„Das Containerdorf ist überflüssig“

Interview mit Roland Röder, Aktion 3. Welt Saar im Forum-Magazin

Forum-Magazin, 28.04.2023

Aus Sicht von Kommunen ist das Containerdorf für Flüchtlinge in Ensdorf eine Entlastung. Kritiker wie Roland Röder, Geschäftsführer der Aktion 3. Welt Saar, fordern dagegen eine andere Politik für die Aufnahmestelle in Lebach.

Herr Röder, die Aktion 3. Welt Saar kritisiert das für Flüchtlinge errichtete Containerdorf in Ensdorf und hat vor den Toren dagegen protestiert. Warum?

Weil es überhaupt nicht nötig ist, dass man dieses Containerdorf errichtet. Man hat das Flüchtlingslager Lebach. Hier hat man allerdings über Jahre und Jahrzehnte gravierende strategische Fehler gemacht seitens der verschiedenen Landesregierungen. Man hat das Flüchtlingslager Lebach zu einer Daueraufenthaltsstätte umfunktioniert, sodass Flüchtlinge dort oft über sehr viele Jahre leben müssen und nicht auf die Kommunen verteilt werden, statt Lebach zu einer Erstaufnahmestelle zu machen, wo Flüchtlinge die ersten Wochen, vielleicht bis zu drei Monaten, untergebracht werden. So hat man sich letzten Endes selbst den Druck geschaffen, den man jetzt mit dem Containerdorf in Ensdorf zu „lösen“ (betont Anführungszeichen; Anm. d. Red.) versucht. Deshalb haben wir mit der Aktion Seebrücke und dem Flüchtlingsrat gegen das Containerdorf demonstriert. Es ist so, wie es in der Bibel schon heißt: Wer es in den sieben fetten Jahren versäumt, Vorräte, hier also Wohnungen, anzulegen, der schaut in den sieben mageren Jahren eben dumm aus der Wäsche.

Nun wird argumentiert: Den Ukraine-Krieg mit seinen Folgen, also die hohe Zahl an Menschen, die vor dem Krieg nach Deutsch-land geflüchtet sind, hat man nicht vorhersehen können.

Das ist korrekt. Der Ukraine-Krieg selbst war nicht eins zu eins vorhersehbar. Aber ähnlich hat man auch vor einigen Jahren argumentiert, als man überrascht war, dass so viele Menschen, die vor dem Krieg in Syrien geflohen sind, nach Deutschland kamen. Dieser Krieg hatte sich lange vorher angekündigt. Es gab in den letzten Jahren irgendwo auf der Welt – auch im näheren Umfeld von Europa, und jetzt in der europäischen Region selbst – immer wieder gravierende Konfliktsituationen, aus denen heraus sich viele Menschen auf die Flucht machen mussten. Flucht ist ja kein Verbrechen, sondern geschieht aus einer Notsituation heraus.

Ihre Kritik an den Zuständen in Lebach ist nicht neu. Warum hat sich das so entwickelt, wie es jetzt ist?

Man hat vermutlich den Kopf in den Sandgesteckt und sich gesagt: Es hat ja noch immer funktioniert, dann wird es auch in Zukunft so weiter gehen. Aber dass das Flüchtlingslager Lebach an seiner Kapazitätsgrenze ist, insbesondere wenn man diesen politischen Irrsinn weiterhin fährt, es bei einer Daueraufenthaltsstätte zu belassen, ist es absehbar. Ich gestehe Minister Jost zu, dass er das gar nicht wollte, aber es ist ein hausgemachtes Problem. Da hilft der Verweis auf Berlin oder Brüssel oder wen auch immer nichts. Das Containerdorf Ensdorf ist überflüssig, wenn man endlich in Lebach umrüsten würde weg von einer Daueraufenthaltsstätte.

Die kommunale Ebene war recht angetan davon, dass es diese Ent­lastung durch Ensdorf geben sollte.

Die Kommunen bemühen sich in der Tat redlich und eifrig, Wohnraum für Flüchtlinge zu akquirieren. Das müssen sie auch, weil in Lebach kein Platz mehr ist. Lebach ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt. Ich gestehe den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern zu, dass sie sich redlich und aufrichtig bemühen, aber sie könnten dieser Misere selbst zügig Abhilfe schaffen, wenn sie sich dafür einsetzen würden, dass man in Lebach von diesem Konzept wegkommt, denn das schlägt direkt auf die Kommunen zurück. 

Ich kann zwar einerseits verstehen, dass Kommunalpolitiker diesen Konflikt scheuen, aber auch eine Kommunalpolitik sollte nicht nur im Hier und Jetzt verankert sein, sondern auch daran denken, was gemacht werden muss, damit es nächsten Monat oder zum Sommeranfang besser wird.

Wie helfen Brandbriefe in dieser Situation?

Rassismus hilft nie, egal ob er von politischen Rändern oder aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Es ist richtig, dass der Bund zu wenig Geld für die Unterstützung der Flüchtlinge an die Länder beziehungsweise die Kommunen gibt. Das ist keine Frage nicht vorhandenen Geldes. Wenn man Milliarden ausgeben kann für Rüstung im Kontext des Ukraine-Kriegs und bisher nur 2,20 Euro für Flüchtlinge, dann ist das eine Diskrepanz, die sich nicht daraus ergibt, dass zu wenig Geld da ist, sondern zu wenig politischer Wille.

Zusätzlich zu der aktuellen Situation steht ja die Befürchtung im Raum, dass sich die Zahl von Flüchtlingen aufgrund der Folgen des Klimawandels noch deutlich vergrößern könnte. Deshalb die Frage, wie eine präventive Politik aussehen könnte?

Also erstmal, indem man versucht, Fluchtursachen zu bekämpfen und nicht Flüchtlinge. Es wäre ein Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik, wenn man versuchen würde, präventiv vorzugehen. Man müsste auch aufhören, eine Zwei-Klassen-Gesellschaft bei Flüchtlingen einzuführen. Flüchtlinge aus der Ukraine werden positiv gesehen, andere Flüchtlinge werden kollektiv als Problem wahrgenommen. Flucht wird als Verbrechen angesehen. Ja, es wird vermehrt Klimaflüchtlinge geben, es wird Unruhen geben, es wird weltweit Verteilungskämpfe um Ressourcen geben. Darauf muss man sich einstellen. Letztlich ist Deutschland immer noch auf der Sonnenseite, bei allen Problemen, die wir haben mit höheren Energiepreisen, höheren Lebensmittelpreisen, einer relativ hohen Inflation. Aber global gesehen sind wir hier immer noch auf der Sonnenseite. Und wir profitieren auch von vielen Situationen in der Welt. Deshalb müssen wir Geld in die Hand nehmen und für Flüchtlinge eintreten. Das kann man als moralische Verpflichtung sehen, als Nächstenliebe oder als Einhaltung der Menschenrechte.

Es gibt die Behauptung, Menschen würden auch wegen der guten Sozialleistungen nach Deutschland kommen. Die CDU beispielsweise verweist auf unterschiedlich hohe Sozialtransfers, weswegen sich Flüchtlinge in Europa ungleich verteilen, fordert deshalb eine Überprüfung.

Es gibt viele Länder, die deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen als Deutschland, beispielsweise die Türkei und oft auch die Anrainerstaaten von Konfliktgebieten. Ich finde es komplett daneben und einen Rückfall in alte Muster, wenn eine Partei jetzt versucht, damit Wahlkampf zu betreiben, also versucht, sich auf Kosten von Schwächeren in der Gesellschaft zu profilieren. Ich kann nicht verstehen, warum eine Partei so etwas macht. Für mich ist jeder Mensch gleich viel wert. Ein Mensch ist ein Mensch, egal welcher Nationalität er ist, ob er viel Geld hat oder nicht, ob er Fußball spielen kann oder … Ein Mensch, der lebt, hat ein Recht zu leben, und das ohne Wenn und Aber. 

Interview: Oliver Hilt

Weitere Informationen:
Pressemitteilung der Aktion 3.Welt Saar vom 16.02.2023 zumSaarländisches Flüchtlingscontainerdorf Ensdorf

Gemeinsame Kundgebung von Aktion 3.Welt Saar, Saarländischer Flüchtlingsrat und Seebrücke Saar am 25.02.2023