Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 2. Prozess

Die Berichte der Prozessbeobachter:innen der Aktion 3.Welt Saar e.V.

Zum Hintergrund:

Angeklagt in diesem 2. Prozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz (4.Strafsenat) ist Peter St. wegen Beihilfe zu Mord an Samuel Yeboah sowie wegen Beihilfe zu versuchtem Mord in 20 Fällen. Samuel Yeboah aus Ghana war bei einem rassistischen Brandanschlag auf eine Asylunterkunft in Saarlouis am 19. September 1991 ums Leben gekommen. Damals wurden die Ermittlungen nach kurzer Zeit eingestellt, in der rechten Szene wurde kaum ermittelt. In den Baseballschlägerjahren der neunziger gab es im Saarland zwei Dutzend weitere rassistische Brand-, Mord- und Bombenanschläge, die nie aufgeklärt wurden.
Im 1. Prozess wurde im Oktober 2023 nach 48 Prozesstagen der Angeklagte Peter S. nach Jugendstrafrecht zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der jetzige Angeklagte, Peter St., wurde im ersten Prozess von mehreren Zeugen und Zeuginnen – darunter ehemalige Gesinnungsgenossen - als Kopf der rechten Saarlouiser Skinheadszene geschildert.

Hier gibt es zur Chronik von 1991 bis heute zu dem rassistischen Brandanschlag und Mord an Samuel Yeboah

Hier geht es zu Teil 1 der Prozessbeobachtung des 1. Prozesses, 1. bis 36. Prozesstag

Hier geht es zu Teil 2 der Prozessbeobachtung des 1. Prozesses, 37. bis 48. Prozesstag

Zur Prozessbeobachtung hat die Aktion 3. Welt Saar ein zehnköpfiges Team zusammengestellt.


Zweiter Prozess wegen Mord an Samuel Yeboah am OLG Koblenz endet am 9. Juli mit Urteilsverkündung
Ob Verurteilung oder Freispruch des Anführers der Saarlouiser Nazi-Szene: Der Prozess und die erreichten institutionellen Veränderungen sind ein politischer Erfolg
Politisch saß auch das saarländische Staatsversagen auf der Anklagebank

Pressemitteilung vom 5.Juli 2024

„Egal ob der angeklagte ehemalige Anführer der Saarlouiser Nazi-Szene Peter St. verurteilt oder freigesprochen wird, das Verfahren selbst war ein politischer Erfolg, den wir erreicht haben. Mit zu diesem Erfolg gehört auch die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, eines Opferfonds und eines Anti-Rassismus-Beauftragten durch den saarländischen Landtag. Diese strukturellen wie institutionellen Veränderungen haben wir politisch erstritten.“ So bewertet Roland Röder, Geschäftsführer der Aktion 3.Welt Saar, den Prozess im Mordfall Samuel Yeboah vor dem Staatsschutzsenat des OLG Koblenz, der nach 18 Prozesstagen – er begann am 27.2. - am 9. Juli (14 Uhr) mit der Urteilsverkündung zu Ende geht. Verhandelt wurde der rassistische Mord an Samuel Yeboah am 19.9.1991 im saarländischen Saarlouis durch einen Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim. Dabei wurden 20 andere Hausbewohner verletzt und traumatisiert. Im ersten Prozess, der 48 Prozesstage vom 16.11.2022 bis 9.10.2023 dauerte, gab es einen Schuldspruch.

„Letztlich saß bei diesem Prozess auch das saarländische Staatsversagen auf der Anklagebank“, so Röder. Dreißig Jahre hatten Polizei, Justiz, Parteien und Teile der Medien dieses Verbrechen, das im Kontext von rund 20 weiteren rassistischen Anschlägen während der Regierungszeit von Oskar Lafontaine (SPD) und seinem Innenminister Friedel Läpple steht, als Streitereien zwischen Jugendlichen verharmlost. Mit dieser „Interpretation“ aus dem Hamsterrad der Bagatellisierung wurde das eigene Nichtstun legitimiert. Seriös ermittelt wurde nicht.

„Wir hielten 30 Jahre lang gegen massive Widerstände und Anfeindungen durch viele Aktionen den rassistischen Mord an Samuel Yeboah öffentlich in Erinnerung“, so Röder. Daraufhin offenbarte sich eine Zeugin 2020 bei der Polizei und im Sommer 2020 begannen die Ermittlungen. Ohne das kontinuierliche Wirken von Organisationen wie der Aktion 3.Welt Saar, dem Saarländischen Flüchtlingsrat und der Antifa Saar wäre dies nie möglich gewesen.

Seitens der Aktion 3.Welt Saar nahmen wir von 2022 bis heute an allen 66 Prozesstagen in den beiden Yeboah-Mordprozessen meist mit mehreren Mitarbeiter:innen als Beobachter teil. Die Prozessberichte veröffentlichen wir auf unserer Webseite (www.a3wsaar.de).


Generalbundesanwaltschaft hält Angeklagten für schuldig Sechseinhalb Jahre Haft wegen Beihilfe zu Mord und Mordversuchen gefordert

Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 2. Prozess, 16. Prozesstag (01.07.24):

„Er gehörte zu den geistigen Brandstiftern damals.“

Nachdem am vorangegangenen Prozesstag die Beweisaufnahme abgeschlossen wurde, stand an diesem Tag zunächst das Plädoyer der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft (GBA) an. Diese forderten 6 Jahre und 6 Monate Haft für den zum Tatzeitpunkt 22jährigen und somit im Falle einer Verurteilung unter Erwachsenenstrafrecht fallenden Angeklagten.

Die Hauptverhandlung habe den Tatvorwurf vollumfänglich bestätigt, so die GBA. Der Angeklagte Peter St. Habe das ihm untergebene Gruppenmitglied Peter S. durch die Aussage „Hier müsste auch mal so was passieren“ zur Tat aufgefordert.

Er sei damals mehrfach im Gefängnis gewesen, wo er Peter S. kennen gelernt habe. Beruflich und äußerlich habe sich der Angeklagte verändert, aber geblieben sei seine fremdenfeindliche Weltanschauung und seine Freundschaft zu Peter S.

Die Beweisaufnahme habe bestätigt, dass er zur Tatzeit Anhänger der NS-Ideologie gewesen sei. Die Ablehnung von Ausländern sei für seine damalige UND heutige Überzeugung kennzeichnend. Das Motto sei gewesen „Deutschland den Deutschen“. Heute noch bezeichne der Angeklagte Ausländer als „Kanacken“, wie die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) gezeigt habe.

Er sei der mit hoher Intelligenz ausgestattete Anführer der damaligen Skinheadszene gewesen und habe bestimmt, was zu machen sei.

Die Szene sei gewaltbereit gewesen, wie unter anderem die Aussage des Zeugen Oliver N. drastisch gezeigt habe: Man habe mit denen in Saarlouis in keine Kneipe gehen können, ohne dass es zu einer Schlägerei gekommen sei.

Am Vortag der Tatnacht hätten sich mehrere Szenemitglieder getroffen – siehe frühere Prozessberichte – von denen am Abend noch drei – Peter S., Peter St. und Heiko S. - übrig geblieben seien, zwischen denen ein besonderes Vertrauensverhältnis bestanden habe. Diese hätten dann die Gaststätte „Bayrischer Hof“ aufgesucht. Man habe dort über die Ausschreitungen in Ostdeutschland gesprochen, und es habe Pogromstimmung geherrscht, wie der Angeklagte selber es in seiner polizeilichen Vernehmung formuliert habe.

Rund acht Anschläge habe es VOR der Tatnacht des 19.9.91 gegeben, die Gegenstand der überregionalen Berichterstattung gewesen seien. Wenige Tage vorher habe es in Saarlouis-Roden einen Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft gegeben ( bei dem glücklicherweise niemand verletzt wurde).

In der Skinheadszene sei man sich einig gewesen, dass man am besten alle Ausländer verbrennen solle.

Peter S. habe beschlossen, den Brandanschlag durchzuführen, um dem Angeklagten zu gefallen. Um 1 Uhr in der Nacht hätten sie den „Bayrischen Hof“ verlassen.

Peter S. habe sich einen Zehnliterkanister Benzin verschafft und gegen 3:30 Uhr im Heim den Brand gelegt, in dem sich 21 Menschen befunden hätten. Er habe das Benzin im Treppenhaus angezündet und billigend in Kauf genommen, dass Bewohner:innen getötet werden. Das habe seiner Gesinnung entsprochen. Das Feuer habe sich via Kamineffekt schnell im Treppenhaus ausgebreitet. Samuel Yeboah sei aufgrund großflächiger Hautverbrennungen und multiplen Organversagens nach einem stundenlangen qualvollen Todeskampf verstorben.

Plausible Beweisführung

Die GBA listete die Beweise auf, die aus ihrer Sicht für die Schuld des Angeklagten sprechen. Zwar habe der sich im der Hauptverhandlung nicht geäußert, aber in Vernehmungen bei den Ermittlungen gegen S. und gegen ihn selber als Beschuldigten ausgesagt. Er habe bestritten, die Aussage „Hier müsste auch mal so was passieren (oder brennen)“ gemacht zu haben. So etwas sei ihm wesensfremd. Er habe nie Menschen zu einer Straftat beauftragt und sei zur Führungsperson erst nach 1991 geworden.

Er habe aber eingeräumt, Brandanschläge seien auch an diesem Abend im „Bayrischen Hof“ Thema gewesen. Dass er laut Zeuge Heiko S. gesagt habe „Hier muss auch mal so was passieren“ sei glaubhaft. Dieser Satz, so Heiko S., sei ihm in Erinnerung geblieben, weil am nächsten Tag das Heim gebrannt habe. Heiko S. habe sich dabei auf die zeitgleichen Ausschreitungen in Hoyerswerda bezogen. Brandanschläge seien in der Saarlouiser Szene gut geheißen worden, auch von Peter St.

Heiko S. habe seine Schilderungen immer gleichlautend formuliert, sich nicht auf das ihm als potentiell Mitschuldigen zustehende Aussageverweigerungsrecht berufen und keinen Belastungseifer gezeigt. Es habe ihm fern gelegen, den Angeklagten über Gebühr zu belasten.

Ab Mitte August habe es eine Reihe von rassistischen Brandanschlägen gegeben, über die überregional berichtet worden sei, unter anderem in Chemnitz, Leipzig-Grünau, Aschersleben, Gelsenkirchen, Dresden und Hoyerswerda. Der Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft Leipzig-Grünau am 31.8.91 sei nach einem Konzert der Naziband Störkraft erfolgt. Zu diesem Konzert seien bei Heiko S. Flyer gefunden worden; es habe Kontakte zwischen der Szene in Saarlouis und der in Ostdeutschland gegeben.

Wie in Ostdeutschland habe man in Saarlouis die Bevölkerung auf seiner Seite gesehen, habe sich danach gesehnt, vom Volk gehört zu werden.

Heiko S. habe später im Prozess die Bedeutung der  Aussage „Hier müsste auch mal so was passieren“ heruntergespielt und gesagt, das sei im Sinne von Randale machen gemeint gewesen. Jedoch sei dies unglaubwürdig, da die Saarlouiser Szene zu wenige Mitglieder gehabt habe, um vor dem Heim zu randalieren. Und Peter S. habe es ja dann auch nicht so verstanden, habe nicht die Bewohner provoziert, sondern heimtückisch einen Brand gelegt.

Zeugenaussagen hätten einhellig bestätigt: Peter St. sei eine hoch charismatische Persönlichkeit gewesen, ohne ihn sei nichts gelaufen. Hinter seinem Rücken habe S. den Brandanschlag nicht durchführen können.

GBA sieht Schuld als bewiesen und fordert 6 Jahre und 6 Monate Haftstrafe

St. habe sich strafbar gemacht, indem er Beihilfe geleistet habe. Jede Handlung sei Hilfe, die eine Tat objektiv fördere, dazu sei nicht erforderlich, dass sie dafür kausal sei. Auch psychische Beihilfe gehöre dazu, denn sie bestätige den Haupttäter.

Peter St. habe aus niedrigen Beweggründen gehandelt, aus Hass gegen Asylsuchende. Er habe sich über das Lebensrecht der Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in Saarlouis-Fraulautern hinweggesetzt.

Zum Strafmaß führte die GBA aus, bei Mord komme eine lebenslängliche Freiheitsstrafe in Betracht, aber hier handele es sich um Beihilfe. Dafür sei ein Strafmaß von 6 bis 11 Jahren vorgesehen.

Als mildernde Umstände seien der hohe, wenngleich szeneübliche Alkoholkonsum an dem Abend zu berücksichtigen (schätzungsweise 2,5 Promille), dass er eine Pogromstimmung eingeräumt und zugegeben habe, im „Bayrischen Hof“ sei über Brandanschläge gesprochen worden. Beides seien geständige Einlassungen gewesen, die zur Aufklärung der Tat beigetragen hätten. Zu seinen Gunsten spreche außerdem, dass inzwischen 30 Jahre vergangen seien und er keine Vorstrafen habe. Er habe eine lange U-Haft hinter sich, habe im Leben Fuß gefasst, und die Medienberichte seien eine Belastung.

Zu Lasten des Angeklagten spreche, dass er in ein Netzwerk von Skins eingebunden gewesen sei und um seine große Wirkung auf leicht zu beeinflussende Jugendliche gewusst habe. Oberstaatsanwalt Dr. Merz (GBA): „Er gehörte zu den geistigen Brandstiftern damals.“ „Das Ziel war, Angst und Schrecken zu verbreiten.“ Er habe zur bundesweiten Stimmung beitragen wollen.

Nach Abwägen der Pro- und Contra-Gründe forderte die GBA eine Haftstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten wegen Beihilfe zum Mord und wegen Beihilfe zum versuchten Mord in 20 Fällen, außerdem Übernahme der Kosten durch den Angeklagten.

Siehe auch Saarländischer Rundfunk und nd aktuell.


Monitorsendung und Skinhead-Video zeigen Bezug der saarländischen zur ostdeutschen Neona-ziszene 
Handy- und Laptop-Auswertung dokumentieren Beweise für die nationalsozialistische Überzeugung des Angeklagten

Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 2. Prozess, 9. Prozesstag (16.04.24):

Bevor das Gericht mit der Zeug:innenvernehmung begann, wurden zwei Videos gezeigt:

Monitor-Beitrag von Esther Schapira vom 17. September 1991
Der Beitrag über einen rechten Angriff auf eine Flüchtlingsunterkunft in Leipzig-Grünau wurde zwei Tage vor dem Brandanschlag in Saarlouis ausgestrahlt. Bei dem Angriff wurden auch Molotowcocktails, also Brandsätze, geworfen. Die Polizei kam erst eine halbe Stunde später, obwohl sie anderthalb Stunden vorher über den geplanten Angriff informiert war. Besonders erschreckend: Im Interview kündigte eine an der Tat beteiligte junge Frau namens „Cora“ unverhohlen und offen eine Wiederholung an und machte deutlich, dass sie es nicht schlimm fände, wenn dabei Menschen sterben würden. Die Anwohner:innen wussten die Angreifer:innen auf ihrer Seite – zu Recht, wie eingeblendete Interviews mit mehreren in der Nachbarschaft der Unterkunft Wohnenden zeigten.

Verteidiger Stahl – im NSU-Prozess auch einer der Anwälte von Beate Zschäpe - argumentierte, Leipzig könne kaum als Vorbild für die Tat in Saarlouis gedient haben, denn je nach Route sei Leipzig 588 bis 688 km entfernt. Es gebe auch keine Beweise, dass Peter St. diese Cora kenne. Nebenklageanwalt Elberling betonte, der Beitrag sei vor dem Gespräch im Bayrischen Hof gesendet worden, bei dem laut dem Zeugen Heiko S. der Angeklagte gesagt habe „Hier muss auch mal SOWAS brennen oder passieren.“ Heiko S. sei in Leipzig zu einem Konzert eingeladen gewesen, das dem Angriff auf die Flüchtlingsunterkunft vorausgegangen sei, habe also einen Bezug zur dortigen Neonaziszene gehabt. Gezeigt wurde im Prozess auch ein Ausschnitt aus der Saarbrücker Zeitung vom 17. September 1991, in dem der Monitor-Bericht dieses Tages angekündigt wurde. Stahl entgegnete, Peter St. habe damals gar keinen Fernseher gehabt, und die Ermittlungen hätten auch nicht ergeben, dass er Abonnent der Saarbrücker Zeitung gewesen sei. Der Bericht über Leipzig gehöre nicht in die Beweisaufnahme. Dem widersprach der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft, worauf der Vorsitzende Richter Leitges klarstellte, den Umfang der Beweisaufnahme bestimme weder die Verteidigung noch die Generalbundesanwaltschaft, sondern alleine das Gericht.

Video Nazikneipe Spinnrädchen vom 6. Juli 1991
Das von den Nazis selbst gedrehte Video, das im Zuge von Hausdurchsuchungen gefunden wurde, zeigt ein Skinheadkonzert in der St. Ingberter Neonazikneipe „Spinnrädchen“. Zu hören waren „Sieg Heil!“-Rufe, verbunden mit zum Hitlergruß ausgestreckten Armen und andere einschlägige Naziparolen und -symbole. Auf diesem Konzert waren auch Personen aus Ostdeutschland anwesend: Es bestanden also offensichtlich Kontakte zwischen der Saarlouiser Skindheadszene und der Naziszene der neuen Bundesländer.

Nazizeuge verweigert die Aussage
Als erster Zeuge war Neonazi Markus M. geladen, Aktivist der NPD (inzwischen in „Die Heimat“ umbenannt.) Er war mit Zeugenbeistand, Rechtsanwalt Schug aus Völklingen, erschienen und machte von seinem „umfassenden Zeugnisverweigerungsrecht“ Gebrauch, da die Gefahr bestehe, dass er sich selbst belaste. Seitens der Prozessbeteiligten gab es keine Einwände.

Anmerkung: Markus M. hatte einen Kumpel mitgebracht: Safet Babic, den bundesweit bekannten Chef der Trierer NPD / Die Heimat und deren stellvertretender Landesvorsitzender in Rheinland-Pfalz.

Zeuge Erwin K., (1991 Staatsschutzbeamter)
Nachdem die Aussage von Markus M. entfallen war, trat Erwin K. in dem Zeugenstand, der 1991 als Staatsschutzbeamter die schnell eingestellten Ermittlungen im Mordfall Yeboah geleitet hatte. Der pensionierte Polizist betonte, er könne sich an Vieles nicht mehr erinnern. Er sei 1991 am Morgen nach der Brandnacht von der Dienststelle Staatsschutz Saarbrücken mit Kollegen nach Saarlouis beordert worden, wo sie in der dortigen Polizeidienststelle eine provisorische Dienststelle eingerichtet hätten. Sie seien 6–8 Beamte gewesen. Dort hätten sie sich zunächst einen Eindruck verschafft und Zeugen vor Ort befragt, sowohl Nachbarn der Flüchtlingsunterkunft als auch Angehörige der Skinheadszene, darunter den Angeklagten Peter St. Der sei damals schon als Chef der Saarlouiser Neonazis bekannt gewesen. Die Vernehmung von Peter St. habe fast drei (!) Tage gedauert. Es sei in der Vernehmung zunächst darauf angekommen, Vertrauen aufzubauen. Die zentrale Frage sei gewesen: „Wo warst du (!) in der Nacht?“ Eine große Rolle habe der Alkohol in der Szene gespielt. Die Antworten seien nur wischiwaschi, ohne großen Wert gewesen. Irgendwann sei in der Szene nichts mehr zu ermitteln gewesen.

Zeugin Anja K.(2020 ff. Ermittlungsassistentin)
Als letzte Zeugin wurde die Ermittlungsassistentin Anja K. vernommen, die zusammen mit Kollegen drei Beweismittel ausgewertet hatte: Ein Mobiltelefon und zwei Laptops des Angeklagten. Sie hätten, so die Zeugin, die Kontakte und die dazugehörige Personenkommunikation überprüft. Auf dem Handy seien vier Chats gewesen, davon drei verfahrensrelevant. Darin habe Peter St. sich unter anderem überzeugt gegeben, die Bewohner der Unterkunft hätten den Brand selbst gelegt. Es seien außerdem Bilder mit NS-Inhalt gefunden worden. Auf den Laptops hätten sich Bilder mit NS-Gedankengut befunden, die von Handys dorthin überspielt worden seien. Ebenso seien dort Sprüche entdeckt worden wie: „Darf man noch Witze über Juden machen, oder ist der Zug abgefahren?“

Verteidiger Stahl verstieg sich zu der - absurden - Relativierung, die Naziinhalte würden doch nicht ins Gewicht fallen angesichts Hunderttausender anderer gefundener Bilder aus Peter St.s Hobby, dem Fotografieren von Lost Places.

Siehe auch Blogbeitrag von Vertreter:innen der Nebenklage.


Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 2. Prozess, 8. Prozesstag (15.04.24):

  • Fotojournalist dokumentiert Ausschreitungen in Hoyerswerda: „Für mich war das Schlimmste, dass es in Hoyerswerda Leute gab, die denen Beifall klatschten und sie somit ermunterten, weiter zu machen. Ohne den Beifall hätten sich die Ausschreitungen womöglich schon am Dienstag in Wohlgefallen aufgelöst", „Ich konnte natürlich nicht mit Blitzlicht arbeiten, dann wäre ich meinen Fotoapparat direkt los gewesen.“
  • Möglicherweise war nicht Hoyerswerda, sondern Leipzig-Grünau die Blaupause für den rassistischen Brandanschlag in Saarlouis

Als erster Zeuge wurde an diesem Prozesstag der inzwischen berentete Bildredakteur der Sächsischen Zeitung Gerd F. vernommen, der die Krawalle in Hoyerswerda vom ersten Tag an mit seiner Kamera begleitete. Laut seinen Schilderungen nahm alles am Nachmittag des 17. September 1991 seinen Anfang. Per CB-Funk habe er zufällig die Meldung mitbekommen, in der Innenstadt vor dem Karstadt-Kaufhaus sei es zu einer Auseinandersetzung zwischen Skinheads und Vietnamesen gekommen. Nachdem die Polizei eingeschritten sei, sollen die Skinheads in Richtung des Flüchtlingsheims in der Albert-Schweitzer-Straße weitergezogen sein, in dem zum damaligen Zeitpunkt Mosambikaner lebten. Dort begannen dann auch die Krawalle, die sich über mehrere Tage hinziehen sollten. Er habe sich mit seiner Kamera im 6. Stockwerk des Nachbarhauses positioniert, von wo aus er die Ausschreitungen mit seiner Kamera festgehalten habe. Zunächst hätten die Skinheads rassistische Parolen skandiert, bevor kurz darauf bereits die ersten Steine und Flaschen geflogen seien. Nach Einschreiten der Polizei seien die Krawalle am späten Abend wieder etwas abgeebbt. Am nächsten Tag habe infolge von Mundpropaganda ganz Hoyerswerda davon gewusst, weshalb sich die Skinhead-Horde gegen 16:00 Uhr vor dem Flüchtlingsheim eingefunden habe, um erneut zu randalieren. Dieses Mal aber seien die Mosambikaner vorbereitet gewesen und hätten Selbsthilfe organisiert, indem sie den Skinheads Holzlatten und Möbelstücke vom Dach des Hauses aus entgegengeworfen hätten. Nachdem er, so Gerd F., die Polizei über CB-Funk über die erneuten Übergriffe in Kenntnis gesetzt habe, habe er von dieser zur Antwort bekommen, dass "sie erst weitere Kräfte aus Bautzen anfordern müssten, bevor sie einschreiten können." An diesem Abend seien die ersten Molotow-Cocktails von Seiten der Skinheads gegen die Unterkunft geschleudert worden, was wiederum zu den pogromartigen Ausschreitungen geführt habe, die mehrere Tage lang ununterbrochen angehalten hätten. Dabei habe er nicht nur viele Jugendliche wahrgenommen, die er aus Hoyerswerda gekannt habe, sondern auch einige ihm unbekannte, die seiner Vermutung nach aus den benachbarten Dörfern stammten. Skandiert worden seien altbekannte Parolen wie "Ausländer raus!". „Für mich war das Schlimmste, dass es in Hoyerswerda Leute gab, die denen Beifall klatschten und sie somit ermunterten, weiter zu machen. Ohne den Beifall hätten sich die Ausschreitungen womöglich schon am Dienstag in Wohlgefallen aufgelöst", so Gerd F. "Für die Jugendlichen ist dies ein regelrechter Erlebnisevent gewesen."

Seine Arbeitsbedingungen beschrieb der Fotojournalist lapidar: „Ich konnte natürlich nicht mit Blitzlicht arbeiten, dann wäre ich meinen Fotoapparat direkt los gewesen.“

Bei den anschließenden Nachfragen durch das Gericht stellte sich heraus, dass die Saarlouiser Skinhead-Szene zumindest nicht aus den Medien von den Ausschreitungen in Hoyerswerda Kenntnis erlangt haben kann, denn soweit sich der Bildredakteur entsinnen konnte, erschien der erste Beitrag in der Sächsischen Zeitung erst am 19. September 1991. Zudem habe er weder dienstags noch mittwochs andere Pressevertreter wahrgenommen. Dennoch besteht weiterhin die Möglichkeit, dass der Angeklagte Peter St. infolge der überregionalen Vernetzung durch Mundpropaganda oder über Infotelefone von dem Brandanschlag in Hoyerswerda erfahren hat. Zudem herrschte in der rechtsextremen Skinheadszene bereits seit längerer Zeit eine regelrechte Pogromstimmung, infolge derer es bereits im gesamten Bundesgebiet zu mehreren Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte gekommen war, wie auch der Monitor-Bericht über Leipzig-Grünau belegte, der bereits am Montag, dem 17. September 1991, im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Ein weiterer Sachverhalt, der sich aus den Nachfragen der Prozessbeteiligten ergab, war die Anwesenheit von westdeutschen Neonazis, die bereits am Dienstag bei dem Zug durch die Stadt sowie bei den anschließenden Ausschreitungen in Hoyerswerda zugegen waren. Diese Information, so Gerd F., habe er ebenfalls dem CB-Funk entnommen.

Nebenklageanwalt Björn Elberling hält es für wahrscheinlich, dass nicht die rechten pogromartigen Ausschreitungen in Hoyerswerda die Blaupause für den Brandanschlag in Saarlouis waren, sondern ähnliche Ausschreitungen Tage vorher in Leipzig-Grünau, die im Monitor-Beitrag dokumentiert sind: https://www.youtube.com/watch?v=I6pPScCpQKI

Siehe auch Blogbeitrag von Vertreter:innen der Nebenklage:

 


Rechte Szene-Zeugen bestätigen Führungsrolle des Angeklagten in der Saarlouiser Skinheadszene und seine Gewaltbereitschaft
Zeuge: Am Vorabend des Anschlags soll im Bayrischen Hof sogar konkret über den Brandsatz geredet worden sein

Update 08.04.2024
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 2. Prozess, 7. Prozesstag (08.04.24):

Der erster Zeuge an diesem Tag war Oliver N. Er habe erstmals aus einer Zeitung von dem Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim in Saarlouis-Fraulautern erfahren. Der Brandanschlag sei nie Thema in der Szene gewesen, zumal die Tat von offizieller Seite auch nie mit der rechten Szene in Verbindung gebracht worden sei. Er selbst sei zum damaligen Zeitpunkt der Anführer der St. Ingberter Skinheadszene gewesen und will zwischen den Jahren 1986 und 2003 nur sporadisch Kontakte zu den Saarlouisern unterhalten haben, da diese ihm „zu stramm“ unterwegs gewesen seien. "Man konnte mit den Saarlouisern in keine Kneipe gehen, ohne dass es zu einer Schlägerei gekommen wäre", so der Zeuge. Und seit der Eröffnung der Szenekneipe "Spinnrädchen" in St. Ingbert im Oktober 1990 habe man sich sowieso vorwiegend dort aufgehalten. Sein Verhältnis zum Angeklagten beschrieb er als durchwachsen, wobei er aber persönlich nie Stress mit diesem gehabt habe. Dennoch habe er ihn als gefährlich in Erinnerung behalten. Peter St. beschrieb er als den Anführer der ca. zehn Mann starken Saarlouiser Skinheadszene, der zum Tatzeitpunkt bereits private Kontakte zur ostdeutschen Szene unterhalten haben solle. Des Weiteren beschrieb er den Angeklagten als manipulativ und intrigant. Er selbst habe die Erfahrung um das Jahr 2002 machen müssen, als Peter St. ihn nämlich aus der Blood & Honour-Sektion habe herausdrängen wollen, um anschließend selbst eine neue zu gründen. Die Frage, ob Peter St. in die Planung des Skrewdriver-Konzerts eingebunden war, das eine Woche nach dem tödlichen Brandanschlag in dem St. Ingberter Stadtteil Hassel stattfand, verneinte der Zeuge. Laut seiner Aussage sei die Planung für das Konzert bereits im Juni 1990 abgeschlossen gewesen.

Als zweiter Zeuge wurde an diesem Tag der arbeitslose Tätowierer Jörg R. angehört. Er berichtete, Markus M. habe ihm im vergangenen Sommer erzählt, dass nicht nur der verfahrensrelevante Satz "hier müsste auch so etwas passieren bzw. brennen" an dem besagten Abend im Bayrischen Hof gefallen sei, sondern auch konkret über den Brandsatz geredet worden sei (beispielsweise, wer das Benzin besorgen solle). Weiterhin unklar blieb jedoch, ob Markus M. an diesem Abend persönlich im Bayrischen Hof zugegen war. Als Nächstes folgt eine Aussage, die der Vorsitzende Richter des Staatsschutzsenats Konrad Leitges als eine "steile Theorie" bezeichnete, denn laut Jörg R. sei der tödliche Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim lediglich eine Reaktion auf die Eröffnung seines damaligen Tattoo-Studios gewesen. Er sei nämlich davon ausgegangen, dass die Saarlouiser Skins einen enormen Hass auf ihn hatten, da er als Mitglied einer Rockergang keine Neonazis tätowiert habe. Was den Brandanschlag betrifft, so habe er von diesem erstmals nach 2000 aus dem Internet erfahren, wobei er sich aber damals nicht intensiv mit dem Vorfall auseinandergesetzt habe. Peter St. und Markus M. beschrieb er zudem als die beiden Treiber der Saarlouiser Skinheadszene, wobei M. vornehmlich Skins für die NPD habe rekrutieren wollen. Den Angeklagten betitelte er außerdem als "Horrorclown", was wiederum aus Erzählungen seiner Kunden resultiere, die Peter St. als Gewalttäter beschrieben hätten. So solle dieser beispielsweise einem seiner Kunden damals das Schlüsselbein gebrochen haben.

Als letzter Zeuge wurde an diesem Verhandlungstag Dirk L. vernommen, der laut eigener Aussage im Juli 1991 mit seinem Eintritt in die Bundeswehr der Saarlouiser Skinheadszene für immer den Rücken gekehrt habe. Vom Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft habe er dementsprechend nach der Rückkehr von einer Truppenübung aus der Presse erfahren. Weiterhin erklärte er vor Gericht, dass sich die Saarlouiser Skinheadszene Ende der 80er Jahre aus 7-10 Leuten zusammengesetzt habe, wobei er Heiko S., Peter St, Peter S. und Petra M. als die Alteingesessenen beschrieb, die auch überregionale Kontakte in der Szene unterhalten hätten. André B., Markus B. und er seien erst später zur Gruppe hinzugestoßen. Den Namen Markus M. habe er zwar schon häufiger vernommen, ihn aber nie persönlich kennengelernt. Was den Angeklagten betrifft, so beschrieb er diesen als den Kopf der Saarlouiser Szene. Peter St. habe dort immer den Ton angegeben. Außerdem hätten dieser, Peter S. und Heiko S. in seiner Gegenwart auch mal „Sieg Heil“- und „Ausländer raus“-Parolen von sich gegeben. Er habe ihn zudem als gewalttätig in Erinnerung. Weiterhin erzählte Dirk L. von einer gemeinsamen Zugfahrt, wobei er sich aber nicht erinnere, wo die Reise damals genau hingegangen sei. Jedenfalls habe er zusammen mit Peter S. in einem Abteil gesessen, während sich Peter St. alleine im hinteren Teil des Zuges aufgehalten habe. Dort soll es dann zwischen dem Angeklagten und einem dunkelhäutigen Menschen zu einer Auseinandersetzung gekommen sein. In der Folge seien die drei alkoholisierten Skins des Zuges verwiesen worden. Ansonsten habe man zur damaligen Zeit fast immer im Park oder am großen Markt in Saarlouis abgehangen und viel Bier konsumiert (mindestens fünf Dosen).

Siehe auch Blogbeitrag von Vertreter:innen der Nebenklage.

Kurzer Prozess

Mit Handyauswertung befasster Polizeiangestellter als einziger Zeuge

Update 30.03.2024

Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 2. Prozess, 6. Prozesstag (22.3.24):

Da zwei von drei eingeplanten Zeug:innen nicht erscheinen konnten, darunter der im Krankenhaus befindliche Skinhead-Szenezeuge André B., sagte lediglich der Polizeiangestellte Christian M. am sechsten Prozesstag aus. Er hatte die Fotos aus einem bis 22. November 2022 reichenden WhatsApp-Gruppen-Chat auf einem Smartphone des Angeklagten ausgewertet und dabei 16 strafrechtlich relevante Bilder gefunden und gesichert. Das Smartphone war bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt worden, die bei dem Angeklagten Peter St. im Rahmen der Wiederaufnahme der Ermittlungen im Mordfall Yeboah stattgefunden hatte.
Diese Bilder stellte der Zeuge vor, wobei sie über Monitoren im Gerichtssaal eingeblendet wurden. 15 davon habe der Angeklagte empfangen, eines versendet. Ein Problem sei gewesen, dass die Originalfotos nicht mehr auf dem Gerät vorhanden gewesen seien. Allerdings seien Miniaturen, Vorschaubilder, erhalten geblieben oder mittels Software wiederhergestellt worden. Der Nachteil dabei sei eine schlechte Auflösung der Fotos.
Dennoch wurde deutlich, dass es sich um Bilder mit NS-Bezug und NS-Verherrlichung handelte. Ein Foto zeigte auch den ermordeten Samuel Yeboah, entnommen aus einem Spiegel-Artikel.
Einige Beispiele:
- Mit Hakenkreuzen bemalte Ostereier und dem Gruß „Frohe Ostern, Kameraden!“
- Ein Foto machte sich über die Ermordung von sechs Millionen Juden lustig.
- Eines zeigte einen Schneemann als Hitler, mit Bärtchen und ausgestrecktem Arm.
- Eines zeigte Hitler als Koch, mit der Aufschrift „Gas aufdrehen“.
- Auf mehreren waren Hakenkreuzfahnen zu sehen.
- Das von Peter St. selbst verschickte Foto zeigte Hitler.
Verteidiger Stahl – im NSU-Prozess Verteidiger von Beate Zschäpe – fragte den Zeugen, ob denn das Vorhandensein der Miniaturbilder darauf hindeute, dass die Fotos aufgerufen und dann gelöscht worden seien oder ob es auch sein könne, dass die Originale gar nicht erst angesehen worden seien. Christian M. erklärte, dies könne nicht festgestellt werden. Stahl meinte, wenn der Angeklagte doch nur Empfänger der Fotos gewesen sei, sei dies kein Beweis für einen Besitzwillen bzw. dafür, dass er deren Aussage billige. Nach Aussage des Zeugen wurden insgesamt mehr als 206.000 Fotos gefunden. Stahl dazu: Bei dieser Menge seien 16 strafrechtlich relevante Fotos doch ein verschwindend geringer Prozentsatz.
Anmerkung: Eine seltsame Logik, die suggeriert, strafbare Inhalte würden durch ebenfalls vorhandene legale Inhalte im Geringsten an Relevanz verlieren.
Nebenklagevertreterin Pietrzyk wollte von dem Zeugen wissen, ob in den Text-Nachrichten des Chats auf die Bilder Bezug genommen worden sie. Der Zeuge verneinte dies hinsichtlich in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu diesen sich befindenden Chat-Texten, konnte aber nicht sagen, ob an anderer Stelle der Chat-Nachrichten darauf Bezug genommen worden sei.
Nachdem der Zeuge entlassen worden war, wurde noch ein Auszug aus dem Strafregister des Angeklagten verlesen. Bei diesem war während der oben erwähnten Hausdurchsuchung auch eine verbotene Waffe, ein Fallmesser, gefunden worden. Deshalb musste er eine Geldstrafe zahlen. Dies spielte eine Rolle bei dem Haftbefehl gegen Peter St., der aufgrund dieser Tatsache als gefährlich eingestuft wurde. Stahl meinte, die U-Haft sei unter falschen Voraussetzungen beantragt worden, da unterstellt worden sei, Peter St. habe die Waffe mit sich geführt, obwohl er diese doch nur zuhause aufbewahrt habe. Die Generalbundesanwaltschaft widersprach diesem Vorwurf Stahls.
Siehe auch Blogbeitrag von Vertreter:innen der Nebenklage:


Angeklagter aus U-Haft entlassen – Verfahren geht weiter

Bruder von Samuel Yeboah besucht Prozess

Update 15.03.2024

Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 2. Prozess, 4. Prozesstag (8.3.24):

Ermittlungsergebnisse bestätigen fortbestehende neonazistische Gesinnung des Angeklagten

Am vierten Prozesstag verkündete das OLG seinen Beschluss, den Angeklagten aus der U-Haft zu entlassen, wie es am vorangegangenen Prozesstag von der Verteidigung beantragt worden war. Es bestehe kein dringender Tatverdacht mehr.

Zu Prozessbeginn stellte sich für das OLG die Frage, ob Thomas G., ein langjähriger Freund Samuel Yeboahs, der sich gemeinsam mit dessen Bruder unter den Besucher:innen befand, kurzfristig als nicht geladener Zeuge vernommen werden solle. Da aber von Seiten aller Verfahrensbeteiligten kein Bedarf gesehen wurde, konnte Thomas G. als Zuhörer weiterhin dem Prozess beiwohnen.

Als Nächstes widmete sich der Senat dem Antrag der Verteidigung und stimmte mit einer ausführlichen Begründung der beantragten Aufhebung der U-Haft zu. Nach Auffassung des OLG bestehe nach der Vernehmung des Hauptbelastungszeugen Heiko S., die am vorausgegangen Dienstag (5.3.24) stattfand, kein dringender Tatverdacht mehr gegen den 54-jährigen Peter St., weshalb dieser aus der U-Haft zu entlassen sei.

Laut Anklage soll Peter St. wenige Stunden vor dem damaligen Brandanschlag geäußert haben, dass "hier auch mal so was brennen oder passieren müsste" und dadurch den im ersten Prozess verurteilten Peter S. zur Tat angestiftet haben. Jedoch hatte der Zeuge Heiko S. jetzt erklärt, er könne sich an den genauen Wortlaut, den Peter St. wenige Stunden vor dem Brandanschlag im Beisein von Peter S. und ihm geäußert habe, nicht mehr genau erinnern. Daher habe er bereits bei den vorausgegangenen Anhörungen durch die ermittelnde Polizei das Wort "brennen" in den Verhörprotokollen durchgestrichen und dieses handschriftlich durch die Bezeichnung "passieren" ersetzt. Ausführlich zur Aussage von Heiko S. siehe Bericht vom dritten Prozesstag (5.3.24).

Das OLG hielt in seiner Begründung fest, dass laut Aussage des freien Pressefotografen Gerd F. der erste Brandsatz in Hoyerswerda am 18.9.91 um 20 Uhr geworfen wurde, also ungefähr zu dem Zeitpunkt, als sich Peter S, Peter St. und Heiko S. in Saarlouis im Bayrischen Hof einfanden. Gerd F. hatte den Wurf dieses Brandsatzes in einem Foto festgehalten, das am nächsten Tag in der BILD veröffentlicht wurde. Der freie Pressefotograf soll im laufenden Prozess auch noch als Zeuge vernommen werden.

Danach wurde der leitende Kriminalhauptkommissar Stefan H.vernommen, der bereits am zweiten Prozesstag (4.3.24) Frage und Antwort stand. Er sagte aus, dass es zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Ermittlungen keine Erkenntnisse über weitere in den tödlichen Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft verwickelte Personen aus der Saarlouiser Skinheadszene gegeben habe. Darüber hinaus berichtete er über den Speicherinhalt der drei konfiszierten Handys, die die Polizei bei der Durchsuchung der Wohnung von Peter St. vorfand. Neben umfangreicher NS-Propaganda und rassistischen sowie antisemitischen Bildern seien auch Whats-App-Chatverläufe gesichert worden, die belegten, dass bei Peter St. eine rechtsextreme Haltung bis heute fortbestehe. Unter den ausgewerteten Chatverläufen befanden sich u.a. Korrespondenzen mit Peter S., dem Hammerskin Frank M. sowie Markus M. aus der damaligen rechten Szene. Hinzu seien Erkenntnisse aus der TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) gekommen, denen zufolge Peter St. seiner rassistischen Ideologie treu geblieben sei. Zudem habe sich auf einem der Handys ein Bild befunden, auf dem der Angeklagte stolz vor einem Hakenkreuz posiere. Im Anschluss an die Zeugenbefragung ließen die beiden Strafverteidiger Stahl – im NSU-Prozess Anwalt von Beate Zschäpe - und Dr. Kienle in einer Erklärung verlauten, infolge der Aussage des Ermittlers sei weiterhin unklar, ab wann ihr Mandant Peter St. als Beschuldigter in den Fokus der Ermittler gerückt sei. Da die beiden Verteidiger sich darauf festlegten, ihr Mandant sei spätestens ab dem 28.1.21 als Beschuldigter im Ermittlungsverfahren geführt worden, vertraten sie dem Gericht gegenüber in ihrer Erklärung die Auffassung, damit habe sich eine Belehrungspflicht ergeben, der Stefan H. nicht nachgekommen sei. Die ab diesem Zeitpunkt von ihm erlangten Erkenntnisse seien daher rechtlich nicht mehr für den laufenden Prozess verwertbar.

Im Anschluss verlas der Senat ein ärztliches Attest des eigentlich für heute vorgesehenen Zeugen André B., in dem bescheinigt wird, er sei infolge seiner Erkrankung zwar wieder eingeschränkt vernehmungsfähig, aber immer noch nicht reisefähig. Daher soll der Zeuge, der sich aktuell noch in stationärer Behandlung befindet, laut Aussage des Senats zu einem späteren Zeitpunkt - in etwa drei bis vier Wochen - erneut als Zeuge vorgeladen werden.

Als letzte Zeugin wurde an diesem Tag Anita S. vernommen, die zum Tatzeitpunkt die 17-Jährige Freundin von André B. war. Vom Brandanschlag habe sie damals aus dem Fernsehen erfahren, aber ansonsten könne sie sich aufgrund der langen Zeitspanne an keine Einzelheiten mehr erinnern. Auch der Vorhalt zuvor getätigter Aussagen löste bei Anita S. keine weiteren Erinnerungen aus, die im vorliegenden Prozess von Bedeutung sein könnten. Konfrontiert mit der Aussage, André B. habe damals nach dem tödlichen Brandanschlag die Losung ausgegeben, niemand aus der Skinhead-Clique solle bei der Polizei aussagen, gab sie an, vage Erinnerungen daran zu haben, dass diese Losung ursprünglich von Peter St. ausging, aber beschwören könne sie dies nicht. Zwar hätten sich die meisten ihres rechtsradikalen Freundeskreises über den tödlichen Brandanschlag gefreut, darunter auch Peter S., Heiko S. und Peter St., aber zugetraut habe sie Tat keinem ihrer Freunde.

Siehe auch Tagesschau vom 8.3.2024

und Saarbrücker Zeitung vom 8.3.2024

sowie Blogbeitrag von Vertreter:innen der Nebenklage


Hauptbelastungszeuge hat nach wie vor Angst vor dem Angeklagten

Verteidiger versucht, einen der Staatsschutzermittler als voreingenommenes Mitglied der linken Szene zu diskreditieren

Update 11.03.2024

Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 2. Prozess, 3. Prozesstag:
 

Entscheidender Streitpunkt: Hat Peter St. zum Brandanschlag oder „nur“ zu Randale angestiftet?

Am dritten Prozesstag (5.3.24), stand die Vernehmung des Hauptbelastungszeugen, des Szeneaussteigers Heiko S., an. Dieser war mit Rechtsanwalt Adam als Zeugenbeistand erschienen. Da gegen ihn als möglichen Mittäter ermittelt wird, stand ihm ein Aussageverweigerungsrecht zu. Aber er zeigte sich aussagebereit.

Die Saarlouiser Skinheadgruppe, so Heiko S., habe 1991 aus etwa zehn Leuten bestanden. Er nannte dabei auch die Namen. Nach seiner Erinnerung habe bei dem Treffen von ihm, Peter S. und Peter St. in der Brandnacht im Bayrischen Hof Peter St. gesagt: „Hier müsste auch mal so was passieren.“ Dies habe sich auf die zeitgleichen pogromartigen Ausschreitungen in Hoyerswerda bezogen. Peter S. Habe ihn am Morgen nach dem Saarlouiser Brandanschlag angerufen und informiert. Heimbewohner hätten draußen auf Matratzen gesessen, habe S. erzählt. Sie hätten sich dann in der Stadt getroffen. Während er, Heiko S. und Peter St. Angst vor der Polizei gehabt hätten, habe Peter S. gegrinst. Er habe S. daraufhin gefragt, ob er die Tat begangen habe. „Seid ihr bescheuert!“ habe der daraufhin ausgerufen. Damals habe er S. die Tat nicht zugetraut, denn der sei nur ein Kleinkrimineller gewesen. - Später im Verlauf der Vernehmung konkretisierte er dies: Er habe gedacht, jemand, der Einbrüche mache, habe nicht die Eier, eine solche Tat wie den Brandanschlag zu begehen. - Peter St. sei gewaltbereit gewesen, immer wieder an Schlägereien beteiligt. Ihm falle nicht ein, ob St. 1991 auch Leute zu Gewalttaten angestachelt habe. Peter St. und Peter S. seien „ein Kopf und ein Arsch“ gewesen.

Bei dem Treffen im Bayrischen Hof seien sie definitiv nur zu dritt gewesen. Szenemitglied Markus M. sei, anders als manche Zeugen ausgesagt hätten, nicht dabei gewesen. Beim Nachhauseweg an diesem Abend habe sich S. zuerst von ihnen getrennt. Er habe mit St. in derselben Straße gewohnt und sei dann die letzten Meter alleine gegangen.

Bei dem Spruch von St. in der Kneipe „Hier müsste auch mal so was passieren“ habe er das „hier“ auf die Flüchtlingsunterkunft bezogen und die Aussage so verstanden, dass sie mal mit der Gruppe reingehen, Randale machen und den Bewohnern Angst machen und zum Beispiel Scheiben einwerfen sollten. Er und Peter S. hätten dem Spruch zugestimmt.

Ob Peter St. das Wort „brennen“ benutzt, also wörtlich „Hier müsste auch mal was brennen“ gesagt habe, dessen sei er sich nicht sicher. Auf die Frage des Berichterstatters Dr. Keppel, warum er sich diesen Spruch gemerkt habe, obwohl er sich an sonst kaum etwas aus dieser Nacht erinnere, antwortete er, dieser Spruch habe sich ihm halt eingeprägt. Die Ausschreitungen in Hoyerswerda habe er als damals aktuell in Erinnerung. Sie hätten gewusst, dass Schwarze und Albaner in der Saarlouiser Flüchtlingsunterkunft wohnten. Die Stimmung im Osten sei aufgeheizt gewesen, und durch diese Pogromstimmung hätten sie sich angeregt gefühlt.

Er habe Angst vor dem Angeklagten. Er nehme Medikamente gegen Depressionen und Angstzustände. Deshalb sei er an diesem Prozesstag gelassener als normalerweise. Vor sechs Jahren habe er im Koma gelegen, nachdem er infolge einer Grippe eine Lungenentzündung und dann eine Sepsis bekommen habe.

Verlassen habe er die Szene 1994, da sein Interesse an „unpolitischer Oi-Musik“ (O-Ton Zeuge) gewachsen sei. Außerdem habe es immer wieder „Palaver“ mit Peter St. gegeben. Er habe ein freier Mensch sein wollen. Auch deshalb sei er ausgestiegen. Von dem Angeklagten habe er nach seinem Ausstieg „Saarlouis-Verbot“ bekommen. Dieser und Peter S. hätten versucht, ihn zusammenzuschlagen. Er halte ihn immer noch für gefährlich, aber er lasse sich nicht beeinflussen. Er habe weiterhin Angst, zusammengeschlagen zu werden. Peter S. sei damals „zartbesaitet“ und eher nicht der Schläger „Mann gegen Mann“ gewesen. Bei Gruppenschlägereien sei S. aber dabei gewesen.

Auf Frage von Dr. Merz, dem Vertreter der GBA, erklärte er, am Tag nach dem Brand sei er besorgt gewesen, weil sie Teil der rechten Szene gewesen seien und am Abend vorher über die Angriffe gesprochen hätten.

Verteidiger Stahl, der im NSU-Prozess Anwalt von Beate Zschäpe war, fragte, ob der Ermittler S. schwarz lackierte Fingernägel habe. Nein, die habe er bei den Verhören nicht gehabt, entgegnete Heiko S. Diese abwegige Frage erläuterte Stahl nach dem Prozesstag in einem Interview mit Medienvertretern: Dem Vernehmen nach sei der Beamte Träger von Gesichtsschmuck aus Blech und lackiere sich die Fingernägel. „Ich kann das vor allen Dingen einer linken engagierten Szene zuordnen“, so Stahl im Mediengespräch. Es sollte also suggeriert werden, der Staatsschutzbeamte S. sei bei den Ermittlungen wegen einer unterstellten linken Gesinnung voreingenommen.

Den vernehmenden Beamten wirft Stahl vor, sie hätten eine „Ermittlungshypothese in den Zeugen hineingefragt“ und spricht in diesem Zusammenhang von „verbotenen Vernehmungsmethoden.“

Als es dann während des Prozesses eine kurze Unterbrechung gab, meinte Stahl, jetzt sei er aus dem Konzept gekommen. Kommentar des Zeugenbeistands Adam: „Das ging aber schnell.“

Verteidiger Dr. Kienle hakte nach wegen der Aussage von Heiko S., er habe einige Zeit im Koma gelegen. Wie lange, wollte er wissen, und ob er neurologisch untersucht worden sei. Zwölf Tage seien das gewesen, so Heiko S.; insgesamt habe er 30 Tage im Krankenhaus gelegen. Er sei nicht beim Neurologen gewesen bisher und habe Physiotherapie bekommen.

Anmerkung: Hier wollte Kienle offenbar suggerieren, der Zeuge habe Gedächtnisprobleme aufgrund einer von ihm vermuteten Hirnschädigung infolge des Komas.

Die Depressionen seien, so der Zeuge, bei ihm durch die Beschuldigungen gegen ihn und den Prozess ausgelöst worden. Zur Erinnerung: Der im ersten Prozess verurteilte Peter S. hatte ihn beschuldigt, den Brand gelegt zu haben.

Seit Wiederaufnahme der Ermittlungen sei er, so Heiko S., dem Peter S. und dem Peter St. nur zufällig und sporadisch begegnet. Bei einer Begegnung mit St. im Drogeriemarkt Rossmann habe dieser ihm die Hand geschüttelt.

Der Zeuge erklärte in seiner Aussage wiederholt, er sei sich nicht sicher, ob Peter St. das Wort „brennen“ gebraucht oder ob er „passieren“ gesagt habe. Deshalb habe er in Vernehmungsprotokollen, in denen von „brennen“ die Rede war, dieses Wort handschriftlich durchgestrichen und durch „passieren“ ersetzt. Eines dieser Protokoll mit der entsprechenden Stelle wurde über Monitor eingeblendet. Allerdings war in einem Protokoll „brennen“ nicht korrigiert worden. Dort hieß es aber, Peter St. habe das „sinngemäß“ gesagt. Vor Gericht erklärte Heiko S., wäre ihm dies aufgefallen, hätte er auch in diesem Protokoll „brennen“ durchgestrichen.

Oberstaatsanwalt Dr. Merz stellte klar, Heiko S. habe in der Vernehmung an diesem Prozesstag dasselbe gesagt wie vorher auch schon. Denn auch vorher sei offen gewesen, ob Peter St. laut Aussage des Zeugen „brennen“ oder „passieren“ gesagt habe. Es gebe keinen Anlass, von dem dringenden Tatverdacht abzusehen. Nebenklageanwalt Hoffmann ergänzte, man könne nicht erwarten, dass der Fall an diesem Prozesstag geklärt werde. Und wo im Protokoll stehe, er habe „sinngemäß“ von „brennen“ gesprochen, habe Heiko S. das eben nicht gestrichen. Wenn er jetzt diese Aussage relativiere, müsse man bedenken, dass er sich selbst belasten könne, wenn er von „brennen“ spreche. Verteidiger Stahl meinte, alles sei zwar vorher schon gesagt worden, aber ihm sei es darauf angekommen, Heiko S. persönlich kennenzulernen und bei seiner Aussage zu erleben. Laut diesem habe sein Mandant nicht „brennen“ gesagt, betonte er, weshalb kein dringender Tatverdacht mehr bestehe. Er beantrage deshalb die Entlassung seines Mandanten aus der Untersuchungshaft.

Die Entscheidung darüber, so der Vorsitzende Richter Dr. Leitges, treffe das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung.

Update 8.3.24: Das Gericht hat den Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben, so dass dieser aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Näheres folgt in unserem Bericht zum vierten Prozesstag.

Siehe auch Saarländischer Rundfunk vom 05.03.2024

und Neues Deutschland vom 05.03.2024

und Saarbrücker Zeitung vom 05.03.2024

sowie Blogbeitrag von Vertreter:innen der Nebenklage

 


Verteidigung scheitert beim Versuch, Zeugenvernehmung mit juristischen Winkelzügen zu verhindern

Aussagen des jetzt Angeklagten bei der Polizei zeigen laut Ermittler Pogromstimmung in der Saalouiser Skinheadszene

Update 7.3.2024
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah:, 2. Prozess, 2.Prozesstag

An diesem Prozesstag (4.3.24) wurde der erste Zeuge des Prozesses vernommen, Kriminalhauptkommissar (KHK) Stefan H. vom polizeilichen Staatsschutz, der den jetzt Angeklagten Peter St. dreimal als Zeugen verhört hatte bei den Ermittlungen gegen den im ersten Yeboah-Prozess verurteilten Peter S.. Die Vernehmung des Polizisten konnte allerdings erst mit Verzögerung beginnen. Die Verteidigung vertrat die Auffassung, dieser dürfe als Zeuge gar nicht zugelassen werden, denn seine Verhöre seien rechtswidrig gewesen. In Wirklichkeit sei Peter St. nämlich nicht nur als Zeuge, sondern auch als Beschuldigter befragt worden, denn von Beginn an hätten die Ermittler ihn als Mittäter in Verdacht gehabt. Deshalb sei es erforderlich gewesen, ihn vor den Verhören über sein Aussageverweigerungsrecht und über sein Recht auf anwaltlichen Beistand zu belehren. Beides sei aber unterblieben.

Der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft widersprach dem: Die Fragen an Peter St. hätten nichts mit einer Beschuldigung zu tun gehabt, und diese Fragen seien allen Zeug:innen gestellt worden. Die Ermittlungsrichterin habe dies ebenso gesehen. Das Gericht schloss sich dem an und entschied, die Vernehmung Stefan H.s sei rechtens. So konnte diese dann beginnen.

Peter St. sei, so Stefan H., der erste Zeuge gewesen, der zwecks Auslotung der Struktur der Saarlouiser Naziszene befragt worden sei. Man habe ihn als Auskunftsperson befragt, wobei davon ausgegangen worden sei, dass es mehrere Täter gebe. Er habe sich als jemand gegeben, der heute ein ganz normales Leben führe und bei der Aufklärung der Tat mitwirken wolle. Er habe überlegt geantwortet und sich die Vernehmungsprotokolle intensiv durchgelesen. Der Angeklagte sei mehrfach in Haft gewesen, wegen Körperverletzungsdelikten und Alkohol am Steuer. Seit Mitte der 1980er sei er, so Peter St., in der Skinheadszene aktiv gewesen, habe diese in den 1990ern politisch vorangebracht und sei der Chef der Kameradschaft Saarlautern gewesen. Diese habe er 2006 verlassen. Peter S. sei sein Freund gewesen. Sie seien davon ausgegangen, dass keiner aus der Saarlouiser Szene die Tat begangen habe. Nach dem Anschlag hätten sie Präsenz und Stärke zeigen wollen und seien anlässlich einer linken Demonstration nach dem Anschlag den Demonstrierenden offen gegenübergetreten und von diesen gejagt worden.

Peter St. habe behauptet, er habe wenig Erinnerung an die Zusammenkunft mit Peter S. und Heiko S. am Abend vor dem Anschlag im Bayrischen Hof. Er könne sich nicht erinnern, gesagt zu haben "Hier muss auch mal was brennen." Aber er könne dies auch nicht ausschließen. Die Anschläge im Osten seien Thema in der Saarlouiser Szene gewesen. Es seien Sprüche gefallen wie "Scheiß Asylantenheime! Die wollen wir nicht! Die müsste man abbrennen!" Solche Stammtischparolen seien nicht nur aus der Skinheadszene gekommen, sondern auch von normalen Saarlouiser Kneipengästen. Es habe eine Pogromstimmung geherrscht, allgemein wie auch konkret am Abend vor der Tat.

Peter St. habe, so der Ermittler, immer nur ausgesagt, was die Polizei eh schon wusste. Er sei, so sein Selbstbild, "kein Scheiß-Verräter". Aussagen bei der Polizei seien in der Szene verpönt gewesen. Peter St. habe gesagt, Peter S. sei nach der Tat nicht verändert gewesen. Dies habe er aus sich heraus gesagt, es sei eine der wenigen Aussagen gewesen, die er ungefragt gemacht habe. Absprachen hätten sie nach Wiederaufnahme der Ermittlungen nicht getroffen, denn da sie nichts gewusst hätten, habe es dafür keinen Grund gegeben.

Stefan H. betonte, Peter St. sei in den Vernehmungen als Zeuge behandelt worden. Die Aussage des Zeugen Heiko S., nach der Peter St. gesagt haben soll "Hier muss auch mal was brennen" sei ihm einfach deshalb vorgehalten worden, weil es im Verfahrensverlauf eine entscheidende Aussage gewesen sei. Zu den Vernehmungsprotokollen erklärte er, diese seien teilweise wörtliche Mitschnitte und teilweise Zusammenfassungen wichtiger Aussagen. Die Zusammenfassungen seien dem Zeugen zwecks Bestätigung der Richtigkeit vorgelegt worden.

Siehe auch Saarbrücker Zeitung vom 04.03.2024

und Trierischer Volksfreund vom 04.03.2024

sowie Blogbeitrag von Vertreter:innen der Nebenklage

Am 4. Prozesstag (8.3.24), wird die Vernehmung des Ermittlers Stefan H. fortgesetzt.


Zweiter Yeboah-Prozess gestartet – die Claims sind abgesteckt

Update 01.03.2024
Prozessbeobachtung zum Mord an Samuel Yeboah, 1. Prozesstag:

Die Eröffnung des zweiten Yeboah-Mordprozesses am 27.2.24 ging schnell über die Bühne:
Der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof (GBA) Karlsruhe, Dr. Malte Merz, verlas einen Auszug aus der Anklageschrift: Angeklagt ist der 54 jährige Peter St.. Ihm wirft die GBA Beihilfe zu Mord und Beihilfe zu versuchtem zwanzigfachem Mord vor. Merz stellt fest, dass Peter St. eine tonangebende Stellung in der Saarlouiser Szene hatte und man ihn als Anführer betrachten kann. Sein Motiv: Hass gegen Ausländer. Die GBA spricht von einer damals bei ihm vorhandenen gefestigten nationalsozialistischen Ideologie sowie von Rassismus und Antisemitismus.

Die GBA möchte eine Verurteilung wegen Beihilfe zu Mord erreichen. Die Verteidigung - Rechtsanwalt Wolfgang Stahl, der bereits einer der Verteidiger von Beate Zschäpe im NSU-Prozess war, und sein Kollege Dr. Welf Kienle - plädieren auf Freispruch. Sie wollen grundsätzlich nur die eine Tat in der Nacht vom 18. auf  den 19. September 1991 bewerten und lehnen jeden Bezug sowohl zu den politisch-ideologischen Positionen des Angeklagten wie auch zur sich damals hochschaukelnden Pogromstimmung in (Ost-) Deutschland ab, die sich gegen Fremde – oft, aber nicht nur Migrant:innen - richtete.
Zentral wird dann im weiteren Verhandlungsverlauf die Aussage des Zeugen Heiko S. aus der polizeilichen Vernehmung vom Oktober 2020 sein, wonach Peter St. in der dreiköpfigen Kneipen-Zusammenkunft in der Nacht vor dem Brand – bestehend aus ihm selbst, dem im ersten Prozess verurteilten Peter S. und dem späteren Aussteiger Heiko S.- gesagt haben soll, es müsse in Saarlouis auch mal brennen wie in Ostdeutschland.

Die vier Nebenklageanwält:innen vertreten die Interessen der anderen Opfer der Saarlouiser Brandnacht, die aufgrund des Brandes und der erlittenen Todesangst traumatisiert sind. Ex-Zschäpe-Anwalt Stahl möchte den politischen Kontext ausklammern, wohingegen die GBA die Tat der Saarlouiser Brand- und Mordnacht ausdrücklich in einen politischen Gesamtkontext stellt.

Immerhin: Auch im zweiten Yeboah-Mordprozess wird das Gericht der Würde der Opfer gerecht und „gestattet“ dieser Seite vier Nebenklageanwält:innen.

Ein Hinweis in eigener Sache:
Wir haben uns für eine politische Prozessbeobachtung entschieden, die Partei für die Opfer ergreift. Diese Prozessbeobachtung muss der Versuchung widerstehen, den Angeklagten durch die schnell aufgesetzte Brille der Psychologisierung zu betrachten. Das psychologisierende Raster ist um so verlockender, als sich damit aus jedem (Nicht-) Augenaufschlag des Angeklagten und jeder seiner (Nicht-) Handbewegungen eine Geschichte basteln lässt, die dem eigenen Bedürfnis nach prickelnder Unterhaltung entgegen kommt und gleichzeitig den eigenen Unwillen, einen Begriff des Politischen zu entwickeln, übertüncht. Das Ergebnis wären viele kleine belanglose Detailgeschichten, die nichts zur Bewertung und Einordnung der Ereignisse beitragen, wohl aber dem eigenen Bedürfnis nach Tratsch & Klatsch entsprechen. Wie so oft im Leben, muss man sich entscheiden.

Siehe auch
Saarländischer Rundfunk vom 27.02.2024
Tagesschau vom 27.02.2024
Saarbrücker Zeitung (Bilderserie) vom 27.02.2024
Blog von drei Anwält:innen der Nebenklage

Die Prozesstermine sind öffentlich und können besucht werden.


Zweiter Prozess wegen Mord an Samuel Yeboah beginnt am 27. Februar 2024 vor dem OLG Koblenz

Anführer der Saarlouiser Nazi-Szene vor Gericht

Politisch sitzt auch das saarländische Staatsversagen auf der Anklagebank
Pressemitteilung der Aktion 3. Welt Saar e.V. vom 24.Februar 2024

„Die Phantasien zur ‚Remigration‘ des Potsdamer Geheimtreffens im Dezember hatten auch im Saarland ihre politischen Vorläufer. Deswegen begrüßen wir den zweiten Prozess wegen der Ermordung des Flüchtlings Samuel Yeboah und werden den Prozess beobachten. Dazu haben wir ein zehnköpfiges Team zusammengestellt, das abwechselnd an allen Prozesstagen vor Ort sein wird und veröffentlichen unsere Ergebnisse.“ So kommentiert Hans Wolf von der Aktion 3.Welt Saar den Prozessbeginn am 27. Februar vor dem 4. Strafsenat des OLG Koblenz gegen Peter St. Ihm wird Beihilfe zu Mord und Beihilfe zu versuchtem Mord zur Last gelegt. Es geht dabei um den Brandanschlag vom 19.9.1991 auf eine Asylbewerberunterkunft in Saarlouis, in dessen Folge Samuel Yeboah aus Ghana starb.

Im ersten Prozess wurde im Oktober 2023 nach 48 Prozesstagen der Angeklagte Peter S. nach Jugendstrafrecht zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der jetzige Angeklagte, Peter St., wurde im ersten Prozess von mehreren Zeugen und Zeuginnen – darunter ehemalige Gesinnungsgenossen - als Kopf der rechten Saarlouiser Skinheadszene geschildert. Sein Anwalt, Wolfgang Stahl, war einer der drei Anwälte im Prozess gegen Beate Zschäpe. Zentral sind in diesem Prozess die Aussagen eines Aussteigers aus der Naziszene, der bereits im ersten Verfahren umfangreich ausgesagt hat.

„Politisch sitzt bei diesem Prozess auch das saarländische Staatsversagen auf der Anklagebank. 30 Jahre lang haben staatliche Stellen im Saarland – Polizei, Justiz, Parteien – den rassistischen Charakter des Mordes an Samuel Yeboah geleugnet und die Existenz einer Naziszene bagatellisiert“, so Hans Wolf. Dazu gehören noch zwei Dutzend weitere rassistische Brand-, Bomben- und Mordanschläge im Saarland, die nie aufgeklärt wurden. Nur durch das Engagement zivilgesellschaftlicher Organisationen wie der Aktion 3.Welt Saar, der Antifa Saar und dem Saarländischen Flüchtlingsrat, die 30 Jahre lang der offiziellen Version widersprachen, geriet der Mord an Samuel Yeboah nicht in Vergessenheit. Daraufhin meldete sich 2019 eine Zeugin, und es wird seit 2020 zum ersten Mal seriös durch die Polizei ermittelt.

„In der Zwischenzeit wurden zwei weitere unserer Forderungen erfüllt und der saarländische Landtag setzte einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ein und beschloss einen Entschädigungsfonds für Opfer rassistischer Gewalt. Was noch fehlt, ist die Freigabe der Akten der Polizei und des Verfassungsschutzes aus der Zeit der Saarlouiser Baseballschlägerjahre“, so Wolf.

Hintergrund:
Bewertung, Berichte, Medienberichte und Chronik des ersten Yeboah-Prozesses.

Pressemitteilung des OLG Koblenz: t1p.de/76qga