Kriterienpapier für Islamgespräche und für Islamunterricht

Ein Arbeitspapier des Kompetenzzentrums Islamismus der Aktion 3.Welt Saar

Was ist, wenn muslimische Gemeinden ein Minarett bauen wollen und Islamunterricht möchten? Wie sollen sich Mandatsträger/innen und Verwaltungen in Bundesländern und in den Kommunen dazu verhalten: zustimmen, ablehnen, Bedingungen stellen? Und auf welcher Grundlage kann man Gespräche mit Islamverbänden führen? Eine Arbeitsgruppe des Kompetenzzentrums Islamismus der Aktion 3.Welt Saar hat zu diesen Fragen im Zeitraum von März bis August 2015 ein Kriterienpapier erarbeitet. Dort werden Minimalstandards für Gespräche mit Islamverbänden und zur Einführung von islamischem Religionsunterricht formuliert. Das Kriterienpapier richtet sich an Mandatsträger/innen, an Entscheidungsträger/innen in Verwaltungen und an andere Interessierte.

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SR3 - Region am Mittag: Beitrag über Kriterienpapier, 09-09-2015

"Islamunterricht: Aktion 3. Welt Saar formuliert Kriterien"

Interview SR2 9.9.2015 - "Im Dialog" mit Gertrud Selzer über das Kriterienpapier

"Eine Arbeitsgruppe des Kompetenzzentrums Islamismus der Aktion 3.Welt Saar hat ein Kriterienpapier erarbeitet, in dem Minimalstandards für Gespräche mit Islamverbänden formuliert sind. Im Interview erklärt Frau Gertrud Selzer vom Vorstand der Aktion worum es genau geht." Hier geht es zum Interview.

Im Interview nimmt Gertrud Selzer Bezug auf das Interview mit einer in Saarbrücken lebenden Kurdin über deren Arbeit mit migrantischen Jugendlichen. Hier geht es zu dem Interview. "Patriarchale Zwänge und Antisemitismus bei Kindern von Migranten"

Mehr Infos und Hintergründe

Vortrag Dr. Abdel-Hakim Ourghi, Irgendwas mit Schule & Islam, 13.06.2019 

Vortrag Dr. Abdel-Hakim Ourghi, Irgendwas Islamunterricht, 25.11.2016

Nein zum Islamunterricht mit ultrakonservativen Verbänden
TV Interview mit Gertrud Selzer, Aktion 3.Welt Saar e.V.

Anlässlich einer Gerichtsverhandlung zum Thema Islamunterricht drehte der Saarländische Rundfunk ein kurzes Interview mit Gertrud Selzer vom Vorstand der Aktion 3.Welt Saar e.V. und vom Vorstand des Saarländischen Flüchtlingsrates. Beide Organisationen sind gegen einen Islamunterricht mit autoritären, undemokratischen, frauenfeindlichen und zum Teil antisemitischen Verbänden wie die von der Türkei bezahlte ditib, die salafistisch orientierte Islamische Gemeinde Saar oder die islamistische Gruppe Milli Görüs. Deshalb sollte der Islamunterricht erstmal ausgesetzt werden und dann sorgfältig evaluiert werden. Zudem vertreten diese Organisationen nur einen Bruchteil der Muslime.
SR Aktueller Bericht, 31.07.2020

Islamischer Religionsunterricht an saarländischen Schulen?

Kommentierender Bericht zu einer Podiumsdiskussion in Dillingen

"Islamischer Religionsunterricht an saarländischen Schulen?" war das Thema einer Podiumsdiskussion am 24. Oktober 2007 in der Stadthalle Dillingen. Eingeladen hatten die Stadt Dillingen, die AWO Saarland, der regionale Caritasverband, terre des hommes, der türkische Elternbund Saarlouis-Merzig-Dillingen sowie der zu DITIB (1) gehörende Türkisch-Islamische Kulturverein Dillingen. Wie dem Einladungsfaltblatt zu entnehmen ist, fand die Diskussion anlässlich der "Woche der ausländischen MitbürgerInnen" vom 23. bis 29. September unter dem Motto "Teilhaben - Teil werden" statt. Wegen des Fastenmonats Ramadan war sie in den Oktober verschoben worden.

Die Veranstaltung moderierte Georg Gitzinger vom Saarländischen Rundfunk, selber studierter katholischer Theologe. Franz-Josef Berg (CDU), Bürgermeister der Stadt Dillingen, betonte in seinem Grußwort, Dillingen habe Erfahrungen mit ausländischen Mitbürgern. Die Stadt sei in der Lage, fremde Kulturen einzubeziehen, ohne dass diese ihre Identität aufgeben müssten. Bei der Vorstellung der Podiumsteilnehmer wies Gitzinger darauf hin, dass der teilnehmende DITIB-Dialogbeauftragte Bekir Alboga jetzt für die nächsten sechs Monate Sprecher des Koordinierungsrates der Muslime (KRM) sei.

Modellprojekt „Islamkunde“

Dr. Michael Kiefer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Islamwissenschaft der Universität Erfurt, eröffnete dann die Podiumsrunde. Kiefer, der das Modellprojekt "Islamkunde" in Nordrhein-Westfalen wissenschaftlich betreut, erklärte, dort gebe es die Islamkunde seit dem Schuljahr 1999/2000. Das Fach werde an 150 Schulen unterrichtet und beziehe 8-10.000 Schüler ein, das seien 8-10 % aller muslimischen Schüler in NRW. Es werde in allen Schulformen angeboten. Die Leistungen seien prüfungs- und versetzungsrelevant. Allerdings handele es sich nicht um Religionsunterricht. Das Fach werde ausschließlich von Muslimen unterrichtet. Die Eltern hätten das Gefühl, ihre Religion werde aufgewertet. Hier ergebe sich eine neue interreligiöse Dialogebene. Es gebe Bemühungen, eine reguläre Lehrerausbildung für dieses Fach zu etablieren. Die Islamkunde sei keine Konkurrenz zum Unterricht der Moscheengemeinden in NRW.

Nächster Redner war Gerhard Mohr, Abteilungsleiter des saarländischen Ministeriums für Bildung, Familie, Frauen und Kultur. Er behauptete, es gebe in Deutschland 3,4 Millionen Muslime und 750.000 muslimische Schüler an deutschen Schulen. (2) Im Saarland seien es knapp 7.700 muslimische Schüler, das entspreche 5 % aller saarländischen Schüler. Im Gegensatz zu Frankreich gebe es Religionsunterricht an staatlichen Schulen. Im Saarland werde evangelischer, katholischer und jüdischer Religionsunterricht an Schulen erteilt, darüber hinaus muttersprachlicher türkischer Unterricht mit Unterstützung des türkischen Generalkonsulats und außerdem Ethikunterricht. Der Religionsunterricht sei geregelt durch Grundgesetz Artikel 7, Abs. 3. In der Verfassung des Saarlandes existiere eine gleichartige Vorschrift. Die Landesregierung sei dem islamischen Religionsunterricht gegenüber aufgeschlossen. Vom Landtag werde er gefordert. Die islamischen Verbände im Saarland hätten sich 2006 interne diesbezügliche Beratungen vorgenommen. Vom islamischen Religionsunterricht verspreche sich die Landesregierung eine integrierende Wirkung.

Konfessionsübergreifende Front der Befürworter

Prälat Dr. Herbert Hoffmann, Leiter der Abteilung Schule und Hochschule des Bischöflichen Generalvikariats Trier, legte Wert auf die Feststellung, er habe bereits 1991 den islamischen Religionsunterricht gefordert. Man dürfe muslimischen Kindern nicht vorenthalten, was christlichen Kindern garantiert sei. Die Vielfalt der Fächer sichere die Vielfalt der Perspektiven. Religionsunterricht als Teil des schulischen Angebots sei Voraussetzung von Selbstbestimmung und diese wiederum Voraussetzung von Freiheit. Religionsunterricht gebe Antwort auf die Frage, warum man wertbezogen handeln solle. Die religiöse Dimension sei nicht vom ganzen Menschen abzuspalten.

Bekir Alboga betonte, Ziel des Koordinierungsrats der Muslime sei es, bei der Einführung des islamischen Religionsunterrichts behilflich zu sein. Er unterstütze die Gründung eines Koordinierungsrats der Muslime im Saarland, das dann eines der ersten Bundesländer mit einem Koordinierungsrat auf Landesebene wäre. Die Vermittlung von Islamkenntnissen durch den türkischen Staat freue ihn. Sein eigener Sohn habe am Ethikunterricht teilgenommen. Doch habe er schließlich die Nase voll davon gehabt, mit dem Ethiklehrer über die Existenz Gottes zu diskutieren. Deshalb sei er in den evangelischen Religionsunterricht gewechselt, den er mit einer Eins abgeschlossen habe.

Mohammed El Kawash, Vorsitzender der Islamischen Gemeinde Saarland e.V., stellte fest, muslimische Kinder seien Teil dieser Gesellschaft und müssten ihre Identität als Muslime lernen. Dies führe zum richtigen islamischen Weg. Der Koran müsse in arabischer Sprache gelehrt werden, durch einen Moslem, der den Koran lesen könne.

Dr. Gottfried Schimanowski, Schulreferent der Evangelischen Kirche im Rheinland, sah den Abbau von Vorurteilen und eine authentische Begegnung als nötig an und betonte sein Bemühen um Einführung des islamischen Religionsunterrichts. Kinder und Jugendliche hätten ein Recht auf Religion, sonst würde ihnen etwas vorenthalten. Im Saarland gebe es schon im Kindergarten ein Recht auf religiöse Bildung. Wichtig für den Religionsunterricht sei Authentizität, die Lehrer müssten selber überzeugt sein. Der Religionsunterricht solle Einsicht vermitteln in Sinn und Wert des Lebens, auch Einsicht in andere Weltanschauungen und verantwortliches Handeln ermöglichen. Für den Islam bedeute das, diesem zu ermöglichen, einen unverwechselbaren Ort zu finden. Es gehe um die Frage nach dem eigenen Lebensentwurf in Abgrenzung zu den Lebensentwürfen anderer, folglich um die Entwicklung von Ich-Kompetenz. Dazu könne Religion ihren eigenen Beitrag leisten. 

Vor dem Einstieg in die Diskussion begrüßte Moderator Gitzinger als mittlerweile eingetroffene Ehrengäste den Kulturattaché des türkischen Generalkonsulats und einen Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.

Strategien zur Durchsetzung des Islamunterrichts

Kiefer ging dann auf den Inhalt des Islamkundeunterrichts ein. Themen seien das Verhältnis Mensch-Gott, das Verhältnis der Menschen untereinander, das islamische Jahr und die koranischen Erzählungen. Islamkunde sei nicht der letzte Stand der Dinge, sondern Platzhalter. Alboga meinte, die Einführung des islamischen Religionsunterricht habe die Zusammenführung der Moscheegemeinden zu Religionsgemeinschaften auf Länderebene zur Voraussetzung. Kinder müssten Wissen lernen, um beten zu können. Mohr sah Pilotprojekte auf örtlicher Ebenen als möglich an. Dort könne Ansprechpartner auch ein Elternverein sein. El Kawash sah in einem solchen Modellversuch eine gute Idee. Maßgabe sei der Koran. Kiefer sah die Islamverbände wegen der Orientierung am Staatskirchenrecht in der Klemme. Außerdem werde von ihnen Verfassungstreue gefordert. Alboga gab sich optimistisch: Die Kompliziertheit der Lage werde gemeinsam überwunden. So treffe sich die AG 1 der Islamkonferenz im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, man werde als Partner anerkannt. Vertreter des Bundesinnenministeriums seien in Ankara gewesen, um die Pilotprojekte vorzustellen. Das Saarland werde möglicherweise das erste Bundesland sein, wo man ohne Pilotprojekt direkt in den islamischen Religionsunterricht einsteige. Darauf könne man als Saarländer stolz sein. Für diese Bemerkung erntete er starken Applaus.

Hoffmann sah die Rückkoppelung an die eigene Religionsgemeinschaft als für Religionslehrer unabdingbar an. Das Vorzeichen des Bildungsverständnisses dieses Landes sei die Wertschätzung von Selbstbestimmung. Die Ignoranz gegenüber dem Judentum habe den Holocaust zu verantworten, deshalb sei es gut, Informationen über den Islam zu vermitteln. Mohr sah die Möglichkeit, die Ausbildung von islamischen Religionslehrern gemeinsam mit dem Koordinierungsrat universitär zu etablieren. Außer Zweifel stehe, dass der Islamunterricht nur mit kompetenten Lehrkräften durchzuführen sei. Hoffmann betonte, seit vier Jahren gebe es ein Votum der Katholischen Bischofskonferenz, den islamischen Religionsunterricht einzuführen. Dem wollte Schimanowski nicht nachstehen, indem er feststellte, seit über 10 Jahren gebe es ein entsprechendes Statement der Evangelischen Kirche.

Kritiklosigkeit und Schönfärberei

Ausnahmslos alle Podiumsteilnehmer einschließlich des Moderators befürworteten die Einführung des islamischen Religionsunterrichts, von einer Kontroverse auf dem Podium konnte keine Rede sein. Wie aus den Reaktionen und Beifallsbekundungen des Publikums im mit über 100 Leuten besetzten Saal zu schließen war, teilte dieses fast vollständig diese Auffassung. Kritische Stimmen aus dem Auditorium kamen nur sehr vereinzelt, so der Hinweis, der islamische Religionsunterricht sei eine sehr autoritäre Angelegenheit oder in vielen Gemeinden seien die Imame des Deutschen nicht mächtig. Ebenso wurde aus dem Publikum die Stellung der Frau im Islam kritisch angesprochen. Derartige Stimmen wurden eloquent abgewehrt: Alboga meinte, ein Muslim sei ein umgänglicher Mensch, vor dessen Handlungen man sicher sei. Die Zeiten, in denen in der islamischen religiösen Erziehung mit Schlägen gearbeitet worden sei, seien längst vorbei. Mann und Frau seien von derselben Seele und vom selben Geist, deshalb dürfe es keinen Wertunterschied geben. Er bekannte sich zur gleichberechtigten Stellung der Frau und zur Religionsfreiheit und konnte so seine Zuhörerschaft für dumm verkaufen. Denn im Internet, speziell auch auf der Website von DITIB Saar, liest sich das ganz anders, dort wird die Gleichberechtigung von Frauen explizit verneint. (3) Schimanowski meinte, es gebe ein weites Feld theologischer Standpunkte, damit sei ohne Verteufelung umzugehen. Hoffmann fügte hinzu, die abrahamitischen Religionen seien in der Tat nicht vergleichbar. Die Theologen müssten sich untereinander verständigen.

Sehr deutlich wurde bei dieser Veranstaltung, dass es sich bei den Bestrebungen um Einführung des islamischen Religionsunterrichts um ein konservatives, antisäkulares Projekt handelt, das vor allem von konservativen Kirchenvertretern und konservativen bis fundamentalistischen Islamverbänden im Bündnis mit konservativen Politikern vorangetrieben wird. Vertreter eines liberalen oder gar säkularen Islamverständnisses saßen nicht mit auf dem Podium, von Religionskritikern ganz zu schweigen. Niemand fragte, warum denn ausgerechnet die getrennte Unterrichtung von Kindern in weltanschaulich und ethisch relevanten Fächern integrationsfördernd sein soll. Dazu in Fächern, in denen vorrangig unhinterfragbare, die eigene Höherwertigkeit betonende Glaubenssätze und nicht Wissen vermittelt werden. Die Zuhörerschaft schloss zahlreiche Migranten ein, die, dem Beifall und sonstigen Äußerungen nach zu urteilen, in ihrer Mehrheit keinem liberalen Spektrum zuzurechnen waren. Einige hatten Kinder dabei, schon kleine Mädchen trugen Kopftücher.

Klaus Blees

Anmerkungen:

(1) Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) repräsentiert als Gründung der türkischen Religionsbehörde den türkischen Staatsislam in Deutschland und ist die größte islamische Organisation hierzulande.

(2) Bei all diesen Zahlenangaben handelt es sich um Schätzungen ohne jede seriöse Basis. Als „Moslems“ gezählt werden dabei Einwanderer aus moslemischen oder überwiegend moslemischen Ländern oder moslemischen Herkunftsfamilien, unabhängig davon, ob sie tatsächlich gläubig sind. So werden selbst Atheisten statistisch als Moslems reklamiert und von islamischen Verbänden zwangsvertreten. Zur kritischen Bewertung derartiger Statistiken siehe: Carsten Frerk: „Muslime“ in Deutschland. In: MIZ – Materialien und Informationen zur Zeit, Nr. 3/07.

(3) Bei DITIB Saar heißt es beispielsweise: "Ein moslemischer Mann darf eine gläubige Christin oder eine Jüdin heiraten, jedoch darf eine moslemische Frau nur einen Moslem heiraten, denn da der Mann eine führende Rolle in der Familie hat, kann eine moslemische Frau eventuell hinsichtlich ihrer Religion unter Druck gesetzt werden und somit können familiäre und religiöse Probleme entstehen." oder: "Das Kopftuch ist ein Gebot des Gottes im Islam." (http://www.ditib-saar.de/de/fragen.htm, Seitenaufruf am 19.12.07)