Gemeinsame Stellungnahme von Aktion 3.Welt Saar e.V. und Saarländischer Flüchtlingsrat e.V.
"Ich werde eine Tour durch das Land machen und mir auch die Ecken im Land anschauen, die nicht so toll sind - und auch Brennpunktthemen anpacken."
Tobias Hans nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten am 1. März im Saarländischen Landtag
Am 8. März 2018 haben die Aktion 3. Welt Saar e.V. und der Saarländische Flüchtlingsrat e.V. den saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans beim Wort genommen und ihn per Brief zu einem Besuch ins Kurdische Gesellschaftszentrum Saarbrücken eingeladen. Wir wollten, dass er sich selbst ein Bild vor Ort macht und die Arbeit des Zentrums kennenlernt. Anschließend sollte es mit dem Ministerpräsidenten und Vertreterinnen und Vertretern unserer Vereine einen offenen Meinungsaustausch über die aktuelle Situation in der Türkei geben, ohne dabei die Rolle Deutschlands auszublenden. Konkret wollten wir auch über das seit 1993 in Deutschland existierende Verbot der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und seine Umsetzung im Saarland sprechen. Unser Angebot: Den Termin für dieses Treffen konnte sich der Ministerpräsident selbst aussuchen.
Am 12. April erhielten wir dann aus der Staatskanzlei die Zusage. Wörtlich schrieb uns Patrick Waldraff, der persönliche Referent von Tobias Hans, per Mail: „Gerne ist Herr Hans bereit, das kurdische Gesellschaftszentrum in Saarbrücken zu besuchen.“ Der Termin sollte aus Zeitgründen aber erst im August koordiniert werden. Nachdem wir im August erneut nachgefragt hatten, wurde unser Anliegen allerdings am 10. September endgültig zurückgewiesen. Begründung: Terminliche Schwierigkeiten. Von einem Besuch des Kurdischen Gesellschaftszentrums war überhaupt keine Rede mehr: „….aufgrund terminlicher Schwierigkeiten ist es Herrn Ministerpräsidenten nicht möglich, das kurdische Gesellschaftszentrum in Saarbrücken zu besuchen. Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis.“
Zusage, Absage und ein von Terminen gestresster Ministerpräsident lassen tief blicken. Das anfängliche Versprechen zur Bürgernähe ist innerhalb eines halben Jahres auf Standard-Routine geschrumpft. Trotzdem halten die Aktion 3. Welt Saar e.V. und der Saarländische Flüchtlingsrat e.V. ihren Dialogvorschlag aufrecht. Früher oder später wird es diese Gespräche geben, denn die Gründe dafür liegen auf der Hand:
1. Im Saarland leben mehrere Tausend Menschen türkischer und kurdischer Herkunft und vor allem in den 1990er Jahren hatte das Saarland viele kurdische Flüchtlinge aufgenommen. Die Türkei ist nicht weit weg und was dort passiert, hat Rückwirkungen in die Verhältnisse hier. Und was dort im Kampf um Demokratie und Menschenrechte verloren wird, wird in letzter Konsequenz ebenso hier verloren.
2. Der absurde Kampf um Fahnen und Symbole der PKK, wie wir ihn auf fast jeder kurdischen Kundgebung in der Saarbrücker Innenstadt, beim kurdischen Neujahrsfest (Newroz) oder auf der jährlichen 1. Mai-Demonstration erleben, muss aufhören. Die Sicherheitsbehörden treiben damit die Verunsicherung und niederschwellige Kriminalisierung der kurdischen Bewegung voran und machen sich de facto zum verlängerten Arm Erdogans.
3. Ein unmittelbares Ergebnis der Kriminalisierung ist, dass vielen Kurdinnen und Kurden im Saarland die Einbürgerung oder sogar die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verwehrt wird. Dabei geht es nicht um „Terrorismus“, sondern um Aktivitäten, die ein fester Bestandteil der demokratischen Kultur und Meinungsbildung sind, wie Teilnahme an Demonstrationen oder das Sammeln von Unterschriften. Siehe Saarbrücker Zeitung, 7. März 2018: <link asyl-saar.de/wp-content/uploads/2018/03/07032018SbrZ.pdf - external-link-new-window>
"Weil ich meine Meinung sage, werde ich nicht eingebürgert"</link>.
4. Die Zeit ist reif für eine Neubewertung der PKK. Dass die Saarländer weiterhin angstfrei ihren Glühwein auf einem Weihnachtsmarkt trinken können, hängt auch mit dem erfolgreichen Zurückdrängen des Islamischen Staates (IS) durch die PKK und der mit ihr verbundenen Selbstverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) in Syrien zusammen. Denn ohne die kurdischen Guerillas wären weder Zehntausende von Eziden im August 2014 aus dem ?ingal-Gebirge gerettet, noch Kobâne (Februar 2015) und Raqqa (Oktober 2017) vom Terror des IS befreit worden. Gegen die Barbarei der Dschihadisten verteidigen die kurdischen Guerillas bis heute die Option einer säkularen und demokratischen Gesellschaft in dieser Region. Diese Tatsachen müssen von der staatlichen Politik anerkannt werden.
Unseren Organisationen ist es bewusst, dass ein offizieller Besuch des Kurdischen Gesellschaftszentrums angesichts der politischen Rücksichtnahme gegenüber Ankara für einen deutschen Ministerpräsidenten ein heißes Eisen ist. Keine Frage. Der zu erwartende öffentliche Druck käme nicht nur vom rechten Rand, vom Erdogan-hörigen Islamverband DITIB oder vom politischen Gegner. Doch ohne Risiko keine politische Innovation, und statt des Exekutierens politisch überholter Verbote sollte endlich ein produktiver Dialog der Landesregierung mit dem Kurdischen Gesellschaftszentrum Saarbrücken beginnen. Dafür setzen wir uns ein und bleiben bei unserem Vorschlag: Herr Hans kann sich diesen Termin selbst aussuchen.
Losheim und Saarlouis, 27. September 2018