesem Fall verwirklicht, er habe den Tod von 12 Menschen in Kauf genommen und sei darüber hinaus wegen versuchter besonders schwerer Brandstiftung in 12 Fällen zu verurteilen.
Eine Alkoholstörung habe nicht vorgelegen, aber alkoholisiert sei er am Tattag gewesen. Laut der psychiatrischen Sachverständigen Leupold sei, unter Berücksichtigung aller Faktoren, von 3,15 Promille und einem mittelschweren Rausch zum Tatzeitpunkt auszugehen. Er sei - so das Gericht unter Bezugnahme auf die Sachverständige - schuldfähig gewesen, wenngleich seine Schuldfähigkeit leicht eingeschränkt gewesen sei.
Vor allem sei er planvoll vorgegangen: Er habe die Treppenstufen UND die Wand mit Benzin überschüttet und den Benzinkanister auf der Treppe abgestellt. Dies spreche für koordinierte Bewegungen. Er müsse sehr schnell vorgegangen sein, innerhalb von ein bis zwei Minuten. Hätte er länger gebraucht, hätte er Brandspuren davongetragen.
Er habe Heiko S. berichtet, er habe draußen Leute auf Matratzen sitzen sehen. Demnach müsse er nach der Tat vor Ort geblieben sein, da dies Täterwissen sei. Die Tatausführung habe er, nachdem er den Entschluss dazu gefasst habe, kontrolliert zurückgestellt. Ein Rücktritt des Angeklagten von der Tatidee sei nicht festzustellen gewesen. Er habe in der Brandnacht nicht zurückgerudert und keine tätige Reue an den Tag gelegt.
MORD VERJÄHRT NICHT
Die Brandstiftung wäre im Gegensatz dazu am 18.9.21 verjährt gewesen, da betrage die Frist 30 Jahre. Doch da es vor Ablauf der Frist eine Hausdurchsuchung bei ihm gegeben habe, sei die Frist neu angelaufen.
Bei der Strafzumessung sei zu berücksichtigen, dass er zum Tatzeitpunkt 20 Jahre und 4 Monate alt und somit noch ein Heranwachsender gewesen sei. Aufgrund seiner sittlichen und geistigen Entwicklung sei er einem Jugendlichen gleichzusetzen gewesen, hätten die psychiatrische Sachverständige und die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe festgestellt.
Er komme aus zerrütteten Familienverhältnissen und sei "emotional unterversorgt", so habe es Frau Leupold ausgedrückt. Zum Beispiel habe er bis zum 16. Lebensjahr noch eingenässt, ohne biologischen Grund. Er habe kriminelle Dinge getan, habe keine sexuellen Erfahrungen gehabt und ziellos in den Tag hinein gelebt. Automatenspiele, Saufen, Gelegenheitsjobs seien sein Lebensinhalt gewesen. In der Skinhead-Szene habe er seine Ersatzfamilie gefunden, habe sich dort durch Saufen und Schlägereien hervorgetan.
Das sei Ausdruck jugendlicher Unreife gewesen. Die menschenverachtende NS-Ideologie habe er völlig übernommen.
Er habe noch bei seiner Mutter gewohnt und keine Anstalten gemacht, auszuziehen.
Die Tat sei mit Jugendstrafe zu sanktionieren, wobei eine schwere Schuld anzunehmen sei. Dafür spreche die Tat und das Nachtatverhalten.
Die Menschen in dem Wohnheim seien ihm unbekannt gewesen und lediglich in seinen Fokus geraten, weil sie Ausländer waren. "Ausländer sollen brennen" sei seine Meinung gewesen. Noch Monate nach der Tat habe er laut Aussage einer Zeugin, bezogen auf ein anderes Flüchtlingsheim, gesagt: "Das ist das Nächste, was brennt."
Er habe sich über den ermordeten Samuel Yeboah lustig gemacht, habe ein Foto von dessen ausgebranntem Zimmer als Trophäe mit sich getragen. Noch in der polizeilichen Vernehmung am 29.1.21 habe er gesagt: "Damals habe ich gedacht, da ist ja nur ein Scheiß Nigger gestorben."
Das Höchstmaß einer Jugendstrafe betrage 10 Jahre, wobei die Dauer nach der erzieherischen Einwirkung zu bemessen sei. Jetzt sei er aber erwachsen und nachgereift, somit keinen erzieherischen Einwirkungen mehr zugänglich. Bei Erwachsenen habe, so der Bundesgerichtshof, der Erziehungsgedanke nur noch geringes Gewicht. Für die Strafe seien somit Gründe wie bei Erwachsenen zu erwägen. (Anmerkung: Obwohl sich das letztendliche Strafmaß aus der Jugendstrafe ableitet.)
Abwägung der Gründe für die Strafzumessung
GRÜNDE ZU SEINEN GUNSTEN:
- Ungeachtet des herabgesetzten Beweiswertes der teilgeständigen Einlassung habe er seinen Ausländerhass eingeräumt, was für die Opfer eine gewisse Klärung bedeuten könne.
- Die Erklärung sei wichtig gewesen, weil zu diesem Zeitpunkt unklar gewesen sei, ob er verurteilt werde oder nicht.
- Ab diesem Zeitpunkt habe sich die Richtung des Verfahrens geändert. Er habe Heiko S. der Tat bezichtigt, aber die Einlassung habe zur Befragung anderer Zeugen beigetragen. Damit sei das Verfahren erheblich verkürzt worden. Der Senat widerspreche der Auffassung der Bundesanwaltschaft, dass der Einlassung keinerlei Bedeutung zukomme.
- Der Angeklagte sei nicht vorbestraft, seine alten Taten seien im Register getilgt.
- Zum Tatzeitpunkt sei er völlig ungefestigt Einflüssen seiner Kollegen zugänglich gewesen. Laut Zeugen sei er der Prototyp des Ausführenden gewesen, habe als Looser gegolten und die Anerkennung seiner Ersatzfamilie gebraucht.
- Die Tat liege über 32 Jahre zurück. Inzwischen führe er ein anderes Leben, sei verheiratet, habe im zivilen Leben Fuß gefasst und habe eine fast erwachsene Tochter.
- Seit dem 4.4.22 sei er in Untersuchungshaft, und dies zeitweilig unter zusätzlich einschränkenden Pandemiebedingungen. In der JVA habe er sich gut verhalten.
- Durch den Alkoholkonsum sei er eingeschränkt schuldfähig gewesen.
- Reue habe er nur via Verteidiger bekunden lassen. Das sei sehr wenig, aber mehr als gar nichts.
- Er habe 3000 € für die Opfer in Aussicht gestellt. Einen Nachweis, dass der Betrag gezahlt worden sei, gebe es nicht. Aber mit viel gutem Willen könne man dem entnehmen, dass er sich damit beschäftige.
GRÜNDE ZU SEINEN UNGUNSTEN:
- Die Schwere der Schuld, die Erfüllung von drei Mordmerkmalen.
- Drei weitere Verbrechensmerkmale, darunter der Mordversuch an 12 weiteren Menschen.
- Sein Nachtatverhalten. Er sei bis heute rassistisch eingestellt, was sich bei der Durchsuchung seines Mobiltelefons gezeigt habe. Dabei sei beispielsweise ein Bild von einem halbverhungerten farbigen Kind gefunden worden, das als "McRipp" bezeichnet worden sei. Auch hier habe sich seine Mitleidlosigkeit gezeigt.
- Eine NS-Einstellung habe er auch noch geraume Zeit nach der Tat gezeigt. So habe er 2006 an einem Rudolf-Hess-Gedenkmarsch teilgenommen.
- 2012 habe er sich ein Paulchen-Panther-Tattoo stechen lassen, womit er Sympathie für den dies als Symbol verwendenden NSU und Beate Zschäpe gezeigt habe.
- Er habe sich in SS-Uniform als Obersturmbannführer fotografieren lassen.
- Er habe Heiko S. zu Unrecht beschuldigt. Damit habe er einen Dritten in dem Fall einer besonders verwerflichen schweren Straftat verdächtigt.
- Er habe große (vor allem psychische) Schäden bei den Bewohnern verursacht.
- Er habe große Sachschäden am Gebäude verursacht.
Das Urteil:
Eine Jugendstrafe von 6 Jahren und 10 Monaten sei angemessen. Die U-Haft sei anzurechnen.
Kostenentscheidung:
Er stehe im Berufsleben, sei erwachsen, müsse Verantwortung übernehmen. Er habe die Kosten des Verfahrens und die Auslagen der Nebenkläger zu tragen, einschließlich der Kosten derer, die er nicht töten wollte.
Das schriftliche Urteil werde Ende Januar 2024 vorliegen. Es sei das Rechtsmittel der Revision beim Bundesgerichtshof zulässig.
Zum Schluss bedankte sich der Vorsitzende Richter Leitges für die äußerst sachliche Prozessführung aller Beteiligten. Das sei in Prozessen keineswegs selbstverständlich. Ebenso bedankte er sich bei den Sachbearbeitern, Justizangestellten und Wachtmeistern, die auch schon einmal ihre Mittagspause geopfert hätten, um Familienbesuche bei dem Angeklagten zu ermöglichen. Er vergaß auch die Presse nicht, bedankte sich bei dieser für die äußerst sachliche, faire Berichterstattung über die Hauptverhandlung.
Um ca. 11:40 Uhr (9.10.2023) beendete er den 11monatigen Prozess:
"Die Sitzung ist geschlossen."
Das Urteil auf der Seite des Gerichts siehe hier
Eine Auswahl von Medienberichten:
Saarländischer Rundfunk vom 09.10.2023
und Saarländischer Rundfunk vom 09.10.2023 (Kommentar von Thomas Gerber)
Saarbrücker Zeitung vom 09.10.2023 und : Saarbrücker Zeitung vom 09.10.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 48. Prozesstag, Teil 1
Update 12.10.2023
An diesem Prozesstag (9.10.23) wurde das Urteil verkündet. Es war somit der letzte Prozesstag. Der Staatsschutzsenat unter Vorsitz von Richter Konrad Leidges sprach den Angeklagten schuldig und
verurteilte ihn zu einer Jugendstrafe von 6 Jahren und 10 Monaten wegen Mordes, 12fachen versuchten Mordes sowie 12facher besonders schwerer Brandstiftung. Außerdem muss er alle Kosten des Verfahrens tragen, einschließlich der Kosten der Nebenkläger.
Die mündliche Urteilsbegründung:
"Wenn alle dichthalten, kommt schon nichts raus." Mit diesen Worten habe der Neonazi Markus M. am 23.10.20 nach der Wiederaufnahme der Ermittlungen den Angeklagten beruhigt, so der Vorsitzende Richter. Die meisten im Prozess Vernommenen hätten sich daran gehalten. Aber es sei trotzdem herausgekommen, wer den Anschlag begangen habe. Angestoßen worden sei dies durch die Zeugin Diana K. im November 2019.
32 Jahre nach der Tat sei der Brandanschlag aufgeklärt: der Mord an dem 27jährigen Samuel Yeboah aus Ghana und der Mordversuch an 12 weiteren Bewohnern wie auch 12fache Brandstiftung. Dafür müsse sich der Täter heute verantworten.
Damals seien die Ermittlungen eingestellt worden, denn die Spuren seien ausermittelt gewesen. Auch wenn es Ermittlungspannen gegeben habe, seien diese nicht ausschlaggebend gewesen. Den damals ermittelnden Polizeibeamten und der damaligen Staatsanwaltschaft sei dies nicht zum Vorwurf zu machen.
Bewertung:
Diese Einschätzung des Gerichts in der Urteilsbegründung widerspricht dem Verhalten des Vorsitzenden Richters während des Prozesses, denn er bekundete bei der Befragung der betreffenden Polizisten mehrfach seinen Unwillen über das schlampige und desaströse Vorgehen der "Ermittelnden". So wurden für die Aufklärung wichtige Befragungen nicht durchgeführt, weder in den Tankstellen der Umgebung, noch beim Wirt des Bayrischen Hofes. Protokolle wurden gefälscht. Aus zwei schwarz gekleidete Personen, die eine Zeugin laut ihrer Aussage gesehen hatte, wurden im Protokoll zwei "N...r". In Vernehmungsprotokollen tauchte immer wieder das "N-Wort". auf. Nazis wurden von der Polizei vertraulich geduzt und auch schon einmal mit einem Bier bewirtet. Vielleicht kann der Staatsschutzsenat des OLG hier auch nicht über seine „innere Schranke“ gehen und den polizeilichen Dilettantismus als solchen benennen. Der Volksmund meint dazu zugespitzt: „Eine Krähe….“
(weiter in der Urteilsbegründung)
Das Dichthalten in der Szene, der Kodex "Mit der Polizei wird nicht geredet", habe über Jahrzehnte die Aufklärung verhindert, so der Vorsitzende. Der Angeklagte selber habe dann 2007 den entscheidenden Hinweis gegeben, als er auf einer Grillfeier einer ihm nahezu Unbekannten gestanden habe: "Das war ich, und sie haben mich nie erwischt."
In der Folge skizzierte Leitges in der Urteilsbegründung die Vorgeschichte der Tat, deren Ablauf und das Geschehen seither, wie sich dies aus Sicht des Gerichts darstellt. Hier nur ein grober Abriss, denn die in der Urteilsbegründung geschilderten Einzelheiten bzw. die diesen zugrunde liegenden Zeug:innenaussagen können ausführlich in unseren Prozessberichten nachgelesen werden.
Der Angeklagte sei 1991 von Peter St. in die Nazi-Skin-Szene eingeführt worden. Man habe dort das 3. Reich verherrlicht und Ausländern das Lebensrecht abgesprochen. Als nichtdeutsch angesehene Menschen seien angepöbelt worden, aber auch Schwule und Linke.
Peter S. habe die NS-Ideologie schnell übernommen und zum ersten Mal im Leben das Gefühl gehabt, dazu zu gehören. Er sei der Schatten von Peter St. gewesen, die Jüngeren hätten auch zu ihm aufgeblickt.
In der Begründung wurden dann die im September 1991 stattfindenden pogromartigen Ausschreitungen in Ostdeutschland thematisiert, insbesondere diejenigen zum Zeitpunkt des Saarlouiser Anschlags in Hoyerswerda.
Am 18.9.91 hätten sich mehrere Saarlouiser Skins am Großen Markt getroffen. Der Angeklagte habe einen ausgeben wollen. An diesem Abend seien dann Samuel Yeboah und sein Freund Thomas G. dort vorbeigekommen, und Yeboah habe zu seinem Freund gesagt: "Du wirst sehen, eines Tages, wenn du zu Hause bist, werden die mich umbringen." Laut Thomas G. wohl eine Vorahnung. Es sei das letzte Mal gewesen, dass dieser Samuel Yeboah lebend sah.
Heiko S., Peter St. und Peter S. hätten sich von der Gruppe getrennt und seien zum Bayrischen Hof gegangen. Dort hätten sie, bezahlt vom Angeklagten, mehrere, wohl neun, "Gedecke" getrunken, wobei ein "Gedeck" aus einem Bier und einem Tresterschnaps bestanden habe. Über die Ausschreitungen in Hoyerswerda seien sie informiert gewesen, wobei aber unklar sei, ob sie auch wussten, dass an diesem Abend dort Brandsätze geworfen worden seien. Sie hätten diese Ausschreitungen begrüßt, und Peter St. habe gesagt: "Hier müsste auch mal was brennen." Allen sei klar gewesen, dass damit die Asylunterkunft in der Saarlouiser Straße gemeint gewesen sei.
Nach der Sperrstunde hätten sie die Gaststätte verlassen, und Peter S. habe sich von den anderen beiden getrennt. An diesem Abend habe er den Entschluss gefasst, den Brand zu legen. Damit habe er sich bei seinen Kollegen hervortun und seinen Hass gegen Flüchtlinge ausleben wollen, entschlossen, Menschen zu verletzen und zu töten.
Unklar sei, woher er den Kanister mit Benzin besorgt habe.
In der Urteilsbegründung wurde dann der Aufbau des Flüchtlingsheims, eines ehemaligen Hotels, beschrieben, sowie die Belegung zum Zeitpunkt der Tat. Das Haus habe einen Vorder- und einen Hintereingang gehabt, die beide nicht verschlossen gewesen seien. Oben wohnten Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern, unten vor allem aus dem ehemaligen Jugoslawien.
Um 3:30 Uhr habe der Angeklagte das Haus durch den Hintereingang betreten. Musik aus einem Zimmer im Erdgeschoss habe ihn nicht von seinem Vorhaben abgehalten. Er habe Benzin auf die unteren Stufen der Treppe geschüttet, darüber den Kanister abgestellt. Er habe das Benzin angezündet und sich dann schnell in Sicherheit gebracht, weshalb bei ihm auch keine Brandspuren zu festzustellen gewesen seien.
Es habe dann eine Verpuffung, einen lauten Knall, gegeben, Fensterscheiben des Treppenhauses seien geborsten, es sei durch die ideale Sauerstoffversorgung zu einem Kaminfeuereffekt gekommen. Samuel Yeboah sei durch den sich blitzschnell nach oben bewegenden Feuerball erfasst worden und habe nicht die geringste Chance gehabt. Er habe Verbrennungen dritten und vierten Grades erlitten, sei nicht mehr in der Lage gewesen, sich zu bewegen. 10 bis 15 Minuten habe er noch um Hilfe gerufen. Zeugen, die seine Todesschreie gehört hätten, hätten zum Teil unter Tränen ausgesagt, sie würden diese Bilder nie vergessen. Als Samuel Yeboah aus dem Haus gebracht worden sei, habe ihm ein anderer Bewohner Zuspruch spenden wollen und habe seine Hand berührt. Dabei sei einer seiner verkohlten Finger abgebrochen und zu Boden gefallen. Er sei qualvoll, in einem mehrstündigen Todeskampf, verstorben, habe im Krankenhaus um Wasser gebeten, aber dies habe man ihm verweigern müssen, weil Mund, Zunge und Rachen verbrannt gewesen seien.
Die Bewohner im Erdgeschoss hätten durch den Haupteingang und Fenster das Haus verlassen können, wobei zwei geschlafen hätten und geweckt worden seien. Die Bewohner in den oberen Stockwerken hätten sich unter anderem über die Feuerleiter oder durch Sprünge aus den Fenstern gerettet, wobei zwei von ihnen Knochenbrüche davongetragen hätten.
Der Vorsitzende würdigte dann die Bewohner, indem er ALLE IHRE NAMEN verlas.
Bewertung:
Die ausführliche Schilderung des Brandgeschehens inklusive der Erwähnung aller Opfer und des fürchterlichen Todeskampfes von Samuel Kofi Yeboah war die emotional eindinglichste Passage der Urteilsverkündung. Den meisten Prozessbeobachter:innen und Medienvertreter:innen standen dabei Tränen in den Augen.
(weiter in der Urteilsbegründung)
Bei der Beweiserhebung seien, so heißt es in der Urteilsbegründung, 85(!) Zeug:innen vernommen worden, acht Nebenkläger seien vertreten gewesen, es seien Schriftstücke sowie Audio- und Videodateien eingebracht und Sachverständige sowie die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe gehört worden. Es gebe Schwierigkeiten, ein Kapitalverbrechen von 1991 mit den Möglichkeiten von heute aufzuklären. Der Strafprozess habe seine Grenzen.
Einige Zeug:innen hätten sich nicht erinnern wollen, einige hätten offensichtlich gelogen. Diese würden sich gegebenenfalls wegen uneidlicher Falschaussage zu verantworten haben. Wieder andere hätten von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. (Anmerkung: Dieses Recht haben Zeugen, die sich mit ihrer Aussage möglicherweise selbst belasten würden.)
Am 25. Prozesstag habe Peter S., der zuvor abgestritten hatte, die Tat begangen zu haben, eingestanden, am Tatort gewesen zu sein, allerdings nur als Mitläufer. Er habe dabei Täterwissen offenbart: Die Treppe sei mit Teppichboden belegt gewesen. Später habe er gegenüber zwei Zeuginnen eingeräumt, den Anschlag verübt zu haben:
Natalie W. gegenüber habe er, als er von einem Szeneangehörigen als "Feuerteufel" bezeichnet worden sei, auf Nachfrage gestanden, er sei es gewesen und sie hätten ihn nicht bekommen. 16 Jahre nach dem Verbrechen habe er der Zeugin Diana K. auf einem Grillabend dieses ebenfalls gestanden. Dass diese ihr Wissen erst 12 Jahre später, 2019, gegenüber der Polizei offenbart habe, sei dem Umstand geschuldet, dass sie da durch einen Internetbeitrag erstmals erfahren habe, ein Mensch, Samuel Yeboah, sei dabei ums Leben gekommen. In ihrer Aussage sei nichts zu Beanstandendes festzustellen gewesen.
Das Geständnis des Angeklagten - siehe oben - sei lediglich eine geständige Einlassung über seinen Verteidiger gewesen, ohne jede Möglichkeit der Nachfrage durch das Gericht, die Nebenklage und die Bundesanwaltschaft. Es habe einen erheblich verminderten Beweiswert, weil es ein schriftlich ausgearbeitetes Vorbringen der Verteidigung gewesen sei. Im Gegensatz zu mündlichen Aussagen könne daraus keine direkte Information gewonnen werden. Hinzu komme, dass er seine Einlassung während der Hauptverhandlung abgeändert habe. Der Senat sehe keinen Hinweis auf den vom Angeklagten als Haupttäter belasteten Heiko S. oder einen weiteren Täter. Heiko S. habe zweimal und ohne Belastungseifer ausgesagt, obwohl er sich im Gegensatz zu anderen auf sein Aussageverweigerungsrecht hätte berufen können. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass Heiko S. die Unwahrheit gesagt habe.
In der Szene sei hingegen Peter S. mit dem Anschlag in Verbindung gebracht worden: "Die Spatzen pfiffen es von den Dächern", so habe es ein Zeuge ausgedrückt.
Der Angeklagte sei es alleine gewesen, habe gegenüber der Zeugin Diana K. gesagt: "Das war ICH, und sie haben MICH nie erwischt". So habe er sich auch gegenüber der Zeugin Natalie W. geäußert. Heiko S. habe er nach Überzeugung des Senats zu Unrecht beschuldigt.
Ein Zeuge habe zwar nachts zwei Personen gesehen, darunter eine blonde Frau. Jedoch hätten diese nach Auffassung des Gerichts nichts mit dem Brandanschlag zu tun, da keine blonde Frau Mitglied der Szene gewesen sei und diese Beobachtung und der Anschlag zeitlich auseinander liegen würden.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 47. Prozesstag - Teil 3:
Update vom 01.10.2023
Nebenklage betont politisch-rechtsextreme Dimension der Tat und kritisiert entpolitisierende Taktik der Verteidigung
An diesem letzten Prozesstag (26.9.23) vor der Urteilsverkündung am 9.10.23 folgten im Anschluss an die Plädoyers der Verteidigung die der vier Anwält:innen der Nebenklage. Im zweiten Teil unseres Berichtes zu diesem Prozesstag haben wir über die Plädoyers der Nebenklagevertreter Christian Schmitt und Björn Elberling informiert.
Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann
Rechtsanwalt Hoffmann bat ebenfalls darum, über seine Mandanten nicht identifizierend zu berichten.
Der Anschlag sei ein Versuch gewesen, ein Fanal in der Region für weitere Anschläge zu setzen. Der Angeklagte sei sich dessen bewusst gewesen. Man müsse nicht Politikwissenschaft studiert haben, um zu wissen, dass ein Funke einen Steppenbrand entzünden könne.
Auch in der heutigen Situation werde wieder lamentiert, Geflüchtete müssten mit allen Mitteln von Deutschland ferngehalten oder abgeschoben werden. Angesichts der verhandelten Tat sei der Mut einer Zeugin ausschlaggebend für das Verfahren gewesen. Die Ermittlungen der Polizei damals seien schlecht gewesen, hätte keine Ergebnisse gebracht. Ernsthafte Ermittlungen in der Nazi-Szene habe es keine gegeben. Auch das Gericht habe seine Verwunderung und sein Missfallen zum Ausdruck gebracht über die Polizeibeamten von damals, die als Zeugen vernommen worden seien.
Seine Mandanten seien nicht informiert, nicht betreut und nicht als Opfer einer rassistischen Tat anerkannt worden.
Nach Jahrzehnten, jetzt beim Prozess, sei herausgekommen, aus der Aussage einer Frau aus der Nachbarschaft, sie habe Personen mit schwarzen Kapuzen gesehen, sei in den Polizeiakten geworden, sie habe "N...r" gesehen. Das N-Wort sei schon damals beleidigend, Ausdruck von Geringschätzung gewesen und hätte in den Akten nicht verwendet werden dürfen. Die Polizei habe die Aufmerksamkeit auf Bewohner als Verdächtige gelenkt und hierzu die Aussage einer Zeugin verfälscht.
Im Umgang mit Nazis hingegen sei die Polizei freundlich gewesen. Man habe sie geduzt. Es habe keine Nachfragen im Bayrischen Hof gegeben, und es seien wegen des Benzins keine Tankstellen überprüft worden. Dies sei ein Paradebeispiel für institutionellen Rassismus und solle in Schulungen der Polizei künftig einer Rolle spielen.
Die Zeugin Diana K. habe sich schwer getan, aber sie habe ausgesagt. Ihr und der bei der Wiederaufnahme der Ermittlungen tätigen Polizei zolle er Respekt.
Bei der Polizei habe Peter S. am 26.9.91 ausgesagt: "Keiner von uns war betrunken." Die Sache mit dem vielen Alkohol, der an dem Abend konsumiert worden sei, sei erst nach der Wiederaufnahme der Ermittlungen gekommen.
Wenn Verteidiger Britz gesagt habe, nach der Erinnerung des Angeklagten habe es keine Befürwortung von Brandanschlägen und keine Pogromstimmung gegeben, so sei dies widerlegt. Man habe sich am Leid der Opfer berauscht. Am vierten Prozesstag seien Fotos gezeigt worden von Peter S. in SS-Uniform, mit Hakenkreuzbinde und mit Kriegswaffe, mit der er auf einer Familienfeier posiert habe. Offenbar könne eine Familie auch mit rechtsextremer Ideologie funktionieren, die Gründung einer Familie stehe nicht, wie von der Verteidigung suggeriert, zu dieser im Gegensatz.
Die späteren Tattoos, wie der höhnisch grinsende Feuerball (als Anspielung auf den Anschlag) zeigten, dass da nichts von Reue sei, sondern eine Verhöhnung der Opfer stattfinde. Die Tattoos seien später gemacht und NICHT überdeckt worden.
Es sei eine Lüge, Peter S. habe sich von seiner Nazi-Vergangenheit distanziert, wie er über seinen Anwalt habe erklären lassen. Er habe immer rücksichtslos seine Bedürfnisse verfolgt. Seine erste Freundin habe er bedroht, wie er selber zugegeben habe, einer späteren Lebensgefährtin im Streit die Autoscheibe kaputt geschlagen.
Im Sommer 1991 habe er auf gutes Ansehen in der Gruppe gezielt. Aber NS-Einstellungen erforderten keine intellektuellen Leistungen, um Teil der Persönlichkeit zu werden. Die Verherrlichung von NS-Deutschland habe damals zum Alltag gehört, und Polizeibeamte hätten permanent das N-Wort verwendet. Als er Peter St. im Knast kennen gelernt habe, habe er ihm Lebensmittel gegeben, denn die anderen hätten diesem wegen seiner politischen Einstellung nichts geben wollen. "Bei der Essensausgabe waren keine Deutschen, sondern Zigeuner", habe Peter S. gesagt.
Er habe den Brand gelegt, um ein Fanal zu setzen und um bei seinen Kameraden Ansehen zu gewinnen. Andere als Deutsche hätten für ihn kein Lebensrecht.
Es sei einfach, den "Verräter" Heiko S. zu belasten. Was er aber nicht beachtet habe: Die Kameraden von damals hätten sich weiter entwickelt, die Naziszene habe sich verändert. Hoffmann zum Angeklagten: "Sie, Herr S., spielen keine Rolle mehr. Ihre Kameraden hatten keine Probleme, gegen Sie auszusagen."
Auch Hoffmann forderte kein konkretes Strafmaß.
Nebenklageanwältin Kristin Pietrzyk
Rechtsanwältin Pietrzyk drückte zunächst den Dank ihres Mandanten gegenüber den Anklagebehörden und den Polizeibeamten aus, die ermittelt und den Fall aus der Versenkung geholt hätten, sowie gegenüber den Personen, die 30 Jahre an die Ereignisse erinnert hätten. Ohne diese Erinnerung wäre es der Zeugin Diana K. nicht aufgefallen, dass das Geständnis des Angeklagten ihr gegenüber sich auf den Mord an Samuel Yeboah bezogen habe. Dies sei ausschlaggebend gewesen dafür, dass Diana K. ausgesagt habe.
Respekt gebühre auch dem Gericht, dass es am Jahrestag des Anschlages ausdrücklich auf diesen verweise. Das sei nicht nur eine stille Erinnerung, sondern eine Mahnung an die Nichtbetroffenen.
Sie betonte, eine Ideologie werde nicht beliebig übernommen. Es sei KEIN Zufall, wenn jemand antisemitisch und rassistisch sei, eine mit eliminatorischen Elementen versetzte Ideologie vertrete und die Shoah zum Objekt des eigenen Amüsements mache. Sie sei erschüttert, dass eine derartige Argumentation 2023 in einem Gerichtssaal ausgesprochen werde.
Auch sie stellte keinen konkreten Antrag zum Strafmaß. Ihren Mandanten gehe es um Aufklärung, Anerkennung und darum, dass es ein Urteil gebe. "Wozu", sagte sie an Verteidiger Britz gerichtet, "Ihr Mandant nichts beigetragen hat". Für sie gebe es keinen Zweifel, dass der Angeklagte verurteilt werde. Sofern nach Jugendstrafrecht geurteilt werde, könnten auch dann die Beweggründe vollständig einbezogen werden, betonte sie unter Bezugnahme auf verschiedene BGH-Urteile.
Motive
Der Angeklagte habe persönliche Ziele verfolgt, habe versucht, sich Anerkennung zu verschaffen. Kurz nach der Tat sei er der Stellvertreter des Chefs Peter St. geworden. Pietrzyk bezweifelte, dass er diese Stellung durch Führungsstärke bekam. Vielmehr habe er sich als verlässlicher, die Sache voranbringender Kamerad erwiesen.
Der Anschlag sei Teil einer Reihe von Anschlägen im Saarland in dieser Zeit gewesen. Pietrzyk sprach von einer "Liste des Grauens". So sei unter anderem im November 1991 ein Sprengstoffanschlag auf das PDS-Büro in Saarbrücken vereitelt worden, im August desselben Jahres habe es einen Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Saarlouis-Roden gegeben.
Das Ziel, so Pietrzyk: Nichtdeutsche sollten sich nirgendwo sicher fühlen und auswandern.
Peter S. habe mitgedreht an der Spirale der Gewalt. Er habe sich nicht zurückgezogen. Als er im kleinen Kreis geheiratet habe, habe er Peter St. und andere Szenemitglieder zur Hochzeit eingeladen. Es entstehe eher der Eindruck, der Angeklagte trauere der Zeit in der rechten Szene nach, statt sich von ihr zu lösen. Er sehe sich als Teil einer Elite, die berechtigt sei, "minderwertiges Leben" auszulöschen.
Pietrzyk zum Angeklagten: "Meine Mandanten sind noch da. Sie haben ihnen die Stirn geboten. Sie haben nichts erreicht."
Im Anschluss an die Plädoyers der Nebenklagevertreter:innen gab der Vorsitzende Richter dem Angeklagten das letzte Wort. Dieser antwortete in kategorischem Tonfall: "Ich verzichte darauf!"
Der Prozess ist abgeschlossen bis auf die Urteilsverkündung. Diese ist für 9.10.23 geplant und öffentlich.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 47. Prozesstag - Teil 2:
update 30.09.2023
Angeklagter voll verantwortlich - späte Anerkennung des Leids der Opfer
An diesem letzten Prozesstag (26.9.23) vor der Urteilsverkündung am 9.10.23 folgten im Anschluss an die Plädoyers der Verteidigung die der vier Anwält:innen der Nebenklage.
Nebenklageanwalt Christian Schmitt:
Er schloss sich der Beweisführung der Generalbundesanwaltschaft (GBA) an. Er vertrete, erklärte Schmitt, die Interessen eines Geschädigten und konzentriere sich auf seinen Mandanten. Zweck des Prozesses sei es gewesen, herauszufinden, wer das Haus in Brand gesteckt habe, welches sein Mandant als sein Zuhause bezeichnet habe. Es bestehe kein Zweifel, dass der Angeklagte die Tat begangen habe und dass es sich um einen rechtsextremen Anschlag gehandelt habe. Das werte er anders als die Verteidigung. Allerdings widersprach er in einem Punkt dann doch der GBA: Es habe zwei Täter vor Ort gegeben, sein Mandant habe zwei Täter gesehen. Dass der Angeklagte keine Fragen zu seiner "geständigen Einlassung" (9.5.23) zugelassen habe, erschwere die Aufklärung.
Dass Heiko S., wie von Peter S. kolportiert, der weitere Täter gewesen sei, dazu gebe es keine hinreichenden Beweise, auch wenn dieser damals von einer menschenverachtenden Ideologie durchdrungen gewesen sei. Ebenfalls mache die (damalige) internationale Vernetzung des Heiko S. diesen nicht zum Täter. Dass der Angeklagte nur dabei gewesen sei, während Heiko S. die Tat alleine begangen haben soll, sei ebenso widerlegt wie die Behauptung, Szeneführer Peter St. habe Brandanschläge abgelehnt.
Dass der Brandanschlag zumindest teilweise aufgeklärt worden sei, sei der Zeugin Diana K. zu verdanken. Der (aus Angst erfolgte) Druck aus ihrer Familie, nicht auszusagen, sei groß gewesen. An sie gehe der Dank seines Mandanten, ebenso wie an die GBA und an die bei der Wiederaufnahme der Ermittlungen tätige Polizei. Deren Ermittlungen stünden im Gegensatz zu dem, was die Polizisten damals direkt nach dem Brandanschlag getan hätten: Sein Mandant sei damals trotz Verständigungsproblemen ohne Dolmetscher vernommen worden. Dass er angegeben habe, zwei Personen am Fenster gesehen zu haben, habe nicht den Weg in die Vernehmungsakten gefunden.
Er leide noch heute psychisch an dem Erlebten, sei vor dem Krieg (im ehemaligen Jugoslawien) nach Deutschland geflohen, wo er seine Frau kennengelernt habe, habe Kinder, aber er sei bis heute in psychologischer Betreuung. Der Anblick des verkohlten Leibes von Samuel Yeboah, und wie diesem ein Finger abgefallen sei, lasse ihn nicht los.
Rechtliche Würdigung:
Der Angeklagte habe nicht darauf vertrauen können, dass sein Mandant geweckt werde und sich retten könne. Er habe es in Kauf genommen, dass dieser getötet werde.
Er maße sich nicht an, einen konkreten Strafantrag zu stellen. Vielmehr solle der Senat ein Maß finden, welches das Leiden seines Mandanten berücksichtige.
Nebenklageanwalt Dr. Björn Elberling
Rechtsanwalt Elberling stellte klar, es seien von Anfang an antifaschistische und antirassistische Gruppen gewesen, die gesagt hätten, die Tat sei aus den Reihen von Nazi-Skins verübt worden. Das Verfahren habe gezeigt, dass sie Recht hatten. Der Prozess habe eine teilweise Aufklärung der Tat gebracht. Ebenso sei eine weitere Aufklärung beim anstehenden Prozess gegen den Stichwortgeber Peter St. zu erbringen.
Es blieben Fragen offen: Nach Mitwissern und nach dem Zusammenhang mit weiteren Anschlägen in Saarlouis und Umgebung. Damals hätte es Ermittlungen gegen eine terroristische Vereinigung geben müssen. Heute lasse sich das nicht mehr nachvollziehen und recherchieren.
Ohne den Akt menschlichen Anstands der Zeugin Diana K. die ansonsten verstörend unpolitisch gewesen sei, wäre es nicht zum Prozess gekommen, so Elberling. Die erfolgte Aufklärung des Anschlags sei ein Signal an die Opfer weiterer Anschläge, die nicht aufgeklärt seien. Sie sei ebenfalls ein Signal an die Täter, dass sie nicht ungeschoren davon kämen. Der Grundsatz "Brüder schweigen" stimme nicht immer. Im Prozess seien auch den Angeklagten belastende Aussagen von Ex-Skins gemacht worden.
Peter S. sei überführt im Sinne der Anklage: Mord, zwanzigfacher versuchter Mord und schwere Brandstiftung. Seine Mandanten seien verstört durch den Umstand, dass ein 52fähriger wegen Mordes nur zu maximal 10 Jahren verurteilt werden könne. Die auf die in der Biografie des Angeklagten festgestellte Reifeverzögerung folgende Nachreifung habe an dessen rechtsextremer, mörderischer Ideologie nichts verändert. Dieser hänge er noch heute an.
Die tattreibende Ideologie finde im Jugendstrafrecht nicht immer ihren Niederschlag. Peter S. müsse wegen Mordes und 20fachen versuchten Mordes verurteilt werden.
Seine Mandanten, die zum Teil immer noch in der Region lebten, wünschten nicht, dass die Medien über sie in identifizierender Weise berichteten. Sie wären beim Prozess gerne dabei gewesen.
Einige Opfer des Anschlags seien vom Staat abgeschoben worden. Im Gegensatz zum Täter bekämen sie - wie auch die hier lebenden Opfer - keine zweite Chance.
Elberling schilderte eindringlich, wie seine Mandanten aufgrund der erlebten Traumata heute noch massiv leiden. Sie hätten erlebt, dass der rassistische Charakter der Tat geleugnet wurde. Jetzt erst habe sich der Oberbürgermeister von Saarlouis entschuldigt und die Tat als rassistisch benannt.
Es habe aber auch Organisationen gegeben, die seit 1991 für ein Gedenken gestritten hätten, seit der Demo am Samstag nach der Tat, drei antifaschistische und antirassistische Organisationen: Die Antifa Saar, die Aktion 3.Welt Saar und der Saarländische Flüchtlingsrat. Er bedanke sich im Namen seiner Mandanten bei den drei Organisationen.
Seine Mandanten erlebten jetzt Anzeichen dafür, dass die drei Jahrzehnte der Ignoranz vorbei seien. Sie erhielten Unterstützung von Opferberatungsstellen und zum ersten Mal auch Unterstützung von der Politik.
Peter S. bemühe sich nun, den "Verräter" Heiko S. zu belasten. Seine Einlassung sei eine im anwaltlichen Deutsch formulierte Aussage, er habe nicht beabsichtigt, jemand zu töten. Allerdings sei nicht davon auszugehen, dass er angenommen habe, die im Erdgeschoss Anwesenden seien wach und könnten sich retten. Er habe nicht wissen können, dass diese am Feiern waren, da keine Musik gelaufen sei und die Unterhaltung sich auf Zimmerlautstärke beschränkt habe. Wäre er davon ausgegangen, hätte er damit rechnen müssen, auf frischer Tat ertappt zu werden. Er habe sich die ihm von seinem Anwalt Britz in der Einlassung unterstellten Gedanken nicht gemacht.
Es habe sich um eine Absichtstat gehandelt. Er habe nicht darauf spekuliert, dass sich Hausbewohner retten könnten, im Gegenteil habe er deren Rettung befürchtet, habe planvoll in der Absicht gehandelt, möglichst viele Menschen zu töten. Wären seine Mandanten nicht wach gewesen, hätte er sein Ziel erreicht. In der Szene sei auch nicht gesagt worden, der Anschlag sei zu weit gegangen, vielmehr sei dieser gefeiert worden. "Einer weniger", habe es geheißen, und Jahre später seien noch Witze darüber gemacht worden. Peter S. habe nie Reue und Distanzierung gezeigt.
Er sei zu verurteilten wegen Mordes, 20fachen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung. Einen Antrag zum Strafmaß stelle er nicht.
Elberling wies in seinem Plädoyer neben dem Wegsehen staatlicher Institutionen ausdrücklich auf drei zivilgesellschaftliche Organisationen hin, die eben nicht geschwiegen haben:
"An der Stelle ein kleiner Einschub, denn während der offizielle Politik in Stadt, Land und Bund reagierte wie gerade beschrieben, gab es auch Organisationen, die seit 1991 für ein angemessenes Gedenken und für eine Anerkennung des rassistischen Hintergrunds der Tat gestritten haben. Antifaschistische und antirassistische Organisationen haben das unermüdlich getan, seit jener Demonstration am Samstag nach der Tat in Saarlouis, von der wir hier nur aus den damaligen Beschuldigtenvernehmungen der Neonazis erfahren haben, die es sich nicht nehmen ließen, wenige Tage nach der Tat dort Präsenz zu zeigen. Vor allem drei Organisationen waren es, die die Erinnerung an die Tat und das Gedenken an Samuel Yeboah über mehr als 3 Jahrzehnte hochgehalten haben: die Antifa Saar, deren Broschüre „Kein schöner‘ Land“ über die Gruppe um Strumpler und Schlappal nicht umsonst eine erste Referenz für die Ermittlungen des LPP ab 2019 darstellte, die Aktion 3. Welt Saar und der Flüchtlingsrat Saar. Bei ihnen möchte ich mich an dieser Stelle, auch im Namen meiner Mandanten, ganz ausdrücklich bedanken."
Siehe auch Süddeutsche Zeitung vom 26.09.2023: https://t1p.de/6qx2j
sowie Kommentar von Thomas Gerber (Saarländischer Rundfunk) in Tagesschau vom27.09.2023:
Der Prozess ist abgeschlossen bis auf die Urteilsverkündung. Diese ist für 9.10.23 geplant und öffentlich.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 47. Prozesstag - Teil 1:
update 29.09.2023
Erziehungsgedanke müsse im Mittelpunkt stehen, Jugendstrafe von 4,5 Jahren sei angemessen
Am 26.9.23 brachten zunächst die beiden Verteidiger, Prof. Dr. Guido Britz und Dr. Kai-Daniel Weil, ihr Plädoyer vor, wobei sie sich, wie am Vortag schon die Generalbundesanwaltschaft (GBA), abwechselten.
Vorwort (Guido Britz)
Britz verwies zunächst in einer Vorbemerkung darauf, der Vorsitzende Richter Leitges habe in der vorangegangenen Woche in Erinnerung gerufen, dass sich der Brandanschlag von 1991 zum 32. Mal jähre. Es sei Aufgabe dieses Prozesses, betonte Britz, den konkreten Sachverhalt mit den bescheidenen Mitteln des Verfahrensrechts zu rekonstruieren, während die Aufarbeitung des schlimmen Geschehens, also Wahrheitsfindung, nicht Gegenstand sei: "Es gibt eine Wahrheit, doch wir werden sie nie erfahren." Das Geschehen liege über 30 Jahre zurück, Zeugen seien nicht mehr greifbar oder hätten Schwierigkeiten, sich zu erinnern. Lücken dürften aber nicht durch Spekulationen gefüllt werden.
Die Generalbundesanwaltschaft habe mehrere Lücken im Sachverhalt übergangen. So sei damals (im Mai 1993, was er aber nicht konkret sagte) de facto das Grundrecht auf Asyl abgeschafft worden, womit auf vorangegangene Entwicklungen reagiert worden sei: Die Zahlen der Asylsuchenden seien 1990/91 gestiegen, es habe eine weit verbreitete Xenophobie in der Bevölkerung gegeben, und im TV habe man gesehen, wie auch "normale" Bürger bei Anschlägen applaudierten. Das heute zu Recht geächtete N-Wort sei damals nicht verpönt gewesen und folglich auch in Polizeiprotokollen aufgetaucht.
Das Plädoyer der GBA habe den Versuch dokumentiert, in mühevoller Kleinarbeit das damalige Geschehen zu rekonstruieren und in eine Reihe mit dem Pogrom von Hoyerswerda zu stellen. Dies sei nicht gelungen. Mit der "geständigen Einlassung" (vom 9.5.23) habe der Angeklagte, anders, als von der GBA dargestellt, zur Aufklärung beigetragen, was ihm nicht leicht gefallen sei, denn das Geständnis datiere aus einer Vergangenheit, die er zurückgelassen und überwunden geglaubt habe. Es stehe für ihn viel auf dem Spiel: Er habe geheiratet, sei Vater geworden und sei beruflich etabliert.
Das Verfahren belaste ihn sehr, ebenso wie das Wissen, dass das das Geschehene nicht wiedergutzumachen sei.
Zur Person von Peter S.
Dazu und zu seiner Leidensgeschichte hätten Frau Dr. Leupold, psychiatrische Gutachterin, Frau Aktun als Vertreterin der Jugendgerichtshilfe Saarlouis und die GBA das Wesentliche gesagt. Frau Leupold habe für den Tatzeitpunkt keine Hinweise auf politische Auffassungen bei ihm erkannt. Vielmehr sei er politisch neutral gewesen. Er habe die emotionale Unterversorgung durch die Familie kompensieren wollen, zunächst Partys feiern wollen und viel Alkohol zu konsumieren begonnen. Wann eine rechte politische Einstellung bei ihm dominant geworden sei, sei nicht feststellbar.
Beweisführung (Kai-Daniel Weil)
Die Version der GBA, nach der Peter S., Peter St. und Heiko S. am Vorabend der Tat angetrunken im Bayrischen Hof über Brandanschläge gesprochen und Peter S. dann später um 3:30 Uhr via Hintereingang mit Benzin alleine den Brand gelegt habe und dann noch vor Ort geblieben sei, sei durch nichts bestätigt. Für die Version der Anklage sprächen nur die Aussagen von Diana K. und Heiko S., sonst nichts. Den Mangel an Belegen für diese Version versuche die GBA zu kaschieren, indem sie die Aussage des Angeklagten als unwahr unterstelle.
Auch die Vorbildfunktion von Hoyerswerda sei nicht bestätigt. Für die Zeit von Mai bis September 1991 sei keine rechtsextreme Einstellung des Angeklagten bekannt. Seine ungünstigen Familienumstände hätten ihn zufällig in die Szene geführt. In welchem politischen Stadium sich diese Szene befand, sei bis heute unbekannt. Hätte er stattdessen Personen aus der linken Szene getroffen, hätte er sich diesen angeschlossen.
Bewertung: Dieses Zerrbild der Realität muss man sich auf der Zunge zergehen lassen!
Bundesweit in der Naziszene vernetzt sei nicht Peter S., sehr wohl aber Heiko S. gewesen. (Woraus der Aussteiger Heiko S. allerdings bei jeder seiner Vernehmungen keinen Hehl machte und dies benannte.)
Die Ehefrau des Angeklagten sei am 19.9.21 auf der Gedenkdemo in Saarlouis zum 30. Jahrestag des Anschlags gewesen, um zu checken, ob für den Angeklagten und seine Familie eine Gefahr von Übergriffen bestehe. Die Polizei sei nämlich davon ausgegangen, die Familie sei bedroht und habe dieser empfohlen, nicht das Haus zu verlassen.
In die beiden Tattoos auf den Unterarmen des Angeklagten - Feuerball und Paulchen Panther - sei ohne Grund etwas hineininterpretiert worden. Paulchen Panther sei kein szenetypisches Tattoo gewesen. (Redaktion: Der NSU hatte sich dieses Motiv zu eigen gemacht.)
Das Treffen von Peter S. und Peter St. in der Waschstraße sei keineswegs konspirativ gewesen, es sei nicht einmal sicher, ob Peter St. die Person war, die sich in dem Auto befunden habe. Rechte Parolen habe die TKÜ (Tele-Kommunikations-Überwachung) nur bei Peter St. dokumentiert, nicht bei Peter S., der nicht mit der Tat hausieren gegangen sei.
( Bewertung: Hier wird einfach übergangen, mit welchem Stolz und welcher Häme Peter S. regelmäßig laut Zeug:innen reagierte, wenn er auf den Brandanschlag angesprochen wurde.)
Zum „Wie“ der Ausführung:
Peter S., so Weil, habe in seiner "geständigen Einlassung" eine Wahrheit offenbart, die anderweitig nicht bekannt geworden wäre und sei dabei das Risiko eingegangen, alles zu verlieren, was er sich aufgebaut habe.
Demnach habe er Heiko S. zur Asylunterkunft begleitet und sei dabei gewesen, als dieser das Benzin ausgeschüttet und angezündet habe. Er sei ein zurückhaltender Mensch gewesen und habe zuvor nur Diebstähle begangen. Bei der Tat sei er stark alkoholisiert und nur zur Unterstützung, nicht als Täter, dabei gewesen.
Auch die Hauptbelastungszeugin Diana K. habe nicht durchgängig die Wahrheit gesagt und habe erst mehr als ein Jahrzehnt nach der mutmaßlichen Selbstbezichtigung des Angeklagten ihr Wissen offenbart. Beim Angeklagten seien 1991 keine Brandspuren bei der Vernehmung festgestellt worden, etwa versengte Haare oder verbrannte Fingerkuppen. Dass die Einlassung des Angeklagten über den Verteidiger vermittelt erfolgte, vermindere zwar deren Beweiswert, aber das bedeute nicht, dass ihr überhaupt kein Beweiswert zukomme.
Der vermeintliche Saubermann Heiko S. sei international in der Naziszene vernetzt gewesen und habe sich nicht von rechtsextremem Gedankengut distanziert. Bei Konfrontation mit den Tatvorwürfen habe er zittrig und nervös reagiert. Das mache verdächtig. Warum habe er sein Wissen beim Ausstieg nicht benutzt? Wäre er Kronzeuge, müsste er laut Weil viel mehr Detailwissen preisgeben als bisher.
Als dieser davon berichtet habe, der Angeklagte habe ihm erzählt, Überlebende des Anschlags hätten draußen auf Matratzen gesessen, habe er in Wirklichkeit eigenes Täterwissen offenbart wegen seiner eigenen Anwesenheit am Tatort.
Weil verwies darauf, mehrere Zeugen hätten übereinstimmend ausgesagt, Heiko S. sei die Tat zuzutrauen gewesen. (Redaktion: Von einer tatsächlichen Beteiligung war allerdings in diesen allgemeinen Aussagen nirgends die Rede.)
Es stehe Aussage gegen Aussage. Heiko S. sei nicht glaubwürdig.
Das „Warum“
Ein haltloser junger Mann habe die Sehnsucht nach Anerkennung und Dazugehören gehabt. Er habe sich unverstanden gefühlt, und die Szene habe dem jungen Mann Orientierung und Halt in schwieriger Zeit gegeben. Die Kontakte zu diesem Personenkreis hätten sich zufällig ergeben, anderenfalls hätte auch eine Entwicklung nach links stattfinden können. Es habe sich ein staatliches Versagen bei Prävention und Deradikalisierung gezeigt, ein eklatantes Behörden- und Politikversagen! Landespolizeipräsident Rupp habe sich für die Defizite in der damaligen Polizeiarbeit entschuldigt.
Rechtliche Würdigung (Guido Britz)
Einen Vorsatz zur Ermordung der acht Personen im Erdgeschoss habe es bei Peter S. nicht gegeben, betonte Britz. Er und Heiko S. hätten angenommen, dass diese sich in Sicherheit bringen können. Sie hätten deren Stimmen gehört und seien folglich davon ausgegangen, sie seien wach. Hinsichtlich der 13 Personen im Obergeschoss sei es Mordversuch gewesen. Heiko S. habe den Brand aus niedrigen Beweggründen heimtückisch gelegt. Eine Gemeingefährlichkeit des Tatmittels scheide aus, da über die Personen im Haus hinaus nicht noch weitere getötet werden sollten. Peter S. sei dabei Randfigur gewesen, habe als Mitläufer Zustimmung bekundet, nur aus Geltungsbedürfnis heraus gehandelt und sich profilieren wollen.
Eine rechtsextreme Gesinnung sei bei ihm nicht bewusstseinsrelevant und nicht handlungsleitend gewesen. Es bleibe das Merkmal der Heimtücke, er habe sich der Beihilfe zum Mord und des Mordversuchs in 12 Fällen sowie zur schweren Brandstiftung schuldig gemacht.
Strafzumessung
Jugendstrafe müsse zur Anwendung kommen, der Erziehungsgedanke müsse im Mittelpunkt des Urteils stehen, denn er sei zur Tatzeit einem Jugendlichen gleich gewesen. Das von der GBA beantragte Strafmaß sei unzulässig.
Eine Reihe von Faktoren sprächen für den Angeklagten:
- Seine Einlassung, mit der eine Verkürzung des Verfahrens erzielt worden sei
- Nur Beihilfe, nicht Alleintäterschaft
- Die Tat liege 32 Jahre zurück
- Eine erhebliche Verfahrensdauer, einschließlich der damaligen Ermittlungen
- Die damalige xenophobe gesellschaftliche Stimmung
- Die falsche Gewichtung der Rolle von Heiko S.
- Sein kooperatives Verhalten während des gesamten Verfahrens
- Das Fehlen von niedrigen Beweggründen, der Alkohol, die jugendliche Unreife usw.
- Die lange U-Haft, teilweise unter Pandemiebedingungen, private Besuche nur überwacht, also keine Privatsphäre
- Eine belastende mediale Berichterstattung
- Tadelloses Verhalten in der Haft, wo er auch arbeite
Britz beantragte eine Jugendstrafe von 4,5 Jahren. Diese sei angemessen. Die Auslagen solle der Angeklagte nicht tragen, denn das sei eine Zusatzstrafe.
Siehe auch Tagesschau vom 26.09.2023
Redaktioneller Hinweis:
Wir haben die Ausführungen der Verteidigung bewusst umfangreich dokumentiert, damit sie nachvollziehbar sind, ohne sie uns damit zu eigen zu machen. Wir teilen den unentwegt vorgebrachten Hinweis auf die schwierige Kindheit des Angeklagten als Ursache der daraus vermeintlich resultierenden Anfälligkeit für nationalsozialistische Auffassungen und die daraus abgeleiteten Forderung nach Strafmilderung nicht.
Der Prozess ist abgeschlossen bis auf die Urteilsverkündung. Diese ist für 9.10.23 geplant und öffentlich. Am 47. Prozesstag (26.9.23) gab es außer den Plädoyers der Verteidigung noch die von den vier Anwält:innen der Nebenklage, über die wir im zweiten Teil berichten werden.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 46. Prozesstag - Teil 2:
Update 27.09.2023
Wegen Schwere der Schuld Jugendstrafe von 9,5 Jahren gefordert - knapp unter der möglichen Höchststrafe von 10 Jahren
An diesem Prozesstag, dem 25.9.23, stand das Plädoyer des Vertreters - Oberstaatasanwalt Dr. Malte Merz - und der Vertreterin - Staatsanwältin Sophie Gößl - der Generalbundesanwaltschaft (GBA) an, nach vorangegangenen 45 Prozesstagen. Die beiden brachten ihr Plädoyer abwechselnd vor.
Einordnung (Malte Merz)
Zunächst betonte Merz die psychologische und politische Dimension des Anschlags und der strafrechtlichen Aufarbeitung: Er sprach ausdrücklich von einem rechtsextremen Brandanschlag. Der Prozess sei ein Signal für alle Betroffenen und Opfer der rechtsextremen Ausschreitungen der 1990er Jahre: Die Pogrome von Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Solingen und eine Reihe anderer hätten das wiedervereinigte Deutschland in dieser Zeit geprägt. Eine vom Hass auf "vermeintlich andere" getragene rechte Jugendkultur habe die Taten zu verantworten. In diese Reihe sei auch der im Prozess verhandelte Anschlag in Saarlouis zu stellen, bei dem Samuel Kofi Yeboah unter unvorstellbaren Qualen seinen Brandverletzungen erlegen sei. Das Verfahren habe den Tatvorwurf und somit die Schuld des Angeklagten in vollem Umfang bestätigt.
Biografie (Sophie Gößl)
Gößl skizzierte dann die Biografie des Angeklagten, sein Aufwachsen in schwierigen Verhältnissen - ungeliebt von der Mutter, misshandelt vom Stiefvater, Heimaufenthalte, abgebrochene Lehre, Kriminalität - Tatsachen, die im Laufe des Prozesses immer wieder thematisiert wurden, nachzulesen in mehreren unserer Prozessberichte.
Er befinde sich jetzt seit 17 Monaten in U-Haft. Bemerkenswert sei ein Tattoo in Form eines hämisch grinsenden Feuer(!)balls am linken Unterarm sowie ein rosaroter Panther, den er sich 2011 oder 2012 am rechten Unterarm habe tätowieren lassen - also in zeitlicher Koinzidenz mit dem Auffliegen des NSU, dessen Symbol der rosarote Panther gewesen sei.
Zu den Motiven des Angeklagten betonte sie, die Beweisaufnahme habe bestätigt, dass er zur Tatzeit eine von NS-Ideologie geprägte Überzeugung hatte. Damals habe er Menschen mit ausländischem Hintergrund abgelehnt und tue dies AUCH HEUTE NOCH! Er sei eine prägende Figur in der Saarlouiser Naziszene gewesen, zusammen mit seinem Freund Peter St., zu dem er bis heute aufschaue.
Sie schilderte die aus den verschiedenen Zeugenvernehmungen bekannten Strukturen und personellen Beziehungen der Saarlouiser Skinhead-Szene, die Verherrlichung des NS auf unzähligen Feiern. "Deutschland den Deutschen" sei das Motto der Gruppe gewesen, Rassistische Schimpfworte wie "N..." und "Kanaken" oder Parolen wie "Sieg Heil!" seien üblich gewesen.
Anschließend skizzierte sie das mutmaßliche Tatgeschehen, insbesondere das Treffen im Bayrischen Hof am Vorabend des Anschlags, wo sich der Angeklagte Peter S., Szeneanführer Peter St. und Heiko S. über die Anschläge und die Pogromstimmung in Ostdeutschland ausgetauscht hätten, auch über den zeitgleich stattfindenden Pogrom in Hoyerswerda. Peter St. habe geäußert "Hier müsste auch mal was brennen", Peter S. und Heiko S. hätten ihre Zustimmung bekundet.
Der Angeklagte habe sich dann entschlossen, noch in dieser Nacht einen Anschlag auf die Flüchtlingsunterkunft zu begehen, um dem Anführer zu gefallen und sich in der Szene zu etablieren. Er habe die Tat vorbereitet und diese dann zwei Stunden nach der Trennung von den anderen verübt. Das Haus habe er durch den Hintereingang betreten, Benzin auf die unteren Stufen der Treppe gegossen und angezündet und dabei den Tod aller Hausbewohner in Kauf genommen.
Als der Szene-Zeuge André B. von der Festnahme des Peter S. erfahren habe, habe er geäußert: "Ich habe es gewusst... irgendwie musste er sich beweisen..."
Drei Stunden nach dem Anschlag sei Samuel Yeboah an multiplem Organversagen gestorben, zwei weitere Bewohner hätten Knochenbrüche erlitten, als sie sich durch Sprünge aus dem Fenster retteten. Die anderen Betroffenen hätten angesichts des erlebten Horrors bis heute andauernde seelische Verletzungen davongetragen, was auch in den ergreifenden Schilderungen in den Zeugenaussagen Betroffener zum Ausdruck gekommen sei.
Beweisführung (Malte Merz)
Die Darstellung der Beweisführung der GBA übernahm dann Merz. Der Angeklagte habe zugegeben, gewaltorientiert und gegen Ausländer gewesen zu sein. Seine rassistische Gesinnung sei aber keine Sache der Vergangenheit, sondern bestehe bis heute fort. Dies hätten unter anderem die Inhalte von Chatprotokollen neueren Datums, Fotos mit NS-Inhalten, ein Foto des Angeklagten in SS-Uniform mit Hakenkreuzbinde oder das Foto eines abgemagerten Kindes mit McDonald-Logo und der Aufschrift "Mac Ripp" gezeigt. Auch diverse Zeugen hätten dies, wenn auch zunächst zögernd, bestätigt.
Der von Peter S. als Haupttäter belastete Szeneaussteiger Heiko S., der die Aussage des Peter St. "Hier müsste auch mal was brennen" bezeugt habe, sei glaubwürdig. Er habe keinen Belastungseifer gezeigt und habe nichts beschönigt, auch seine eigene Rolle nicht.
Die Hauptbelastungszeugin Diana K., nach deren Aussage sich Peter S. auf einem Grillfest 2007 selbst bezichtigt hatte: "Das war ich, und sie haben mich nie erwischt", sei ebenfalls ausgesprochen glaubwürdig, habe keinen Belastungseifer gezeigt, in einer Vielzahl von Vernehmungen widerspruchsfrei und überzeugend ausgesagt und habe weitere, passende Details benennen können.
Schließlich habe der Angeklagte, der zunächst jede Beteiligung an der Tat bestritten habe, eine Beteiligung zunächst eingestanden, diese aber sofort wieder heruntergespielt. Er habe den Zeugen Heiko S. zu Unrecht belastet und den Anführer, Peter St., aus der Tat völlig herausgelogen. Ohne Peter St. sei aber in der Szene nichts gelaufen, und der Angeklagte habe nicht ohne Grund seine "geständige Einlassung" vom 9.5.23 lediglich von seinem Verteidiger verlesen lassen und keine weiteren Fragen zugelassen.
Beweisführung – Fortsetzung (Sophie Gößl)
Staatsanwältin Gößl setzte die Beweisführung fort. Peter St., der Anführer, habe, anders als von ihm behauptet, keineswegs Brandanschläge als feige abgelehnt. Anita S. die damalige Freundin von Szenemitglied André B., habe ausgesagt, Peter St., Peter S. und Heiko S. hätten Brandanschläge gut gefunden: Es sei egal, wenn "ein Kanake" dabei sterbe. Die Befürwortung von Anschlägen auch durch Peter St. sei von mehreren Zeugen bestätigt worden. Nichts sei ohne sein Wissen erfolgt, er habe in der Saarlouiser Szene das Sagen gehabt. Es habe aber keine Sanktionen gegen Peter S. wegen des angeblichen Alleingangs gegeben.
Peter St. habe den Angeklagten immer in Schutz genommen. Das decke sich mit dem konspirativen Verhalten der beiden nach Bekanntgabe der Wiederaufnahme der Ermittlungen durch die Presse am 15.8.20. Obwohl bis dahin der Name von Peter S. nicht genannt worden sei, hätten die beiden sich am 17.8.20 konspirativ vor Arbeitsbeginn in der Saarlouiser Globus-Autowaschstraße getroffen.
Laut mehreren Zeugenaussagen hätte Peter St. nach der Tat auf Szenemitglieder eingewirkt, nicht mit der Polizei zu reden und "nur ja die Klappe zu halten". Wie aus der TKÜ (Tele-Kommunikations-Überwachung) zu entnehmen sei, habe Peter St. dem Angeklagten empfohlen, er brauche nur jemand anderes zu beschuldigen. Dies sei das Motiv des Angeklagten, die Hauptschuld auf Heiko S. zu schieben.
Er passe seine Einlassungen immer so an, wie es ihm nütze. Es sei dem Angeklagten nicht gelungen, die zu seinen Ungunsten sprechenden Beweise in Frage zu stellen. Auch könne nicht der Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" gelten, da es keine Anhaltspunkte für einen anderen als von der GBA beschriebenen Tatablauf gebe. Die "geständige Einlassung" sei durch den Verteidiger verlesen worden und habe deshalb nur einen erheblich verminderten Beweiswert, da sie nicht überprüfbar sei und der Teil, der überprüfbar sei, sich als falsch herausgestellt habe. Das Gleiche gelte für die zweite, ebenfalls vom Verteidiger vorgetragene Einlassung am 19.9.23. Auch dort wurden keine Rückfragen zugelassen.
Die Behauptung des Angeklagten, er habe den Tatort nach dem Anschlag überstürzt verlassen, sei ebenfalls falsch, denn er habe Heiko S. am nächsten Tag laut dessen Aussage mitgeteilt, die Bewohner würden draußen auf Matratzen sitzen. Das habe er aber nur ein bis zwei Stunden nach dem Brand beobachten können, da diese bis 4:30 Uhr weggebracht worden seien. Peter S. habe also Täterwissen preisgegeben.
Auch Aussagen wie "Der Idiot (gemeint Samuel Yeboah) ist in die falsche Richtung gelaufen", die Peter S. laut Zeugenaussagen gemacht habe, offenbarten Täterwissen.
Die ehemalige Lebensgefährtin des Angeklagten, Yvonne M., bestätigte, dieser habe eine Affinität zu Feuer gehabt. Und er habe sie und ihre Familie bedroht für den Fall, dass sie ihn verlasse. Laut einer Reihe von Zeugenaussagen habe der Angeklagte, wenn er gefragt worden sei, weder zugegeben noch abgestritten, es gewesen zu sein, aber gegrinst. Er habe sich über den Brandanschlag lustig gemacht, als wisse er, was passiert sei. Die Zeugin Natalie W. allerdings habe ausgesagt, er habe ihr gegenüber, soweit sie sich erinnere, zugegeben, er sei es gewesen. Im harten Kern der Szene, so Gößl, habe sich Peter S. zu der Tat bekannt. Dass er es gewesen sei, sei ein offenes Geheimnis gewesen.
Von einer Motivation der Zeugen aus der ehemaligen Szene, Peter S. ungerechtfertigterweise zu belasten, könne nicht ausgegangen werden, zumal diese Zeugen ein restriktives Aussageverhalten gezeigt hätten.
Mit für eine Verurteilung ausreichender Sicherheit stehe fest, dass er die Tat begangen habe.
Rechtliche Würdigung (Malte Merz)
In seiner rechtlichen Würdigung ging Merz im Anschluss von Mord und 20fachem versuchtem Mord in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung aus. Es sei keine Spontantat aus einem unkontrollierten Gefühlsausbruch heraus gewesen, sondern eine geplante Handlung, verübt aus fremdenfeindlichen Motiven.
Er zählte die den Angeklagten entlastenden Faktoren auf. Peter S. sei zur Tatzeit 20 Jahre und vier Monate alt gewesen, solle also nach Jugendstrafrecht verurteilt werden. Er sei unter ungünstigen Verhältnissen aufgewachsen, die ihm keine selbständige Entwicklung ermöglicht hätten. Er habe sich nach der Liebe seiner Mutter gesehnt, die ihre Kinder emotional unterversorgt habe. Ebenfalls benannte er die Belastung durch die mediale Berichterstattung und die U-Haft unter Pandemiebedingungen.
Dies alles trete aber angesichts der Schwere der individuellen Schuld in den Hintergrund. Merz schilderte noch einmal eindringlich das Leiden Samuel Yeboahs wie auch der anderen Betroffenen, für das der Angeklagte die Verantwortung trage. Seine Einlassungen seien nicht von Reue und nicht von einer Auseinandersetzung mit der Tat getragen und deshalb nichts wert.
Deshalb beantragte er eine Jugendstrafe von 9,5 Jahren (bei einer möglichen Höchststrafe von 10 Jahren im Jugendstrafrecht). Außerdem solle der Angeklagte die Kosten des Verfahrens tragen. Der Haftbefehl sei aufrecht zu erhalten.
Siehe auch Tagesschau vom 25.09.2023
und Saarbrücker Zeitung vom 25.09.2023
sowie Saarländischer Rundfunk, aktueller bericht vom 25.09.2023(00:41-04:03)
Der Prozess ist abgeschlossen bis auf die Urteilsverkündung. Diese ist für 9.10.23 geplant und öffentlich. Am 47. Prozesstag (26.9.23) gab es noch die Plädoyers der Verteidigung und von den vier Anwält:innen der Nebenklage.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 46. Prozesstag - Teil 1:
Update 27.09.2023
Quizfrage: Wer wird kontrolliert?
25.9.23: Zweieinhalb Stunden, bevor in dem Prozess zum Mord an Samuel Yeboah vor dem Oberlandesgericht Koblenz die Generalbundesanwaltschaft ihr Plädoyer für die Verurteilung des Angeklagten hält, tun im Hauptbahnhof Trier um 7 Uhr drei Polizisten ihre Arbeit. In der Bahnhofshalle befinden sind rund 30 Menschen. Einer davon hat dunkle Hautfarbe. Die Millionenfrage lautet: Wer von den 30 wird kontrolliert? Die Antwort und sachdienliche Hinweise nimmt jede Polizei-Dienststelle entgegen. Oder auch nicht.
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 45. Prozesstag - Teil 3
Update vom 24.09.2023
Dieser zeigte ihr gegenüber keine Reue, weil er abstritt, die Tat begangen zu haben - obwohl er später seine Tatbeteiligung zugab
Als letzte Zeugin brachte am 19.9.23 (zugleich 32. Jahrestag des Anschlags) die forensisch-psychiatrische Sachverständige, Sylvia Leupold, ihr Gutachten ein. Diese hatte am 27.10.22 den Angeklagten in der Haftanstalt in Koblenz aufgesucht. Es sei, so Frau Leupold, das einzige Gespräch geblieben, denn er habe keinen Anschlusstermin gewollt.
Sie diagnostizierte bei ihm eine Persönlichkeitsstörung, betonte aber, es liege keine psychiatrische Erkrankung vor. Das Einhalten von Regeln sei ihm schwer gefallen. Bei ihm habe sich keine differenzierte Gefühlswahrnehmung herausgebildet. Er habe Grenzen ausgetestet, ein Verhalten, das sich beim Erwachsenwerden normalerweise verliere. Aber sein letzter Eintrag ins Strafregister sei von 2012. Vieles aus ihrem Bericht deckte sich mit dem, was schon die Jugendgerichtshelferin am selben Prozesstag beschrieben hatte.
So habe die Mutter den 15 Jahre älteren S. geehelicht, als Peter S. bereits sechs Jahre alt gewesen sein. Trotzdem habe dieser den S. für seinen leiblichen Vater gehalten. Als er erfahren habe, dieser sei nicht sein leiblicher Vater, habe er keine Trauer, sondern nur Hass gegen den Stiefvater gefühlt und diesem gegenüber ein oppositionelles Verhalten gezeigt. Zu seiner jüngeren Halbschwester Simone, der leiblichen Tochter des S., habe er ein gutes Verhältnis entwickelt.
Seine politische Einstellung sei durch die Freundschaft mit Peter St. entstanden, nach den vorliegenden Berichten sei diese vorher nicht zu erkennen gewesen. Dann habe er aber mit der NS-Ideologie sympathisiert und sich mit dieser identifiziert. Ein psychiatrisches Phänomen sei seine rechte Gesinnung jedenfalls nicht gewesen. Durch seine Ehefrau und seine Tochter, also durch neue Lebensverhältnisse, habe sich seine Situation stabilisiert.
Er habe ab 1991 viel Alkohol getrunken, sei aber nicht abhängig gewesen. Zur Frage der Schuldfähigkeit stellte sie Berechnungen an zur vermuteten Menge und Wirkung des Blutalkohols in der Tatnacht. Eine Schwierigkeit war, dass die im Bayrischen Hof in der Brandnacht anwesenden Skinheads nach eigenen Angaben eine gewisse Anzahl sogenannter "Herrengedecke" getrunken hatten, wobei ein Herrengedeck eine Kombination aus Bier und Schnaps darstelle, aber in welchem Mengenverhältnis, das sei von Bundesland zu Bundesland oder gar von Kneipe zu Kneipe unterschiedlich. Deshalb könne ein "Herrengedeck" sehr Unterschiedliches bedeuten. Der Vorsitzende Richter versuchte hier mit seinem Insider-Sachverstand behilflich zu sein: Er sei Moselfranke, und in seiner Heimat verstehe man darunter Bier in Kombination mit Trester, und Trester sei dasselbe wie Grappa.
Jedenfalls legte die Gutachterin ihren Berechnungen das für den Angeklagten günstigste Szenario zugrunde. Danach habe er zur Tatzeit einen Blutalkoholgehalt von 3,15 Promille gehabt. Normalerweise sei in diesem Fall Schuldunfähigkeit gegeben, aber da der Angeklagte Alkoholkonsum gewohnt gewesen sei, sei ein schwerer Rausch auszuschließen und nur von einem mittelschweren Rausch auszugehen. Einsichtsfähigkeit sei demnach bei ihm vorhanden gewesen. Es sei von einer, wenn auch verminderten, Schuldfähigkeit auszugehen.
Dass er Spinnen und Bienen gegessen und andere ähnlich geartete Aktionen gebracht habe, spreche für seine Unreife. Auf Nachfrage des Vertreters der Generalbundesanwaltschaft, Merz, bejahte sie, eine gewisse Nachreifung habe später bei ihm stattgefunden.
Seine Zugehörigkeit zur Nazi-Skin-Szene charakterisiere er heute als vertane Jahre. Die Tat, den Brandanschlag, habe er aber nicht bereut mit der Begründung, er habe sie ja nicht begangen. Dies steht in Widerspruch zu seinem späteren Geständnis, bei dem Anschlag dabei gewesen zu sein. Heiko S., den er später der Haupttäterschaft beschuldigte, habe in seinen Schilderungen keine große Rolle gespielt, Peter St. hingegen schon.
Bewertung:
Wie wir schon in unserer Einschätzung der Aussage der Jugendgerichtshelferin formuliert haben (siehe hier) ist auch dieses Gutachten von der Schwierigkeit gekennzeichnet, politische Prozesse durch die pädagogische Brille zu bewerten: Wenn man eine schwierige Kindheit als Entschuldigung wertet, wären folgerichtig im letzten und in diesem Jahrhundert Nazis nur eingeschränkt für ihre Gesinnung und ihr Verhalten verantwortlich gewesen. Ähnliche Entschuld(ig)ungen sind aus manchen therapeutischen „Familienaufstellungen“ bekannt. Auch das Sozialarbeiterprojekt mit den Saarlouiser Nazis („Akzeptierende Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen“) nahm die „jugendlichen“ Nazis nur rudimentär als Subjekte wahr, die für ihre Taten verantwortlich sind, sondern stattdessen primär als irregeleitete Jugendliche, denen man auf den Weg der Tugend helfen muss. Das Projekt scheiterte wie alle anderen seiner Art in Deutschland. Die Annahme, der Angeklagte hätte in jede andere Szene geraten können, deckt sich strukturell mit der Gleichsetzung von rechts und links.
Siehe auch FAZ vom 18.09.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 45. Prozesstag - Teil 2
Update vom 24.09.2023
Hammerskin-Verbot offenbart Kontinuität der saarländischen Neonaziszene
Am 19.9.23, dem 32. Jahrestag des Anschlags, wurde zunächst, noch vor dem Gutachten der Jugendgerichtshilfe (siehe Teil 1) eine Einlassung des Angeklagten von seinem Anwalt Britz verlesen. Er sei damals zufällig dem Peter St. begegnet und zunächst wenig in die Szene involviert gewesen. Er habe einfach dazugehören wollen, erst 1993/94 sei der Kontakt intensiver geworden und er habe als Vertrauter des Peter St. den ausgestiegenen Heiko S. ersetzt. Heute sei er Familienvater, bereue, was er 1991 getan habe und distanziere sich davon. Von Freunden und Familie für ihn gesammeltes Geld - 3000 € - wolle er den Brandopfern spenden. Nachfragen zu dieser Einlassung, um ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen, ließ der Verteidiger nicht zu. Siehe auch FAZ vom 18.09.2023
Im Anschluss an die Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe brachte Nebenklageanwalt Hoffmann anlässlich der aktuellen Entwicklung eine Beweisanregung ein: An diesem Tag, dem 19.9.23, hatte das Bundesinnenministerium nämlich das Neonazinetzwerk "Hammerskins" verboten, in zehn Bundesländern, darunter auch dem Saarland, gab es Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen. Hoffmann regte an, die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums in den Prozess einzubringen. Eine spezielle Brisanz ergebe sich aus der Verflechtung der Saarlouiser Nazi-Skin-Szene mit den Hammerskins, die sich aus mehreren Aussagen im Prozess gezeigt hatte. Durchsucht worden war jetzt auch die "Hate Bar" im saarländischen Dillingen, und das dazugehörige Grundstück, das dem Neonazi Peter K. gehörte, wurde eingezogen. In der "Hate Bar" hatte unter anderem noch in neuerer Zeit die Ex-Lebensgefährtin des Angeklagten, Sabrina A. verkehrt, die am 40. Prozesstag ausgesagt hatte. (Siehe hier) .Nebenklageanwalt Elberling unterstrich die Relevanz durch den Hinweis, hier zeige sich, dass die betreffenden Netzwerke heute noch aktiv seien. Der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft, Merz, widersprach der Anregung: Dies alles sei allgemeinkundig, also ohnehin bekannt. Verteidiger Britz widersprach mit der Begründung, es bestehe kein Bezug zum Verfahren. Auf die Dillinger „Hate Bar“, die in diesem Verfahren schon öfter Thema war, ging er nicht ein. Das Gericht lehnte die Anregung dann ab: Das Einbringen der Verbotsverfügung sei überflüssig, da die Sachverhalte ohnehin bekannt seien.
Zur Verbot der Hammerskins siehe Tagesschau vom 19.09.2023
und Bundesinnenministerium vom 19.09.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 45. Prozesstag - Teil 1
Update vom 23.09.2023
Er habe genauso gut in einer anderen Szene landen können – Ein Subjekt, das für seine Einstellung vollumfänglich verantwortlich ist, sieht sie in ihm nicht.
Nebenklageanwalt Hoffmann widerspricht und sieht die Naziszene als alleine zu seiner Gesinnung passend an
Nachdem die Beweisaufnahme am vorangegangenen Prozesstag abgeschlossen wurde, stand am 19.9.23 - zugleich der 32. Jahrestag des Anschlags - zunächst das Gutachten der Mitarbeiterin der Jugendgerichtshilfe des Landkreises Saarlouis auf dem Programm. Sie stützte ihre Expertise auf Gespräche, die sie mit dem Angeklagten in der Haftanstalt in Koblenz geführt hatte und auf Informationen aus den Akten. Sie beschrieb ihn als Opfer zerrütteter Familienverhältnisse. Seinen leiblichen Vater habe er nie kennen gelernt. Als er vier oder fünf Jahre alt war, sei seine Mutter eine Beziehung mit seinem späteren Stiefvater S. eingegangen, den sie geheiratet habe. Diesen habe er zunächst für seinen leiblichen Vater gehalten. Seine Kindheit sei sehr schön gewesen, aber das habe sich geändert, als er mit 10 erfahren habe, S. sei nicht sein leiblicher Vater. da sei das sehr gute Verhältnis zu diesem beidseitig in Hass umgeschlagen, was Misshandlungen durch den Stiefvater einschloss. Seine Geschwister hätten allerdings Kontakt zu ihm gehalten, mit diesen habe er sich verstanden. Seine Mutter habe ihn, als er 16 war, stationär in einem Heim untergebracht, aber er vermute, dahinter habe der Stiefvater gesteckt. Er habe eine Bäckerlehre gemacht und auch dort körperliche Gewalt erfahren. Freunde habe er als Jugendlicher nicht gehabt, denn er habe nicht raus gedurft. Bis ins Jugendalter habe er eingenässt, worin seine Mutter eine Provokation ihr gegenüber gesehen habe. Seine Mutter habe keinen Kontakt mit ihm gewollt, er habe sich diesen aber gewünscht. Seine Kriminalität sei keine Frage eines Mangels an Intelligenz gewesen, erklärte die Jugendgerichtshelferin, sondern der Lebensumstände.
Ab April 1991 habe er massiv Alkohol konsumiert, bedingt durch den neuen Freundeskreis in der Skinheadszene. Er sei wegen Körperverletzungsdelikten verurteilt worden. Bei Diebstählen habe er nur mitgemacht. Ab 2010 habe er in der Autowaschstraße im Globus in Saarlouis gearbeitet und sei dort 2018 stellvertretender Teamleiter geworden. Diese Stelle werde für ihn freigehalten.
Der zum Tatzeitpunkt Zwanzigjährige sei unreif gewesen, so die Jugendgerichtshelferin. Die Gruppe habe ihm Anerkennung gegeben und sei austauschbar gewesen. Nach ihrer Einschätzung hätte er also genauso gut in eine andere Szene geraten können als in die der Nazi-Skins. Deshalb sehe sie Anhaltspunkte, im Falle einer Verurteilung Jugendstrafrecht anzuwenden. Schließlich sei er auch in den Jahren 1990 und 1993 schon nach Jugendstrafrecht verurteilt worden. Als entscheidungsfähigen Menschen, der uneingeschränkt für seine Einstellung und für seine Taten verantwortlich ist, sieht sie den Angeklagten offenbar nicht.
Der Vorsitzende Richter lobte die Ausführlichkeit des Berichts der Jugendgerichtshelferin. Nebenklageanwalt Hoffmann bemängelte, eine Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus des Angeklagten und seines Umfeldes habe seitens der Jugendgerichtshilfe nicht stattgefunden. Dafür machte er allerdings nicht die Jugendgerichtshelferin verantwortlich, sondern ihre Vorgänger. Die Szenezugehörigkeit sei keineswegs austauschbar gewesen, denn für den Anschluss an genau diese Szene sei eine spezifische Gesinnung Voraussetzung gewesen. Anderslautende Aussagen des Angeklagten seien als Falschangaben zu werten.
Bewertung:
Die Ausführungen der Jugendgerichtshelferin machen ungewollt das Elend der Pädagogik und ihre strukturelle Unfähigkeit deutlich, politische Prozesse zu bewerten. Wenn man eine schwierige Kindheit als Entschuldigung wertet, wären folgerichtig im letzten und in diesem Jahrhundert Nazis nur eingeschränkt für ihre Gesinnung und ihr Verhalten verantwortlich gewesen. Ähnliche Entschuld(ig)ungen sind aus manchen therapeutischen „Familienaufstellungen“ bekannt. Auch das Sozialarbeiterprojekt mit den Saarlouiser Nazis („Akzeptierende Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen“) nahm die „jugendlichen“ Nazis nur rudimentär als Subjekte wahr, die für ihre Taten verantwortlich sind, sondern stattdessen primär als irregeleitete Jugendliche, denen man auf den Weg der Tugend helfen muss. Das Projekt scheiterte wie alle anderen seiner Art in Deutschland. Die Aussage, der Angeklagte hätte in jede andere Szene geraten können, deckt sich strukturell mit der Gleichsetzung von rechts und links.
Siehe auch FAZ vom 18.09.2023
Update 23.09.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 44. Prozesstag, Teil 2
Peter St. erinnert sich präzise an 30 Jahre zurückliegende Nebensächlichkeiten und hat sonst alles vergessen
Soll der Szene-Aussteiger zum Schuldigen aufgebaut werden?
Als zweite Zeugin war an diesem Prozesstag (18.9.23) die Ermittlungsrichterin am Bundesgerichtshof (BGH), Antje D., geladen. Thema war ihre mehrstündige Befragung des ehemaligen Anführers der Saarlouiser Neonaziszene, Peter St., im Rahmen einer Haftprüfung am 16.8.23. ab 13 Uhr. Dieser hatte vor Gericht von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht (siehe hier) und befindet sich seit 6.6.23 wegen mutmaßlicher Anstiftung zu dem Brandanschlag in Untersuchungshaft (siehe hier). Deshalb wurden jetzt seine Angaben beim Haftprüfungstermin in den Prozess eingeführt. Seine Entlassung war von der Ermittlungsrichterin abgelehnt worden.
Laut ihrer Zeuginnenaussage erklärte er, er sei im Mai 1991 aus der Haftanstalt Ottweiler entlassen worden. Dort habe er den Angeklagten, Peter S., kennen gelernt, der dort ebenfalls inhaftiert war. Zum späteren Szeneaussteiger Heiko S. habe er schon vorher Kontakt gehabt.
Nach seiner Entlassung habe er eine unorganisierte Skinheadszene vorgefunden, bei der es sich eher um eine Jugendsubkultur gehandelt habe. Es habe keine Kaderstruktur gegeben. Er sei zwar tonangebend gewesen, aber kein Chef. Erst nach 1991 habe sich das geändert, da habe es Parteieintritte und die Bildung von Kameradschaften gegeben. Da sei er dann aufgestiegen und habe eine Führungsrolle übernommen.
Befragt zu dem Treffen im Bayrischen Hof am 18.9.91 am Vorabend des Anschlags, offenbarte er zwei auffallend klare Erinnerungen, während er sich an viele andere Dinge unter Verweis auf 30 Jahre Abstand angeblich kaum noch erinnerte.
So gab er gegenüber der Untersuchungsrichterin an, sich sehr genau zu erinnern, dass er mit Peter S. und Heiko S. im Bayrischen Hof gewesen sei und nach Ende der Kneipenrunde Peter S. dann nach links, er und Heiko S. nach rechts abgebogen seien. Heiko S. habe ihn zuhause abgesetzt, denn sie hätten ein Stück weit denselben Heimweg gehabt.
Er könne auch ausschließen, dass der Satz gefallen sei "Hier müsste auch mal so etwas passieren" bzw. "Hier müsste auch mal was brennen." Er jedenfalls habe das nicht gesagt, Brandanschläge seien ihm wesensfremd gewesen. Er sei für Massenschlägereien, aber Anschläge halte er für feige. Nicht zuletzt wegen dieser ihm zugeschriebenen Aussage sitzt er aber in Haft.
Am Tag nach der Tat habe er sich mit Peter S. in Saarlouis getroffen. Da habe er erst von dem Brandanschlag und dem Toten erfahren. Ein Polizeiauto sei vorbeigefahren und ein Polizist habe gefragt, wann sie Zeit für eine Vernehmung hätten. Am Samstag habe es dann eine Demo der Antifa wegen des Anschlags gegeben. Weil sie sich nichts vorzuwerfen hatten, habe er sich mit Gleichgesinnten am Marktplatz getroffen, um die Antifademo zu beobachten. Dabei seien sie knapp einem Überfall entgangen und hätten gerade noch weglaufen können.
Zur zentralen Frage, ob die zeitgleich stattfindenden pogromartigen Ausschreitungen in Hoyerswerda ihnen bekannt und Gesprächsthema gewesen seien, äußerte er sich merkwürdigerweise nicht selbst, sondern überließ die Antwort seinem Anwalt Wolfgang Stahl, der auch NSU-Tschäpe verteidigt hatte. Dass in Hoyerswerda Brandsätze geworfen wurden, habe Peter St. nicht mitbekommen, eine entsprechende Monitorsendung habe er nicht gesehen, da er sich nicht für Politmagazine interessiert und nach seiner Erinnerung auch keinen Fernseher gehabt habe.
Er habe laut der BGH-Ermittlungsrichterin in der Vernehmung spekuliert, der Satz "Hier müsste auch mal was brennen" könne doch gefallen sein, aber wenn, dann sei die Aussage von Heiko S. gekommen. Das sei aber reine Spekulation, betonte er. Es fällt auf, dass er den Aussteiger Heiko S. trotzdem als möglichen Täter ins Gespräch bringt, also denjenigen, wegen dessen Aussagen er inhaftiert ist. Auch der Angeklagte hat Heiko S. als Täter bezeichnet, und in diese Richtung hat ebenfalls dessen Verteidiger Guido Britz im Gespräch mit dem Saarländischen Rundfunk argumentiert – ähnlich wie NSU-Anwalt Stahl bei der BGH-Richterin. Wollen hier zwei mutmaßliche Täter ihre Köpfe aus der Schlinge ziehen, indem sie einen anderen belasten und sich zugleich an diesem rächen?
Zur Entwicklung seines Verhältnisses zu Peter S. bemerkte er, diesen habe er nach seiner Haftentlassung zufällig getroffen, als er von Heiko S. am Bahnhof Saarlouis abgeholt worden sei. Peter S. sei auf dem Weg zum Elektromarkt gewesen. Dann hätten sie gemeinsam die Haftentlassung gefeiert, und ab diesem Zeitpunkt habe der Angeklagte zur Szene gehört. Die BGH-Richterin betonte, ihr sei aufgefallen, dass Peter St. das Detail vom Elektromarkt nach 30 Jahren noch wisse, im Gegensatz zu anderen Dingen.
Heiko S., so habe Peter St. am 16.8.23 ausgesagt, habe in der Szene eine viel größere Rolle gespielt als in der Akte dargestellt. Der sei kein Partygänger gewesen, sondern die Parties, die er besucht habe, seien rechtsradikale Konzerte mit politischen Inhalten gewesen. Heiko S. habe bereits 1988 dazugehört und sei überregional und international in der Naziszene vernetzt gewesen. Dies alles bestätigte die Zeugin auf Nachfrage des Verteidigers Britz, der aber offenbar seine Fragen rhetorisch meinte, um Heiko S. mal wieder als möglichen Täter ins Gespräch zu bringen. Ähnlich hatten dies bereits Peter St. und sein (NSU-) Anwalt bei der BGH-Vernehmung am 16.8. gemacht. Allerdings sind dies alles Sachverhalte, die schon vorher bekannt waren, vor allem aus den Aussagen von Heiko S. selber bei seinen beiden Vernehmungen vor dem OLG Koblenz.
Die Nebenklageanwält:innen hatten keine Fragen an die Ermittlungsrichterin.
Bezeichnend ist auch, dass Peter St. laut Aussage der Ermittlungsrichterin behauptete, er habe erst in neuester Vergangenheit erfahren, Peter S. solle der Täter sein. Dies trotz der engen Freundschaft zwischen beiden und obwohl es laut zahlreichen Zeugenaussagen in der Szene als offenes Geheimnis galt.
Siehe auch Tagesschau vom 18.09.2023
und Saarbrücker Zeitung vom 18.09.2023
sowie Aktueller Bericht des Saarländischen Rundfunks vom 18.9.23 (mit Interviews)
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 44. Prozesstag, Teil 1
Update 20.09.2023
Zeuge trifft sich konspirativ mit Polizei und beschuldigt "flüchtig Bekannten", ihm den Mord an Samuel Yeboah gestanden zu haben
An diesem Prozesstag (18.9.23) wurden der Zeuge Torsten W. vernommen, der schon zum vorangegangenen Termin geladen war, dem aber in der Nacht zuvor plötzlich schlecht geworden war. Der Zeuge hatte sich in den 1990er Jahren im Umfeld der Saarlouiser Naziskins bewegt, bestritt aber, wirklich dazugehört zu haben. Für ihn sei das eher eine Mode gewesen. Anlass seiner Vernehmung war, dass er bei der Polizei ausgesagt hatte, Holger K., der am 41. Prozesstag ausgesagt hatte, habe ihm gegenüber gestanden, den Brandanschlag verübt zu haben. Niemand außer Torsten W. hatte Holger K. je mit dem Anschlag in Verbindung gebracht, und die Befragung durch das Gericht gestaltete sich dann auch reichlich skurril.
Der Zeuge verhielt sich zunächst sehr schweigsam und brachte anfangs kaum mehr als ein Nicken auf Fragen des Gerichts zustande. Er fühlte sich offensichtlich in der Situation sehr unwohl, was er auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters auch bestätigte. Das Gericht machte ihm schließlich klar, dass er doch ein wenig mehr sagen müsse. Was er dann berichtete, klang sehr abenteuerlich. Holger K. habe er nur vom Sehen gekannt, der habe ihm aber an einem abgelegenen Ort die Tat gestanden. (Vor Gericht soll das eine Wiese, in der Aussage bei der Polizei eine Tankstelle gewesen sein.) Da seien noch zwei andere dabei gewesen, die er ebenfalls kaum gekannt habe. Er habe sich konspirativ mit zwei an der Wiederaufnahme der Ermittlungen beteiligten Polizisten auf einem Schulhof getroffen, um diese über das Geständnis des Holger K. zu informieren. Dabei habe er zur Sicherheit ein Kapuzen-T-Shirt angehabt. Laut Aussagen der Polizisten habe er von diesen an Ort und Stelle Geld als Belohnung erwartet, hielt ihm das Gericht vor. Das bestritt Torsten W.: Das Geld habe er keineswegs sofort haben wollen.
Der Vorsitzende Richter machte ihn angesichts der Unglaubwürdigkeit seiner Aussage über das Geständnis eines ihm kaum Bekannten auf seine Verpflichtung zu wahrheitsgemäßen Aussagen aufmerksam und stellte klar, dass schon gegen mehrere Zeugen dieses Verfahrens Ermittlungen wegen des Verdachts auf Falschaussage laufen. Torsten W. blieb aber bei seiner Anschuldigung und ergänzte, möglicherweise habe Holger K. ihm gegenüber ja aus Angeberei ein falsches Geständnis abgelegt.
Die Prozesstermine sind öffentlich und können besucht werden. Die Beweisaufnahme ist abgeschlossen, so dass jetzt noch die Plädoyers der Bundesanwaltschaft, der Verteidigung und der Nebenklagevertreter:innen gehört werden, bevor dann am 9.10.23 das Urteil verkündet wird.
Update 13.09.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 43. Prozesstag:
Polizeiermittler findet in Wohnung des Angeklagten Fotos mit neonazistischem Inhalt
Dieser Prozesstag (12.9.23) gestaltete sich unerwartet kurz, denn einem der beiden geladenen Zeugen, einem Angehörigen der damaligen Saarlouiser Naziszene, war es in der vorangegangenen Nacht plötzlich schlecht geworden, so dass er nicht zur Vernehmung kam. Einziger Zeuge war dann Polizeiermittler Christian K., der im Rahmen der Wiederaufnahme der Ermittlungen mit der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten Peter S. beauftragt war. Bei der Durchsuchung seien der damals noch auf freiem Fuß befindliche Peter S., dessen Ehefrau und dessen Tochter anwesend gewesen. Die Frage des Vorsitzenden Richters Leitges, ob ihm dabei etwas besonders aufgefallen sei, bejahte er: In einer Kommode seien zuoberst Fotoalben gefunden worden mit Bildern aus "früheren Zeiten", mit einem "rechten Hintergrund", wobei auch Hakenkreuze zu sehen gewesen seien. Merkwürdig sei ihm das vorgekommen, weil üblicherweise bei Fotosammlungen Privatbilder zuoberst zu erwarten seien. In diesem Fall seien aber offensichtlich Fotos mit rechtem Inhalt so gelagert worden, dass sie jederzeit griffbereit waren.
Christian K. hatte das Wohnungsinnere durch Überblicksfotos dokumentiert, die er kommentierte, während sie auf Monitoren eingeblendet wurden. Dadurch sollten vor allem die Fundorte beweisrelevanter Gegenstände wie Handys und Speichermedien dokumentiert werden. Auf einem Foto war die Hand des Ermittlers zu sehen, die eines der Fotoalben hielt, in denen sich nach seiner Auskunft die genannten Bilder befanden. Verteidiger Britz hakte nach, wo denn die Fundstellen der Alben dokumentiert seien. Hierzu stellte der Vorsitzende Richter klar, die Alben würden in Form eines Sonderbandes vorliegen und könnten von den Prozessbeteiligten in der Geschäftsstelle eingesehen werden. Im Gerichtssaal könne man sie nicht zeigen, da sich darunter auch Fotos von sexuell intimen Situationen befänden.
Update 05.09.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 42. Prozesstag, Teil 3:
Nach seinem Ausstieg wird er massiv bedroht, einschließlich Morddrohungen
Noch ein dritter Zeuge war an diesem Prozesstag (4.9.23) geladen, der Szeneaussteiger Heiko S., der am 26. Prozesstag, dem 15.5.23, schon einmal vernommen worden war. Siehe auch hier
Für das Gericht hatten sich weitere Fragen ergeben. „Wir lassen nicht locker, wir drehen jeden Stein rum, um zu gucken, ob wir da noch was finden“, so der Vorsitzende Richter Leitges.
Heiko S. berichtete noch einmal von dem Treffen am Vorabend des Anschlags im "Bayrischen Hof", der in der Nähe des Kinos war . "Hier müsste auch mal was passieren", habe der Anführer der Gruppe, Peter St., gesagt, bezogen auf den zeitgleichen Pogrom von Hoyerswerda. Da seien außer diesem nur er und der Angeklagte zugegen gewesen, und sie hätten zugestimmt. Für ihn sei klar gewesen, dass es dabei nur um die Flüchtlingsunterkunft in Saarlouis-Fraulautern gegangen sei, also die, auf die dann wenige Stunden später der Anschlag verübt wurde. Das andere Flüchtlingsheim in Saarlouis-Roden habe keine Rolle gespielt. Er selber sei davon ausgegangen, damit sei etwa gemeint, dass sie vor der Unterkunft mit der ganzen Gruppe aufmarschieren und Scheiben einwerfen.
Der Berichterstatter Keppel fragte ihn, wann sich die Skinheadszene radikalisiert habe. Das sei 1989 nach der "Wende" gewesen, so Heiko S., da sei es im Osten radikaler geworden, rechte Parteien hätten die Rattenfänger gespielt. Was sich hinter dem Begriff "Paki-Bashing" verberge, hakte der Berichterstatter nach. Damit sei "Pakistani bashen" gemeint gewesen, erklärte der Zeuge, er und sein Kamerad Ralf K. hätten gehört, das habe es damals in England gegeben. Sie hätten versucht, das nachzumachen und einen vermeintlichen Pakistani "vom Fahrrad geschubst". Dann hätten sie aber Gewissensbisse bekommen und ihn laufen lassen. Den anderen hätten sie erzählt, sie hätten ihn verprügelt.
Kontakte in den Osten habe er erst ab 1992 gehabt. Vorher habe er Ostdeutsche nur im St. Ingberter Nazitreff, der Gaststätte "Spinnrädchen", kennen gelernt. Die seien in den Westen gekommen und hätten in Schweich (bei Trier) gearbeitet.
Er selber habe sich am Hals "White Pride" tätowieren lassen. Nach seinem Ausstieg habe er das übertätowieren lassen. Ausgestiegen sei er 1993, 1994.
Als Peter St. von seinem Ausstieg erfahren habe, habe dieser zusammen mit Markus M. versucht, ihn auf einen Spielplatz zu locken. Er sei aber nicht darauf hereingefallen. Der NPDler Markus M. war am 37. Prozesstag (17.7.23, siehe hier ) geladen, hatte aber die Aussage verweigert. "Ich rotte dich und deine ganze Familie aus, du Verräter", habe Peter St. ihm gedroht. Er habe auch mal eine Arbeitsstelle bei der Stadt Saarlouis gehabt, da hätten seine Kollegen Bauschutt weggefahren und ihn alleine zurückgelassen. Da seien Skinheads gekommen und hätten ihn verprügeln wollen. Er habe sich ins Auto retten können, bis seine Arbeitskollegen wieder kamen. Auch in anderen Städten, wie Mannheim, Stuttgart und Frankfurt habe Gefahr für ihn seitens der dortigen Nazi-Skins bestanden, weil er als Verräter galt.
Auf die Frage des Berichterstatters, warum er ausgestiegen sei, erklärte er, die Nazi-Kameradschaft habe sich für ihn als absoluter Bullshit herausgestellt. Ein Kamerad habe ihm seine Freundin ausgespannt. Von einem anderen, Andreas W., habe er "aufs Maul gekriegt", was der mit der Lüge begründet habe, er habe Bilder seiner Freundin geklaut. Tatsächlich habe diese sie ihm geschenkt. Außerdem habe er die ewige Bevormundung durch Peter St. satt gehabt. Zu diesem hatte er mal ein gutes Verhältnis. Als ihm die Aussage von Peter St. bei der Generalbundesanwaltschaft vorgehalten wurde, Heiko S. habe ihn nach seiner Haftentlassung am Bahnhof Saarlouis abgeholt, konnte er sich zwar nicht mehr erinnern, meinte aber: "Das wird dann wohl so gewesen sein."
Eine wesentliche Rolle bei seinem Ausstieg habe die Neuentdeckung von aus seiner Sicht unpolitischer Skinhead-Musik gespielt, Musik der Oi-Skins, denen er sich mehr und mehr zugehörig fühlte. Die Oi-Skin-Bewegung sei in England entstanden, sie sei unpolitisch, aber nicht links. Er habe mal Oi-Skin-Musik auf eine Kassette überspielt und im JUZ (Jugendzentrum) Saarlouis laufen lassen, aber die anderen hätten die Musik abgestellt und stattdessen Musik der Naziband Landser abgespielt.
Hitler habe man in der Szene gut, Juden schlecht und Ausländer und Menschen schwarzer Hautfarbe blöd gefunden, bestätigte er, als der Berichterstatter ihm seine entsprechenden Aussagen aus der polizeilichen Vernehmung vorhielt. Die Frage von Nebenklageanwältin Pietrzyk, ob man Menschen, die nicht weiß oder die jüdischen Glaubens gewesen seien, das Lebensrecht abgesprochen habe, bejahte er: Die seien weniger wert gewesen.
Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 4.9.2023
Update 05.09.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 42. Prozesstag, Teil 2:
Rassistische Skinhead-Angriffe in Saarlouis an der Tagesordnung
Ministerpräsident Lafontaine war gegen Sprachkurs und kündigte seine Abschiebung an
Der zweite Zeuge an diesem Prozesstag (4.9.23) war ein Überlebender des Brandanschlags, der aus Nigeria stammende Julius E. – er floh vor der Militärjunta in Nigeria - , der inzwischen deutscher Staatsbürger ist. Er sei traumatisiert, erklärte er, depressiv und werde behandelt. Er könne kein Feuer sehen, nicht einmal im Fernsehen. "Es war die Hölle auf Erden." Als er die Vorladung bekommen habe, habe er Angst gehabt, alles komme noch einmal hoch.
Eindringlich schilderte er, wie er die Brandnacht erlebt hatte. Er sei zwischen 3 und 4 Uhr von drei heftigen Explosionen geweckt worden. Als er die Tür seines im ersten Obergeschoss liegenden Zimmers geöffnet habe, habe eine ganze Wand in Flammen gestanden, die sei mit Brandbeschleuniger bespritzt gewesen. Er sei ins Zimmer und dann zum Fenster rausgesprungen, in einen Müllcontainer. Er sei dann wieder ein Stück die Feuerleiter hochgeklettert, um einem anderen Bewohner, Samuel A., behilflich zu sein bzw. diesem zu sagen, dass das Treppenhaus nicht mehr passierbar sei und er über die Feuerleiter das Haus verlassen solle. Den konnte er dadurch retten – auch wenn der dann beim Rausklettern und Springen Brandverletzungen an den Füßen davongetragen und am Arm geblutet habe.
Samuel Yeboah habe man oben im Dachgeschss zuerst laut schreien gehört, dann plötzlich nicht mehr. Er sei wohl bewusstlos gewesen. Als die Feuerwehr ihn schließlich rausgetragen habe, sei sein Körper implodiert. Dann sei er ruhig gewesen. Als er zuvor selber ins Haus gewollt habe zu dem schreienden Samuel Yeboah, um ihn zu retten, habe die Feuerwehr ihn zurückgehalten, weil die Treppe nach oben lichterloh brannte.
Die Feuerwehr sei nicht schnell gekommen, sagte er, abweichend von den Aussagen anderer Zeugen. Die seien erst nicht ins Haus rein und hätten erstmal nach Wasseranschlüssen gesucht. Von den Menschen draußen hätten einige die Feuerwehr gerufen und seien traurig gewesen, andere hätten sich über den Brandanschlag gefreut. Darunter seien aber nach seiner Einschätzung keine Skinheads gewesen.
Die Bewohner der Unterkunft seien zunächst in das Theater am Ring gebracht worden und später dann in das noch nicht ganz fertige Wohnheim in der Gutenbergstraße. Später sei er aus Deutschland rausgeworfen, abgeschoben worden. Er und einige andere seien in der Brandnacht aber erstmal aus Sorge ins Krankenhaus, wohin der verletzte Samuel A. gebracht worden sei. Der habe mit blutigem Arm dort auf der Diele gelegen und sei nicht behandelt worden. Man habe ihnen Lappen gegeben, damit sie das Blut vom Boden aufwischen. Dann sei die Polizei gekommen, mit der es Streit gegeben habe. Samuel A. sei mit einer deutschen Frau verheiratet gewesen und hätte in der Unterkunft bleiben dürfen, bis er eine eigene Wohnung gefunden hätte.
Samuel Yeboah sei meistens unterwegs gewesen, mit Deutschen, habe Fußball gespielt und geboxt. Er sei klein gewesen, aber ein richtiger Sportler, sehr freundlich. Wie man auf Deutsch sage: "Ein Freigeist."
Der Onkel des Zeugen sei Botschafter gewesen und habe ihn davor gewarnt, nach Deutschland zu gehen, sagte er. Aber er habe schon in Afrika Weltgeschichte studiert und Deutschland sei für ihn eines der besten Länder der Erde gewesen. Pöbeleien, Beschimpfungen und Angriffe durch Nazi-Skins seien aber dann eine fast alltägliche Sache gewesen. "Wir haben gelernt, damit zu leben", konstatierte er. Er selber habe keine Angst gehabt, habe den Schwarzen Gürtel in Kung Fu und den Beinamen "Big Joe".
Er schilderte im Laufe seiner Aussage eine Reihe von rassistischen Vorfällen. So hätten sie sich einmal für den Besuch einer Messe in der Kirche fertig gemacht. Da seien dann Nazis vorbeigefahren, hätten "Heil Hitler" gerufen und mit Joghurt geworfen. Er sei beschmiert gewesen. Sie hätten als Flüchtlinge nicht ohne Risiko einzeln einkaufen gehen können. Deshalb seien sie immer zu fünft oder zu sechst gegangen. Einzelne Nazis hätten sich nicht getraut, anzugreifen, das hätten diese nur als Gruppe getan.
Vor dem Wohnheim seien immer wieder Skins aufmarschiert und hätten den Hitlergruß gezeigt. In der Stadt seien Beleidigungen wie "Nigger", "Fick dich" und "Affe" gerufen worden. Am Bahnhof in Saarlouis habe er mitgekommen, wie Skinheads gesagt hätten, man solle alle Ausländer verbrennen. Auch Drohschreiben hätten sie bekommen. Sie sollten zurück nach Afrika gehen, sonst werde man das Haus anzünden, habe zum Beispiel in den Briefen gestanden.
Als Repräsentant für Ausländer habe er auch mit dem damaligen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine (SPD) gesprochen. Der habe aber alles unter den Teppich gekehrt. Er habe die deutsche Sprache lernen wollen, aber Lafontaine habe gemeint, das sei nicht sinnvoll, denn sie seien hier in Deutschland, um sich zu verstecken und nicht zu bleiben. Später würden sie dann abgeschoben. Er sei dann schließlich auch „aus Deutschland rausgeworfen, abgeschoben" worden.
Während der Befragung durch das Gericht gab er diesem und dem Publikum noch eine kleine Einführung in deutschen Alltagsrassismus. Ihm widerstrebe es, als dunkelhäutiger Mensch pauschal mit anderen mit gleicher oder ähnlicher Hautfarbe als gleich angesehen zu werden: „Wir waren viele Schwarze, aber wir sind nicht alle gleich. Das ist wie bei Deutschen und Holländern. Wir kamen nicht gut miteinander klar.“
Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 4.9.2023
Update 05.09.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 42. Prozesstag, Teil 1:
Zeugin bestätigt rassistische Pogromstimmung in der Saarlouiser Skinhead-Szene
Als erste Zeugin wurde an diesem Prozesstag (4.9.23) Nicole S. vernommen, die in den 90ern zur Saarlouiser Naziszene gehörte. Sie erklärte, 1991, zum Zeitpunkt des Anschlags, habe sie die Leute aus der Szene nicht gekannt. Von dem Brandanschlag habe sie aus der Zeitung erfahren. Sie habe die Saarlouiser Skins 1992 eigentlich nur "zufällig" kennen gelernt. Damals sei sie 19 gewesen. Das seien insbesondere Peter S., Peter St., Holger K., Ronny K. und Mark. M. gewesen. Mit Holger K. habe sie ein Kind. Sie sei aus dem saarländischen Dillingen und in Saarlouis zur Schule gegangen.
Sie habe nicht gedacht, jemand von diesen Leuten habe etwas mit dem Anschlag zu tun. Darüber sei auch in der Szene nicht gesprochen worden. Der Vorsitzende Richter, Leitges, hielt ihr vor, in der polizeilichen Vernehmung habe sie das genaue Gegenteil gesagt und es sei sehr wohl darüber gesprochen worden. Bei der Polizei habe sie, so der weitere richterliche Vorhalt, berichtet, es habe in der Szene immer geheißen, Peter S. und Peter St. seien die Täter gewesen. Die hätten dann immer abgewunken: "Ach, Quatsch!" Und kennen gelernt habe sie die Saarlouiser Skinheads, weil ein Freund von ihr, Thomas B., sie mitgenommen habe. So "zufällig" konnte sie demnach nicht in die Szene geraten sein. Dies alles räumte sie dann schließlich auf mehrmaliges Nachfragen zweier Richter auch vor Gericht ein. Aber von Heiko S. habe sie bezüglich einer Tatbeteiligung nichts gehört. Der habe eine ganz schwache Rolle in der Szene gespielt, sei selten dabei gewesen.
Über Peter S. sagte sie, der habe gerne gefeiert, aber sei nicht aggressiv geworden, wenn er getrunken habe. Er sei Peter St. nachgelaufen, dieser sei der Stärkere gewesen. Peter St. sei das Alphatier der Gruppe gewesen, der habe immer gesagt, was gemacht werden solle. "Die" - gemeint die Szeneangehörigen - seien gegen Ausländer gewesen. Der Brandanschlag sei von den Saarlouiser Nazis begrüßt worden, Peter St. und Peter S. hätten ihn "eher gut" gefunden. Es habe geheißen: "Gut, dass das passiert ist." Anschläge wie in Solingen, Mölln, Hoyerswerda und Rostock seien in der Saarlouiser Szene grundsätzlich begrüßt worden, auch dann, wenn Kinder gestorben seien. Man sei auf Rechtsrock-Konzerte in der näheren Umgebung gefahren, u.a. nach St. Ingebert, habe CDs von Störkraft und Böhse Onkelz gehabt und habe die ausländerfeindlichen Texte mitgesungen. Allerdings waren, so Nebenklageanwältin Pietrzyk, diese Texte nicht nur ausländerfeindlich, sondern es wurde auch tödliche Gewalt propagiert.
Der Vorsitzende las dann aus einem anonymen Schreiben vor, das am 15.8.23 beim Gericht einging: „Sehr geehrte Damen und Herren, vernehmen Sie doch mal wiederholt die Person Nicole S……Sie weiß mehr", hieß es in dem Brief, der unterzeichnet war mit "Im Sinne der Gerechtigkeit". Sie bestritt darauf hin, mehr zu wissen, als sie ausgesagt hatte, worauf ihr der Berichterstatter, Keppel, deutlich machte, es könne für sie ein Problem werden, wenn sie doch mehr wisse, als sie behaupte.
1993 habe sie sich von der Szene entfernt, erzählte sie, denn da sei sie nach Beckingen gezogen. Das sei zu weit weg gewesen, da habe sie andere Freundeskreise gehabt. Mit Holger K. sei sie weiterhin liiert gewesen, deshalb habe es noch Kontakte gegeben, aber nicht mehr so intensiv, und die seien dann langsam eingeschlafen.
2007 hatten bei ihr zwei Hausdurchsuchungen stattgefunden, auf die das Gericht sie ansprach. Aufgrund eines Missverständnisses nahm sie zunächst an, damit sei eine Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit dem Verbot der neonazistischen FAP (Freiheitliche Arbeiter Partei) gemeint gewesen, der ihr Lebensgefährte angehört habe. Mit der habe sie aber nichts am Hut gehabt, die sei frauenfeindlich gewesen, gegen das Frauenwahlrecht. Es ging aber bei der Frage um Durchsuchungen im Zusammenhang mit BTM (Betäubungsmitteln), stellte das Gericht klar. Ja, da habe Holger K. ihre Adresse für eine Lieferung angegeben, wovon sie nichts gewusst habe und die allerdings auch nicht angekommen sei. Um zwei Kanister mit einer Lösung zur Herstellung von Drogen sei es gegangen. Wegen dieser Sache und weil Holger K. zu einer Haftstrafe deswegen verurteilt worden sei, habe sie nach seiner Verurteilung jeden Kontakt mit ihm abgebrochen, schließlich habe sie ein zweijähriges Kind gehabt. Von der Verurteilung habe sie über Dritte erfahren, das habe in der Zeitung gestanden. Er habe ohnehin nie Unterhalt für das Kind gezahlt. Über den Brandanschlag habe sie nie mit ihm gesprochen, behauptete sie.
Holger K. selber hatte bei seiner Aussage am vorangegangenen 41. Prozesstag allerdings behauptet, er sei damals freigesprochen worden, wie im vorherigen Prozessbericht nachzulesen ist.
Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 4.9.2023
Update 31.08.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 41. Prozesstag, Teil 3:
Zeuge hat nichts gegen Ausländer, fühlt sich aber von diesen wegen seiner weißen Hautfarbe diskriminiert
Als vierter und letzter Zeuge erschien an diesem Prozesstag (29.8.23) Holger K., ein Angehöriger der damaligen Saarlouiser Naziskin-Szene, vor Gericht. Allerdings nicht freiwillig. Da er bereits zweimal Vorladungen nicht nachgekommen war, wurde er diesmal von der Polizei vorgeführt. Am 38. Prozesstag, dem 18.7.23, hatte sein Nichterscheinen für Heiterkeit im Gerichtssaal gesorgt: Statt nach Koblenz zu kommen, war er in den falschen Zug eingestiegen und in Paris gestrandet. Siehe auch hier. Diesmal wurde er ohne Vorankündigung von der Polizei abgeholt, und zwar direkt aus dem Krankenhaus. Dort hatte er sich zwei Tage befunden, nachdem er Sonntagnacht von drei Personen zusammengeschlagen worden war. Dies habe aber nichts mit dem Verfahren wegen des Brandanschlags zu tun gehabt, erklärte er auf diesbezügliche Nachfrage des Gerichts. Er habe ein Schädel-Hirn-Trauma infolge eines Schlages mit einem Teleskopschlagstock bei dem nächtlichen Angriff davongetragen und sei von einem "inkompetenten Arzt" als vernehmungsfähig entlassen worden, sagte er in einem trotzigen Tonfall, den er während der gesamten Vernehmung beibehielt.
Den Angeklagten kenne er von früher, erzählte er, habe ihn mit 14,15 kennen gelernt, durch eine Party bei den Brüdern André und Christian B. Er habe damals auch Heiko S. und Markus B. kennen gelernt. Er sei Skinhead gewesen, man habe Skinheadmusik gehört, sich im "Bayrischen Hof" getroffen, Bier und Schnaps getrunken. Auch im JUZ, dem Jugendzentrum, habe man sich getroffen. Heute trinke er keinen Alkohol mehr.
Auf die Frage des Gerichts nach Ausländerfeindlichkeit in der Szene fragte er zurück: "Warum soll man ausländerfeindlich sein?" Er sei demokratisch eingestellt gewesen, könne sich an Pöbeleien gegen Ausländer nicht erinnern. Er sei aber von einem "ausländischen Mitbürger" angepöbelt worden wegen seiner Hautfarbe. Jedoch sei er stolz, Deutscher zu sein. Er sei Nationaldemokrat gewesen. Die FAP (die neonazistische Freiheitliche Arbeiter Partei) sei verboten "in unserem demokratischen Land", empörte er sich.
Er habe keine Erinnerungen an Erzählungen über den Brand. Auf den richterlichen Vorhalt, die Spatzen hätten doch von den Dächern gepfiffen, wer den Brand gelegt habe, entgegnete er, er verstehe keine Spatzen. Er sei ja ebenfalls beschuldigt worden, den Anschlag verübt zu haben, aber er sei zum Tatzeitpunkt zuhause gewesen, denn er habe eine Ausbildung zum Maurer gemacht und um 5, 6 Uhr raus gemusst. Ohnehin habe er nie gewusst, wo sich das Asylantenheim befinde.
Er selber habe mal in einem Asylantenheim gewohnt, das sei alles "nett und cool" gewesen. Zu seiner Cousine, Diana K., der Hauptbelastungszeugin, habe er ein gutes Verhältnis. Diese Behauptung steht in deutlichem Widerspruch zu deren Aussage, sie habe den Kontakt zu ihm abgebrochen, da er sie sexuell belästigt habe.
Den Angeklagten bezeichnete er als "hinterfotzig." Denn er, Holger K., habe zwei Jahre in Untersuchungshaft gesessen, ihm sei Handel mit Betäubungsmitteln vorgeworfen worden, womit er nichts zu tun gehabt habe, aber Peter S. habe gegen ihn ausgesagt. Er sei dann freigesprochen worden.
Die Szeneangehörige Tamara B. die bis heute in der rechten Szene aktiv ist, bezeichnete er wegen ihres punkerartigen Aussehens als "Zecke".
Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 29.8.2023
Update 31.08.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 41. Prozesstag, Teil 2:
Phonetische Sachverständige: Aufzeichnung Innenraumüberwachung nur begrenzt technisch aufbereitbar
Noch ein weiterer Ermittler sagte an diesem Prozesstag (29.8.23) als Zeuge aus. Martin S. übt eine leitende Tätigkeit bei der Abteilung "Auswertung und Analyse" des Staatsschutzes aus und wurde 2020 für dreieinhalb Monate in die nach rund 30 Jahren (!) wieder aufgenommenen Ermittlungen zum Saarlouiser Anschlag eingebunden. Seine Aufgabe war es, auf der Basis der 1991 von Saarlouiser Skinheads gemachten Aussagen die Plausibilität von Weg- und Zeitangaben zu überprüfen. Diese Aussagen habe er sich intensiv angeschaut, erklärte er. Dies betraf vor allem die mutmaßlichen Nachhausewege der Nazis, die sich in der Tatnacht in der Gaststätte "Bayrischer Hof" getroffen hatten, aber auch am selben Abend zuvor zurückgelegte Wege. Dabei ging es insbesondere um Peter St., Peter S. und Heiko S., die zuletzt das Lokal verlassen hatten. Leider hätten seine damals die Vernehmungen führenden Kollegen bei Diskrepanzen nicht genau nachgehakt.
Martin S. nutzte für seine Berechnungen die Fußgängerversion von Google Maps. Dabei sei zu berücksichtigen gewesen, so der Zeuge, dass seither Straßen umbenannt worden seien, andere sogar überhaupt nicht mehr existierten. Er präsentierte eine Übersichtsskizze der Wohnorte, des Tatobjekts sowie der möglichen Wegstrecken aufgrund der damaligen Vernehmungen. Peter St. sei den Nachhauseweg gegangen, der am Anschlagsort vorbeiführte, obwohl zwei Wege kürzer gewesen seien.
Der Verteidiger Britz frage den Zeugen, ob er denn die Wege auch selbst abgegangen sei, was dieser verneinte. Er wisse auch nicht, ob Kollegen von ihm die Wege abgegangen seien. Diese Nachlässigkeit bemängelte Britz und kritisierte weiterhin, bei der Berechnung sei auch die Alkoholisierung der Skins nicht berücksichtigt worden.
Der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft, Merz, beantragte, die Kenntnisse des Zeugen über die von ihm studierten Vernehmungsprotokolle in den Prozess einzuführen, damit man sich ein eigenes Bild machen könne. Dies wurde nach längerer Beratung per Gerichtsbeschluss abgelehnt, mit der Begründung, es sei nicht Gegenstand der Vernehmung dieses Zeugen, und dadurch würden durch die Hintertür Inhalte in den Prozess eingeführt aus Aussagen von Zeugen, die im Prozess selber die Aussage verweigert hätten. Dies betraf die Zeugen Peter St. und Markus M.
Als dritte Zeugin an diesem Prozesstag war als Sachverständige die Phonetikerin Prof. Dr. Angelika Braun von der Universität Trier geladen. Ihr Auftrag bestand darin, Aufzeichnungen der Innenraumüberwachung von Autos Saarlouiser Nazis technisch möglichst verständlich aufzubereiten und zu transkribieren - angesichts einer Reihe von Störfaktoren eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Sie erläuterte zunächst ihre Methode des Herausfilterns von Störsignalen, wozu auch die menschliche Stimme gehöre, etwa, wenn während eines Gesprächs Stimmen im Autoradio zu hören seien. Erschwerend komme in diesem Fall noch die Dialektsprache der Abgehörten hinzu. So gebe es zwei saarländische Großdialekte. Wesentliche technische Verbesserungen seien bei der Bearbeitung nicht möglich gewesen.
Drei aufgezeichnete Gespräche wurden dann eingespielt, von denen allerdings im Zuhörerraum so gut wie nichts zu verstehen war. Die Prozessbeteiligten hatten Transkripte erhalten, die dem Publikum und den Medien nicht zugänglich waren. Die Polizeiarbeit sei gut gewesen, betonte sie lobend, da sei das technisch Machbare optimal durchgeführt worden.
Update 31.08.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 41. Prozesstag, Teil 1:
Als erster Zeuge (29.8.23) sagte an diesem Prozesstag Jochen B. aus, der als Ermittler der "SoKo Welle", die mit der Wiederaufnahme der Ermittlungen betraut war, Videomaterial aus der Globus-Waschstraße in Saarlouis gesichtet und ausgewertet hatte, in der der Angeklagte, Peter S., arbeitete. Das Video war ein Ausschnitt aus dem Überwachungsvideo der Anlage vom 17.8.20 und wurde relevant, weil die TKÜ (Tele-Kommunikations-Überwachung), so Jochen B., ergeben hatte, dass der Saarlouiser Nazichef Peter St. sich mit Peter S. für dort verabredet hatte, um unbelauscht Absprachen bezüglich der neuen Ermittlungen treffen zu können.
Der Zeuge erläuterte den Ablauf anhand von Bildausschnitten des Videos: Die Waschstraße öffnete um 8 Uhr morgens, aber bereits um 7:22 Uhr fuhr ein schwarzer Focus mit Saarlouiser Kennzeichen über eine seitliche Straße auf das Betriebsgelände. Ein solcher war auf den Vater von Peter St. zugelassen, wurde aber in der Regel von Peter St. gefahren. Es kam dann zu einem Gespräch zwischen Peter S. und Peter St., worauf Peter S. auf der Beifahrerseite einstieg und sie zusammen durch die Waschstraße fuhren. Wenige Minuten später, noch vor der offiziellen Öffnung, verließ das Auto wieder das Betriebsgelände.
Update 30.08.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 40. Prozesstag, Teil 2:
An diesem Prozesstag (28.8.23) wurde noch ein dritter Zeuge vernommen, Detlef W., bis heute ein führender Kopf der Zweibrücker Neonaziszene. Die gerichtliche Vernehmung wurde, so der Vorsitzende Richter, notwendig, weil der Zeuge einer polizeilichen Vorladung nicht gefolgt war. Sie gestaltete sich kurz, da das Gericht nur eine Frage an ihn hatte.
Der Zeuge, der Kontakte zur Saarlouiser Szene in den 1990ern bestritt, erklärte, er kenne den Angeklagten nur flüchtig von Demos. Den einzigen Kontakt zu ihm habe er beim Rudolf-Hess-Gedenkmarsch 1996 in Worms gehabt. Auf diese Demo bezog sich auch die Frage, denn auf Bildern des Marsches ist eine blonde Frau zusammen mit Peter S. zu sehen, die bis heute nicht identifiziert werden konnte. Alle bisher aus dem Spektrum der damaligen Szeneangehörigen dazu befragten Zeug:innen behaupteten auffallend gleichlautend, sie nicht zu kennen. Detlef W., dem die Bilder ebenfalls gezeigt wurden, stimmte in diesen Chor ein, räumte aber ein, die Blonde könne eine Bekannte seiner Frau gewesen sein. Seine Frau sei 1997 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Er habe dann mit drei kleinen Kindern alleine da gestanden, und alles andere habe keine Rolle mehr gespielt, weswegen er sich an nichts erinnern könne.
Update 30.08.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 40. Prozesstag, Teil 2:
Ex-Lebensgefährtin des Angeklagten hält Informationen zurück und könnte die Nächste sein
Zeugin hatte Angst, von Peter S. mit Pralinen vergiftet zu werden
Die zweite Zeugin dieses Prozesstages (28.8.23) war Sabrina A., Ex-Lebensgefährtin des Angeklagten. Vorausahnend, was kommen würde, stellte der Vorsitzende Richter zu Beginn der Vernehmung klar, man habe bei einigen Zeugen schon den Eindruck gewonnen, dass sie mehr wüssten, als sie sagten, dass sie "sich winden wie ein Aal".
Die Zeugin, die 1991, zum Tatzeitpunkt, 11 Jahre alt war, berichtete, sie habe Peter S. 1996 kennen gelernt und sei seit Februar 1997 dreieinhalb Jahre mit ihm zusammen gewesen. Sie habe heute keinen Kontakt mehr mit ihm, den letzten Kontakt habe es gegeben, kurz bevor er verhaftet worden sei. Sie zählte maßgebliche Mitglieder der Szene auf, die sie gekannt habe, Peter St., Heiko S., Markus M., Heiko T., Markus S. und andere. Sie selber sei nicht rechts gewesen, sondern "neutral", habe auch keine szenetypische Frisur gehabt. Wie denn das dazu passe, dass sie beispielsweise noch in jüngster Zeit in der "Hate Bar" verkehrte, einem Treffpunkt der neonazistischen Hammerskins im saarländischen Dillingen, hielt ihr das Gericht vor.
Über den Brand sei in der Szene nicht groß geredet worden, behauptete sie, in deutlichem Widerspruch zu zahlreichen Aussagen anderer Zeug:innen. Der Angeklagte habe ihr gegenüber erklärt, er habe nichts mit dem Brand zu tun und hoffe, dass die Tat aufgeklärt werde.
Man habe den Eindruck, sie halte mit der Wahrheit hinter dem Berg und wisse mehr, als sie sage, hielt ihr der Vorsitzende Richter Leitges vor. Es seien schon gegen einige Zeugen dieses Prozesses Verfahren wegen Falschaussagen eingeleitet worden, und er hoffe, sie sei nicht die Nächste, versuchte er ihr eindringlich klarzumachen.
Das Gericht konfrontierte die angeblich so Ahnungslose dann mit Mitschnitten aus der TKÜ (Tele-Kommunikations-Überwachung). So hat sie, als sie nach Wiederaufnahme der Ermittlungen von der Polizei verhört wurde, verschiedene Szeneangehörige gewarnt. Einem "Steve" teilte sie mit: "Ich habe niemand verraten." "Erzähl irgendeine Scheiße", riet sie ihm für den Fall einer Vorladung. Eine "Bianca" warnte sie: "Du weißt von nichts, kennst keine Leute!" Als ihr dies vom Gericht vorgehalten wurde, gab sie die betreffenden Anrufe notgedrungen zu, wand sich aber, indem sie behauptete, da sei es nicht um den Brandanschlag, sondern einfach nur um die Zugehörigkeit zur rechten Szene gegangen. Andere habe sie aber nicht angerufen. Auch dies wurde dann mittels TKÜ widerlegt. So hatte sie unter anderem mit einer "Karina" telefoniert. Süffisant meinte der Berichterstatter des Senats, Keppel, in der Tat habe manchmal nicht sie angerufen, sondern sei angerufen worden.
Da sie als zum Tatzeitpunkt 11jähriges Kind selber nicht in Gefahr war, in Verdacht zu geraten und trotzdem offenbar nicht mit dem herausrückte, was sie wusste, fragte der Beisitzer sie: "Welchen Krieg wollen Sie hier gewinnen?" Und der Vorsitzende Richter stellte die naheliegende Frage: "Werden Sie von irgendjemand unter Druck gesetzt?" Ob sie sich vor dem Gerichtstermin mit jemand getroffen habe, der sie instruiert habe, nicht mehr zu sagen, als ohnehin schon von ihr ausgesagt worden sei. Das verneinte sie.
Daran anknüpfend wollte der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft, Merz, wissen, ob sie mit dem Angeklagten ein Zeichen verabredet habe. Der spielte nämlich während der Vernehmung der Zeugin auffallend mit einem Armband, das er in ihre Richtung hielt - und das genauso aussah, wie das Armband, das auch sie trug. Dies verneinte sie ebenfalls. Nebenklageanwältin Pietrzyk fragte die Zeugin, die einen Antrag gestellt hatte, die Überwachung ihres Telefons für rechtswidrig zu erklären, ob sie dafür Hilfe in Anspruch genommen oder eine Vorlage verwendet habe. Dies sei nicht der Fall gewesen, behauptete sie. Ob sie mit dem Angeklagten amouröse Nachrichten ausgetauscht habe. "Jein", antwortete sie. Sie gab zu, sie habe sich mit Peter S. darüber ausgetauscht, dass sie keine Aussage machen müsste, wenn sie seine Frau wäre, wenn er sich also von seiner jetzigen Frau scheiden lassen und sie heiraten würde. Das sei aber dummes Geschwätz und nicht ernst gemeint gewesen.
Nebenklageanwalt Hoffmann verzichtete auf Fragen an Sabrina A. und begründete dies damit, dass er von ihr ohnehin keine wahrheitsgemäßen Antworten erhalten würde.
Getrennt habe sie sich damals von dem Angeklagten, weil der zuhause eine Party mit Kollegen gefeiert und sie sich darüber geärgert habe, behauptete sie. Er habe sie aber zurück gewollt und ihr Avancen gemacht. In der polizeilichen Vernehmung hatte sie ausgesagt, sie habe von ihm dann auch eine Schachtel Lindt-Pralinen geschickt bekommen, die habe sie aber nicht gegessen, vielmehr habe ihre Mutter diese gegessen. Vor Gericht erklärte sie, sie habe die Pralinen weggeworfen, denn sie möge zwar Schokolade, aber keine der Marke Lindt. Nach dem wirklichen Grund gefragt, geriet sie ins Schwimmen. "Sie glauben mir ja eh nicht", wich sie wiederholten Nachfragen des Gerichts aus und meinte "Ich weiß, worauf Sie hinaus wollen" Schließlich ordnete das Gericht eine mehrminütige Pause an, um ihr Gelegenheit zu geben, diese Antwort zu überdenken. Nach der Pause rückte sie dann mit dem Grund heraus, den das Gericht aus der TKÜ schon kannte: Sie habe Angst gehabt, von Peter S. vergiftet zu werden, um dann hinzuzufügen, das sei aber ein Witz gewesen, sie habe das nicht ernsthaft geglaubt. Solche Witze mache sie auch öfter, wenn der Vater ihrer Kinder, von dem sie getrennt lebe, etwas zu essen schicke. Allerdings stellt sich dann die Frage, ob sie denn dieses Essen ebenfalls wegwirft.
Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 28.8.2023
Update 30.08.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 40. Prozesstag, Teil 1:
Manche Fragen wurden nicht gestellt
Als erster Zeuge an diesem Prozesstag (28.8.23) sagte Ex-Szenemitglied Dirk L. aus. Er berichtete von seiner schweren Kindheit als Scheidungskind und seiner Suche nach Vaterersatz. Er sei zunächst in der Heavy Metall Szene gewesen und dann mal in der Wohnung des Saarlouiser Naziskin-Anführers Peter St. "gelandet". Danach seien dann "die Haare ab" gewesen. Die Jahreszahl wisse er nicht mehr, aber er - der 1972 Geborene - sei mit 15-16 Jahren in die Szene gekommen und dort 1-2 Jahre geblieben. Er sei kein Rassist gewesen, sondern für ihn hätten Prügeleien mit Punks im Mittelpunkt gestanden.
Mit André B. und anderen Gruppenmitgliedern sei er schon vor Einstieg in die Szene befreundet gewesen und habe dort dann unter anderem auch Peter S., den Angeklagten und Heiko S. kennen gelernt. Sein Glück sei es gewesen, dass er zur Bundeswehr gegangen und sich dort dann auch verpflichtet habe. Dadurch sei er aus der Szene raus gekommen und habe in der Kaserne sofort einen neuen, guten Freundeskreis gefunden. Von der Saarlouiser Gruppe habe er ab dann nur noch zu André B. Kontakt gehabt. Der sei auch aus der Szene ausgestiegen und habe dann Techno gehört.
Rassistische Sprüche habe es gegeben, "Ausländer raus!" zum Beispiel. Heiko S., den er schon vom Schulhof her gekannt habe, habe Ausländer auch als "Pack" bezeichnet. Peter St. habe nicht so krasse Parolen benutzt. Aber auch "Sieg Heil!" und dergleichen sei gerufen worden.
Im Zug nach Völklingen habe es mal (im Juni 1991) einen Vorfall gegeben. Da sei er mit Peter St. und Peter S. unterwegs gewesen und ein "Dunkelfarbiger", der angeblich Peter St. mit einem Faustschlag verletzt habe, habe verängstigt im Abteil gesessen. An der Aktion gegen diesen sei er aber nicht beteiligt gewesen, und sie seien dann alle drei von der Polizei des Zuges verwiesen worden. Wenige Tage später sei er dann zur Bundeswehr eingezogen worden. Der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft zitierte aus dem Vernehmungsprotokoll bei der Völklinger Polizei: Dort ist mit Verweis auf Aussagen der drei von einem „N....“ die Rede.
Peter St. sei das "Leitbild" der Gruppe gewesen zur Orientierung junger Leute, der "Häuptling". Peter S. sei ebenso wie er ein Mitläufer gewesen, der Peter St. aus dem Gefängnis gekannt habe. Peter S. hätte für Peter St. alles getan, wozu der ihn aufgefordert hätte. Petra M. und Heiko S. hingegen seien keine diesem hörige Mitläufer gewesen, sondern "eigenständige Rechtsradikale". Petra M. sei nach seiner Erinnerung die Einzige gewesen, die ein Fahrzeug besessen habe.
Der Zeuge berichtete ebenfalls von überregionalen Vernetzungen, nach St. Ingbert, Saarbrücken, in den Osten oder, vermittelt über Heiko S., auch in die USA. Dieser habe sich dort mal aufgehalten und Kontakte zu Skinheads gehabt. Man habe solche Leute auch eingeladen. Und man sei zu Konzerten gefahren, nach Darmstadt oder zu einem Konzert der Band „Störkraft“ im Osten, wahrscheinlich Weimar.
Getrunken hätten sie alle viel. Zu dem Brandanschlag könne er nichts sagen, davon habe er in den Medien gelesen, als er von einer Bundeswehrübung zurückgekommen sei und sei deshalb erschrocken. Man habe aber nicht darüber gesprochen.
Bemerkenswert: Weder Richter, Berichterstatter, noch GBA oder Nebenklage fragten nach, warum der Angeklagte – damals ein nach eigenen Angaben straight auftretender Skinhead - sich in der Bundeswehr wohl gefühlt hat.
Hintergrund: Die Bundeswehreinheit (Fallschirmjäger), in die er damals ging, gehörte zur sogenannten „Saarlandbrigade“. Das offizielle Lied war „Rot scheint die Sonne“, das als nationalsozialistische Auftragsarbeit Anfang der 1940er entstand und die NS-Eroberungsfeldzüge hochleben lässt. Dieses Lied wurde auch bei öffentlichen Vereidigungen gesungen.
Die Prozesstermine sind öffentlich und können besucht werden.
Erst Alkohol, dann Mord? Im Prozess zum Mordfall Samuel Yeboah versucht die Verteidigung des mutmaßlichen Mörders Peter S. den Brandanschlag als Ergebnis einer durchzechten Nacht darzustellen. Eine rassistische Gesinnung habe damit nichts zu tun. Dieser Einschätzung widerspricht Roland Röder, Geschäftsführer der Aktion 3. Welt Saar in dem Beitrag des Saarländischen Rundfunks. Auch der bisherige Prozessverlauf, der die damalige rechtsterroristische Szene in Saarlouis in all seinen Facetten zum Vorschein gebracht hat, lässt einen derartigen Schluss in weite Ferne rücken.
Hier geht es zum Aktuellen Bericht, 11.08.2023
Update 14.08.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 39. Prozesstag, Teil 2:
Zeuge erscheint mit toupetartiger Frisur
Richter ist genervt über Nebenklage
Zeuge kann sich nicht erinnern und musste "recherchieren" - Ex-Bundesinnenminister wird als Spion tituliert
Als zweiter Zeuge dieses Prozesstages (11.8.23) wurde Uli D., einer der führenden Köpfe der saarländischen Neonaziszene seit den 1990ern, vernommen. Er trug eine toupetartige Frisur und war mit dem Koblenzer Rechtsanwalt Dr. Gerhard Prengel als Zeugenbeistand erschienen, der am Ende noch seinen Auftritt haben sollte. Uli D. spielte seine nach Aussage mehrerer Zeug:innen zentrale Rolle in der Szene systematisch herunter und präsentierte sich als unbedeutenden Mitläufer, der sich an kaum noch etwas erinnern konnte. Immer wieder erklärte er, er habe zur Vorbereitung auf den Prozess Sachverhalte erst "recherchieren müssen". "Auch das habe ich recherchiert" oder „Daran kann ich mich nicht erinnern“ waren seine Standardaussagen.
Zur Saarlouiser Szene habe er erst so 1994/95 Kontakt bekommen. Zum Anschlag habe man ihm gesagt: "Das war keiner von uns." Damit sei für ihn die Sache abgehakt gewesen. Zum Zeitpunkt des Anschlags, 1991 und 1992, sei er krank gewesen, denn er sei von Jugendlichen zusammengeschlagen worden und ins Krankenhaus gekommen. Dort hätten sich Leute aus der Skinheadszene um ihn gekümmert.
Den Angeklagten habe er etwa 1993 kennengelernt, aber nicht näher. Nie habe er witzige Bemerkungen über den Ermordeten mitbekommen. Auch "Heil Hitler!" habe nie jemand gerufen. Das sei bei ihnen nicht erwünscht gewesen. Außerdem sei das verboten, meinte Uli D. Seine politische Einstellung sei sehr national gewesen, er habe befürchtet, dass die Deutschen irgendwann in Reservaten leben müssten. Eine Änderung habe man lediglich auf legalem Weg, zum Beispiel durch Demonstrationen, angestrebt. Die Szene sei von viel Alkohol und Parties geprägt gewesen, man habe keine politische Strategie verfolgt, sondern Handlungen seien spontan und unüberlegt erfolgt.
Als Ende 1992 auf den Saarwiesen in Saarbrücken Neonazis einen Studenten zusammenschlugen, war er als einer der Beteiligten verurteilt worden. Er stellte dies als Fehlurteil dar, denn er sei gar nicht dabei gewesen. Außerdem habe er nur eine kleine Geldstrafe von 2000 DM bekommen. Das Gericht stellte allerdings richtig, Uli D. sei damals zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt worden.
Und es gab noch mehr "alternative Fakten", die der Zeuge präsentierte. So hatte eine Sozialarbeiterin ausgesagt, Uli D. habe im Jugendzentrum Saarlouis versucht, Jugendliche zu ködern. Da sei er aber kaum gewesen, wollte der Zeuge weismachen, an so etwas könne er sich nicht erinnern und das habe er nie gemacht.
Laut Zeugenaussagen war Uli D. auch saarländischer Landesvorsitzender der FAP (Freiheitliche Arbeiterpartei), einer mittlerweile verbotenen Neonazipartei. Dies bestritt er vor Gericht, er sei nur mal Sympathisant der Partei gewesen. Als diese 1995 verboten wurde, fand bei ihm allerdings eine Hausdurchsuchung statt, und ihm wurde die Verbotsverfügung vom Bundesinnenministerium zugestellt. Dies sei, hielt ihm Nebenklageanwältin Pietrzyk vor, laut damaliger Pressemitteilung von Bundesinnenminister Manfred Kanther nur bei Funktionären der Partei der Fall gewesen. Darauf konterte der Anwalt des Zeugen, Prengel, mit der absurden Behauptung, Kanther sei ein verurteilter Spion und kein glaubwürdiger Gewährsmann. An dieser Stelle befand es das Gericht nicht für nötig, zu intervenieren, obwohl es sich nachweislich um eine Falschbehauptung handelte; denn Kanther war zwar im Rahmen der CDU-Schwarzgeldaffäre wegen Veruntreuung zu einer Geldstrafe verurteilt worden, aber nie wegen Spionage angeklagt. Zudem hatte er das CDU-Schwarzgeld mehrfach als "jüdisches Vermächtnis" bezeichnet.
Interveniert hatte der vorsitzende Richter hingegen gegen die Zeugenbefragung durch Nebenklageanwalt Hoffmann. Als dieser von Uli D. wissen wollte, ob er Mitglied der "Nationalistischen Front" gewesen sei, verneinte dieser. Als Hoffmann ihn dann auf die Wahrheitspflicht vor Gericht hinwies, unterband der Richter weiteres Nachfragen und schnauzte Hoffmann an: "Wir richten nicht über die politische Einstellung des Zeugen! Sie können ihn stundenlang fragen, ob er in der CDU oder FAP war, das führt nicht weiter." So wurde der Nebenklage die Möglichkeit genommen, die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu hinterfragen, das politische Umfeld zu beleuchten, in dem der Anschlag geschah und die Legende zu erschüttern, das Verbrechen sei spontan, aus einer Alkohollaune heraus, begangen worden. Hoffmann stellte denn auch fest, der Zeuge habe erkennbar gelogen. Sollte das Gericht sich auf dessen Aussage stützen, werde er entsprechende Beweisanträge einbringen.
Eine Skurrilität begleitete auch diese Zeugenaussage: Nebenklageanwältin Pietrzyk fragte den Zeugen, ob er für den Prozess sein Äußeres verfremdet habe, was dieser verneinte. Der Grund war dessen Frisur, die doch sehr nach einer Perücke aussah.
Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 11.008.2023 und ebenfalls Saarbrücker Zeitung vom 11.008.2023
Update 12.08.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 39. Prozesstag, Teil 1:
An diesem Prozesstag (11.8.23) sagte zunächst eine Überlebende des Anschlags aus, die Französin Dorine P., die als Freundin eines der Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in der Brandnacht bei diesem zu Besuch war. Sie hatte mit ihm, seinen Cousins und weiteren Bewohnern in seiner Wohnung im Erdgeschoss seinen Geburtstag gefeiert.
Sie berichtete, sie hätten in der Nacht Schreie aus der oberen Etage gehört, "Feuer!" Sie seien alle wach gewesen, hätten Angst bekommen und seien raus auf die Straße gelaufen, um sich in Sicherheit zu bringen. Sie habe Flammen gesehen, aus dem Fenster oben hätten Leute geschrien, und dann seien auch Bewohner aus dem Fenster gesprungen. Sie seien schockiert gewesen, das Erlebte nehme sie bis heute mit, erzählte sie unter Tränen. Sie spreche auch mit ihren Kindern darüber.
Sie sei dann nach Hause gefahren und habe am nächsten Tag aus der Zeitung erfahren, was genau passiert sei. Dort sei die Rede davon gewesen, es sei höchstwahrscheinlich eine kriminelle Tat gewesen, begangen von Hooligans.
Die Nachfrage der Nebenklageanwältin Kristin Pietrzyk, ob sie danach mit ihrem damaligen Freund noch Kontakt gehabt habe, bejahte sie. Er und seine Cousins seien durch das Erlebte schockiert gewesen.
An ihre polizeiliche Vernehmung am 20.9.91, also am Tag nach dem Verbrechen, erinnerte sie sich nach so langer Zeit nicht mehr. Dort hatte sie laut vorsitzendem Richter, der aus dem Vernehmungsprotokoll zitierte, ausgesagt, sie habe 5 bis 10 Minuten vor Feststellung des Brandes draußen eine Person gesehen; wahrscheinlich habe es sich um einen Mann gehandelt. Auch an diese Beobachtung erinnerte sie sich nicht mehr.
Eine unerwartet komische Szene hatte sich zu Beginn ihrer Vernehmung ereignet. Als der vorsitzende Richter sie fragte, ob sie mit dem Angeklagten verwandt oder verschwägert sei, blickte sie in Richtung des angeklagten Peter S. und seines Verteidigers und meinte: „Äh, wer ist denn der Angeklagte?“
Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 11.008.2023 und ebenfalls Saarbrücker Zeitung vom 11.008.2023
Update 18.07.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 38. Prozesstag, Teil 3:
Noch ein weiterer Zeuge sagte an diesem Prozesstag aus, Hermann-Günther K., der berichtete, er sei 1988/89 in die Saarlouiser Skinheadszene gekommen. Er habe bevorzugt an Wochenenden an den Treffen teilgenommen und da die Gruppe vor allem als "Saufverein" wahrgenommen. Man habe "bis zum Verlust der Muttersprache" getrunken. Den Angeklagten Peter S. kenne er von früher. Peter St. sei dagegen der Kopf der Gruppe gewesen. Der habe nicht gearbeitet, habe sich wie ein König aufgeführt und von den Jüngeren mit Bier und Essen versorgen lassen. Peter St. und Heiko S. seien unzertrennbar gewesen, „wie im Kindergarten“. Aber sie hätten sich auch öfter gekabbelt, dann habe es Backpfeifen durch Peter St. gegeben. Die beiden und Peter S. hätten ein Dreigestirn gebildet, aber das Verhältnis zwischen Peter St. und Peter S. sei nicht so eng wie das zwischen Peter St. und Heiko S. gewesen. Heiko S. sei nicht der Hellste gewesen, er sei öfter reingelegt worden und ihm habe man nach seinem Ausstieg übel mitgespielt.
Über den Anschlag sei in seiner, Hermann-Günther K.s, Gegenwart nie gesprochen worden. 1991, noch vor dem Anschlag, habe er am Bahnhof von Naziskins eins "auf die Mütze" bekommen, habe auf der Intensivstation gelegen und Narben am Kopf davongetragen. Er sei dann Ende 1991, Anfang 1992 ausgestiegen, habe mit seiner Szenevergangenheit total abgeschlossen und sich „für die Arbeit“ entschieden. Es habe eine Intervention seines damaligen Chefs – er arbeitete zwischenzeitlich als Fliesenleger – gegeben, der habe ihn mit seinen Narben nicht zu Privatkunden schicken wollen.
Der Angeklagte, Peter S., sei ein Mitläufer gewesen wie er. Er könne sich nicht vorstellen, dass dieser den Anschlag verübt habe. Peter S. sei der Einzige aus der Gruppe, den er ans Herz geschlossen habe. Wenn er mit ihm zusammen gewesen sei, sei nichts Politisches gesprochen worden.
Hermann-Günther K. berichtete über mehrere brutale Gewaltakte von Szeneangehörigen. So habe Christian B. einen Polizisten mit einem Baseballschläger verprügelt. Das sei eine "große Nummer" gewesen. Peter St. habe der Führungsfigur der Völklinger Neonazis, Andreas W., den Kiefer gebrochen, obwohl dieser gegenüber dem damals dünnen Peter St. körperlich klar überlegen schien und nicht ohne Grund den Spitznamen "Panzer" gehabt habe. Der sei dann mit einem Drahtgestell um den Kopf herumgelaufen. Später habe er Suizid begangen, indem er sich eine Nylontüte über den Kopf gestülpt habe.
Der Zeuge, der gelernter Bäcker ist, in der Zeit seines Ausstiegs als Fliesenleger arbeitete, aber heute als Schulassistent Inklusionsarbeit mit Kindern mit Handicap macht, unterstrich noch einmal seine Distanz zur Szene: Er arbeite mit ausländischen Kindern, und für ihn sei der Anschlag Mord gewesen.
Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 18.07.2023
Update 18.07.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 38. Prozesstag, Teil 2:
Nach der Slapstick-Einlage des ersten Zeugen, Ex Naziskin Holger K., der mit dem Zug statt nach Koblenz nach Paris fuhr, erschien der nächste Zeuge aus der ehemaligen Skinheadszene vor Gericht: Marko S., Spitzname "Kiki".
Er habe, berichtete er, den Angeklagten 1995/96 im Jugendzentrum Saarlouis kennengelernt. Zum Zeitpunkt des Anschlages 1991 sei er 11 Jahre alt gewesen und habe damals in einem Zeitungsartikel davon gelesen. In der Hauptschule hätten sie darüber geredet. In die Szene sei er 1995 über Mark M. gekommen, der sei sein Schulkamerad gewesen. Zwei, drei Jahre später sei die Kameradschaft Saarlautern gegründet worden, in der er, Marko S. Mitglied gewesen sei. Szenekontakte habe er bis 2004/05 gehabt.
Konkretes habe er über den Anschlag nicht mitbekommen. Es habe nur Gerüchte gegeben, der Angeklagte sei beteiligt gewesen. Nur dieser sei als Beteiligter genannt worden. Wenn er auf seine mutmaßliche Täterschaft angesprochen worden sei, habe er diese abgestritten, aber dabei gegrinst. Viel ausgemacht habe es Peter S. nicht, was geschehen sei. Jeder habe Brandanschläge gut gefunden, JEDER, wie Marko S. betonte. Auch die Jüngeren im "unüberlegten Alter". Heute finde er das Scheiße.
Den von Peter S. als Haupttäter beschuldigten Heiko S. habe er nicht gekannt, der sei vor seiner Zeit in der Szene gewesen. Er habe nur mal von Leuten aus der Gruppe gehört, der sei ein Vollidiot.
Peter S. sei eine Respektsperson gewesen, weil er einer der Älteren war, aber das Sagen habe Peter St. gehabt. Mindestens widersprüchlich war seine Aussage zu Peter S.: Einerseits habe er keinen engen Kontakt zu ihm gehabt, andererseits habe er aber mit ihm getrunken, man sei gemeinsam zu Konzerten gefahren, und er sei auch mal bei ihm zu Hause gewesen.
Vor seiner Vernehmung im Prozess habe er mit Mark M. und Markus M. über den Fall gesprochen. Mark. M. sei ein Arbeitskollege von ihm bei der Müllabfuhr. Markus M. (der am vorangeganenen 37. Prozesstag die Aussage verweigerte) habe ihn zuhaue aufgesucht und ihn ausgefragt, was er bei seiner Vernehmung bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gesagt habe. Er habe auch gefragt, warum er überhaupt eine Aussage gemacht habe, so etwas mache man nicht. Markus M. habe erklärt: "Die wollen uns was anhängen, aber das stimmt alles nicht." Dabei habe er "komisch geguckt". Unklar blieb, ob Markus M. auf eigene Faust oder aber in Absprache mit jemand den Zeugen zu Hause aufsuchte und auf das (Aussage-)Verhalten bei der Polizei und in Karlsruhe ansprach.
Außerdem habe er, Marko S., mit Mark U. gesprochen, einem Aussteiger der Szene. Der habe ihn beim Automatenspiel in einer Kneipe angesprochen. Auf den Vorhalt des Gerichts, laut Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) habe Markus M. behauptet, er, Marko S., habe sich bei der Szeneangehörigen Tamara B. gemeldet, bestritt er dies entschieden: "Mit der habe ich nichts zu tun, mit der will ich auch nichts zu tun haben." Laut TKÜ habe, so das Gericht, Tamara B. zu Markus M. gesagt, "Kiki" wolle der Polizei weiterhelfen, im Gegensatz zu anderen.
Die Polizei sei kontrollieren gekommen, wenn die Gruppe sich im Saarlouiser Löwenpark aufgehalten habe. Zu dieser habe man kein so gutes Verhältnis gehabt.
Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 18.07.2023
Update 18.07.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 38. Prozesstag, Teil 1:
Der Prozess begann an diesem Tag (18.7.23) mit anderthalb Stunden Verspätung. Holger K. aus der damaligen Naziskinszene, der als erster Zeuge geladen war, hatte sich nämlich verfahren. Mit dem Zug war er statt nach Koblenz nach - kein Witz - Paris gefahren. Nachdem ihm das Gericht die Fahrkarte nach Koblenz gebucht hatte, hatte er zunächst den Zug verpasst und war dann in den falschen gestiegen. Wie er der saarländischen Polizei mitteilte, erwarte er, dass diese ihre französischen Kollegen veranlasse, ihn umsonst zurückfahren zu lassen, denn er habe kein Geld. Damit fiel seine Aussage an diesem Tag flach.
Da Holger K. damit schon zum dritten Mal einer Ladung als Zeuge zu diesem Prozess nicht nachgekommen war, beantragte der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Merz, diesem die Kosten für sein Nichterscheinen bzw. am falschen Ort Erscheinen in Rechnung zu stellen sowie ein Ordnungsgeld von 150 €, ersatzweise drei Tage Ordnungshaft, zu verhängen. Bei der nächsten Vorladung soll er von der Polizei vorgeführt werden.
Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 18.07.2023,
Update 17.07.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 37. Prozesstag, Teil 2:
Als Zeuge geladener NPDler Markus M. verweigert die Aussage
Als weiterer Zeuge sagte an diesem Tag ein Staatsschutzbeamter der mit der Wiederaufnahme der Ermittlungen betrauten "SoKo (Sonderkommission) Welle" aus. Der schon mehrfach in diesem Prozess vernommene Ermittler Michael S. brachte eine brisante Neuigkeit ein. Die Hauptbelastungszeugin, Diana K. hatte sich in ihrer Aussage am 1. Februar 2023 auf einen Online-Artikel vom 11. Oktober 2019 bezogen, durch den sie sich erst der Tragweite des Geständnisses bewusst geworden sei, das der Angeklagte ihr auf einer Grillparty 2006 oder 2007 gemacht habe. Siehe hier Nur war dieser Artikel damals, im Februar, trotz umfangreicher Recherche nicht auffindbar, weshalb der Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Prof. Dr. Britz, die Glaubwürdigkeit der Zeugin angezweifelt hatte. Diesen Artikel habe die Zeugin, so erklärte der Ermittler vor Gericht, dann doch noch gefunden und ihn daraufhin am 18.3.23 angerufen. Der Artikel sei tatsächlich am 11.10.19 auf der Seite "Breaking News" erschienen und inzwischen von den Ermittlern gespeichert worden. Der Beitrag mit dem Titel "So viel rechte Gewalt wie nie. Neonazis töten im Saarland zwei Menschen" habe Bezug genommen auf den antisemitischen und fremdenfeindlichen Anschlag von Halle und sei dann auf den Mord an Samuel Yeboah und einen weiteren Neonazimord im Saarland eingegangen.
Diana K. sei nach ihrer Aussage vor Gericht sehr verärgert darüber gewesen, dass der Verteidiger sie quasi als Lügnerin dargestellt habe und habe dann mit Wut im Bauch noch einmal intensiv in ihrem eigenen Facebookprofil recherchiert, bis sie am Ende doch noch fündig geworden sei.
Schließlich stand für den Nachmittag auch noch die Zeugenaussage von Markus M. auf dem Plan, dem Neonazi und NPD-Aktivisten. den zuvor der Tätowierer Jörg R. schwer belastetet hatte. Der NPDler machte aber von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Dies stand ihm, so sein ihn begleitender Rechtsanwalt, Clemens S. aus Völklingen, zu, da wahrheitsgemäße Antworten auf Fragen zu seiner Rolle in der rechten Szene Rückschlüsse zulassen würden, die Markus M. belasten könnten, vor allem im Hinblick auf die Aussage von Jörg R. vom Vormittag. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft schloss sich dieser Auffassung an, die anderen Prozessbeteiligten widersprachen nicht, so dass dem stattgegeben wurde.
Siehe auch Tagesschau vom 17.07.2024
und Saarbrücker Zeitung vom 17.07.2024
Update 17.07.2023
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 37. Prozesstag, Teil 1:
An diesem Prozesstag (17.7.23) war zunächst Jörg R. geladen, der berichtete, er kenne Mitglieder der Saarlouiser Skinheadszene aus seiner Tätigkeit als Tätowierer seit 1991. Von dem Anschlag habe er erstmals 2002 erfahren. Damals sei der Skinhead Mark M. bei ihm im Tattoo-Laden gewesen und habe erzählt, dass gegen sie, das heißt, verschiedene Szenemitglieder, wegen Mordes ermittelt werde. Er habe damals aber nicht gewusst, worum es konkret ging. Ab 2004 habe er dann Internet gehabt und sei dort vor vier bis fünf Jahren auf den Saarlouiser Anschlag gestoßen. Er habe dies aber damals nicht auf die erwähnte Mordermittlung bezogen, sondern habe die Vorstellung gehabt, da habe jemand lediglich einen Molotowcocktail geworfen.
Am 19.6.23 sei dann der Neonazi Markus M. bei ihm gewesen (nicht zu verwechseln mit Mark M.) und habe ihm erzählt, am Vorabend des Saarlouiser Brandanschlags hätten Peter St., Peter S. und Heiko S. im Bayrischen Hof zusammengesessen und gesagt, in Saarlouis müsse auch sowas passieren wie in Hoyerswerda. Die drei hätten laut ihren Aussagen sogar den Brandbeschleuniger schon besorgt gehabt und geäußert, den müssten sie nur über den Vorhang in der Flüchtlingsunterkunft kippen und anzünden. Er selber, Markus M., habe damit nichts zu tun gehabt. Aber er habe Angst gehabt, als der das erzählte, man habe gesehen, dass er sich schwerste Sorgen gemacht habe. Da Jörg R. Mitglied in einem Motorradclub gewesen sei, habe Markus M. hinzugefügt: "Bei uns ist das wie bei den Rockern: Wir reden nicht mit der Polizei." Er, Jörg R., habe aber dann noch am selben Abend die Kriminalpolizei angerufen, um über das Gespräch auszusagen.
Der heute 54jährige Jörg R. skizzierte auch die Strukturen in der Szene. Er sei selber kurze Zeit Skin gewesen, von etwa 1985 bis 1987, mit Freunden, die er seit seiner Kindheit kannte, bevor er dann ausgestiegen und Mitglied in einem Motorradclub geworden sei. Seine beiden alten Freunde seien ebenfalls ausgestiegen, die seien unpolitisch gewesen und hätten mit Rechtsradikalismus absolut nichts am Hut gehabt. Die hätten sich dann die Haare bis über die Schultern wachsen lassen. Beide seien später tödlich verunglückt, also keines natürlichen Todes gestorben. Nach der Anfangsphase seien dann politische, rechtsradikale Skins dazugekommen. Dazu habe Markus M. gehört. Der sei NPD-Mitglied und ein Einzelgänger gewesen, habe aber "auf Häuptling gemacht". Dazu gekommen sei auch Peter St., der andere Skins gekannt habe und sich von Markus M. die Rolle als Anführer nicht habe nehmen lassen. Peter St. habe nicht gewollt, dass eine "normale" (also unpolitische) Skinheadszene entstehe. Den Angeklagten, Peter S. habe er erst kennengelernt, als er selber kein Skinhead mehr gewesen sei. Dessen Mutter habe er jedoch schon lange gekannt, die sei Haushälterin bei seiner Mutter gewesen, und er habe auch seine Schwester gekannt und tätowiert. Aber Peter S. habe er erstmals gesehen, als dieser einige Tage nach dem Gespräch mit Mark M. bei ihm gewesen sei, um sich ein Tattoo stechen zu lassen. Das sei kein rechtsradikales Tattoo gewesen, sondern das Wort "Saarland", aber Peter S. sei bei ihm im Studio aufgetreten wie "Prinz Charles".
Der "Stern" habe über einige der Saarlouiser Neonazis einen Bericht gebracht, in dem diese unter Pseudonymen porträtiert worden seien. Markus M. habe sich da den Namen "Mengele" zugelegt, den Namen des für seine Menschenversuche in Auschwitz berüchtigten SS-Arztes, was im Laufe des Prozesses auch schon in anderen Zeugenaussagen berichtet worden war. Die Porträtierten seien stolz gewesen und hätten sich als Superstars gefühlt. Das habe sich aber schnell gelegt, als sie infolge der "Stern"-Artikels aus ihren Lehrstellen geflogen seien.
Heiko S. habe er nur bei zwei Gelegenheiten kennengelernt. Über den habe man sich in der Szene lustig gemacht.
Der Zeuge bestätigte die Gewaltbereitschaft der Szene. Markus M., den er auch als "NPD-Fritze" etikettierte, habe Gewalt propagiert, aber nach seiner Kenntnis nie selber zugeschlagen. Er sei durch großmäuliges Verhalten in Erscheinung getreten. Peter St. hingegen habe beispielsweise auch eigenhändig anderen den Kiefer gebrochen.
Siehe auch Tagesschau vom 17.07.2024
und Saarbrücker Zeitung vom 17.07.2024,