Redebeitrag von Roland Röder, Geschäftsführer der Aktion 3.Welt Saar,
Kundgebung "Wir haben die Wahl"
Veranstalterin: "Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter - Landesverband Rheinland-Pfalz"
Ort: Mainz, Landtag, Mittwoch, 23. März 2011
Es gilt das gesprochene Wort.
Liebe Bäuerinnen,
liebe Bauern
liebe Mitbürger,
die Welt gerät aus den Fugen. So könnte man die aktuelle Situation beschreiben.
Was gestern noch gültig war und als ewige Wahrheit galt - zumindest aber als irdische Wahrheit - dass nämlich Atomkraftwerke sicher sind - ist Schnee von gestern.
Schnee, der in der warmen Frühlingssonne im sprichwörtlichen Schweinsgalopp dahin geschmolzen ist.
Es ist nicht die einzige Gewissheit, die sich von dannen gemacht hat. Denn, wenn wir schon hier in Mainz demonstrieren, so sei mir auch als Fußballfan der Hinweis erlaubt, dass auch im Fußball nichts mehr ist wie früher. Zumindest nicht wie in der letzten Saison. Dass der FSV Mainz 05 so grandios oben mitspielt und an den internationalen Plätzen schnuppert - wer hätte dies gedacht? Auch hier scheint die Welt aus den Fugen zu geraten. Auch hier gerät die klare Aufteilung der Welt in oben und unten gehörig durcheinander. Was oben war, ist jetzt unten, was unten war, ist jetzt oben.
Und genau deswegen haben wir uns heute hier versammelt.
Die Welt ist auch in der Landwirtschaft aus den Fugen geraten. Die gewohnte Ordnung - hier und da ein paar demonstrierende Bauern, die mehr Subventionen fordern und im Parlament Parteien, die das machen, was diese Sorte von Bauern und ihr Verband ihnen vorgibt - diese gewohnte agrarpolitische Ordnung ist hinüber.
Entscheidend dazu beigetragen hat der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter. Er hat nämlich die gesellschaftliche Agenda verändert. Und eine Frage da drauf gesetzt, die längst nicht nur Bäuerinnen und Bauern etwas angeht. Es ist die Frage "Welche Landwirtschaft willst du?".... .liebe Bürgerin und lieber Bürger. Denn, und dies steckt in dieser Frage unmissverständlich drin: Landwirtschaft wird es immer geben. Nur eben welche: Eine bäuerliche oder eine industrielle? Um einem Missverständnis vorzubeugen: Wir leben in einer Industriegesellschaft. Folglich wird auch eine bäuerliche Landwirtschaft mit einem hohen Technikeinsatz betrieben und nicht „von Hand zu Fuß“ und auf Du & Du mit jedem Regenwurm. Das müssen wir auch von vorneherein klar machen. Dies steht nicht zur Debatte.
Ich möchte an dieser Stelle als verlässlichen Bündnispartner ausdrücklich die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die AbL, erwähnen. Sie hat vieles von dem, was jetzt auf der Tagesordnung steht, mit angestoßen und mit auf den Weg gebracht. An dieser Stelle auch mein ausdrücklicher Gruß an die anwesenden AbL- Bauern und Bäuerinnen.
Milchviehhalter verändern die gesellschaftliche Agenda:
Landwirtschaft geht alle etwas an
Was heißt dies – die Milchviehhalter haben die gesellschaftliche Agenda verändert?
Zum ersten Mal gehen Bäuerinnen und Bauern auf die Straße und fordern nicht mehr und noch mehr und noch mehr Subventionen, sondern gerechte Preise für ihre hochwertigen Produkte.
Zum ersten Mal haben Bäuerinnen und Bauern massenhaft begonnen, den alltäglichen Irrsinn des IMMER MEHR in Frage zu stellen. Warum soll ich denn immer mehr produzieren, immer mehr Hallen und Ställe bauen, immer mehr Land beackern, immer mehr Kühe halten, immer mehr Kredite aufnehmen - warum soll ich dieses elende Ritual des IMMER MEHR zelebrieren, wenn ich gleichzeitig immer weniger Geld in der Tasche habe und immer weniger Zeit für mich und meine Liebsten habe? Schließlich arbeiten wir, um zu leben. Aber wir leben nicht , um zu arbeiten - zumindest nicht rund um die Uhr.
Zum ersten Mal in der Geschichte der BRD sind hier jenseits des bäuerlichen Fachverbandes Bündnisse entstanden mit Organisationen und Einrichtungen, die diese Frage - Brauchen wir IMMER MEHR ? - auch schon gestellt haben. Es ist wichtig zu begreifen, dass andere sich vor einem selbst schon mit dieser Frage beschäftigt haben. Nicht um fertige Antworten, also quasi Wahrheiten, zu übernehmen, sondern um von den Erfahrungen anderer profitieren zu können.
Zum ersten Mal haben Bauern in diesem Land begonnen, sich mit anderen Organisationen zusammen zu schließen und Bündnisse einzugehen. Das ist das historische Verdienst des Bundesverbandes deutscher Milchviehhalter, das man gar nicht genug herausstellen kann. Ich weiß natürlich auch, dass es viel einfacher ist, unter sich zu bleiben. Ich weiß um das Wagnis, sich auf andere einzulassen. Dass ich hier reden kann, ist ein Beispiel für diese neue Bündnispolitik. Die Aktion 3.Welt Saar ist keine Bauernorganisation. Wir sind eine bundesweit arbeitende politische Organisation mit Sitz im Saarland. Und wir beschäftigen uns mit der Frage, warum Menschen verhungern müssen, obwohl doch genügend Nahrungsmittel produziert werden. Auch dies ist eine der Verrücktheiten der heutigen Zeit.
Das sprichwörtliche Paradies, in dem für alle Menschen auf der Welt Milch und Honig fließen, wäre machbar. Es ist schließlich genug für alle da. Dem im Weg steht eigentlich nur der alltägliche kapitalistische Wahnsinn. Dass Menschen heute verhungern liegt an der Verteilung der Nahrungsmittel.
Zum ersten Mal haben Bauern und Bäuerinnen begonnen, mit Gewerkschaften zu kooperieren. Auch dies zeigt, wie die Milchviehhalter die gesellschaftliche Agenda verändert haben. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als letztes Jahr im Saarland der DGB und die Milchviehhalter zusammen kamen. Wir haben dies von Seiten der Aktion 3.Welt Saar angestoßen und nach beiden Seiten Überzeugungsarbeit geleistet. Das war nicht einfach. Aber es hat sich gelohnt. Der Austausch hat begonnen.
Zum ersten Mal demonstrierten Bauern in der BRD bei der zentralen 1. Mai Kundgebung des DGB in Saarbrücken mit: Auch mit Traktoren. Dies ist ein ausdrucksstarkes Bild, das deutlich macht, dass nichts mehr so ist, wie es war. Hinter dieser Zusammenarbeit steckt die Erkenntnis, dass der alltägliche kapitalistische Wahnsinn - immer mehr arbeiten für immer weniger Geld - abhängig Beschäftigte genauso betrifft wie Bauen und Bäuerinnen.
Das gleiche Wirtschafts- und Denksystem, das Arbeitnehmer dazu zwingt, immer schneller für immer weniger Geld zu arbeiten, zwingt auch die Produzenten von Lebensmitteln, immer mehr für weniger Geld zu produzieren. Das ist der Neoliberalismus wie er leibt und lebt. Und dieser Neoliberalismus ist nicht plötzlich nach der einen Seite sozial und fair. Er ist aktueller Ausdruck des alltäglichen marktwirtschaftlichen Wahnsinns.
Oder:
Zum ersten Mal haben Bauern das Produkt ihrer Arbeit weggeworfen. Öffentlich und demonstrativ. Dieses Bild von Bauern, die ihre Milch ausschütten, hat sich im kollektiven politischen Gedächtnis eingeprägt.
Während anderswo Menschen verhungern, gehen Bauern in Deutschland hin und gießen Millionen Liter Milch auf ihre Felder. Spinnen die? Nein, sie spinnen nicht, sie handeln aus Verzweiflung über einen katastrophal niedrigen Milchpreis, der unter den Produktionskosten liegt. Dahinter steht eine Milchpolitik der EU und der BRD, die eine gezielte Überproduktion von rund 5% fördert, um den Milchpreis niedrig zu halten. Die Kosten tragen Bauern und Bäuerinnen hier UND in der sogenannten 3. Welt: Denn dorthin wird ein Teil der überschüssigen Milch als Milchpulver mit EU-Subventionen billig verkauft. Dies zerstört einheimische Märkte. Und es ist ein Beispiel für den alltäglichen kapitalistischen Wahnsinn.
Diese Milchpreispolitik ruiniert Bauern hier und in der 3.Welt.
Deshalb freut es mich besonders, dass wir die Chance haben, seitens der Aktion 3.Welt Saar gemeinsam mit dem BDM und der AbL in RLP und dem Saarland an einem Vernetzungsprojekt arbeiten können. Dieser Austausch untereinander ist elementar, wenn wir die gesellschaftliche Debatte „Welche Landwirtschaft willst du – liebe Bürgerin und lieber Bürger“ voran bringen wollen.
Alternative - Faire Milch: Ohne Gentechnik, kein Futtermittel aus der 3.Welt.
Und – ohne das Miteinanderreden jetzt schlecht zu machen: Der BDM hat auch eine handfeste Alternative im Angebot. Aus der eben geschilderten Misere, die von Menschenhand bzw. von der viel zitierten unsichtbaren Hand der Marktwirtschaft gemacht ist, wurde eine Alternative entwickelt: die FAIRE MILCH.
Schwups-die-wups hat man damit den Spieß umgedreht und zum Leidwesen der großen Molkereien die Vorwärtskalkulation eingeführt: Die Bauern erhalten kostendeckende 40 cent/l. Alle weiteren Kosten für Verarbeitung, Vertrieb und Handel kommen dazu.
Aber die FAIRE MILCH ist zusätzlich ein Angebot an die Gesellschaft und beantwortet ein Stück weit die Frage „Welche Landwirtschaft willst du – liebe Bürgerin und lieber Bürger?“ Denn mit der FAIREN MILCH sind zwei Versprechen verbunden:
1. Wir produzieren ohne Gentechnik. Auch diese Hochrisikotechnologie ist nicht beherrschbar - genauso wenig wie Atomenergie.
2. Wir produzieren mit hier erzeugtem Futtermittel, also ohne Futtermittel aus der 3.Welt und nehmen damit anderen nicht die „Butter vom Brot“. Wenn man sich vorstellt, dass das kleine südamerikanische Land Paraguay heute der viertgrößte Sojaimporteur ist, dann bekommt man eine Ahnung davon, wie dort die Landwirtschaft zugerichtet wurde. Wir haben Anfang Juni eine Kleinbäuerin aus Paraguay zu Gast und werden mit ihr Höfe in RLP und dem Saarland besuchen und öffentliche Veranstaltungen machen.
Zugegeben: Die FAIRE MILCH ist ad hoc keine Lösung für alle Bauern und es gibt sie auch noch nicht flächendeckend in Deutschland. Aber es ist ein gangbarer Weg, der das Versprechen des BDM und der AbL einlöst, nicht nur den Bauern, sondern allen in der Gesellschaft eine gangbare Alternative aufzuzeigen. Und damit wird die Agrardiskussion noch mal ein Stück weit mehr aus der reinen Fachecke herausgeholt und landet auf dem Frühstückstisch. Das mag den großen Molkereien nicht schmecken, aber Gerechtigkeit schmeckt eben anders, als diese es gewohnt sind.
Land und Saatgut in Bauernhand
Lasst mich zum Schluss kommen.
Mit dem BDM und auch mit der AbL sind zum ersten Mal Bauernorganisationen auf den Plan getreten, die
- auf Augenhöhe mit anderen Organisationen kooperieren, die
- eine Debatte über eine neue Landwirtschaftspolitik in der gesamten Gesellschaft anstoßen; die
- Dialogangebote an Parteien richten, ohne sich parteipolitisch festzulegen. Das ist klug und richtungsweisend, sich nicht auf eine Partei festzulegen. So sinnvoll es ist, vier Tage vor der Landtagswahl hier zu demonstrieren, so wenig glauben wir, dass auch nur irgendein Wahlversprechen ohne den entsprechenden Druck nach der Wahl eingelöst wird. Die politische Halbwertszeit von Wahlversprechen kannst du am Wahlabend in Sekunden messen.
- Mit dem BDM und der AbL sind Bauernorganisationen auf den Plan getreten, die Auswege suchen aus der Situation des IMMER MEHR - immer mehr arbeiten für immer weniger Geld; also dem alltäglichen marktwirtschaftlichen Wahnsinn.
Man glaubt es kaum, aber manchmal bevorzugt auch die Marktwirtschaft eine erstaunlich große Portion Sozialismus: Nämlich dann, wenn Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Aber diese Art von Sozialismus und diese Art von Marktwirtschaft wollen wir nicht. Lange Rede, kurzer Sinn: So wichtig es ist, die Ideologie des IMMER MEHR im eigenen Umfeld in Zweifel zu ziehen, so richtig ist es auch, dies gesamtgesellschaftlich zu tun. Wir brauchen eine neue Wachstums- und Verteilungsdebatte. Vor allem brauchen wir genauso wie in der Atomkraft auch in der Landwirtschaft eine neue Bewertung der Hochrisikotechnologie namens Gentechnik.
Ich halte es für wichtig, diesen eingeschlagenen Weg weiter zu gehen und uns nicht entmutigen zu lassen. Zugegeben - da sind noch jede Menge dicke Bretter zu bohren. Ich weiß auch, dass eine Zusammenarbeit, die jahrzehntelang brach lag, nicht von heute auf morgen rund läuft. Es gibt gehegte und gepflegte Urteile – mancher mag auch sagen Vorurteile – auf beiden Seiten. Aber es lohnt sich:
Gemeinsam sind wir unausstehlich.
Und gemeinsam sind wir nicht aufzuhalten.
Eine Gesellschaft, die dauerhaft gesunde Nahrungsmittel möchte, deren Produktion weder den Boden schädigt noch die Gesundheit von Bäuerinnen und Bauern – eine solche Gesellschaft braucht eine bäuerliche Landwirtschaft. Und wenn wir dauerhaft gesunde Nahrungsmittel für alle Menschen weltweit produzieren wollen, dann brauchen wir auch eine bäuerliche Landwirtschaft weltweit. Und ganz konkret heißt dies, dass jede Bäuerin und jeder Bauer – egal wo er lebt und arbeitet – noch etwas braucht:
Land und Saatgut in Bauernhand.
Das ist unser Ziel. Das nützt allen.
Vielen Dank.